Seite:Zürcher Diskußjonen (16–17) 011.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

„Ich habe ihn wiedergesehen. Womit verdiene ich diese Güte, o Vorsehung? Und noch mehr Gnade ließest du mir zu Teil werden. Als das Schauspiel zu Ende war, schlich ich mich in die Loge des Grafen M. und nahm dort den Anschlagzettel, den er vielleicht in der Hand hielt. Zum Mindesten war er in seiner Nähe, das ist genug“ (Tagebücher S. 63).

Beim Verlassen des Dienstes als Leibpasche notirt Platen in sein Tagebuch: „Heute hatte ich zum letzten Male Tafeldienst beim Könige. Von was ich mich ungern trenne, fast ist es kindisch, es niederzuschreiben, ist nichts anderes als mein Galakleid, das mir so teuer ist, als weiland Werthern sein blauer Frack, in dem er Lotte zum ersten Mal gesehen hatte. Auch mich knüpfen süße Erinnerungen an dies Kleid, auf welchem einen Augenblick M’s. schöne Hand ruhte“ (ebenda S. 99).

Literarisch und psichologisch von außerordentlichem Wert ist das Folgende, da es von einem begabten, geistig hochstehenden Menschen stamt, und da es in der ehrlichen Form einer Mit-sich-selbst-Aussprache – in Tagebuchform – niedergeschrieben ist, deßen Veröffentlichung Platen wol kaum auch nur ahnen konte, wobei noch zu berüksichtigen ist, daß der Verfaßer in der Erinnerung eine Zeit wieder auffrischt, da er als fünfzehnjähriger Pasche am Hofe König Ludwig’s I. von Baiern Dienst tat:

„Ich bestrebte mich, in diesen Fragmenten, das Charakteristische meiner Neigung herauszuheben und zugleich eine Probe meines damaligen Styls und poetischen Ideenkreises zu geben … Ich gewöhnte mich, meine Hoffnungen und Träume der Liebe an Personen meines eigenen Geschlechts zu verschwenden und suchte in ihrer Freundschaft dasjenige Ziel zu erringen, das der Liebende in der Ehe sucht. Ich gewöhnte mich, die Frauen mehr zu verehren, als zu lieben, die Männer mehr zu lieben als zu verehren. Ich bin schüchtern von Natur, aber am wenigsten bin ich’s in ganz ungemischter Gesellschaft von Weibern, am meisten in ungemischter Männergesellschaft. Am meisten gefiel mir die Zartheit des Weibes, aber ich sah sie nicht als etwas Auswärtiges, sondern als etwas auch meinem Wesen Innewohnendes an. Ich glaubte, daß der beschränkte Kreis einer Frau nicht fähig wäre, mich lange zu fesseln, und daß bei Weibern der größte Teil des schönen Geschlechts durch Affektation verderbt sei. Ich glaubte, daß sich bei einem Gegenstande der Neigung meines eigenen Geschlechts treue Freundschaft und reine Liebe eng vereinen ließen, während bei Weibern immer mehr Begierde vermischt sei. Der Verfolg wird zeigen, daß M. und der Prinz von W.[1] nicht die letzten waren, die mich mächtig anzogen. Als ich die Abreise des französischen Gesandten und seiner Familie vernahm, richtete ich meine ganze Hoffnung auf den Prinzen. Ich hatte ihn bisher nur zweimal gesehen, da er nicht in München garnisonirte. Als mir M. alles war, bemerkte ich noch gar nicht, daß meine Neigung eine von andern ganz verschiedene Richtung genommen hatte, und ich dachte nicht an den Unterschied der Geschlechter. Ich glaubte an gewisse sympathetische Träumereien und eine reziproke Gewalt der Liebe, war daher immer unglücklich und betrogen ....“ (ebenda S. 67–68).

