Seite:Zerstreute Blaetter Band I 178.jpg

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und deiner damaligen Wirkung; deine Orpheus und Amphions, wenn auch nur die Hälfte der Sagen wahr wäre, die uns unsre Mutter Mnemosyne erzählt hat, wo schaffen, wo wirken sie jetzt?

     Freylich, antwortete die Tonkunst, sind diese Jahre meiner Jugend in manchen Ländern vorüber; aber nicht ich, sondern sie, diese sogenannte gebildete Welt ist alt und grau geworden, und will zum Theil jetzt statt Töne zu genießen, mit Tönen bauen oder Seiltanzen und spielen. Sie bauen auch wirklich wunderhohe harmonische Gebäude; die rasch zum Himmel, zum Verstande hinauf streben, da sie ins Heiligthum, zum Herzen nicht mehr kommen können. Das Leichte ist ihnen zu leicht; mit überstandenen Unmöglichkeiten suchen sie zu überraschen, zu prangen, zu glänzen. Glaubt ihr, Schwestern, daß mirs gefalle, wenn man um eine neue Tonkunst zu geben, keinem Ton mehr seine Wirkung läßt, sondern mit Tönen mahlt und poetisiret? Meiner

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_178.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)