Seite:Wünschelruthe Ein Zeitblatt 123.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Wünschelruthe


Schlaf, goldig Kindlein, süße

10
     Im warmen Wiegelein,

Im Wald ist’s kalt und trübe,
     Zu kalt für’s Kindelein;
Doch morgen, morgen frühe
     Kommt wieder Sonnenschein,

15
Kannst draußen wieder spielen

     Mit blau und rothen Blümlein.

Jetzt schlaf mein Kindlein süße,
     Bist ja bey Mütterlein.
Hört Bär und Wolf dich weinen,

20
     Dann kommen sie herein;

Den Wald sie still durchstreichen,
     Und hören sie dich schreyn,
Herbey sie langsam schleichen
     Und fressen's Kindelein!

25
Drum schlaf lieb’ Kindlein süße,

     Mein goldnes Herzelein!
Auch Mutter möchte schlafen,
     Thun weh die Aeugelein.
Und folgst du, will ich’s sagen

30
     Dem Christus Kindelein;

Bringt dir dann goldne Nüsse
     Und rothe Aepfelein!
Schlaf Kindlein, Kindlein süße!

Carové.




Briefe über das neue Theater.
Dritter Brief. Der Direcktor an den Poeten.




(Fortsetzung).

Wohl zehnmahl habe ich Ew. Wohlgeboren geehrtes Schreiben in der Probe angefangen und wieder einstecken müssen, endlich bin ich damit zu ende gekommen. Schon wegen ihrer engen Handschrift sind Sie zum Schriftsteller bestimmt, denn Sie merken gar nicht, wenn Sie zuviel schreiben. Mir war bey Ihrem Schreiben zu muthe wie neulich bey einem Mittagsmahle unsres Policeychefs. Der alte Spasvogel, der wohl wuste, daß wir den Kotzebue nicht von Person kannten, hatte einen Tausendkünstler unter dessen Namen der Gesellschaft vorgestellt. Jeder wollte ihm etwas verbindliches sagen, die älteren Frauen thaten es uns allen zuvor und recitirten, was ihnen aus ihrer Jugend von seinen Stücken besonders im Gedächtniß geblieben war. Der Mann nahm alles sehr verbindlich auf, wir glaubten, er werde uns nun sehr angenehm unterhalten, aber er blieb sehr ernst und verschlossen, aß aber dabey wie ein Wehrwolf. Wir sahen daß, er sichtlich dicker wurde und daß er sehr knap angezogen war, er seufzte mehrmals lamentabel, wir konnten uns nur mit Mühe des Lachens enthalten, insbesondre da Seufzen und Essen ordentlich im Tacte abwechselte. Der Wirth lief umher und bat, das Lachen zu unterdrücken, der berühmte Mann sei mit dieser Krankheit behaftet, er seufze in Gedanken; dem einen winkte er zu, dem andern trat er auf den Fuß, kurz er trieb durch diese Aufmerksamkeit die Lachlust noch höher, einer blies die Backen auf, dem andern funkelten die Augen. Endlich aber was geschieht, - der Tausendkünstler steckt eine ungeheure rothe Zunge heraus, wie ein feuriges Schwerdt, besieht sie sehr zufrieden mit eignen Augen, putzt damit Krumen von feiner Halskrause, streicht sich damit den Backenbart, endlich knöpft er damit seine obersten Westenknöpfe auf. Da hält sich keiner mehr, alles platzt los und wiehert den Fremden an, der ganz verwundert die Gesellschaft ansieht, warum sie so lache. Sehn Sie, so konnte ich mich am Ende ihres Briefes über ihre lange lange Zunge, über ihren ungeheuren Athen des Lachens nicht erwehren. Und daß Sie wirklich ein berühmter Poet sind und so die Zunge herausstrecken wie ein Taschenspieler, darin liegt ein Hauptspas. Von der Nachtigall sagte ein Barbar, der sie braten ließ, eine Stimme und weiter nichts, von Ihnen kann man sagen, eine Zunge und weiter nichts, denn ihr ganzes Leben und Treiben, hat gar nichts zu thun mit ihren Behauptungen. Sie müssen Maltheser werden, Sie bildeten für sich allein eine Zunge. Wie aber Aesop versichert, daß die Zunge der edelste Theil am Menschen ist, so sind sie auch gewissermaßen der edelste Mensch. Mit edlem Selbstgefühl blicken Sie auf ihre alte Hosen , weil Sie damit die zerrissene Altardecke flicken wollen, aber Sie tragen sie noch immer mehr ab, dabey sprechen Sie ahndungsvoll von ein Paar neuen, von denen ihnen geträumt hat; das alte Theater wollen Sie den Göttern opfern, noch ehe ein neues fertig ist, denn mit den Papierschnitzeln die sich bey Ihnen gesammelt haben, meinen Sie doch wohl nicht ein neues Theater zu begründen. Indem ich Ihren Brief beantworten will, merke ich, daß er entweder gar keinen Inhalt hatte oder daß es mir dabey wie bey einem langsamen Barbier ergangen, unter dessen Händen der Bart an der einen Seite schon wieder gewachsen, ehe er mit der andern fertig;[WS 1] ich habe bis zum Ende den Anfang vergessen und kann nur noch von dem Eindrucke sagen, den mir das Einseifen, das Kratzen des Rasirmessers, besonders als er mir an die Nase gegriffen, machte.

(Die Fortsetzung folgt).

Anmerkungen (Wikisource)

  1.  ; fehlt in der Vorlage. Siehe Druckfehler S. 144.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_123.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)