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ADB:Ludwig, Heinrich

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Artikel „Ludwig, Heinrich“ von Josef August Beringer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 120–123, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ludwig,_Heinrich&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 01:59 Uhr UTC)
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Ludwig: Heinrich L., geboren am 13. März 1829 zu Hanau als Sohn des Oberrentmeisters Friedrich L. und seiner Frau Christiane geb. Nagel, zeigte schon von frühester Jugend an hervorragende Eigenschaften des Körpers [121] und Geistes. Durch die Schönheit seiner Erscheinung, durch die Anmuth und Liebenswürdigkeit seines Wesens und durch die Innigkeit, mit der er die Welt seiner Umgebung umfaßte, gewann er sich überall Freunde. Das glückliche Leben in der zahlreichen Familie und die freie, liebliche Natur des Mainthales erfüllten das junge Gemüth mit nachhaltigen und tiefgehenden Eindrücken.

Mit fünf Jahren schon besuchte er die Elementarschule; im neunten Jahre kam er auf das Gymnasium seiner Vaterstadt, dessen Classen der hochbegabte Knabe sehr rasch durchlief. – 1843 starb der vortreffliche Vater, der die Befreiungskriege als Rittmeister in einem Freiwilligencorps mitgemacht und vor dem Feinde das Eiserne Kreuz erworben hatte. Der Vater war es auch, der den auch für künstlerische Dinge hochtalentirten Sohn auf die Landschaftsmalerei hinwies. Die anfänglich beabsichtigte wissenschaftliche Ausbildung wurde aufgegeben und L. kam, noch zu des Vaters Lebzeiten, auf die Kunstakademie zu Kassel, die anfangs der 40er Jahre unter der Leitung des Directors Pelissier stand. Hier verbrachte der emsige Kunstjünger zwei Jahre. Dann wurde (1845) die Düsseldorfer Akademie bezogen, wo J. W. Schirmer besonderen Einfluß auf L. gewann. Der Ernst und Eifer des Studiums wurde durch lebhafte Betheiligung an den theatralischen und künstlerischen Veranstaltungen des „Malkastens“ gewürzt. Der Dreiundzwanzigjährige entwarf z. B. das Programm „zum reizendsten aller Künstler-Frühlingsfestzüge“, der den „Auszug des Königs Artus und seiner Ritter, um Tannhäuser aus den Banden der Frau Venus zu befreien“, zum Thema hatte. Auch späterhin hat L. dichterische Arbeiten zu Unterhaltungszwecken wiederholt verfaßt (z. B. „Pygmalion“ und „Der Kampf um Troja“). 1852 ging L. nach Zürich, wo sein älterer Bruder Karl, der berühmte Anatom und Physiolog, als Professor thätig war und knüpfte dort u. a. auch freundschaftlichen Verkehr mit G. Keller an. 1853 ermöglichte ihm die Unterstützung eines Gönners die Fahrt nach Italien, das er von da ab als zweite Heimath betrachtete und nur noch vorübergehend verließ, so sehr er im innersten Herzen ein Deutscher war und geblieben ist. Auf einer dieser Reisen verweilte er auch in Wien, wo sein Bruder Karl am Josephinum wirkte, und trat dort in Verkehr mit dem durch seine farbentheoretischen Untersuchungen bekannten Physiologen E. Brücke, dessen Forschungen seinen eigenen maltechnischen Studien werthvolle Anregungen gaben. Auf der Rückreise nach Rom, die über München führte, zog er sich durch einen unglücklichen Sturz den Keim eines schweren unheilbaren Leidens zu. Rom hat ihn von da an (1860) festgehalten. L. blieb aber durch regen Verkehr mit bedeutenden Deutschen, wie Allmers, Böcklin, Thoma, Lugo, Geselschap, K. Hillebrand, Mommsen u. A. und durch wiederholte amtliche Beziehungen in steter Berührung mit deutschem Geist und Wesen.

Hier, in Rom und Süditalien, das er wiederholt und für längere Zeit besuchte, entwickelte sich das Wesen Ludwig’s in fruchtbarer und erstaunlich vielseitiger Weise. Neben glücklichen künstlerischen Arbeiten, die, auf gründlichem Naturstudium und sorgfältiger Beachtung perspectivischer und coloristischer Gesetze beruhend, auch heute noch durch die Vornehmheit und Gediegenheit ihrer künstlerischen Sprache ehrenvolle Zeugnisse seines Künstlerthums sind, beginnt etwa von 1870 an die wissenschaftliche und erfinderische Thätigkeit. Unter allen Künstlern seiner Zeit hat L. jedenfalls über das größte Maaß gediegenen Kunstwissens verfügt. Kunstübung und Kunstwissenschaft sind in ihm zu einer seltenen Einheit verschmolzen gewesen. Das Handwerkliche in der Kunst war ihm eine heilige Sache, der er unablässig seine Sorge und sein ganzes Denken zuwandte.

[122] Gegen Ende des Jahres 1871 führte ihn eine Atelierbeobachtung zur Einsicht, daß Petroleum bei strahlender oder leuchtender Wärme verschiedene Verdunstungsgeschwindigkeit habe. Hieraus entwickelte sich die Erfindung der „Petroleumfarben“, die (seit 1893) heute noch bei Dr. Schoenfeld in Düsseldorf nach den Vorschriften des Erfinders hergestellt werden. Durch Zusatz gewisser Petroleumsorten zu den Oelfarben wird aber nicht bloß der Trockenproceß und damit die Arbeit des Malers am Bilde regulirbar, sondern auch die Leuchtkraft und Dauerhaftigkeit der Farben erhöht. Ein langjähriger Proceß mit dem Chemiker Keim, der Ludwig’s Petroleumfarben zuerst, aber ungenügend herstellte, entschied inhaltlich zu Gunsten Ludwig’s und endete formell mit einem Vergleich. Aus Malerkreisen wurden viele Stimmen laut, die den Vorzügen der Ludwig’schen Petroleumfarben Beifall zollten.

