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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang
Fr. Adler, Seeger, Eberth, Chr. Adler: Sagen aus der Provinz Sachsen VI

2. Der gebannte Dieb.

Auf einem kleinen Hügel in der Nähe eines Dorfes bei Magdeburg steht eine Windmühle. Dieselbe war baufällig geworden, und so liess denn der Müller einige Mühlenbauer kommen, welche den Schaden ausbessern sollten. Die Leute verstanden auch ihre Sache und so wäre alles gut gewesen, wenn während der Zeit, wo an der Mühle gearbeitet wurde, nicht bald dieses, bald jenes Stück aus derselben fortgekommen wäre. Der Müller beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, denn er verstand das Bannen.

Eines Tages sah der Knappe in aller Frühe aus dem Mühlenfenster. Da sah er vor der Mühle einen von den Mühlenbauern stehen, still und steif, als ob er kein Glied rühren könnte. Auf der Schulter trug er eine Axt, die er sicher gestohlen hatte, denn soviel der Knappe sehen konnte, gehörte dieselbe zur Mühle. Als der Knappe noch seine Betrachtung darüber anstellte, trat der Müller zur Thür heraus und rief den Mühlenbauer an: „Da haben wir ja den Spitzbuben!“ Dann trat er an denselben heran, nahm ihm die Axt ab und gab dem Gebannten darauf ein paar furchtbare Ohrfeigen. Da war der Bann gelöst, der Mühlenbauer konnte sich wieder rühren und lief nun eilig davon. „Warte, Du Spitzbube“, rief ihm der Müller nach, „Du kommst nicht wieder auf die Mühle.“

Fortan wurde nichts mehr auf der Mühle gestohlen.

Seeger.     


3. Das gestohlene Laken.

Aus einer Mühle, welche nicht weit von einem Dorfe in der Nähe von Magdeburg stand, wurde häufig etwas gestohlen, aber man konnte nicht heraus bekommen, wer der Thäter war. Nun war eines Tages ein neuer Knappe in die Mühle gekommen. Der Müller gab ihm ein neues Mehllaken und sagte ihm, er möchte doch darauf recht acht geben: es werde auf der Mühle gestohlen, besonders aber habe es der Dieb auf die neuen Mehllaken abgesehen. Die Thäter könne man nicht erwischen.

Der Knappe dachte bei sich: „Dir soll so etwas nicht vorkommen, Du willst schon aufpassen, dass Dir das Laken nicht gestohlen wird.“ Als es nun Abend wurde, legte er das Laken so hin, dass er es immer vor Augen hatte: dann machte er es sich bequem, schloss aber kein Auge, sondern wollte lieber die ganze Nacht wach bleiben, als sich das Laken stehlen lassen. Aber es kam doch anders. Als es am nächsten Morgen hell wurde, war das Laken richtig wieder fort. Ob der Knappe doch eingenickt war, oder was sonst geschehen sein mochte, das wusste der Knappe nicht, genug, auch er hatte das Laken am andern Morgen nicht mehr. Nun beschloss er aber, der Sache ein für allemal ein Ende zu machen.

Am andern Tag nahm er alle sein Geld, welches er noch hatte, und ging damit zu einem Mann in der nächsten Stadt, von dem er gehört hatte, dass er Gewalt über Diebe hätte. Diesem gab er das Geld und erzählte ihm alles.

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_346.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)