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wie Cayenne für Frankreich; sie diente während mehrerer Bürgerkriege den herrschenden Parteien zum Ablagerungsplatze der politischen Gefangenen. Man denke sich das Loos jener Deportirten auf diesem schattenlosen, geheizten Seesande, auf einer Tabula rasa unter den senkrechten Strahlen der Tropensonne und den fast beständig wehenden starken Nordwinden ausgesetzt, abgeschnitten von aller belebten Welt, aller Bequemlichkeit, allen Schutzmitteln gegen den Sonnenbrand, kümmerlich genährt, noch spärlicher getränkt und erfrischt, am Tage der monotonen, schleichenden Langeweile, in der Nacht dem nervenzerreißenden Summen und Stechen der blutsaugenden Riesenmücken preisgegeben! Und doch ist Bajo seco nur ein schwacher Wiederschein von der langsamen Hinschlachtungsqual auf Cayenne! Die Ausgestoßenen der haßerfüllten Häuptlinge Venezuela’s verbleiben doch, wenn auch zu einer mehr oder minder langen Reihe von trostlosen Lebensstunden verdammt, in der nächsten Nähe ihrer Heimath, ja auf vaterländischer Erde, in beständiger Fühlung mit ihrer Nation, in stündlicher Hoffnung auf Befreiung aus ihren physischen und moralischen Leiden. Aber die Proscribirten des Erwählten der Nation, des Inspirirten einer göttlichen Mission siechen hoffnungslos dahin an Leib und Seele in tausend Meilen weiter Entfernung von der vaterländischen Erde und der Familie, unter viel qualvolleren physischen und moralischen Leiden noch, als jene an Klima und Unkultur gewöhnten venezuelanischen Bandenchefs; nur die finstere und grausame Gemüthsart eines Korsen konnte für seine Feinde eine Hölle auf Erden so raffinirt-diabolisch ersinnen.

Nach der Einfahrt in die Lagune legen Lootsen und Matrosen wiederum die Hände in den Schooß; tage- und wochenlang gestalten sich die Seereisen in den tropischen Gewässern gleichmäßig still und friedlich. Die Breite der Lagune öffnet sich mehr und mehr, bis in der vollen Höhlung ihres Sackes Himmel und Wasser, wie auf dem Meere, ringsum den Horizont verschließen. Aber selbst in nicht gar weiter Entfernung von der Küste verschwinden die flachen, nur einige Fuß den Wasserspiegel überragenden Küsten unter der wogenden, farbig umdufteten Wasserfläche. Im Westen, an der Seite Maracaibo’s und dessen engerer Umgebung liegt die Küste des Süßwassersee’s lebensarm und wüstenöde; an der Südostseite aber kleidet sie sich in die überschwänglichste Tropenvegetation und die fruchtbarsten Culturfelder bis weit in das Innere des Landes hinein. Die erhabene Größe der Küste von Carácas, welche dem Ankömmlinge zur See weithin eindrucksvoll entgegentritt, weicht westlich von Porto Cabello und in dem großen Strombecken von Maracaibo einem gänzlich entgegengesetzten

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_425.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)