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Grunde führten es nach und nach einem gediegenen, sicheren Aufschwunge und einer gesteigerten, unveräußerlichen Bedeutung entgegen; dieselbe beruht nicht in den lokalen, äußeren Dimensionen, in der Ortschaft als solcher, sondern vielmehr in dem Gewichte und Einflusse des Platzes als Hauptschlüssel zu dem Hinterlande. Der Ort selbst hat in seinem älteren Stadttheile, jetzt die Behausung der unteren, gemischt-farbigen Volksklasse, ein nur ärmliches, dorfartiges Ansehen behalten. Der größte Theil jener Häuser ist aus gestampfter Erde roh aufgeführt und mit Rohr und Schilf gedeckt; der neuere Stadttheil aber, wo Handel und Intelligenz ihren Sitz genommen, bietet ganz den Anblick eines neu aufblühenden Ortes dar; er liegt hart an dem Strande einer kleinen, gegen Südwest einspringenden Bucht, von welcher er die alte Stadt mehr und mehr zurückgedrängt und sie umflügelt hat; nur einige, noch im Urstande befindliche, und andere, alten festen Burgen gleichende Gebäude reden noch von der alten spanischen Zeit inmitten des modernen Aufbaues, der massiv aus Stein ausgeführt, die stille, friedliche Bucht hübsch und freundlich, hier und dort auch recht stattlich umrahmt.

Maracaibo eröffnet dem in den Hafen einlaufenden Schiffe trotz seiner kahlen, durstig-trockenen, saft- und blattlosen Pflanzenumgebung dennoch ein anziehendes Panorama; der einigermaßen prüfende Blick erkennt auch sofort die geschickte Terrainwahl zur Anlage einer Haupt- und Hafenstadt. Der schmalen, jedoch tiefen Bucht theilen sich die heftigen Stürme und der wilde Wogengang, von welchen der offene See und der Meerbusen oft arg mitgenommen werden, niemals oder doch nur geringfügig mit; der tiefe Grund aber gewährt auch den größten Handels- und Kriegsschiffen hinreichenden Tiefgang, sichere Einfahrt und einen so ruhigen Ankerplatz, daß jedes Fahrzeug unmittelbar an der Landungsbrücke anlegen, klaren und löschen kann. Die unbeschreibliche, heitere Stille und Ruhe unten, oben, ringsumher, – in die farbenreichste, lebhafteste Naturstimmung des südlichen Himmels gekleidet, theilt sich dem Gemüthe des Ankömmlings in ihrem ganzen einschmeichelnden Liebreize, in allen ihren seelig-durchhauchten Reflexen mit. So die äußeren Vorgänge deutlich offen legend, so die inneren Seiten harmonisch berührend, mußte der Gründer der Stadt von der Zugkraft der Zweckmäßigkeit einerseits, wie des freundlichen Gemüthsaffektes andererseits bestimmt werden, wie vor ihm bereits die braunen Söhne des Landes in der richtigen Würdigung dieser Doppelzugkraft ihr Pfahldorf in diesen Hafen der Ruhe und des heiteren, gesunden Naturfriedens hineingetragen hatten.

Im gleichen Cours mit den ersten Küstenfahrern des südamerikanischen Festlandes umfuhr ich auf dem schönen nordamerikanischen

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_420.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)