Zum Inhalt springen

ADB:Kerner von Marilaun, Anton Ritter

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Kerner von Marilaun, Anton“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 122–125, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kerner_von_Marilaun,_Anton_Ritter&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 03:24 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Kern, Matthäus
Band 51 (1906), S. 122–125 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Anton Kerner von Marilaun in der Wikipedia
Anton Kerner von Marilaun in Wikidata
GND-Nummer 119529025
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|122|125|Kerner von Marilaun, Anton|Ernst Wunschmann|ADB:Kerner von Marilaun, Anton Ritter}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119529025}}    

Kerner: Anton K. von Marilaun, Botaniker, geboren zu Mautern in Niederösterreich am 12. November 1831, † zu Wien am 21. Juni 1898. Seine Schulbildung genoß K. auf dem Gymnasium in Krems und zeigte schon als Gymnasiast ebenso wie sein älterer Bruder Joseph eine ausgesprochene Neigung zur Naturbeobachtung. Da die äußeren Verhältnisse den Brüdern gestatteten, ihren Wünschen durch wiederholte kleinere Reisen folgen zu können, so erwarben sie sich sehr zeitig eine gute Kenntniß der Pflanzenschätze ihres engeren Heimathlandes. Joseph K. wurde später Jurist. Anton blieb der Botanik treu. Er bezog 1848 die Universität Wien, um Medicin zu studiren, versäumte aber daneben nicht, seine floristischen Forschungen in der neuen Umgebung fortzusetzen. Noch als Student verwerthete er das hierbei gewonnene Material zu einigen kleineren Publicationen über die Vegetationsverhältnisse des Donauthales, die in den Verhandlungen der damals gerade von Fenzl gegründeten Wiener zoologisch-botanischen Gesellschaft von 1851–54 erschienen. Nachdem K. 1854 zum Dr. med. et chir. promovirt worden war, erwarb er sich ein Jahr darauf das Magisterium der Geburtshilfe und trat als Präparand in die Klinik des Chirurgen Schuh ein. Sehr bald aber entschloß er sich, abgeschreckt durch die Bilder menschlichen Elends, mit denen ihn eine heftige Choleraepidemie des Jahres 1855 in Berührung brachte, die medicinische Laufbahn ganz aufzugeben und sich der Lehramtsprüfung für Mittelschulen zu unterziehen. Nachdem er sie bestanden, erhielt er noch in demselben Jahre eine Stelle als Lehrer der Naturgeschichte an der Oberrealschule in Ofen, die er bis 1858 bekleidete, um sodann als Professor der Naturgeschichte an das Polytechnikum in Ofen überzugehen. Sein Wunsch, den für ihn als Deutschen wenig erquicklichen politischen Verhältnissen in Ungarn zu entgehen wurde erfüllt, als ihm 1860 ein Ruf an die Universität Innsbruck ermöglichte, auf deutschen Boden zurückzukehren. Hier entwickelte K. fast 20 Jahre hindurch eine äußerst erfolgreiche wissenschaftliche und lehrende Thätigkeit, sodaß er diese Zeit seines Lebens für seine glücklichste hielt. Tirol wurde ihm zur zweiten Heimath, zumal er sich hier einen Hausstand schuf und im hochgelegenen Gschnitzthale bei Trins 1876 einen eigenen Sommersitz erwarb. Nach dem Namen dieser Besitzung erhielt er später, in den Adelsstand erhoben, das Prädicat „Ritter von Marilaun“. Besondere Anerkennung wurde K. zu Theil, als er nach dem Tode Fenzl’s (s. A. D. B. XLVIII, 520) 1879 als Professor der systematischen Botanik und Director des botanischen Gartens nach Wien berufen wurde. In diesem größeren Wirkungskreise verblieb er ebenfalls nahezu 20 Jahre bis zu seinem Tode, der ihn, den körperlich und geistig noch völlig rüstigen Mann, inmitten seines Schaffens infolge eines plötzlichen Schlaganfalles im 67. Lebensjahre ereilte.

