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ADB:Meyer, Clemens Friedrich

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Artikel „Meyer, Clemens Friedrich“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 333–337, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyer,_Clemens_Friedrich&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 11:01 Uhr UTC)
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Band 52 (1906), S. 333–337 (Quelle).
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Meyer: Clemens Friedrich M., namhafter Schriftsteller und Journalist, wurde am 15. Mai 1824 zu Arolsen im Fürstenthum Waldeck geboren. Sein Vater besaß daselbst eine Lederfabrik; M. nannte sich mit Rücksicht auf sein Geburtsland Friedrich Meyer von Waldeck, anfänglich bediente er sich des Pseudonyms Friedrich Montan. Nachdem M. den ersten Unterricht in einer Privatschule zu Arolsen erhalten hatte, besuchte er kurze Zeit (1837–1838) das Gymnasium zu Wetzlar. Im Juni 1838 ging M, mit der festen Absicht, Bergwissenschaft zu studiren, auf die polytechnische Schule nach Kassel, blieb daselbst bis 1840 und setzte dann seine Studien in der Clausthaler Bergakademie fort. Ohne jedoch hier den vorgeschriebenen Cursus beendigt zu haben, wandte M. sich nach Berlin. Nach gehöriger Vorbereitung bestand er am Köllnischen Gymnasium die Maturitätsprüfung. Er hatte damals den Wunsch, sich in Preußen die Möglichkeit einer Staatsanstellung zu sichern. Er ließ sich [334] an der Universität Berlin immatriculiren und studirte zuerst ein Jahr Naturwissenschaft und danach Deutsche Sprache und Litteratur; 1845 wurde er zum Dr. phil. promovirt. Sein Vorhaben, sich in Berlin zu habilitiren, konnte er nicht ausführen; der ursprünglich wohlhabende Vater Meyer’s verarmte, und der Sohn, der väterlichen Unterstützung beraubt, sah sich genöthigt, selbständig seinen Lebensunterhalt sich zu erwerben. M. ging ins Ausland und zwar zunächst als Hauslehrer nach Kurland zu einem Baron v. Recke nach Neuenburg; bald jedoch vertauschte er diese Stelle mit der eines Hauslehrers beim Grafem Medem in Alt-Autz. Allein auch hier blieb er nur kurze Zeit. Um sich auch in Rußland die Gelegenheit zum Eintritt in den Staatsdienst zu verschaffen, begab sich M. nach Dorpat und erhielt hier auf Grund einer Prüfung das Zeugniß eines Oberlehrers der Deutschen und Lateinischen Sprache. Dann übernahm er auf kurze Zeit an Stelle eines erkrankten Freundes die Leitung einer Knabenschule in Mitau; doch bald kehrte er wieder nach Dorpat zurück, um seine unterbrochenen wissenschaftlichen Studien wieder aufzunehmen. Er verfaßte hier und gab heraus: „Historische Studien“. I. Theil. „Studien über Deutsche Geschichte, Art und Kunst“ (Leipzig 1851); ferner „Statistik des ethischen Volkzustandes“ (Leipzig 1851). 1851 siedelte M. nach St. Petersburg über, wol ohne zu ahnen, daß sich ihm baldigst hier eine umfangreiche Thätigkeit darbieten würde. Schon im Mai 1852 wurde M. als Chefredacteur der Deutschen St. Petersburger Zeitung angestellt. Damit hatte er – trotz seiner Jugend – eine bedeutungsvolle und einflußreiche Stellung gewonnen. Wenn wir von den deutschen Tagesblättern in den baltischen Ostseeprovinzen absehen, so war damals die in St. Petersburg unter der Verwaltung der Akademie der Wissenschaften stehende Zeitung die einzige, die im ganzen russischen Reiche in deutscher Sprache erschien. Als Redacteur war von 1839 bisher thätig gewesen Dr. H. Schmalz, Sohn des Professors J. L. Schmalz (s. A. D. B. XXXI, Leipzig 1890, S. 621–624). Er hatte es sehr gut verstanden, der Aufgabe der Zeitung, zwischen der russischen und deutschen Bevölkerung Rußlands zu vermitteln, gerecht zu werden. Im April 1852 gab Schmalz die Absicht kund, die Redaction niederzulegen und nach Deutschland zurückzukehren, um die ihm übertragenen väterlichen Güter zu übernehmen. H. Schmalz kehrte nach Ostpreußen zurück, wurde 1854 königlich preußischer Landrath des Kreises Pillkallen und starb 1879 auf seinem Landgute Kussen. Nach dem Abgange Schmalz’ machten am 25. April 1852 die Mitglieder der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften, Böthlingk und Lenz, den Vorschlag, den Dr. phil. Clemens Fr. Meyer zum Redacteur der St. Petersburger Zeitung zu wählen; sie bezeichneten ihn als einen gelehrten, gewissenhaften und wohlgesinnten Mann. Gleichzeitig empfahlen sie, der Zeitung von nun ab eine mehr russische Richtung zu geben, d. h. den deutschen Lesern in und außerhalb Rußlands hauptsächlich das zu melden, was sich unmittelbar auf das russische Reich bezieht. M. sollte eine Probenummer mit einem eingehenden Programm der Zeitung zusammenstellen. M. erfüllte die ihm gestellte Aufgabe und erhielt den Posten. Am 17. Mai 1852 erscheint die erste Nummer unter der Redaction Meyer’s; sie heißt von nun ab „St. Petersburger Zeitung“, nicht wie bisher „St. Petersburgische Zeitung“. Die erste Nummer der Zeitung enthielt das Programm des neuen Redacteurs. Man sollte meinen, daß M. mit dieser umfangreichen Thätigkeit sich begnügen würde; aber seine gewaltige Arbeitskraft gestattete ihm noch andere Beschäftigungen. Bereits im nächsten J. 1853 wurde M. zum Lector der deutschen Sprache an der Universität ernannt und hielt täglich eine Vorlesung; später, 1858, unterrichtete er als Oberlehrer auch an der St. Petri-Kirchenschule.

