Seite:Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin V 006.jpg

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Als wir in glühender Mittagshitze die einförmigen Straßen der Stadt betraten, schlug uns ein trockner und heißer Luftstrom wie aus einem Backofen entgegen. Straßen und Plätze waren menschenleer und die grünen Jalousien der weißen Häuser völlig geschlossen. Nur einige schwer beladene Camele wanderten langsam, mit schwerfälligem Schritte, dem Hafen zu. Nachdem wir ein gastliches Obdach für die nächsten Tage gefunden hatten, eilten wir, aus der öden Stadt in’s Freie zu gelangen, und wandten unsere Schritte zunächst nach einer von den wilden Schluchten oder Barrancos, welche zunächst im Osten von Santa Cruz tief in die Gebirgskette der Añaga einschneiden. Wir hofften im Grunde der Schlucht, welche den Namen Valle Ameida führt, Schatten und Kühlung zu finden. Aber der Bergstrom, welcher in der Regenzeit tobenden Laufes und in zahlreichen Wasserfällen hier herabstürzt und mächtige Lavablöcke dem Meere zuführt, war versiegt. Von Bäumen war keine Spur zu sehen, abgesehen von einzelnen schattenlosen Dattelpalmen und von canarischen Tamarisken, deren Zweige, mit ganz kleinen graugrünen Blättchen bedeckt, ebenso wenig Schatten zu verbreiten vermochten. Auch die spärliche Vegetation, welche hier und da aus den Felsritzen des nackten schwarzen Lavabodens hervorsproßte, war nicht schön, obwohl in hohem Maaße interessant.

Schon aus der Ferne hatten wir auf dem dunklen Lava-Gestein zahlreiche blaugrüne Flecken bemerkt. Als wir jetzt einem solchen Flecke uns näherten, wurden wir durch eine der wunderbarsten Pflanzengestalten überrascht. Was ist das für ein seltsames Gewächs, kein Baum, kein Strauch, kein Kraut! Nichts ist da als ein Haufe von dichtgedrängten, langen, vierkantigen Säulen von matt blaugrüner Farbe, welche einander parallel senkrecht aufsteigen. Nur am Grunde, wo die kleineren Säulen von größeren sich abzweigen, sind sie leicht gebogen, nacht Art eines Armleuchters. Die größten und stärksten Säulen, so dick wie ein Mannesarm, erheben sich bis zu 16 Fuß Höhe. Statt der Blätter sind die starren Pfeiler mit Stacheln bedeckt. Wir glauben einen riesigen Armleuchter-Cactus zu erblicken. Aber wir sind ja in Afrika, und nicht in Amerika, der eigentlichen Heimath der Cactuspflanzen. Ich will eine Säule abschneiden, da spritzt mir aus der verletzten Rinde ein Strom von dickem weißem Milchsaft entgegen und ich erkenne die berühmte cactusartige Wolfsmilch (Euphorbia canariensis), eine der bedeutendsten Charakterpflanzen der Inseln, welche von den Spaniern el Cardon genannt wird. Der scharf giftige Milchsaft wird eingetrocknet als Arznei benutzt. Neben dieser seltsamen Armleuchter-Wolfsmilch entdecken wir bald noch eine andere Euphorbia-Art, die Fischer-Wolfsmilch (Euphorbia piscatoria), welche

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_006.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)