ADB:Lübke, Wilhelm
Lübke: Wilhelm L., als Professor der Kunstgeschichte in Stuttgart durch persönlichen Adel ausgezeichnet, ist am 27. Januar 1826 zu Dortmund geboren. Der Großvater war Strumpfwirker zu Balve. Der Vater mußte auch Strumpfwirker werden, aber brachte es durch Selbststudium so weit, daß er mit 21 Jahren das Elementarlehrerexamen bestand und in den katholischen Schuldienst eintrat.
L. hat in seinen sonnigen und interessanten „Lebenserinnerungen“ (1891), die wir hier zu Grunde legen, die Stadt Dortmund, die trefflichen Eltern und die Jugendzeit prächtig geschildert. Als ältester von sieben Geschwistern geboren, erbte auch er „vom Mütterchen die Frohnatur“, vom Vater die Arbeitskraft und Arbeits- und Lehrfreude, von beiden Eltern mannichfache, namentlich auch große, zur Virtuosität ausgebildete musikalische Begabung – Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihn im härtesten Lebensdruck nicht verließen und ihn so schnell zu den Höhen seines Berufslebens führten. Ein kerngesundes, aufgewecktes, lebensfrohes Kind, in ungetrübter Lust die Kinderjahre verbringend, in trefflichster Schulung des Vaters, hellen, schnell auffassenden Geistes, von außerordentlichem Gedächtniß, immer lernbegierig und thätig, hat Wilhelm schon in seinem 12. Jahre den überlasteten Vater beim Orgelspieldienst in der Kirche vertreten, ihm beim Corrigiren der Schularbeiten geholfen, selbst für den Erkrankten Schule gehalten. Er rühmt, wie der Vater auch seinen Sinn für die Natur und ihre Schönheiten geweckt, und durch Besuch von Werkstätten ihm für das thätige Leben die Augen geöffnet habe. Erste Kunsteindrücke gaben die verschiedenen mittelalterlichen Denkmäler der alten ehemaligen freien Reichs- und Hansastadt – damals noch ein Landstädtchen von etwa 6000 Einwohnern!
Die Lust zu zeichnen und zu malen, die ihm im späteren Beruf so dienlich wurde, ließ den Knaben bitten, daß ihn der Vater auf die Akademie [107] nach Düsseldorf schicke. Doch dieser hielt einsichtsvoller Weise die Begabung zum selbständigen Künstler nicht für groß genug, aber that alles, den Sohn für die Universität auszubilden. Auf dem Gymnasium waren dem fleißigen Schüler und guten Kameraden alle Fächer gerecht bis auf die Mathematik, die ihm immer antipathisch geblieben sei. Eifriges Turnen ist dem späteren Forscher bei manchen Untersuchungen alter Denkmäler von Nutzen geworden. Nachhaltigsten Eindruck machte auf den musikalischen Gymnasiasten das Spiel von Franz Lißzt, den man zur Verherrlichung des 300jährigen Jubiläums des Gymnasiums berufen hatte.
Interessant ist, wie L. schon als Primaner seine schriftstellerische Schneidigkeit und Gewandtheit offenbarte. Es war die Zeit des neuen katholischen Zelotismus (hl. Rock von Trier, 1844), dem die Eintracht von Katholiken und Protestanten, Mischehen u. s. w. ein Greuel waren. Der Vater Lübke war ein frommer Katholik, stand aber bei der Geistlichkeit nicht in Gnade und hatte unter schweren Ungerechtigkeiten zu leiden. (Man sehe den Abschnitt aus der Selbstbiographie des Vaters in den „Lebenserinnerungen“). Ein junger fanatischer Vicar, ein grausamer Züchtiger in der Schule während der Religionsstunden, eiferte im zelotischen Geiste auf der Kanzel und durch Broschüren. Der Primaner Wilhelm L., Wand an Wand mit ihm im Kloster wohnend, schrieb nun im tiefsten Geheimniß – nur dem Verleger vertraute er sich an, am wenigsten durfte der Vater etwas erfahren – betreffende Gegenbroschüren, die mehrere Auflagen erlebten und dem freudig erstaunten jungen Autor beim Abschied zur Universität vom Verleger ein beglückendes Honorar eintrugen.