[335] Allein im Vergleich zu Meyer’s Leistungen als Redacteur der „St. Petersburger Zeitung“ tritt die Lehrthätigkeit Meyer’s doch in den Hintergrund. M. griff seine redactionelle Arbeit mit großer Energie an; er bemühte sich zunächst, seine Leser über das Gebiet der Belletristik, Kunst und Wissenschaft zu orientiren; erst später ging er allmählich – nachdem er sich in die russischen Verhältnisse hineingelebt hatte, auch auf das Gebiet der Politik über; – seine politischen Leitartikel erfreuten sich bald einer großen Anerkennung von Seiten der Leser. Während anfangs die Akademie der Wissenschaften die Zeitung herausgab und M. im Dienste der Akademie die Redaction der Zeitung besorgte, so trat zu Beginn des Jahres 1859 M. selbst als Herausgeber der Zeitung hervor, d. h. er nahm die Zeitung auf sechs Jahre in Pacht (vom 1. Januar 1859–1865). Als dieser Termin abgelaufen war, wurde der Pachtvertrag erneuert mit der Vergünstigung, daß die Zeitung ohne Präventivzeichen erscheinen dürfte, ein Zeichen dessen, daß sich M. das Vertrauen der russischen Regierung erworben hatte. Die nächste Zeit muß als die Blüthezeit des St. Petersburger Blattes gelten: die politischen Verhältnisse, die Kriege von 1866 und 1870 und das Verhalten Meyer’s in seiner Zeitung trugen vor allem dazu bei. Weil aber die baltischen Deutschen sich nicht genug durch die „St. Petersburger Zeitung“ berücksichtigt glaubten, wurde 1870 durch J. Baerens und Röttger eine neue Zeitung unter dem Namen „Nordische Presse“ ins Leben gerufen. Doch konnten beide Blätter neben einander nicht bestehen, – 1874 fand eine Vereinigung der beiden Zeitungen statt unter Meyer’s Leitung, die „Nordische Presse“ ging ein. Aber bald darauf trat M. das Recht der Herausgabe der „St. Petersburger Zeitung“ an J. Baerens ab, während Paul v. Kügelgen die Stelle des Chefredacteurs erhielt. – Es ist selbstverständlich ganz unmöglich, hier eine eingehende Würdigung der umfassenden Thätigkeit Meyer’s als Redacteur der „St. Petersburger Zeitung“ zu geben – ich verweise auf Eichhorn, „Geschichte der St. Petersburger Zeitung, 1727–1902“ (St. Petersburg 1902). Es muß anerkannt werden, daß M. die Zeitung sowohl mit großem Fleiß als auch mit ausgezeichnetem Geschick leitete. Es war gewiß keine geringe Aufgabe, die verschiedenen Strömungen der Leserkreise in gewünschter Weise zu lenken. Die deutsche Zeitung sollte nicht allein zwischen den Deutschen und Russen in Rußland, sondern auch zwischen dem deutschen und russischen Staat vermitteln. Denn damals (1865) begann bereits der Kampf zwischen dem Deutschthum und Russenthum in Rußland. Die Unterdrückung des Deutschthums in den baltischen Provinzen war das Ziel, das von den Russen erstrebt wurde. Die „St. Peterburger Zeitung“ sollte nichts gegen die russische Regierung und deren Maßregeln veröffentlichen, sie sollte gleichzeitig aber auch das Deutschthum schützen. In seinen Erinnerungen („Unter dem russischen Scepter“, Heidelberg 1894) weist M. darauf hin, daß die baltischen Deutschen nicht von aller Schuld freizusprechen sind, insofern, als sie durch ihr Benehmen oft den Haß der Russen herausforderten: „... sie kehrten ihre geistige Ueberlegenheit oft zu deutlich hervor und blickten in nicht liebenswürdiger Form verächtlich auf ihre russischen Staatsgenossen herab“.

