Seite:Zerstreute Blaetter Band I 338.jpg

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Saitenspiel der Empfindungen und vielerley Tönen und Modis in uns möglich ward, und unser Herz und Leben gleichsam eine Harmonie des Verlangens, das Kunstgebilde einer immer reinern, unersättlichen, ewigen Sehnsucht würde.

     Der grobe sinnliche Genuß verwandelt in sich und zerstört den Gegenstand, nach dem wir begehrten. Er ist also lebhaft: denn hier findet völlige Vereinigung statt; allein er ist auch grob und vorübergehend. Es giebt Menschen, die den Genuß nur auf der Zunge haben, (daher auch im gemeinen Leben das Wort Genießen, meistens von diesem Sinn gebraucht wird;) der Genuß ist hier Vereinigung, d. i. Auflösung der feinsten Säfte, er ist aber auch eben damit geendet: denn nun ist der Gegenstand verschlungen, zerstöret. Gewissermaßen ist also auch hier der feinste Genuß vor dem Genusse: der Appetit nach einer schönen Frucht ist angenehmer als die Frucht selbst; das Auge macht

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_338.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)