Ostern 1845 ging L. mittellos, aber seinem Stern vertrauend, als Philologe nach Bonn. Erst half ein Onkel; bald konnte er sich durch Stundengeben selbst erhalten. Eifrigst hörte er Ritschl, Welcker, Brandis, Loebell, Diez, E. M. Arndt, Dahlmann und – Kinkel, damals von der Theologie zur Kunstgeschichte übergegangen. Unter den Commilitonen gewann er Freunde fürs Leben, auch einige, die für seine Weiterbildung von höchster Wichtigkeit wurden.
Es war für die Kunstgeschichte eine neue Zeit gekommen. Die Beschränkung auf Archäologie war durchbrochen. Revolution und Romantik hatten dabei, jede in ihrer Art, gewaltig eingewirkt. Zum Classicismus kam die Schwärmerei für das Mittelalter durch die Romantik. Auch dem deutschen Philister hatte die Plünderung der Kunstwerke durch die Franzosen für das Louvre die Augen für die Werthschätzung der Kunst geöffnet. Fürsten und Staaten förderten die Kunstsammlungen jetzt in volksthümlicherer Weise. Dem großen Publicum wurden die Sammlungen erschlossen; neue Museen wurden gebaut. Berlin und München standen voran. Wie damals die Weltdichtung erstrebt wurde, so schuf König Ludwig seine Bauwerke im Stil der wichtigsten Kunstzeiten. Aber auch Private übten durch Sammlungen und Bestrebungen die größte Wirkung. Man denke an die Boisserées. Angesichts all der Werke mußte die Kunstforschung sich ausdehnen, über Archäologie und italienische Kunstschwärmerei hinausgehen. Die allgemeine Kunstgeschichte wurde für die Wissenschaft, aber auch für die gebildeten Kreise eine Nothwendigkeit. Eine Reihe bedeutender Forscher war in Deutschland am Werk. Kugler that den Hauptwurf für das große Publicum durch sein Handbuch der Kunstgeschichte 1842; Schnaase folgte 1843 mit dem 1. Bande seiner Geschichte der bildenden Künste.
Die Universität Bonn hatte das Glück in Gottfried Kinkel einen begeisterten und begeisternden Lehrer der neuen kunstgeschichtlichen Anschauungen [108] und Bestrebungen zu besitzen. (Waagen, im Nebenberuf, und Kinkel waren damals die einzigen Professoren der Kunstgeschichte.) Auch der junge Philologe L. entflammte sich jetzt für mittelalterliche Kunst. Und welche Anschauungen bot dafür das herrliche Rheinland! Mit Freunden, namentlich mit dem lieben, vermögenden Freund Kestner, einem Enkel von Charlotte Buff, durchwanderte L. das Land, schwärmend für die Natur und für die Denkmäler der Kunst. Praktische Belehrung kam hinzu. Ein älterer Student, Simons, Freund im Kinkel’schen Hause, arbeitete an einem Werk über die so berühmt gewordene Kirche von Schwarzrheindorf. Durch die Musik wurde der jüngere L. mit ihm befreundet und erhielt praktische Anleitung zu solchen Arbeiten. „Ich lernte dabei die alten Denkmäler historisch betrachten und ihre Wandlungen durch die verschiedenen Epochen verfolgen.“ Seine zahllosen späteren Untersuchungen von Denkmälern hätten alle auf den in Schwarzrheindorf empfangenen Eindrücken beruht, berichtet er selbst.
Nach drei Semestern in Bonn beschloß L. nach Berlin zu gehen. Ein edler Menschenfreund half über pecuniäre Schwierigkeiten hinweg und L. hörte nun in Berlin Lachmann, Boeckh, Ranke, Trendelenburg, Joh. Franz u. A. als Philolog, daneben auch die kunsthistorischen Vorträge von Hotho und die Demonstrationen von Waagen. Dazu kam das eifrigste Privatstudium in den Museen und Sammlungen. Friedrich Eggers und Franz Susemihl wurden seine nächsten Freunde. Auch Jac. Burckhardt lernte er kennen. Es wurde ihm anfangs sehr schwer, sich in Berlin den Lebensunterhalt zu verdienen und er litt oft bittre Noth. Ein sehr geringes Stipendium, dann Stundengeben, seit dem Jahr 1848 auch Berichte für die Rheinische und Bonner Zeitung bildeten sein Einkommen.