Allein M. trat mannhaft für alles Deutsche ein – es sei an seine Thätigkeit bei Gelegenheit der Schillerfeier und Uhlandfeier erinnert; es sei auf seine Haltung in den Leitartikeln während der Jahre 1866 und 1870 hingewiesen. Daß auch außerhalb Rußlands die Thätigkeit Meyer’s bekannt geworden ist, beweist ein kleiner Aufsatz in der „Gartenlaube“ (1865, Nr. 21, S. 226, gez. H. B.) „Ein deutscher Mann in Rußland“. Der Verfasser [336] Heinrich Beta hebt in kräftiger Weise die großen Verdienste Meyer’s um die Erhaltung des Deutschthums in Rußland hervor. –

Es wurde oben schon bemerkt, daß M. als Lector der deutschen Sprache an der Universität und als Oberlehrer der deutschen Sprache an der St. Petri-Kirchenschule thätig war. Es ist nicht ohne Interesse, zu hören, daß ein ehemaliger Schüler Meyer’s (Th. Petzold, „Meine Lehr- und Schuljahre in St. Petersburg,“ 1858–1859; „Baltische Monatsschrift,“ Bd. 58, 1904, S. 302) über den deutschen Unterricht Meyer’s sehr günstig urtheilt.

M. hat sich um die deutsche Colonie in St. Petersburg große Verdienste erworben; er gehörte unzweifelhaft zu den angesehensten Mitgliedern derselben. Als er sich im Mai 1894 von den Lesern der Zeitung verabschiedete, konnte er mit Recht sagen: „Seit 22 Jahren hat der Unterzeichnete in Freud’ und Leid die Begebnisse des Tages berichtet, hat er nach bestem Wissen und Können in den ihm gesteckten Grenzen Wahrheit und Licht und den Sinn für das Rechte und Gute zu verbreiten gesucht. Ein solches Streben in einem solchen Zeitraum konnte nicht vorübergehen, ohne daß sich ein besonderes Verhältniß zwischen dem Leiter dieses Blattes und seinem Leserkreis herausbildete; und dies Verhältniß – ich sage es mit Freude und Stolz und aufrichtigem Dank – war ein in der That beneidenswerthes.“

Am 11. Mai 1874 wurde dem scheidenden Redacteur ein Abschiedsfest gegeben (St. Petersburger Zeitung vom 27. Mai 1874); gleichzeitig wurde zum Andenken an M. im Deutschen Wohlthätigkeitsverein, dessen Vice-Präsident M. gewesen war, eine „Friedr. Meyer-Stiftung“ gegründet.

Als M. sich am 30. Mai von seinen Lesern verabschiedete, um in seine Heimath zurückzukehren, sah man ihn ungern fortziehen – sein Abgang ließ zunächst eine große Lücke zurück.

M. wandte sich zunächst nach Bonn, dann aber nach Heidelberg, wo er sich bald ein Haus kaufte und sich bleibend niederließ. Er habilitirte sich 1880 als Privatdocent für deutsche Sprache und Litteratur, wurde 1885 zum außerordentlichen und etwas später zum ordentlichen Honorar-Professor ernannt. Er hat fleißig seine Vorlesungen gehalten und fleißig auf seinem wissenschaftlichen Gebiet gearbeitet: aus dem einstigen Redacteur war ein stiller Gelehrter geworden. Am 14. November 1893 feierte er sein fünfzigjähriges Schriftstellerjubiläum und im Jahre 1895 sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum.

Am 5. (17.) Mai 1899 ist er dann, nachdem er lange gekränkelt, dahingeschieden. –

M. war ein sehr fleißiger Schriftsteller. Es ist ganz unmöglich, hier ein Verzeichniß aller seiner Schriften zu geben. Seine erste litterarische Leistung ist eine Erzählung, „Der Paria“; sie erschien unter dem Pseudonym Friedr. Montan, andere Erzählungen, Schauspiele, Lustspiele, Gedichte folgten später nach. Einen bedeutenden wissenschaftlichen Werth hat das Werk „Goethes Märchendichtung“ (Heidelberg 1879); es gehört zu den tüchtigsten Monographien der Goethe-Exegese.

Der Aufenthalt Meyer’s in Rußland gab Veranlassung zu verschiedenen Sammelwerken, in denen die deutsche Leserwelt mit den geistigen Erzeugnissen Rußlands bekannt gemacht wird; so entstand das „Magazin für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens in Rußland“, 3 Bände, 1853; „Schneeflocken,“ ein poetisches Jahrbuch Rußlands, 1857–1858; die „Belletristischen Blätter aus Rußland“. Schließlich muß auf das anziehende Buch: „Unter dem russischen Scepter“, aus den Erinnerungen eines deutschen Publicisten (Heidelberg 1894), aufmerksam gemacht werden.

[337] M. war verheirathet; seine Frau Dorothea, die ihren Gatten noch einige Jahre überlebte, war eine Tochter des Medicinal-Inspectors von Kurland, Karl Bursy. Von seinen Kindern ist ein Sohn Arzt in Lissabon, ein anderer Sohn lebt als Maler in Dresden, die Töchter sind in Rußland geblieben, zum Theil verheirathet.