Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 217.png

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Die Religion, Sagen und Märchen der Aino.
Von
D. BRAUNS IN HALLE A/S.

Eine der interessantesten Erscheinungen auf dem Gebiete der Völkerkunde — welche mich hauptsächlich im Jahre 1881 zu einer Reise nach dem Eilande Yeso veranlasste, das damals selbst von Japan aus kaum recht zugänglich war — ist ohne Frage die Bevölkerung des nördlichen Teiles des japanischen Reiches, der nördlich von der Meerenge von Tsugaru belegenen Insel Yeso oder, wie die Japaner sie heutzutage meist nennen, Hokkaido und der Kurilen. Erst seit dem Beginne unseres Jahrhunderts ist die Thatsache gehörig gewürdigt, dass in jenen Gegenden, übrigens auch im südlichen, neuerdings von Japan abgetretenen Teile der Insel Karafuto oder Sachalien und auf der Südspitze Kamtschatkas, wo bereits vor mehr als hundert Jahren Steller sie antraf, der eigentümliche Stamm der Aino oder Kurilen wohnt. Beide Namen sind der Sprache dieses Stammes selbst entnommen; der erste bedeutet einfach „Mensch“ und der zweite ist ebenfalls von dem einheimischen Worte Kuru abgeleitet, welches die nämliche Bedeutung hat.

Obgleich mit der Zeit sich eine ziemlich reiche Litteratur über die Aino entwickelt hat — ihre physische Beschaffenheit wurde von la Pérouse, Ph. v. Siebold, Busk, Barnard Davis, L. v. Schrenck, Kopernicki, Doenitz, H. v. Siebold, Baeltz, ihre Sprache von Krusenstern, Davidoff, Pfizmaier, Dobrotworski, Batchelor, ihre Sitten und Gebräuche wurden dagegen ausser von mehreren der Vorgenannten besonders von Scheube, Joest, Miss Isabella Bird dargestellt —, so war doch bis vor kurzem keineswegs eine Klärung der Ansichten über dieselben erzielt. Erst in letzter Zeit hat sich aus dem Wirrsal der Nachrichten so viel als sicher herausgestellt, dass die Aino weder zu den sogenannten Hyperboräern, den arktischen Stämmen und „Behringsvölkern“, noch zu den Malaien oder gar den schwarzen, krausköpfigen Bewohnern der Philippinen, den Aëta, noch auch zu den Völkern, denen man einen „mongolischen“ oder mongoloiden Typus in dem gewöhnlich mit diesem Namen verknüpften Sinne beilegt, eine nähere Verwandtschaft zeigen. Dies letztere gilt namentlich von den Japanern, und gerade im Gegensatz zu ihnen — wie nicht minder zu den Chinesen und zu manchen benachbarten Tungusenstämmen — ist von den Aino das ganz richtig, was ihnen die meisten der mit ihnen bekannt gewordenen

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_217.png&oldid=- (Version vom 21.11.2023)