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ADB:Jenner, Gottlieb Abraham von

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Artikel „Jenner, Gottlieb Abraham v.“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 770–772, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jenner,_Gottlieb_Abraham_von&oldid=- (Version vom 28. November 2024, 19:29 Uhr UTC)
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Jenner: Gottlieb Abraham v. J. (1765–1834), wurde den 19. Juli 1765 zu Bern aus patrizischer Familie geboren; sein Großvater mütterlicher Seits war der große Gelehrte und Dichter Albrecht v. Haller, sein Vater ein geachteter Magistrat, Mitglied des Kleinen Rathes und Venner[WS 1] der Republik. Seine Erziehung war indessen eine sehr gewöhnliche und ließ ihn fast ohne wissenschaftliche Bildung. Schon 1783 begründete er ein selbständiges Kaufmannsgeschäft und trat im folgenden Jahre in die Ehe. Geschick und Tüchtigkeit ersetzten, was ihm an Kenntnissen abging; er erwarb sich ungemein rasch ein unabhängiges Vermögen, und durch seinen Vater, den er bei amtlichen Missionen begleitete, wurde er auch in das Staatsleben eingeführt. 1795 kam er in den Großen Rath und lernte als Mitglied einer mit Untersuchung des Rechnungswesens beauftragten Specialcommission die Hülfsmittel des Staates aufs Gründlichste kennen. Schon 1797 wurde er an die Spitze des Kriegscommissariates gestellt. Bereits war die Lage der Schweiz neben dem revolutionären Frankreich mit jedem Tage mißlicher, noch gefährlicher war ihr innerer Zustand. Am 5. März 1798, als Bern zur Capitulation mit dem General Schauenburg[WS 2] genöthigt war, und in der herrschenden Verwirrung der Staatsorganismus sich auflöste, traf den obersten Kriegscommissär die traurige Pflicht, den Sieger empfangen und für die Aufnahme der einziehenden Armee sorgen zu müssen. Durch kluges und festes Auftreten – worüber mancherlei Anekdoten erzählt werden – wußte J. sich bei den französischen Commandirenden Achtung zu verschaffen und fand er Gelegenheit, seinem Vaterlande bedeutende Dienste zu leisten. Der reiche bernische Staatsschatz wurde von den Eroberern behändigt; aber diese waren mehr auf eigene Bereicherung als auf Vermehrung der Hülfsmittel für ihre Armee bedacht, und so gelang es J., mit ihrem Vorwissen einen freilich kleinen Theil der Plünderung zu entziehen und unter großen Schwierigkeiten zu retten. Das Vermögen der Stadt Bern war ein verhältnißmäßig sehr bedeutendes; es bestand nebst einer Anzahl von Schuldschriften auf Frankreich, England, Oesterreich und eine ganze Reihe deutscher Staaten und Städte (im Totalwerthe von ungefähr 18 Millionen französischer Livres) aus einem Baarschatze, dessen Betrag, der eigenthümlichen Art der Controle wegen, nie ganz genau angegeben werden konnte, aber nachträglicher Berechnung zufolge sich auf nahezu 8 Millionen belief. Am 7. März wurde das Gewölbe von den Franzosen versiegelt, aber schon zuvor, unmittelbar vor dem Einzug der Fremden, hatte J. etwa 2 Millionen bei Seite geschafft. Der Obergeneral Brüne erhielt zwar Kenntniß davon, ehe das Geld in Sicherheit war, allein durch ein rechtzeitiges Opfer wußte J. den Rest dem Lande zu erhalten. Drei Millionen wurden in den ersten Tagen schon an General Bonaparte abgesandt und dienten zur Bestreitung der Kosten des ägyptischen Feldzugs. Ungefähr 1 Million fiel in die Hände der französischen Offiziere, der Brüne, Reubel, Rapinat und Rouhière; das Uebrige wurde für die Verpflegung der Occupationstruppen verwendet. Durch unbedenkliche Anwendung des oben angedeuteten Mittels verstand es J., sogar die Schuldschriften zum Theil zurückzugewinnen, die bereits nach Paris gewandert waren. In Paris, wohin sich J. schon zu Ende März begab, war er in der Lage, auch in anderer Richtung dem Lande nützlich zu sein. Ohne Auftrag oder amtliche Stellung, einzig durch ein ungewöhnliches diplomatisches [771] Geschick, durch kluges Durchschauen der Verhältnisse und der Personen, und durch rasch entschlossenes Handeln erreichte er den Abschluß eines Vertrags mit den französischen Behörden, welcher die Last des Armeeunterhaltes erleichterte, die den Privatpersonen auferlegten Contributionen verminderte und überhaupt für Bern so günstig lautete, daß der französische Commissär sich anfangs sogar weigerte, ihn auszuführen. Kaum nach Bern zurückgekehrt, wurde J. von dem Directorium der helvetischen Republik von Neuem nach Paris gesendet, um dort gemeinsam mit dem Solothurner Zeltner über die Bedingungen des von Frankreich aufgedrungenen Allianzvertrags zu verhandeln. Der Sieger dictirte, die Besiegten mußten sich fügen; immerhin erreichten die Gesandten unter den denkbar ungünstigsten Umständen in