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Verschiedene: Wünschelruthe


In der Rosenzeit.

     Ich seh’ wohl süße Rosen blühn,
Ich hör’ sie wohl von Liebe sagen,
Ich seh’ wohl zarte Wangen glühn,
Ich hör’ wohl süße Lippen klagen;

5
     Ich sehe wohl die Rosen wehn

Wie selig stille Liebesaugen,
Fühl’ wohl von ihren Lippen gehn
Ein leises, liebes Aetherhauchen.

     Doch jede Rose in der Brust

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Zeigt mir ’ne lichte heil’ge Thräne,

Doch jede Lipp’ mahnt unbewußt
Mich an viel süßre Liebestöne.

     O Rosenblühn, o Blumenlicht
Ihr seyd so feucht, ihr seyd so trübe,

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O Lippenhauch, o Augenlicht

Ihr kommt ja nicht von meiner Liebe.

Hornthal.
Ueber altdeutsche Gemälde.
(Fortsetzung).
Die Bettendorfsche Sammlung in Aachen.

Der Künstlerkreis, welcher uns in der Bettendorffschen Sammlung vor Augen tritt, beginnt mit den Brüdern van Eyck; von der alten traditionellen Malerei haben wir also hier nichts weiter hinzuzufügen. Wir führen wegen Mangel des Raums nur wenige der vorzüglichsten und historische Hauptmomente bildenden Gemälde der Sammlung an, die unter fast hundert altdeutschen Bildern, meist von kleinerem Umfange, kein schlechtes enthält. Es mag Hubert van Eyck besonders den ersten Anstoß zu der Umwälzung gegeben haben, welche schon durch seinen viel jüngeren Bruder in mehreren Rücksichten den Gipfel der Vollendung erreichte; wir finden hier ein Bild von ihm, das uns um so merkwürdiger erscheint, da es einen bewegteren Moment darstellt als die meisten Gemälde Johanns welche uns bekannt geworden sind. Dieß giebt uns Gelegenheit zu der Bemerkung, daß der zuerst erwachende strengere Natursinn in der bildenden Kunst gern die Charaktere, so wie die äußere Natur, rein in ihrer Ruhe und in einer alle Gefühle unverwirrt abspiegelnden Tiefe still beschaulich auffaßt, indem heftige Regungen, sodann Leidenschaften erst durch Spätere eine größere Stelle im Kreise der Kunst erhalten, und daher Künstler in der Periode wie die Brüder van Eyck, im Gange des menschlichen Geistes vom Allgemeinen zum Besondern, als eigentliche Charaktermaler den Uebergang von der bloßen Malerei der Gestalten, deren Charakter im Symbol liegt, zu der der Leidenschaften und des getrübten Charakters bilden. Die große Ruhe und innerliche Stille, die auf dem erwähnten Bilde Huberts, einer Abnahme vom Kreuz, verbreitet ist, wird dieß gewiß anschaulich machen, zumal da man es am Platze selbst mit späteren denselben Gegenstand darstellenden Bildern vergleichen kann, indem es jedoch mit denselben die durch die Geschichte bedingten traditionellen Züge gemein hat, nebst noch einigen andern, die sich erst aus der Eyckschen Schule selbst fortpflanzten. Das Bildniß des Meisters ist zu bekannt und in dem Nikodemus zu erkennbar, als daß man an der Richtigkeit der Angabe zweifeln könnte; nun aber müssen wir uns auf das höchste wundern, wie unendlich weit Hubert, bei einer strengen, selbst trocknen und etwas steifen Composition und Zeichnung (am auffallendsten in dem starr ausgestreckten Leichnam), an allem was irgend Malerei im engeren Sinne heißen kann, an Farbengebung, Ausführung und Behandlung der Landschaft, hinter seinem Bruder zurücksteht. So gewährt das Bild, äußerlich in seiner rauhen

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_213.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)