Seite:Zerstreute Blaetter Band I 362.jpg

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     Aller räuberische Genuß, der den Gegenstand verwüstet, ist uns blos als Bedürfniß von der Hand der Nothwendigkeit gegeben: er reibet sich selbst auf und erstirbt in sich. Der Mensch ist ein Tyrann des Weltalls; aber wie bald ist auch dieser kleine Tyrann, wenn er in den Grenzen der Natur bleiben will, vom Raube gesättigt! Jeder sinnliche Genuß ist eigentlich nur ein mildgemachtes Bedürfniß; wo die Zerstörung des Gegenseitigen aufhört, fängt erst ein freyerer, schönerer Genuß, ein fröhliches Nebeneinanderseyn vieler Geschöpfe an, die sich wechselseitig einander suchen und lieben. Ein Tyrann, der alles allein seyn, der alles verschlingen will, wie Saturn seine Kinder, ist weder zur Freundschaft, noch zur Liebe, selbst nicht einmal zur Vaterzärtlichkeit fähig. Er drückt und unterdrückt: neben ihm kann nichts wachsen, geschweige, daß es mit ihm zusammen wachse zu Einer gemeinschaftlichen Krone.

     Sobald mehrere Geschöpfe milde neben einander sind, und sich einander wechselseitig genießen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_362.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)