Seite:Zerstreute Blaetter Band I 325.jpg

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Mensch soll sich, wie mich dünkt, auf der obersten Stufe ansehn lernen, und sein jetziges Daseyn peremtorisch[1] brauchen. Keine Schleichwege und Schlupfwinkel soll er wissen, in denen er noch etwa nachholen kann, was er versäumt hat; wenigstens hat ihn die Gottheit gar nicht darauf verwiesen. Aut Caesar aut nihil: aut nunc aut nunquam![2] Auch im Alterthum haben alle wirkende edle Nationen, die nicht von der Fabelweisheit und den dummen Büßungen ihrer Priester bethört wurden, sich edlere Zustände nach dem Tode zum Ziel ihrer Nacheiferung gesetzet. Die Versammlung der Väter bey den Morgenländern, das Elysium der Griechen, die Walhalla der Nordländer, sind doch schönere Gedanken im Tode als der Ochs und die Kuh, die auf den Sterbenden, der den Kuhschwanz in der Hand hält, wartet – oder der Leib einer fremden Mutter, in den er schlüpfen muß, um wieder als Kind zu wimmern.

     Ch. Ich fühle die niedrigen Ideen, die rings um diese Hypothese liegen; mich wundert



  1. ein für allemal; entscheidend
  2. Übersetzung "Entweder Kaiser oder nichts; entweder jetzt oder niemals!"


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_325.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)