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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

250
Geduld, Geduld! Bin deine Braut,

ein Jahr, dann werden wir getraut,
     dann bin dem Nixenkönig
     ich nimmer unterthänig.“

Sie wirft ihm feur’ge Küsse zu,

255
     die leuchten wie die Sterne,

doch ach, es weht sie all’ im Nu
     der Wind weit in die Ferne.
Er huscht das Ufer ab und an
ohn’ daß er einen fangen kann,

260
     er muß das süße Küssen,

     das süß’ Umarmen missen.

Allnächtlich kehrt er zu dem Strand,
     die bleiche Braut zu sehen,
die Küsse stiegen weit in’s Land

265
     im neid’schen Windeswehen.

Wie lacht ihm aus der Fluth der Tod
so hold entgegen in der Noth,
     doch fühlt er sich gehalten
     von geistischen Gewalten.

270
Er blich dem Grabe zu mit Macht

     hohl wurden seine Wangen,
da rief ihn die Andreasnacht,
     die Liebste zu empfangen.
Er kommt zum Ufer, und erschrickt,

275
als er Gertrudens Leich’ erblickt.

     Halb überschwemmt vom Sande
     lag sie hart an dem Strande.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 068. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_068.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)