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Während sie noch deuteten und Ausschau hielten, da nahte sich der Berg dem Schiff, und von seiner Spitze glitt ein buntes Boot ins Wasser nieder. Zu beiden Seiten standen Feen. In der Mitte saß ein Mann. Es war Liu I. Er winkte seinem Vetter mit der Hand; der raffte seine Kleider auf und stieg zu ihm ins Boot. Als er jedoch das Boot betrat, da hatte es sich in einen Berg verwandelt. Auf dem Berge stand ein prächtiges Schloß, und in dem Schlosse stand Liu I, umgeben von Saitenspiel und leuchtenden Farben.

Sie begrüßten sich, und Liu I sprach zu seinem Vetter: „Kaum einen Augenblick sind wir auseinander, und du hast schon graues Haar.“

Der Vetter sprach: „Du bist ein seliger Gott; ich habe verweslichen Leib. So wills das Schicksal.“

Da gab ihm Liu I fünfzig Pillen und sprach: „Jede Pille verlängert dein Leben um ein Jahr. Wenn diese Jahre voll sind, so komm und verweile nicht länger in der Welt des Erdenstaubs, wo nur eitel Not und Mühsal ist.“

Dann brachte er ihn noch über den See und war verschwunden.

Sein Vetter aber zog sich von der Welt zurück, und nach fünfzig Jahren, als er die Pillen alle gegessen hatte, da verschwand er auch auf Nimmerwiedersehen.


56. Das Fuchsloch

Im Westen der Kiautschoubucht ist ein Bergdorf, das heißt das Fuchsdorf. Östlich von dem Dorfe steht ein hoher Fels. Mitten durch den Fels geht eine Höhle, rund wie der Vollmond. Die Höhle führt wie ein Tunnel wohl eine halbe Meile lang durch den ganzen Berg und kommt auf der andern Seite wieder heraus. Die alten Leute sagen, es wohnen viele Füchse und Wiesel darin. Darum getraut

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_170.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)