Neben dem Naturstudiums und dem Studium der Darstellungsmittel begann L. in den siebziger Jahren sich eingehend mit kunstwissenschaftlichen Problemen zu beschäftigen. Die erste Frucht dieser Studien ist die 1876 erstmals erschienene (1893 neu aufgelegte) Schrift „Ueber die Grundsätze der Oelmalerei und das Verfahren der classischen Meister“. Das gründliche Wissen und die lichtvolle Darstellung haben Ludwig’s Namen ehrenvoll in die Litteratur eingeführt; eine Zeitlang wurden mit L. Verhandlungen über seinen Eintritt in die Akademie in Berlin, dann auch in Wien gepflogen. – Auf diese erste Veröffentlichung folgte die (1882 in den Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik erfolgte) Herausgabe des libro di pittura von Lionardo da Vinci nach der vatikanischen Handschrift, eine Arbeit, gleich vorzüglich als Uebersetzung wie als fachmännisch durchgearbeitetes Werk, in das L. eine Fülle geistvoller Bemerkungen einflocht.

Mit der Herausgabe des Lionardo’schen „Malerbuch“ und der 1885 erschienenen Schrift „Neues Material aus den Originalmanuscripten“ hat L. nach der Seite der Gründlichkeit, Genauigkeit sowie der glänzenden und geistvollen Zusammenfassung jedenfalls die außerdeutschen Publicationen derselben Zeit weit übertroffen. – Im Auftrage des preußischen Cultusministeriums verfaßte er 1888/92 „Die Technik der Oelmalerei“ (2 Theile), „darin die den Gegenstand betreffenden Erfahrungen“ gesammelt sind, ein Buch, dem man mindestens werthvolle Beobachtungen und Erfahrungen wird zuerkennen müssen. Die letzten Lebensjahre Ludwig’s wurden durch den schon erwähnten Streit mit Keim verbittert. In einer Reihe kleinerer Broschüren hat L. sein Erfinderrecht und seinen Standpunkt in dieser Sache aufs gründlichste vertheidigt und gewahrt. – Das Leben Ludwig’s, so arm es an äußeren Erfolgen sein mochte, war ein reiches, fruchtbares. So lang ihm seine Gesundheit erlaubte, mit der Natur in Verkehr zu bleiben und so lange er noch Herr seines Körpers war, sind auch seine künstlerischen Leistungen durch geistvolle Auffassung der Motive, durch Klarheit und Sorgfalt der Durchbildung und durch die Größe der Anschauung und Wiedergabe höchst anziehend und werthvoll. In seinen litterarischen Werken hat L. ein außerordentlich reiches, noch lange nicht gehobenes Material für bildnerische Technik und Wissenschaft niedergelegt. Die hohe Intelligenz, die liebenswürdigsten Eigenschaften des Gemüthes, die Vielseitigkeit und Gründlichkeit seiner Interessen und ein auch in den schmerzlichsten Zuständen nie versiegender Humor, die Klarheit seines ganzen Wesens, das auch nach langer Trennung doch ganz noch seiner Heimath und seinem deutschen Vaterlande gehörte: alle diese Eigenschaften übten, da L. bei vollem Bewußtsein seines Werthes doch frei von aller Selbstgefälligkeit und Eitelkeit war, einen bezaubernden Einfluß aus auf Alle, die das Glück hatten, seinen persönlichen Umgang genießen zu können. – Zu Anfang des Jahres 1897 zwang ihn sein altes Leiden, [123] multiple Herzsklerose, ständig ins Bett. Am 30. Juni 1897 erlöste ihn der Tod. Seine Asche ist auf dem evangelischen Friedhofe bei der Cestiuspyramide zu Rom beigesetzt.

Ludwig’s künstlerische Werke sind u. a. in den Galerien zu Berlin und Karlsruhe vertreten; das Meiste ist in Privatbesitz. Seine schriftlichen Veröffentlichungen sind unter folgenden Titeln zu finden: 1. „Ueber die Grundsätze der Oelmalerei und das Verfahren der alten Meister“ (Leipzig 1876 und 1893); 2. „Lionardo da Vinci, Das Buch von der Malerei“, 3 Bde. (Wien 1882); 3. daneben besteht noch eine gekürzte Ausgabe für Künstler unter demselben Titel; 4. „L. d. V., Buch v. d. M., Neues Material aus den Originalmanuscripten“ (Stuttgart 1885); 5. „Die Technik der Oelmalerei“, 2 Theile (Leipzig 1893); 6. „Beiträge (4) zur Geschichte der Petroleumfarben“ (Rom, für Freunde gedruckt; Düsseldorf 1890); 7. „Kleine Gelegenheitsschriften (3)“ (Leipzig 1882 und Rom, Bertero 1893); 8. Aufsätze in Zeitschriften: Lützow’s Zeitschrift für b. Kst. VII (1872); Techn. Mittheilungen f. Malerei von A. Keim, München IV (1887), S. 3 ff. und S. 85 ff.; Repertorium für Kunstwissenschaft IV (1881, 1882, 1883); Gegenwart, 1875 (Nr. 31, 32, 34, 41, 46) und 1876 (Nr. 5 u. 6); Allgemeine Zeitung, Beilage, 1891, Nr. 150.