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ADB:Marlin, Josef

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Artikel „Marlin, Joseph“ von Friedrich Teutsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 393–395, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marlin,_Josef&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 19:46 Uhr UTC)
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Marlin: Joseph M., Dichter und Schriftsteller, geb. am 27. August 1824 in Mühlbach, ein siebenbürger Sachse, besuchte das evangelische Gymnasium seiner Vaterstadt, dann das in Hermannstadt, das er 1845 absolvirte. Begeistert von Bulwer’s und Walter Scott’s Werken, die er bis zu seinem 14. Jahre alle gelesen hatte, hatte er noch als Gymnasialschüler erklärt, Schriftsteller werden zu wollen, auch vielfach mit Gelegenheitsgedichten, Spottversen, Theaterstücken sich versucht. Vor die Wahl eines Berufes gestellt, hätte er am liebsten sich gleich der Schriftstellerei zugewendet; doch schien solches den besorgten Eltern zu unsicher, die den Sohn nach Wien zu gehen bewogen, dort zunächst [394] Theologie zu studiren und sich für das Lehramt in der Schule vorzubereiten. In Wien trat er, während des Studienjahrs, mit den Oesterr. Blättern für Litteratur und Kunst in Beziehung und veröffentlichte dort eine Abhandlung „Ueber den Ursprung und die Litteratur der walachischen Sprache“. Aus Wien krank nach Hause zurückgekehrt, ging er nach kurzer Erholung nach Pest, wo eine Hauslehrerstelle ihn eine Zeitlang beschäftigte, mehr noch sein Attila, an dem er zu schreiben begonnen hatte. Dem innern Drange folgend, gab er die Hauslehrerstelle bald auf und widmete sich ganz der Schriftstellerei. Aufgewachsen in den engen Verhältnissen seines Vaterlandes, in den fast versteinerten Zuständen, die damals im Osten der österreichischen Monarchie fast durchweg herrschten, in welche eben die neuen Gedanken, die die Welt bewegten, mit zündender Gewalt fielen, waren dem jungen Dichter diese neuen Ideen als glänzendes Evangelium erschienen, das seine ganze Seele füllte. Schon 1847 waren in Hermannstadt seine „Politische Kreuzzüge“ erschienen, ein Bändchen Gedichte, in denen sich der Kampf für die neuen Ideen spiegelte. Im selben Jahre erschien sein „Attila“, ein dreibändiger Roman, – das Honorar von 500 fl. erschien dem Verfasser als Anfang einer gesicherten Existenz – welcher ein großartiges Gemälde der Völkerwanderung und des entnervten Römervolkes entwirft, mit packender Charakteristik des Attila, des Aëtius u. A. Es sind starke Farben, die der Verfasser zum Bilde mischt, eine oft ungezähmte Phantasie, die ein Kind jener Zeit von Sturm und Drang die noch in Gährung befindlichen Kräfte des Verfassers, aber auch glänzende Conzeption und gestaltendes Darstellungstalent zeigt. Lebhaft betheiligte er sich auch als Mitarbeiter an der „Pesther Zeitung“, in die er u. a. die anonym gedruckten „Briefe aus Siebenbürgen“ geschrieben hat. So fanden ihn die Ereignisse des Jahres 1848. Die Errungenschaften der Revolution, besonders die Preßfreiheit, nahmen den jungen, mehr in der Welt der Ideen und in seiner selbst geschaffenen Gedankenwelt lebenden Dichter so gefangen, daß er sich der Revolution zuwandte, in der Pesther Zeitung sogar einen Aufruf an die sächsische Nation veröffentlichte, sie möge dasselbe thun, indem er zugleich in die ungarische Nationalgarde eintrat. Ein erschütternder Conflict