Seite:Wünschelruthe Ein Zeitblatt 215.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Wünschelruthe


weniger wie ein körperliches Bedürfniß, als zum Symbol von etwas Höherem nehmen und essen, ohne daß deßhalb die gerade Einfalt der Personen und der Eindruck ihres augenblicklichen Schicksals fehlte. Das Costum ist neuorientalisch, wie bei solchen Gegenständen gewöhnlich auf Hemmelinks Bildern; er soll Gelegenheit gehabt haben dieß von dem reichen auf alle Weise geschmückten Prachtgefolge der Herzoge von Burgund, deren Kunstliebe überhaupt die altniederländischen Maler so sehr begünstigte und unterstützte, nachzuahmen. Wir geschweigen der Farbengebung und Ausführung, da es genug ist zu sagen, daß sie den Hemmelink vollständig ausspricht, wie das ganze Bild; das nicht vollkommen helle, gebrochene Licht in der wöhnlichen Stube ist von der vortrefflichsten Wirkung. – Alle Vorzüge dieses Gemäldes finden wir ebenfalls auf dem zweiten, wo Elias schlafend auf der grünen Erde liegt, das Haupt auf die rechte Hand gestützt, ein guter liebenswürdiger Alter, in stiller Sinnigkeit, als dächte er im Traume über etwas nach; Stab und Brot liegen neben ihm; zu ihm ist der Engel herabgeschwebt, ein ächter Himmelsbote, die Knie etwas gebogen unter dem langen weißen Gewande, als wären sie beide von der widerstrebenden Erde zurückgewichen; mit sanftem Druck, der wahrhaft lieblich gegeben ist, berührt seine Rechte die Schulter des Propheten um ihn zu wecken. Links streckt sich eine weite reiche Aussicht über Waldungen auf dunkelblaue Berge hin, während man rechts im Mittelgrunde den Elias zwischen grünen Hügeln und bemoosten Felsen hinwandern sieht, vor sich hin den Blick erhebend, wie in eine Zukunft und zum Herrn. Der schöne Engel, so wie die Ferne, die mehr im Dunkel gehalten ist als der hell von der Sonne beschienene Vorgrund, hat in der That in Bedeutung und Behandlung viel von Johann van Eyck; doch halten wir die Annahme daß er beides hineingemalt habe für etwas zu kühn, da wir ja auch sein Verhältniß zu Hemmelink allzu wenig kennen.

(Die Fortsetzung folgt).


Der Knabe.

     Ein Knab war ausgegangen
In weiter bunter Au –
Wonach er trug Verlangen,
Er wußt es nicht genau.

5
     Mit schimmerndem Geschmeide

Hat sich die Au behängt,
Zu rechter Augenweide
Sich Blum an Blume drängt

     Und Schmetterlinge trinken

10
Aus duftigem Pokal

Und flattern, winken, blinken,
Im blanken Sonnenstrahl.

     Und aus dem Busch ein Girren
Dem Knab zu Ohren klingt,

15
Als wenn – ein hold Verwirren –

Mit Liebe Liebe ringt.

     Und hellre Töne steigen
Noch aus dem Busch empor
Als könnte Lieb nicht schweigen,

20
Als bräche Lieb hervor. –


     Wie zauberisch gefangen
Steht nun der Knab am Ort,
Von Augen Ohr und Wangen
Schiebt er die Locken fort.

25
     Die Augen muß er schließen,

Er lauscht, er horcht genau,
Die Wimpern überfließen
Von lichten warmen Thau.

     Er hat in milden Thränen

30
Die Arme aufgethan,

So drängt ein süßes Sehnen
Heiß an sein Herz sich an.

     Er fühlet sich verlassen,
Zum Sterben weh und wund,

35
Könnt er die Töne fassen,

Da würd’ er wohl gesund.

     Und bebend, bang, beklommen
Naht er dem Busch sich schon
Aus dem sein Herz vernommen

40
Den süßen Liebeston –


     Ach aus den stillen Schatten
Ein Vöglein scheu geschwind,
Weit über Wies und Matten
Den schnellen Flug beginnt.

45
     Und aus dem Busche steigen

Die Töne ferner nicht,
Dem Knaben bei dem Schweigen
Das arme Herz fast bricht.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_215.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2018)