Im Herbst 1848 bestand er sein Lehrerexamen; das Probejahr machte er am Werder’schen Gymnasium durch. Förderung war ihm danach gewiß, aber die Leidenschaft für die Kunstgeschichte war jetzt zu mächtig geworden. Er hatte auch von Berlin aus mit seinem Freunde Kestner seine Kunstwanderungen in den Ferien fortgesetzt und zwar zunächst im alten Sachsenland zwischen Weser und Elbe. Puttrich gab in seinem Werk „Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen“ das Vorbild. „Die Grundlage für kunstgeschichtliche Studien bot uns Kugler’s Handbuch.“ Mit 3füßigem Zollstock und Meßschnur als ganzem Handwerkszeug zogen die Freunde aus. Wie schon im Rheinland bevorzugten sie die romanischen Denkmäler. Gothik kam erst in zweiter Linie; die Renaissance wurde mit einer an Verachtung streifenden Gleichgültigkeit behandelt. Manches wurde dabei von den jungen Forschern entdeckt, so z. B. die Säulenbasilika zu Hamersleben.
Der junge Lehrer wagte nun Kugler aufzusuchen, um ihm seine Entdeckung mitzutheilen und ihm Zeichnungen und Notizen vorzulegen. Erst allmählich interessirte sich Kugler für ihn und ehrte ihn dann durch warme Zuneigung und Freundschaft. Ebenso ging es mit Schnaase, dem er dann besonders nahetrat. Mitarbeiterschaft an Eggers’ Deutschem Kunstblatt war in jeder Beziehung fördernd. War Eggers in Urlaub, so trat L. für ihn ein, spielend die Arbeit bewältigend – so erzählte er uns selbst –, mit der Eggers so schwer fertig wurde. Er lernte dabei auch das Redactionsgetriebe kennen. 1849 sah L. München und kam zu Kaulbach in nähere Beziehung.
Und nun hatte er das Glück, 1850 in Berlin seinen Bekannten aus Bonn, Junkmann, als Abgeordneten wieder zu treffen und diesen für seine Arbeiten zu interessiren. Er wollte die Heimath Westfalen nach dem Vorbild von Kugler’s Pommerschen Kunstgeschichte beschreiben. Eine Sammlung ergab 200 Thaler, zu der im nächsten Jahre noch 50 Thaler kamen. Damit [109] bestritt L. eine Studienreise von fünf Monaten! Mit Recht rühmt er, wie er eine so große Aufgabe mit so geringen Mitteln durchgeführt habe. Bedeutende Entdeckungen, z. B. von übertünchten Wandmalereien, machten Aufsehen und erhöhten seinen Muth.
Nach zwei Jahren war das große Werk, Atlas zum Text, fertig. Es wurde Kugler und Schnaase gewidmet. Schnaase hat die Arbeit das Muster einer Provinzialforschung genannt. Aber die Herausgabe kostete viel Geld. Mehrere Verleger lehnten ab, bis Weigel sich entschloß, den Verlag zu übernehmen. Aber ohne Honorar! Nur mit Freiexemplaren für den – mittellosen – Autor. Es erschien 1853.
1851 hatte L. die „Vorschule zum Studium der Kirchenbaukunst des Mittelalters“ herausgegeben. Der ehemalige Chorknabe von Dortmund hatte damit dem Publicum, namentlich den Protestanten einen großen Dienst geleistet. Es gab wieder pecunär schlimme Zeiten. Nichtsdestoweniger machte L. es möglich, seine Kunstreisen, so nach Mecklenburg, Thüringen, Sachsen, fortzusetzen. Die glänzenden schriftstellerischen Arbeiten für Kunstblätter und Zeitungen halfen aus.
1855 erschien das „Handbuch der Architekturgeschichte“, „mit dem kecken Muthe der Jugend“ geschrieben. Mehrere Verleger hatten abgelehnt. Graul übernahm es, von dem es dann in den Verlag von E. A. Semann überging. „Ich war der Erste, der auf den Gedanken kam, ein solches Werk mit Holzschnitten zu illustriren“, sagt L. Er und Seemann haben sich dadurch das größte Verdienst für die Förderung der Kunstgeschichte in den weitesten Kreisen errungen. Anschauung der bildenden Künste durch die Abbildung der besprochenen Denkmäler! Wie war es in der bilderlosen Zeit schwer gewesen, ein Buch wie z. B. Kugler’s Kunstgeschichte zu studiren! Diese Architekturgeschichte, klar, präcis, in glänzendem Stil geschrieben, als Studir- wie als Nachschlagebuch trefflichst, schlug beim Publicum durch. L. zählte fortan zu den gelesensten und bekanntesten kunsthistorischen Autoren. Ausgezeichnete Aufsätze und Kritiken, so enthusiastisch wie auch wieder voll Schärfe, machten ihn auch für die Tageslitteratur berühmt. Es fehlte nicht an einflußreichen Gönnern und Freunden. Ostern 1857 wurde er für das Lehrfach der Architekturgeschichte an die Bau-Akademie berufen. Im December 1857 vermählte er sich mit Mathilde Eichler, verwittweten Sanitätsrath Bennewitz. Virtute felix! konnte man von ihm sagen. Die Lebenssorgen, mit denen er so lange zu kämpfen hatte, lagen hinter ihm. Er hatte sich sein Glück errungen und verdiente es sich weiter, immer rastlos schaffend und immer freundlich fördernd, wo er konnte.
