ADB:Munzinger, Werner
bekannten bernischen Staatsmannes und späteren Bundesrathes den 21. April 1832 zu Olten geboren. Nachdem er in Solothurn das Gymnasium absolvirt hatte, bezog er die Universität Bern, ging dann zum Zweck des Studiums orientalischer Sprachen nach München, besuchte 1852 die Schule für lebende morgenländische Sprachen zu Paris und ging im selben Jahre nach Kairo, um sich im Arabischen zu vervollkommnen. Um finanziellen Schwierigkeiten zu begegnen, trat er nach einigen Monaten in ein alexandrinisches Kaufmannshaus ein, welches ihn 1854 als zweiten Chef auf eine Handelsexpedition nach dem Rothen Meere beorderte. Als der erste Chef bald darauf starb, war M. gezwungen behufs Liquidation des Unternehmens sich ein volles Jahr in Massaua und Umgebung aufzuhalten. Hier war es, wo er zuerst jene Vertrautheit mit abessinischen Verhältnissen gewann, welche ihn später befähigte, nicht nur wissenschaftliche Arbeiten von hohem Werthe über die Abessinier und ihre Nachbarvölker zu liefern, sondern sogar ein starkes Gewicht in die Wagschale der Geschicke derselben zu werfen. Er gewann für das Land und Volk der Bogos ein solches Interesse, daß er 1855 in dasselbe übersiedelte. Sein Plan war, mit der Zeit eine Colonie hier zu gründen, er war mit Sämereien, Thieren und Waffen nach Keren gezogen, wo er indessen, um seine Existenz zu sichern, doch auch Handel treiben mußte, welcher ihn öfters nach Massaua, Dschedda und Kairo führte. Sechs Jahre weilte er hier. Politische Aspirationen scheinen ihm aber schon damals nicht fremd geblieben zu sein. Er machte sich Hoffnung, die Verwaltung des Bogoslandes zu erlangen, als 1858 der Tod des Fürsten Alula ihn seines treuesten Beschützers beraubte. Nicht unwillkommen war ihm unter diesen Verhältnissen der von Petermann ergangene Ruf, sich an der deutschen Expedition nach Innerafrika zu betheiligen, welche unter Theodor von Heuglin 1861 nach Abessinien kam, um behufs Aufklärung des Schicksales von Eduard Vogel gegen Wadai vorzudringen. Als er sich im November 1861 von Heuglin getrennt, ging er über Kassala und Damar nach Khartum, mußte aber nach Europa zurückkehren, ohne mehr als unbestimmte Nachrichten über Eduard Vogel erlangt zu haben. Nach Vollendung einiger größeren Arbeiten geographischen, ethnographischen und linguistischen Inhalts, kehrte M. nach Nordabessinien zurück, verwaltete während der Vorspiele und Vorbereitungen des britischen Feldzugs nach Abessinien (1867–68) das britische Consulat zu Massaua und erwarb sich durch vorläufige Wegbestimmungen und Recognoscirungen [51] erhebliche Verdienste um den glücklichen Verlauf dieses Krieges. 1868 übernahm er das französische Consulat in Massaua, welches er bis 1871 führte. Im folgenden Jahre entging er mit knapper Noth einem Mordanfall, der auf einer seiner kleinen Reisen in den nordabessinischen Grenzländern auf ihn gemacht wurde. 1870 bereiste er mit Capitän Miles die südöstlichen Küstenländer Arabiens. Nach der Wegnahme Massaua’s durch die Aegypter übernahm M. die Stelle eines Statthalters des erst erworbenen Küstenstriches, wurde 1872 zum Generalgouverneur des Landes bis Kassala und Taka und zwischen Suakim und Berber ernannt. In den Wirren zwischen Aegypten und Abessinien, welche er nicht am wenigsten mit hatte heraufführen helfen, wurde er am 14. November 1875 in einem Gefecht bei Aussa verwundet und starb am 16. November 1875. Wir haben von M. „Beschreibung der nordöstlichen Grenzländer von Habesch“ und die „Schohor und die Beduân bei Massaua“, beide in der Zeitschr. f. Allg. Erdkunde N. F. 1857 und 1859. „Ueber die Sitten und das Recht der Bogos“, 1859, von J. M. Ziegler herausgegeben. „Ostafrikanische Studien“, 1864. „Die deutsche Expedition in Ostafrika 1861 und 62“, Ergänzungsheft XIII d. Geogr. Mittheilungen, 1864. „Vocabulaire de la langue Tigré“ (1865). „Neue Forschungen in den Gebieten der Beni Amer und Habab“, Geographische Mittheilungen 1872. In allen diesen Werken zeigt sich M. als ein vorzüglich befähigter Beobachter der ethnographischen und politischen Verhältnisse. Doch war er mehr als Forscher. Die Forschung war ihm ein Mittel zum Zweck der thätigsten Einflußnahme auf die Geschicke der Völker, in deren Mitte er lebte. Kein Europäer hat sich daher vor ihm so tief in die Gegenwart und Vergangenheit der Nordabessinier und Südnubier eingelebt und darum machen seine Werke den Eindruck aus diesen Völkern selbst heraus, nicht nur von der äußeren Anschauung her, wie die Schilderungen der meisten Reisenden, geschrieben zu sein. So wenig wie seine wissenschaftliche Tüchtigkeit ist sein administratives Talent und der günstige Einfluß bestritten worden, den er auf die ihm unterstellten Völker geübt hat. Doch hat man in seinem unzweifelhaft übereilten Vorgehen gegen Abessinien den Ausfluß eines maßlosen Ehrgeizes sehen wollen, der sich mit Hilfe Aegyptens zur hohen Stellung eines abessinischen Vicekönigs aufzuschwingen gedachte. In Munzinger’s Stellung, in seiner Kenntniß dieser Völker lag ohne Zweifel etwas, das zu derartigen überfliegenden Plänen verführen konnte. Rohlfs glaubte ihm sogar den Plan zuschreiben zu dürfen, sich zum unabhängigen Herrscher Abessiniens aufzuwerfen. „M. war vollkommen der tigrischen Sprache mächtig, er verstand es, sich der Denkungsweise, den Anschauungen und Sitten der Abessinier durchaus anzubequemen; er war verheirathet mit einer Abessinierin und hatte durch Bekanntschaft und Verwandtschaft mit mächtigen, eingeborenen Familien durchs ganze äthiopische Land enge Beziehungen“ (G. Rohlfs). Wie dem sei, in M. hat die Wissenschaft, die Humanität, und haben Abessiniens Völker gleich viel verloren: einen an Geist und Willen hoch hervorragenden Mann.
Munzinger: Werner M., Afrikareisender, afrikanischer Staatsmann und Orientalist, wurde als jüngster Sohn des- Biographische Skizze in Ziegler’s Vorwort zu Sitten und Recht der Bogos. Nekrolog in Geogr. Mittheilungen 1876. Gerhard Rohlfs, Meine Mission nach Abessinien. 1883.