mit dem Vater und den eigenen Volksgenossen war die Folge. Das sächsische Volk, durch Vergangenheit, Blut und Neigung zum Kaiserhaus stehend, hielt fest an der ererbten Treue und wies durch die That die Aufforderung zurück, die der Vater Marlin’s selbst in den heimischen Zeitungen bekämpfte. Es gelang dem besorgten Vater den Sohn nach Hause zu bringen, doch die kleinlichen Verhältnisse, der Groll der Mitbürger ließen ihn bald wieder Pest aufsuchen. Da vollzog sich in ihm, mit schmerzlichen inneren Kämpfen, jene Wandlung, die mehr als einer der Zeitgenossen durchgemacht hat; er erkannte, daß viel gleißende Phrase in jener „Freiheitsbewegung“ war, viel Selbstsucht und gar keine Absicht, Alle dieser Freiheit theilhaftig zu machen. Nun wurde es ihm Gewissenssache, sich auch äußerlich von den Insurgenten loszusagen; er ging nach Wien, der kaiserlichen Sache zu dienen. Inzwischen war sein zweiter Roman „Sulamith“ erschienen, mit kühner Conception entworfen, in die ganze Gluth orientalischer Farbenpracht getaucht, und ein Beweis für des Dichters Fähigkeit, Völker und Länder zu verstehen und zu schildern. In Wien betheiligte er sich an der Redaction des „Wanderer“ und sandte zugleich an die in Augsburg erscheinende „Allg. Zeitung“ Berichte über den Gang des Bürgerkrieges in Ungarn. Als Secretär des Generals Welden begab er sich zur Armee, die nach Ungarn zur Besiegung des Aufstandes vorrückte. Da erlag er am 31. Mai 1849 der Cholera, die in wenigen Stunden seinem Leben ein Ende machte. In seinem Nachlaß wurden einige Fragmente, zum Theil vielversprechende, vorgefunden (so ein Drama „Dezebalus“, ein Roman „Hora“), [395] die nicht veröffentlicht worden sind. Dagegen erschienen nach seinem Tode die schon 1848 beendigten „Siebenbürgischen Erzählungen“ (die Gesammtwerke Marlin’s führen den gemeinsamen Titel „Geschichten des Ostens“, I.–VII. Theil, Pesth, Heckenaft 1847–50). Die siebenbürgischen Erzählungen, von denen zwei, „Das einsame Haus“ und „Baba Noak, der Walache“ erschienen, sind insofern von besonderem Werth, als sie ausgesprochenermaßen auch den Zweck haben, „mindestens einigen Antheil an meiner dem deutschen Volke fast gänzlich fremden Heimath zu wecken und ihr Scherflein dazu beitragen, das deutsche Mutterland an die vergessene Tochter in Siebenbürgen zu mahnen“. M. ist, so vergessen und selten gelesen seine Werke heute sind, von typischer Bedeutung. Der erste sächsische Journalist im modernen Sinne des Wortes, der es wagt, von seiner Feder zu leben, ganz erfüllt von den neuen Ideen der Gegenwart, ist er mit Dan. Roth der erste seiner Zeit, der den reichen geschichtlichen Stoff aus Siebenbürgens Vorzeit novellistisch, dramatisch und für den Roman zu verwerthen sucht. Er kennt den Charakter der Völker, die im Lande wohnen, ihre Geschichte, ihre Poesie und Sagen, ihr Fühlen und Denken. Wie die ganze sächsische Dichtung jener Tage ein jugendliches Gepräge an sich trägt, so auch die Poesie Marlin’s. Er ist auch einer der ersten politischen Dichter der Sachsen, der es in jenen aufgeregten Tagen des Sprachenstreites und Nationalitätenhaders nicht verschmähte, die Poesie in den Dienst der brennenden Tagesfragen zu stellen. Nach allem muß man sagen: M. war ein mehr als gewöhnlich begabter Dichter und Schriftsteller, dessen früher Tod hoffnungsvollstem Schaffen ein Ende bereitete. Sein an solchen Männern nicht gerade reiches Volk hat dieses Schicksal am meisten zu bedauern.