Nun sah er Italien 1858. 1860 erschien der „Grundriß der Kunstgeschichte“, gleich der Architekturgeschichte ein Buch von außerordentlicher Verbreitung. (Jetzt in 12. Auflage neu bearbeitet von Prof. Semrau.) Es waren freudigst bewegte Jahre der Arbeiten, geistvoller Geselligkeit und von Studienreisen.
Schulrath Kappeler in Zürich sorgte damals durch treffliche Berufungen mit größtem Erfolge für den Aufschwung von Universität und Polytechnikum Zürich. An diesem wurde zum Gegengewicht gegen Einseitigkeit im praktischen und technischen Studium eine Professur für allgemeine Kunstgeschichte errichtet. Auf wiederholten Antrag nahm L. die Berufung nach Zürich an. Eine seltene Vereinigung von ersten Größen und vielen bedeutenden Männern der Wissenschaft und Kunst war hier beisammen. Auch die Musik spielte eine große Rolle. Zu Schweizer Kunststudien interessantester Art kamen nun wiederholte Reisen nach Frankreich, Belgien und England.
[110] Es gab noch keine Gesammtgeschichte der Plastik. Seiner Architekturgeschichte ließ L. 1863 die „Geschichte der Plastik“ folgen. (Er plante auch die Geschichte der Malerei, doch überließ sie wegen seiner anderen Arbeiten Woltmann, der sie begann und nach dessen Tode C. Woermann das treffliche, umfassende Werk fortsetzte.) In Zürich war die Bahn gebrochen für die Berechtigung der allgemeinen Kunstgeschichte als Lehrfach. Württemberg folgte für das Polytechnikum in Stuttgart. Dem Minister v. Golther gelang es, L. dafür zu gewinnen. Es wurde diesem allerdings schwer, sich von Zürich zu trennen. Die neuen deutschen Verhältnisse (1864) gaben für den patriotischen Mann den Ausschlag: er wollte wieder dem deutschen Vaterlande dienen.
1866 wurde L. Professor der Kunstgeschichte am Polytechnikum und an der Kunstschule in Stuttgart. (Sämmtliche deutsche Technische Hochschulen haben jetzt Professuren der Kunstgeschichte.) Von 1866–85 hat L. in Stuttgart gewirkt, immer rastlos thätig als Docent, Forscher, Herausgeber von Kunstdenkmälern, historischer und Tagesschriftsteller und Kritiker, so angesehen bei Hof, wie in der gelehrten Welt, durch Vorträge, Reden und Aufsätze auch in die wichtigen Tagesfragen eingreifend. Die engeren und weiteren Studienreisen wurden fortgesetzt. Für Schwaben ergab sich reiche Ausbeute.
Außer den „Kunsthistorischen Studien“ (1869) erschienen die großen Werke: „Geschichte der Renaissance in Frankreich“ (1868) und „Geschichte der Renaissance in Deutschland“ (1873). Für die 2. Auflage von Schnaase’s „Geschichte der bildenden Künste“ übernahm L. die Mitarbeiterschaft am 4. und 8. Bande. Dazu kamen Peter Vischer’s Werke, 48 Tafeln mit Text, 1878, ein Rafaelwerk in Lichtdrucken 1880, Dürer’s Kupferstiche in Facsimile’s (104 Tafeln) 1882, und wie früher Aufsätze und Kritiken in Kunstblättern und Zeitungen. Mit Karl v. Lützow sorgte er für die neuen Auflagen der „Denkmäler der Kunst“.