dem Tractat vom 27. August 1798 unerwartet vortheilhafte Bestimmungen. Nach dem Tage des 18. Brumaire begab sich J. zum dritten Male nach Paris, um von der neuen Regierung eine Erleichterung der drückenden finanziellen Lasten und den Abschluß eines Handelsvertrags zu erwirken, von welchem die Schweiz eine Besserung ihrer ökonomischen Lage erhoffte; er kehrte indessen im December 1799 zurück, ohne daß seine Sendung Erfolg gehabt hätte. J. war ein politischer Gegner der Einheitsverfassung. Nicht für die helvetische Republik hatte er die erwähnten Summen gerettet, sondern einzig für seine Vaterstadt, die er als allein rechtmäßige Eigenthümerin des alten Schatzes betrachtete. Es galt daher, nicht ohne neue List, auch vor den eigenen Landesbehörden das Geld zu verbergen und zurückzubehalten. Erst als Napoleons Vermittlungsakte die Selbständigkeit der Kantone wiederhergestellt hatte, wurde durch J. und einen seiner Freunde in den Jahren 1809 und 1810 im Ganzen eine Summe von 461,243 alten Schweizerfranken (658,928 französische oder neue Schweizerfranken) an ein politisches Comité ausgeliefert; und erst als nach der fast vollständigen Wiederkehr der alten Verfassungszustände auch die Stadt Bern ihre frühere Machtstellung theilweise zurückerhalten hatte, fand die förmliche Uebergabe der geretteten Gelder an die nunmehrigen Behörden statt. Die Werthschriften waren längst zur Bezahlung der helvetischen Nationalschulden aufgebraucht worden. Eine Dankesurkunde sprach J. nebst der Entlastung von aller Verantwortlichkeit die vollste Anerkennung aus für die großen Verdienste, die er sich durch sein Verhalten wie auch als eidgenössischer Gesandter in Paris um seine Mitbürger und das gesammte Vaterland erworben habe. Zur Zeit der Mediationsverfassung (1803 bis 1813) wurde J. zum Mitglied des Kleinen Rathes gewählt, und 1815, als gemäß der Beschlüsse des Wiener Congresses das Gebiet des Fürstbischofs von Basel als Entschädigung für andere, nunmehr abgetrennte Landschaften mit dem Kanton Bern vereinigt wurde, da war es J., dem man den äußerst schwierigen Posten eines ersten Oberamtmanns zu Pruntrut anvertraute. Er trat von diesem Amte im J. 1823 zurück und starb den 31. Juli 1834 in Bern. Schon zur Zeit des Todes Jenner’s wurde dasjenige, was man bis dahin als sein Hauptverdienst betrachtet hatte, ihm zum Vorwurfe gemacht. Nach der im J. 1831 eingetretenen Staatsveränderung erschienen nämlich die für die Hauptstadt geretteten Summen als dem Kanton entzogen und vorenthalten. Politische Agitation bemächtigte sich der Sache und ging so weit, daß man – doch niemals im Ernste – von Unterschlagung sprach. Es wurde ein Prozeß angehoben, der sich durch lange Jahre hindurchschleppte; den gewesenen Rathsherrn Zeerleder, der hauptsächlich mit J. thätig gewesen war, warf man nach des Letzteren Tode sogar ins Gefängniß. Erst im J. 1841 wurde der Streit durch einen Vertrag geschlichtet. Aber noch 1851 und 1852 wurden in einer Periode heftiger Parteikämpfe die Anschuldigungen erneuert und führten zu leidenschaftlichen Verhandlungen über die „gestohlenen Millionen“, aber auch in Folge dessen zu gründlichen und wiederholten Untersuchungen über die Geschichte der Schatzplünderung. Es entstand [772] über diese Angelegenheit eine ganze Litteratur, welche durch die Auffindung und Publikation der Correspondenzen des Generals Brüne ihren endlichen Abschluß erhielt und nur dazu diente, den Muth, den Patriotismus und die großartige Uneigennützigkeit Jenner’s in das Licht zu stellen und in Erinnerung zu bringen. Ein sehr unscheinbares Aeußeres hatte die diplomatische Gewandtheit Jenner’s nicht wenig unterstützt. Talleyrand, mit welchem er besonders viel verkehrte, soll sich einmal geäußert haben: „Er gäbe gerne eine Million für Jenner’s Gesicht.“

v. Jenner’sches Familienbuch; Manuscript. – Archiv des hist. Vereins des Kantons Bern, Bd. V. – M. v. Stürler. Aktenstücke zur Geschichte der Invasion von 1798, im Archiv für schweiz. Geschichte, Bd. XIV u. XVI. – Ueber das Schicksal des bernischen Staatsschatzes, Bern 1851. – Geschichte des Stadt- und Staatsgutes der alten Republik Bern, 1851. – Eine ganze Reihe von Broschüren, Streitschriften, Berichten, Rechtsgutachten, worunter hervorzuheben: Bericht und Gutachten der Dotationscommission, Bern 1836. – Bericht und Anträge der Schatzgeldercommission, 1853. – Correspondenz des Generals Brüne. Originalmanuscripte in der Berner Stadtbibliothek.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Venner oder Bannerherr, ein militärisch-politisches Amt in der alten Schweiz.
  2. Balthasar Alexis Henri Antoine von Schauenburg (1748-1831), französischer General elsässischer Herkunft; vgl. den Artikel in der Wikipedia.