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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

     Der Narr rennt in den Hof hinab,
     und faßt ein Beil, und – großer Gott!

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     er haut den Kopf dem Schläfer ab,

     und ruft hinauf: „Der Mann ist todt!
Muß ich nun auch an seine Stelle?
Herr, oder bleibt mir meine Schelle?“

     Er wähnt, belachen soll der Fürst

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     mit ihm den freventlichen Scherz.

     Doch, ach, du armer Narr, du irrst!
     Ein Narren- ist kein Fürstenherz! –
Der Kurfürst, bleich und ohne Oden,
stürzt jach hinunter zu dem Todten,

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     Und fasset wilden Ingrimms voll

     den blutbespritzten Narren an:
     „Verfluchter Mörder, bist du toll?
     Was hat dir dieser Mann gethan?
Das bringt dich, beim allmächt’gen Gotte!

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das schleppt dich Teufel zum Schaffotte!“


     Der Kurfürst ruft’s: der Mörder wird
     flugs zum Gefängnißthurm gebracht.
     Dort sitzt, von Ketten nur umklirrt,
     er jammernd in der ew’gen Nacht,

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und scheut und sehnt sich voller Bangen,

das Todesurtheil zu empfangen.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_131.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)