Lübke’s Leben war reich an Glück und verdienten Erfolgen. Unglück und Kränkungen und Verdruß blieben freilich auch nicht aus. Bei der Besichtigung des Schlosses von Schwerin verlor L., durch die Unvorsichtigkeit seines Geleiters beim Aussteigen aus dem Wagen, die Sehkraft des einen Auges. Auch das andere Auge verlangte seitdem größte Schonung. Unsagbares Leid für den der Autopsie leidenschaftlich beflissenen Forscher und den studirenden Gelehrten. Ein Glück noch für L., daß seine glänzende Darstellungskraft auch beim Dictiren nie versagte. Diabetes stellte sich ein, und wenn er sich auch sonst wenig schonte, so nöthigte sie ihn doch, jedes Jahr die Karlsbader Cur zu gebrauchen. Auch seine Gemahlin wurde von einem, wie sich ergab, unheilbaren Leiden befallen.
Es war kein Wunder, daß auch der Kritiker Lübke, der gern lobte, aber auch mit aller Schärfe tadelte und oft von oben herab verurtheilte und den Tagesströmungen sich rücksichtslos entgegenstellte, seine Kritiker und erbitterten Gegner fand. Und er war sehr Lob – verwöhnt! Es erbitterte ihn schwer, wenn man seine Bedeutung und Wirksamkeit dadurch verkleinerte, daß man ihn mehr als Sammler hinstellte, der nur hie und da sich auf eigene Detailforschung gestützt habe und der den Zusammenhang der Kunst mit Zeit- und Culturgeschichte nicht genügend ins Auge fasse. Vorkommendes, in der ungeheuren Thätigkeit nicht zu vermeidendes flüchtiges Urtheil und Ungenauigkeiten und Versehen veranlaßten wüthende Angriffe oder genügten, um über ihn als Forscher den Stab zu brechen. Hinzu kam die böse Feindschaft der Wagnerianer. L. war von Anfang an gegen Richard Wagner aufgetreten. Brahms war für ihn der bedeutendste deutsche Musiker der Gegenwart.
Was die Angriffe gegen ihn als Kunsthistoriker betrifft, so hat er manchmal [111] sich auf seine Autopsie und sein schnelles Urtheil oder auf sein gewaltiges Gedächtniß zu sehr verlassen. In seiner Jugend galt es, wie in noch unerforschtem Lande, auf verschiedenen Gebieten zu entdecken, darüber zu berichten. Die Nachfolgenden mochten die genaueren Studien machen. Es hieß danach auch zuweilen bei ihm: ich kam, sah und – schrieb nieder. Er hat in seinen vielen, trefflichen Arbeiten den Besten seiner Zeit genug gethan. Feindschaft, namentlich von anderen Forschern, die er nicht berücksichtigt oder getadelt hatte, griff auch Unbedeutendes auf, den Haß daran auszulassen.
Verschiedenes machte ihn in den letzten Zeiten in Stuttgart unfroh. 1885 nahm er die Berufung als Professor der Kunstgeschichte und Director der Großherzoglichen Sammlungen nach Karlsruhe an, um dann allerdings zu Anfang den Weggang von seinem lieben Stuttgart schmerzlich zu bereuen. Zum Abschied von Stuttgart gab er die „Bunten Blätter aus Schwaben“ heraus, 1885.
Aber bald hatte L. sich auch in Karlsruhe eingewöhnt. 1889 erschienen seine „Geschichte der deutschen Kunst“, 1891 die Sammlung „Altes und Neues“ und dazu 1891 die „Lebenserinnerungen“, in der unverwüstlichen Heiterkeit des Geistes, Klarheit und Schönheit der Darstellung der Lebens und Zeitgeschichte für den durch die Krankheit seiner Gemahlin und eigne Krankheit oft so schwer bedrückten älteren Mann ein prächtiges Werk. 1892 verlor L. seine getreue, geistesstarke Lebensgefährtin durch den Tod. Er war schöner Häuslichkeit gewohnt und bedürftig, und verheirathete sich bald wieder mit einer Verwandten seiner verstorbenen Gattin. Aber seine Lebenskraft war erschöpft. Er starb am 5. April 1893. 1895 wurde ihm in Karlsruhe ein Denkmal (von Weltring) errichtet.
Andere haben die Bahn für die neue allgemeine Kunst und Kunstgeschichte in Deutschland gebrochen. Aber Keiner hat wie L. für die Verbreitung des Sinnes für Kunst und Kunstgeschichte in den weitesten Schichten der Gebildeten Deutschlands gewirkt.