Zum Inhalt springen

ADB:Mannheimer, Isaak Noah

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Mannheimer, Isak Noa“ von Adolf Brüll in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 205–207, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mannheimer,_Isaak_Noah&oldid=- (Version vom 28. November 2024, 11:16 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Mannhardt, Wilhelm
Band 20 (1884), S. 205–207 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Isaak Mannheimer in der Wikipedia
Isaak Mannheimer in Wikidata
GND-Nummer 126905142
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|20|205|207|Mannheimer, Isak Noa|Adolf Brüll|ADB:Mannheimer, Isaak Noah}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=126905142}}    

Mannheimer: Isak Noa M., jüdischer Theologe und Kanzelredner, geb. am 17. October 1793 in Kopenhagen, † am 18. März 1865 in Wien. M., Sohn eines jüdischen Vorbeters, erhielt bereits in seinem vierten Lebensjahre Elementarunterricht. Sein Talent entwickelte sich frühzeitig, so daß er, noch im Knabenalter stehend, schon in das Studium des Talmud’s eingeführt werden konnte. Nachdem er in einem Lehrinstitute eine umfassende Vorbildung erlangt hatte, besuchte er seit 1808 das Gymnasium (Kathederschule) und von 1814 an die Universität zu Kopenhagen, an der er mit besonderer Vorliebe das Studium der altklassischen Litteratur und der theologischen Schriftexegese betrieb, währenddem er gleichzeitig mit der rabbinischen Wissenschaft sich bekannt machte. Als mit der Emancipation der Juden in Dänemark (1814) es ihnen zur Pflicht gemacht [206] wurde, für einen katechetischen Religionsunterricht der Jugend zu sorgen, wurde (1816) M. die Leitung und Ertheilung desselben übertragen. Eine Rede, die er bei der ersten öffentlichen Confirmation (1817) hielt, machte einen mächtigen Eindruck und er hielt von nun an in den allwöchentlich am Mittwoch stattfindenden Andachtsstunden religiöse Vorträge in dänischer Sprache, von welchen ein Theil veröffentlicht wurde (1819). Die zerrütteten Verhältnisse der jüdischen Gemeinde in Kopenhagen machten jedoch M. seine Stellung unbehaglich, so daß er sich genöthigt sah, nach einem anderen Wirkungskreise auszuschauen. Einen mehrmonatlichen Urlaub, den er erhalten, benutzte er zu einer Reise nach Deutschland und zwar zunächst nach Berlin (1821), wo er in kurzer Zeit die Kenntniß der deutschen Sprache sich aneignete und in derselben Predigten hielt, die ihm begeisterte Verehrer gewannen. In demselben Jahre predigte er in dem jüdischen Bethause in Wien mit außerordentlichem Erfolge und betheiligte sich während seiner mehrwöchentlichen Anwesenheit daselbst an den Vorarbeiten für die Organisation der noch im Werden begriffen gewesenen dortigen jüdischen Kultusgemeinde. Inzwischen war seine Urlaubszeit abgelaufen und er kehrte wieder nach Kopenhagen zurück, um aber nicht lange hernach die durch Zunz’s Rücktritt vacant gewordene Predigerstelle in Berlin anzunehmen. Da wurde (1823) von der preußischen Regierung den Juden die Abhaltung deutscher Andachtsübungen und Predigten untersagt und M. wurde stellenlos. Er hielt sich nun einige Zeit in Hamburg und nachher in Leipzig auf und hielt in letzterer Stadt während der Meßzeit Predigten, durch die er sich einen klangvollen Namen erwarb. Im J. 1824 erfolgte, zunächst unter dem Titel und in der officiellen Function eines Religionslehrers, seine Berufung als Prediger der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, in welcher Stellung er bis zu seinem Tode verblieb. M. wurde die Seele seiner Gemeinde, der Schöpfer ihrer gottesdienstlichen Institutionen und inneren Einrichtungen, der Begründer und Leiter vieler wohlthätiger Anstalten und verband mit seiner pflichtvollen und vielumfassenden beruflichen Thätigkeit die ausgedehnteste Fürsorge für Nothleidende aller Art, denen er mit fast väterlicher Theilnahme und durch unermüdliche persönliche Verwendung Hilfe zu verschaffen suchte. Seine Wirksamkeit