Seite:Zerstreute Blaetter Band III 224.jpg

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in ihres Sohnes Gestalt, ein weißgekleideter Schäfer. Die rothen Rosen waren um sein Haar und in der Hand hielt er ein Saitenspiel, aus welchem jene süßen Töne kamen. Er kehrte liebreich sich zu ihr, wollte sich ihr nahen und verschwand. Der Traum verschwand und Eva erwachte. Sie sah die Morgenröthe blutig aufgehn, und ging mit schwerem Herzen zum Opferfeste.

Die Brüder brachten ihre Opfer und die Eltern gingen heim. Am Abend aber kam Abel nicht wieder. Angstvoll suchte die Mutter ihn rings umher und fand nur seine zerstreute, traurige Heerde. Er selbst lag, wie ein Opferlamm, erschlagen am Altar: die Rosen um denselben waren mit seinem Blute gefärbet und Kains Aechzen schallte laut aus einer nahen Höle.

Ohnmächtig sank sie auf ihres Sohnes Leichnam, als ihr zum zweitenmal das Traumgesicht erschien. Ihr Sohn war jener schöne Schäfer, den sie in diesem neuen Paradiese sah. Die rothen

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1787, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_III_224.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)