„ … In dieser nach Liebe heiß verlangenden Stimmung war es, als bei einem Konzert und Deklamatorium in der Harmonie, am 12. November 1814, ein junger Offizier vom *** Regimente, Herr von Brandenstein, meine Blicke vorzüglich auf sich zog. Aus diesem Zufall entspann sich eine lange Liebe, die selbst der Entfernung trotzte, da ich mich jedem Eindrucke begierig hingab, und die Oede meines Herzens mit Träumen zu bevölkern strebte. Der Erwähnte ist jener Federigo, der in spätern meiner Blätter oft genannt wird.[2] Er ist nicht groß, aber hübsch gewachsen, seine Gesichtszüge


  1. Prinz von Waldeck, Verwanter des Königs, fiel bald darauf in der Schlacht bei Hanau 1813.
  2. Auf diesen Federigo oder Leutnant von Brandenstein bezieht sich das folgende Seite 152 der „Tagebücher“ mitgeteilte Gedicht:

    So schleich ich durch das Leben weiter,
    Wie ein verirrter Geist,
    Ich habe keinen Begleiter
    Der mir die Heimat weist.

    Ich werd’ ein Fremder bleiben,
    Verlassen und allein,
    Mich auf und nieder treiben
    Und nimmer glücklich sein.

    [12] Und schmückt der Lenz auch wieder
    Flur, Garten und Gehölz,
    Ich bückte mich nicht nieder
    Nach schöner Blumen Schmelz.

    Nur eine möcht’ ich finden,
    Dann fahre wohl, o Schmerz!
    Ich suche Mitempfinden
    An eines Freundes Herz.

    Wer kennt die goldne Blüte,
    Und sucht sie nicht allein?
    Sie keimt aus deiner Blüte
    Geliebter Brandenstein.

    Von unvergleichlichem psichologischem Interesse ist noch die folgende gleichzeitige (1814), also nicht retrospektive, Betrachtung des jungen Platen über das gleiche, oben mitgeteilte, Begegnen, welche uns die subjektiv enorm gefangene, für alles objektive Geschehen gänzlich unfähige Seelenstimmung des 18-jährigen Verliebten zeigt:

    „(23. Nov. 1814.) Ich war in meine Lektüre vertieft, als plötzlich die edle Gestalt vor mich hintrat (in der „Harmonie“ in München). Er nahm eine Zeitung, die mir zur Seite lag. Wie war ich froh, ihn wieder zu sehen. Er saß ungefähr vier Stühle von mir entfernt. Ich verließ meinen Sitz ein paar Augenblicke, um ein Journal zu holen; unterdessen gingen die Personen, die zwischen uns ihren Platz hatten, und B. setzte sich auf den Sessel neben mich. Ich war halb berauscht durch diese Nachbarschaft. Ich nahm mich zusammen, um ein geheimes Zittern zu verbergen, das mich ergriff und obschon ich ganze Seiten in einem Journal von de la Motte Fouqué las, so habe ich doch nicht einen Buchstaben behalten; demungeachtet war von Gegenständen der Poesie die Rede, von Dingen, die mir sonst die interessantesten würden geschienen haben. Aber nun kam ich mir selbst vor, wie Don Carlos in der Kapelle, als die Kleider gewisser Damen hinter ihm rauschten, ich verlor mein Fassungsvermögen. Ich hatte mich gegen acht Uhr bereits zum Gehen fertig gemacht, als er gleichfalls aufstand. Ich ging rasch zur Thür hinaus, er folgte mir in ein paar Minuten. Wir kamen fast zugleich an die Thür des Vorsaals, er öffnete sie, und ließ sie mir offen. Er sprang die Treppe hinunter, ich ungefähr zehn Schritte hinter ihm. Wir gingen im Gange nebeneinander; am Thore machte er eine kleine Zögerung, so daß ich gezwungen war, vorauszugehen. Er ging rechtwärts gegen die Hauptwache, ich linkwärts. Es scheint mir doch ein stummes Verhältnis zwischen uns zu walten.“ (Tagebücher, S. 148.)
Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_011.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)