Seite:Zerstreute Blaetter Band I 284.jpg

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und kränzen, nie aber ein und dieselbe Vollkommenheit werden können im Menschenleben. Was das eine hat, fehlt dem andern, was ein Mensch hat, fehlt dem andern. Geburt, Stand, Klima, Erziehung, Amt, Lebensweise, hindern und schränken unaufhörlich ein. Nur wenige Jahre wächst ein Mensch, dann steht er still, oder nimmt ab und geht rückwärts; will er im Alter Jüngling seyn, und andre nachahmen, so wird er lächerlich, so wird er kindisch. Kurz, es ist eine enge Sphäre, dieß Erdenleben, und wir mögens machen, wie wir wollen, so lange wir hier sind: ist ohne größern Schaden, und den völligen Verlust unsrer, der Enge nicht zu entweichen. Aber einst, wenn der Tod den Kerker bricht, wenn uns Gott wie Blumen in ganz andere Gefilde pflanzt, mit ganz neuen Situationen umgiebt – haben Sie nie, mein Fr. erfahren, was eine neue Situation der Seele für neue Schwungkraft giebt, die sie oft in ihrem alten Winkel, im erstickenden Dampf ihrer Gegenstände und Geschäfte, sich nie zugetraut, sich

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_284.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)