als Kanzelredner ist für das Judenthum geradezu als eine epochale zu bezeichnen. Er führte in Oesterreich zuerst das deutsche Wort in die Synagoge ein, das zur Zeit, als M. nach Wien kam, überhaupt noch selten in einem jüdischen Gotteshause gehört worden war, und entwickelte schon in den ersten Reden, in denen er erst selbst seine Fähigkeit erproben mußte, eine Meisterschaft, die dieselben noch heute als classische Muster auf dem Gebiete der synagogalen Homiletik erscheinen lassen. In dem überströmenden und doch ruhig dahinfließenden Wortreichthum seiner gemüthvollen Predigten vernimmt man das Rauschen mächtig gehobener Begeisterung, die aus dem Quell einer von gewaltiger Empfindung ergriffenen Seele in das Herz seiner Zuhörer sich ergießen will. Sie sind planvoll durchdacht, sorgfältig ausgearbeitet und zugleich auch lebendig durchfühlt, wie aus der prophetischen Eingebung des Moments hervorgegangen. Das Geheimniß ihres Zaubers lag nicht zum geringsten Theile in Mannheimer’s Persönlichkeit, sowol in seinem geadelten geistigen Wesen, das man selbst aus dem gelesenen Worte noch herausfühlt, als in seiner würdevollen, seelisch umhauchten Erscheinung. M. war eine edle Natur und ein purer Charakter, ein geradsinniger, offenherziger Mensch, eine festgefügte Persönlichkeit mit männlich starkem Geiste und kindlich lauterem Herzen. Er war durch sein ganzes imponirendes und dabei äußerst sympathisches Wesen, in welchem mit einem glühenden unbeugsamen Wahrheitssinne eine tiefempfundene, seelenvolle Glaubensinnigkeit und mit einem von heiligem Eifer für die innere Läuterung und Kräftigung der Religion getragenen [207] Freimuthe eine dem tiefsten Zartgefühl und der feinsten poetischen Anempfindung entstammende Pietät für das Sinnige des ererbten Herkommens harmonisch sich vereinten, zum Volkserzieher wie geschaffen. Diese seine hervorragenden persönlichen Eigenschaften, verbunden mit einer natürlichen oratorischen Begabung und mit geschmackvoller Auffassung des Schriftwortes und der religiösen Moral, machten ihn zu einem Prediger, der in seiner Art unerreicht dasteht. Seine Predigten, die zumeist das Gebiet der praktischen Moral und die verschiedenen Charaktere und Anschauungen der Menschen behandeln, die M. mit eindringendem psychologischem Scharfblick zu erfassen weiß, zeichnen sich formell durch ungesuchte und doch gewählte, volksthümlich klare und dabei doch schwungvoll gehobene Sprache, durch Reichthum, Kraft und lieblichen Wohlklang des Ausdrucks, durch künstlerisch vollendeten Aufbau und anziehenden Bilderschmuck aus. Seiner idealen Anschauung gemäß plaidirte M. als Mitglied des im J. 1848 constituirten österreichischen Reichstags in energischer Weise für die Abschaffung der Todesstrafe. In den die Neugestaltung des synagogalen Kultus betreffenden Fragen, die seit der Emancipationsperiode an der Tagesordnung waren, nahm M., der eine Spaltung befürchtete und sich von einer solchen nichts Gutes versprach, einen vermittelnden, der oft zu weit vordringenden Reformbewegung gegenüber, deren Ziele damals auch ihren kundigsten Führern nicht klar vor Augen lagen, sogar einen theoretisch conservativen Standpunkt ein, ohne aber eine Richtung letzterer Art selbst vertreten zu wollen. Von Mannheimer’s litterarischen Leistungen sind besonders die größeren Predigtsammlungen hervorzuheben: „Gottesdienstliche Vorträge, gehalten im Monat Tischri“ (Wien 1834); „Gottesdienstliche Vorträge für die Wochenabschnitte des Jahres“, 1. (einz.) Band (Wien 1835). Zwei Hefte unter diesem Titel wurden aus Mannheimer’s litterarischem Nachlasse von S. Hammerschlag veröffentlicht (Wien 1877).

G. Wolf, Isak Noa Mannheimer, Wien 1863; Ders., Gesch. d. Juden in Wien, 1876, S. 131 ff.; Ders., Zwei interessante Briefe Mannheimer’s in Grätz’s Monatsschrift f. Geschichte u. Wissenschaft d. Judenthums, 1871, S. 276 ff.; Kayserling, Bibliothek jüdischer Kanzelredner, Berlin 1870, I. S. 285–328; Wurzbach, Biographisches Lexikon, Thl. 16, S. 386–391.