Seite:Ziehnert Sachsens Volkssagen II 061.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Der Alte sprach’s. Da ruhten rasch

55
     die Messer und die Rocken,

Gertrude holte einen Asch
     und alte Leuchterbrocken.
Bald schmolz das zauberkräft’ge Blei
im Löffel an der Lamp’ entzwei,

60
     und wurde durch den Schlüssel

     gegossen in die Schüssel.

Jedwede goß sich einen Mann,
     die einen schlanken Steiger,
die einen dicken Zimmermann,

65
     die einen krummen Geiger.

Natürlich that die Einbildung
das Meiste bei der Auslegung;
     nur Trudchen brauchte leider
     nicht diese erst zum Deuter.

70
Sie kam, die letzte, an die Reih’;

     da schäkerten die Andern:
„Berthold, jetzt mußt du mit dem Blei
     stracks in die Schüssel wandern!“
„Na,“ lachte Trudchen, „seyd doch still,

75
und schaut, was ich mir gießen will;

     das Blei ist nur zu wenig,
     sonst göß’ ich einen König.“

Sie goß – Was ist das? Ach, o weh!
     Es zischte aus der Schüssel

80
ein blaues Flämmchen in die Höh,

     vom Blute troff der Schlüssel.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 061. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_061.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)