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f) Fortschritte der physicalischen Geographie in den Jahren 1868 und 1869.
Von Dr. Tietjen, Privatdocent.


In den letzten Jahren wurden mehrere Expeditionen ausgesandt, die wohl hauptsächlich rein astronomische Zwecke verfolgten, die aber doch auch wegen der von ihnen ausgeführten Ortsbestimmungen für die mathematische Geographie nicht ohne Bedeutung sind und deshalb hier aufgeführt werden mögen. Es sind nämlich die Expeditionen, welche zur Beobachtung der totalen Sonnenfinsternisse am 18. August 1868 und am 7. August 1869 ausgesandt wurden. Diese Phänomene waren neben einer consequent durchgeführten Beobachtung der Sonnenflecke die einzigen Mittel, welche uns nähere Aufschlüsse über die Constitution unseres Centralkörpers verschaffen konnten, und es ist deshalb begreiflich, daß große Kosten auf die Ausrüstung dieser Expeditionen verwandt wurden. Die Sonnenfinsterniß vom 18. August 1868 war der Beobachtung besonders günstig wegen der langen Dauer ihrer Totalität, ihr verdanken wir es auch hauptsächlich, daß die Kenntnisse über unsern Sonnenkörper sich so bedeutend erweitert haben.

Von den verschiedenen über die Constitution unserer Sonne aufgestellten Hypothesen sind besonders die von Kirchhoff und Faye zu nennen. Nach Kirchhoff’s Ansicht besteht die Sonne aus einem festen oder tropfbar flüssigen Kern, der sich in der höchsten Glühhitze befindet. Dieser Kern ist mit einer Atmosphäre von etwas niedrigerer Temperatur umgeben, in der sich ein großer Theil der Bestandtheile des Kerns in Dampfform vorfindet. Diese Dämpfe bewirken durch ihre Absorption das Auftreten der dunkelen, sogenannten Frauenhofer’schen Linien im Sonnenspectrum. Die Spectraluntersuchungen lehren nämlich, daß ein fester oder tropfbar flüssiger Körper im Zustande der Glühhitze Licht von allen möglichen Farben aussendet und daher im Spectroscop ein continuirliches Spectrum giebt. Das Spectrum glühender Gase oder Dämpfe dagegen ist discontinuirlich, es besteht aus hellen Linien oder Banden getrennt durch dunkele Zwischenräume. Bringt man aber zwischen den weißglühenden Körper, der für sich allein ein continuirliches Spectrum giebt, und das Spectroscop ein Gas von etwas niedriger Temperatur, so erscheint das Spectrum des weißglühenden Körpers nicht mehr continuirlich, sondern es ist mit dunkeln Linien oder Banden durchzogen.

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_608.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)