Seite:Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin V 443.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Familie aufgenommen und festgehalten. Vielleicht auf keinem Landungsplatze der südamerikanischen Küste wird ihm die Entfernung und der Abstand zwischen der alten und neuen Heimath so wenig fühlbar gemacht werden, wie in Maracaibo. Er findet auch, so weit die äußeren Verhältnisse dazu Raum geben, die deutsche Art und Weise in den kleinen geselligen Unterhaltungen am ursprünglichsten erhalten. Der Klub giebt ihm das gewohnte Kaffee- oder Bierhaus mit seinen alten gewohnten Verkehrsformen wieder, während dieser gesellschaftlichen Vereinigung an anderen Plätzen bereits ein fremdartiger oder in die Höhe geschraubter Accent aufgedrückt ist, der deutsche Gewöhnung und Gemüthlichkeit mehr und minder absorbirt; er findet die Kegelbahn wieder, auf welcher an den Sonntagvormittagen das unverblaßte und unangekränkelte muntere Treiben der frischen deutschen Jugend herrscht; er sieht das alte ideale schwarz-roth-goldne Banner mit dem Reichsadler lustig im Winde der Lagune flattern; sieht unverwischt das heimathliche Vergnügen an gymnastischen, muskelstählenden Uebungen zu Lande und zu Wasser, das deutsche Burschenwesen, von welchem den kindheit- und jugendlosen Creolen auch kein Tropfen in den Adern fließt, und das auch in der Ferne unter der fremden schwülen Sonne nur zu leicht verwelkt; die Lagune giebt ihm die Wasserfahrten – mit dem Proviantkober im Boote und den Rudern in eigener Hand – der heimathlichen Seen und Flüsse wieder, und wenn auch kein Buchen- und Eichenwald und grüne Korn- und Wiesenfluren, so nimmt doch der leise schwankende Palmenwald die lagernden Gruppen in seinem tief stillen Schatten auf.

Zum Typus des Maracaibarer gehört auch der etwas singende Dialekt, etwa, wie uns Deutschen der Sachse seinen Dialekt vorsingt. Ueberhaupt ist der Vergleich, den Maracaibarer den Sachsen Venezuela’s zu nennen, nicht ganz hinkend; hier wie dort die feine Durchbildung, die industrielle und commercielle Rührigkeit und Beweglichkeit, die Geschmeidigkeit des Wesens, die Zugespitztheit der Rede und der Begegnung, die mannigfache innere Verwandschaft und Sympathie mit fremdländischer Anschauung, dasselbe Lob der Schönheit und Pflichttreue der Frauen, dieselben weniger ruralen und martialen, als vielmehr ästhetischen Neigungen, und auch dasselbe nachbarliche Mißtrauen in die Friedensliebe und Gradheit des Charakters. Man möge nicht mißverstehen, als ob man hier und da den individuellen Charakter schädigen wolle; doch wird zugestanden werden, daß der individuelle Charakter unter dem Charakter eines Volkes mitleide und endlich eine innere Verwandtschaft mit demselben eingehe.

An wissenschaftlichen Anstalten besitzt Maracaibo gegenwärtig

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_443.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)