Seite:Zerstreute Blaetter Band I 303.jpg

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wir den Mund unter die Serviette hüllen? Was käme auch heraus, wenn der Mensch sich seinen Lebensalmanach mit den Bildern der Thiere schmückte, mit denen er jeden Tag umzugehen hat, und sich gegen sie wieder in seinem Thiercharakter betrüge? Menschen sollen wir seyn, nicht Thiere. Die Zunge an der Waage soll uns leiten; nicht ein blindes Gewicht von Charakter und Thierinstinkten, das auf die Waagschale gelegt ist. Das thierische Menschengesicht ist menschlich und aufgeklärt: Die Züge sind aus einander gesetzt, insonderheit die am meisten charakteristischen Züge. Stirn, Nase, Augen und Wange, sind beym Menschen gegen die Thiere unendlich erhoben, veredelt und verschönet.

     Ch. Also wäre die Thierbildung nur eine Grundlage des menschlichen Charakters, der vom Lichte der Vernunft erhellet, und von der sittlichen Empfindung des Menschenherzens geordnet, verschönt und erhoben werden soll. Der Fond unsrer sinnlichen Kräfte und Charakterzüge, unsre etwanigen Reste von blos sinnlichen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_303.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)