[123] Kerner’s Arbeitsfeld in der Botanik war das systematisch-geographische und biologische Gebiet. Er ging zunächst von rein floristischen Studien aus. Dem Wechsel seines Wohnortes entsprechend, beschäftigten ihn die Floren Niederösterreichs, Ungarns und der Alpen, deren Kenntniß er, gleich gründlich bewandert auf allen drei Gebieten, durch eine Reihe zum Theil umfangreicher Schriften wesentlich förderte. Für Niederösterreich lieferte er werthvolle Beiträge zu Neilreich’s Flora; in Ungarn führten ihn seine Forschungen zur Abfassung der „Vegetationsverhältnisse des mittleren und östlichen Ungarn und angrenzenden Siebenbürgen“, einer in der Oesterreichischen botanischen Zeitschrift von 1867–1875 erschienenen Arbeit, die mit zu den grundlegenden Darstellungen über die ungarische Flora zu zählen ist; in Bezug auf die Flora der Alpenwelt aber darf K. als deren vorzüglichster Kenner gelten. Leider kam er nicht dazu, seine zahlreichen Einzelfunde aus jenem Pflanzenareal in einem besonderen Werke im Zusammenhange zu bearbeiten. In der Auffassung über die systematische Begrenzung der Pflanzenarten wich K. von vielen Fachgenossen seiner Zeit darin ab, daß er, ein Gegner des unkritischen Zusammenziehens von nahe verwandten Pflanzenformen, die Aufgabe der Systematik darin erblickte, die auf Grund der Beobachtung als constant erkannten erblichen Formen auch als gleichwerthige Species zu unterscheiden und zu beschreiben. Er vertrat seine Richtung wiederholt in Flugschriften, von denen eine unter dem Titel: „Gute und schlechte Arten“, Innsbruck 1866, besonders genannt sein mag. Die in 28 Centurien von 1881–1897 herausgegebene „Flora exsiccata Austro-Hungarica“ steht ganz auf dem Boden dieser Anschauungen. Die Erkenntniß[WS 1] des Zusammenhanges von klimatischen und geologischen Verhältnissen eines Landstriches mit der diesem eigenen Pflanzenbedeckung führte K. auf das pflanzengeographische Gebiet. Schon seine ersten Arbeiten streiften dergleichen Fragen. In umfassender Weise behandelte er die Pflanzenformationen Oesterreich-Ungarns in dem 1863 herausgegebenen Werke: „Das Pflanzenleben der Donauländer“, worin er vier charakteristische Florenreiche: das baltische, pontische, alpine und mediterrane innerhalb jenes Ländercomplexes unterschied. Das Buch hat wegen der Fülle wissenschaftlicher Beobachtungen, die es enthält, nicht minder aber auch wegen der sprachlich formvollendeten, fast poetischen Darstellungsweise namentlich in Oesterreich selbst vielen Beifall gefunden. K. beschränkte sich in seinen pflanzengeographischen Arbeiten nicht blos auf das rein Botanische; er richtete seine Aufmerksamkeit auch auf meteorologische Verhältnisse, Höhenbestimmungen, Temperaturmessungen von Quellen, auf phänologische Fragen u. a. m. und verwerthete seine Forschungsresultate besonders auch in seinen späteren Arbeiten, wie in den „Studien über die oberen Grenzen der Holzpflanzen in den österreichischen Alpen“ (Oesterr. Revue 1863–67), „Oesterreichs waldlose Gebiete“ (ebenda 1863) und „Die natürlichen Floren im Gelände der deutschen Alpen“ (Schaubach’s Deutsche Alpen 1870). Von dem damaligen Kronprinzen Rudolf aufgefordert, für dessen Sammelwerk „Oesterreich-Ungarn in Wort und Bild“ die Bearbeitung des pflanzengeographischen Abschnittes zu übernehmen, schrieb K. einen kurzen, aber inhaltreichen Ueberblick über die betreffende Flora in dem Artikel: „Oesterreich-Ungarns Pflanzenwelt“ (1866). Die Herausgabe eines geplanten größeren Werkes über diesen Gegenstand ist wol infolge jener Arbeit unterblieben. Doch erschien ein Jahr später noch eine ergänzende Karte: „Florenkarte von Oesterreich-Ungarn“, die in der zweiten Auflage von Kerner’s Hauptwerk: „Das Pflanzenleben“ (1896/98) Aufnahme fand. Naturgemäß wurde K. durch seine Arbeiten auch auf das Studium der Artenbildung im Pflanzenreiche gelenkt und so suchte er durch Einrichtung alpiner Versuchsgärten in [124] verschiedenen Höhenlagen die hierbei in Betracht kommenden Factoren aufzufinden. Seine ursprüngliche Ansicht, daß Klima und Bodenverhältnisse allein schon Verschiedenheiten derselben Species bedingen könnten, mußte er auf Grund der Versuchsresultate aufgeben. Dafür aber schob er den Bastardirungen einen artenbildenden Einfluß zu und veröffentlichte seine Ergebnisse zuerst in einer kleinen Schrift: „Können aus Bastarden Arten werden?“ (Oesterr. bot. Zeitschrift XXI, 1871). Später befestigte sich seine Ueberzeugung in dieser Frage immer mehr dahin, daß ganz allgemein in der Kreuzung von Pflanzenarten die Ursachen ihrer Variabilität zu suchen seien. Um die Kreuzungsverhältnisse zu studiren, mußte K. seine Aufmerksamkeit auch der Blüthenbiologie zuwenden. Noch ehe Hermann Müller’s bahnbrechende Arbeiten auf diesem Gebiete erschienen waren, publicirte K. die Abhandlung: „Die Schutzmittel des Pollens gegen die Nachtheile vorzeitiger Dislocation und gegen die Nachtheile vorzeitiger Befruchtung“ 1873; und ferner später noch als Festschrift der zoologisch-botanischen Gesellschaft 1876: „Die Schutzmittel der Blüthen gegen unberufene Gäste“, eine auch ins Englische übersetzte Arbeit. Schließlich seien hier noch hervorgehoben die Artikel: „Ueber die Bestäubungseinrichtungen der Euphrasien“ (Verhandl. d. zool.-bot. Gesellsch. 1888) und „Die Bedeutung der Dichogamie“ (Oesterr. bot. Zeitschr. 1890). Ein reiches Material in tausenden von ihm selbst gefertigten Abbildungen lag noch vor, das wohl verdient hätte, in einem zusammenfassenden Werke veröffentlicht zu werden. K. unterließ die anfangs wohl beabsichtigte Bearbeitung, nachdem H. Müller’s Buch inzwischen erschienen war, doch benutzte er viele seiner Abbildungen für das „Pflanzenleben“. Ein Verzeichniß aller Publicationen Kerner’s mit Ausschluß der Artikel in Tageszeitungen und Organen der schönen Litteratur findet sich in dem unten angegebenen Nachrufe von R. v. Wettstein. Die Summe seiner wissenschaftlichen Thätigkeit zog K. in seinem bedeutendsten Werke, dem zweibändigen, bereits erwähnten „Pflanzenleben“, dessen erste Auflage 1888 (I. Band) und 1891 (II. Band) erschienen, auch ins Englische und Italienische übertragen wurde. Eine zweite Auflage kam 1896 und 1898 heraus. Im ersten Bande dieses reich illustrirten Werkes schildert K. Gestalt und Leben der Pflanze, indem er des Näheren auf die Zellenthätigkeit, Assimilation, Wanderung der Stoffe, Wachsthum und Aufbau eingeht, um mit morphologischen Betrachtungen über die fertige Pflanzengestalt zu schließen. Der zweite Band giebt unter dem zusammenfassenden Titel: Geschichte der Pflanzen, die Entstehung der Nachkommenschaft unter Berücksichtigung aller Möglichkeiten der Vermehrung, der Insectenthätigkeit, Parthenogenesis, des Generationswechsels und im zweiten Capitel eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Arten, die dem Verfasser Veranlassung bietet, seine Ansichten über Variabilität, das Entstehen neuer Arten und ihre Verbreitung, sowie über Pflanzengesellschaften und Florengebiete klar zu legen. Die Fülle der Details, die in dem Buche zur Sprache kommen, bietet nicht nur dem Fachmann großes Interesse, die eigenartige Schönheit des Stils, die Klarheit des Ausdrucks machen auch dem Laien die Lectüre des Werkes zum Genuß. Freilich trägt es durchaus den Charakter subjectiver Auffassung und ist in Einzelheiten nicht ohne Widerspruch geblieben; immerhin darf es als eine Zierde der neueren botanischen Litteratur gelten. Neben seiner wissenschaftlichen Thätigkeit erwarb sich K. auch große Verdienste als Lehrer und Organisator. Sein schwungvoller, durch künstlerisch ausgeführte Zeichnungen belebter Vortrag sammelte sowol im Auditorium der Universität, als auch außerhalb derselben einem Laienpublicum gegenüber, eine große Schaar begeisterter Zuhörer um ihn. Für Innsbruck wurde er der Schöpfer des botanischen Gartens, dessen Alpenanlage insbesondere eine Sehenswürdigkeit [125] bildete und Wien verdankt ihm neben der Vergrößerung des Gartens die Errichtung eines botanischen Museums, das er in wenigen Jahren durch Zuführung werthvoller Sammlungen zu einem mustergültigen Institute erhob, K. besaß ein großes Maß von Selbständigkeit. In seinen wissenschaftlichen Anschauungen ging er, unbekümmert um die Meinungen anderer seinen eignen Weg und scheute auch vor Conflicten nicht zurück. Aber der Grundzug seines Wesens war ein tief ausgeprägtes Schönheitsbedürfniß, das ihn im persönlichen Verkehr mit dem Zauber gewinnender Liebenswürdigkeit umgab.

R. v. Wettstein, Nachruf in „Bericht. d. deutschen botan. Gesellsch.“ XVI, 1898.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Erkennniß