ADB:Paulitschke, Philipp
[2] über den afrikanischen Continent zu bearbeiten. Als Einleitung gab er einen bibliographischen Versuch „Die Afrika-Litteratur in der Zeit von 1500–1750“ (Wien 1882) heraus, der als nützliches Nachschlagebuch vielen Anklang fand. Allerdings enthält er zahlreiche Lücken, und die Titel der Bücher und Karten sind, soweit sie der Verfasser nicht selbst eingesehen, sondern aus oft unzuverlässigen Quellen abgeschrieben hat, zum Theil fehlerhaft und irreführend. Um dieselbe Zeit bearbeitete er noch für das „Geographische Handbuch zu Andree’s Handatlas“ (Bielefeld und Leipzig 1882) einen Ueberblick über Afrika in commerzieller, politischer und statistischer Hinsicht. Mit Beginn des Wintersemesters 1882 habilitirte er sich an der Wiener Universität als Privatdocent für Geographie. Seine Vorlesungen umfaßten hauptsächlich das Gebiet der Länder- und Völkerkunde Afrikas. Da er noch immer auf eine Gelegenheit hoffte, das Innere des schwarzen Erdtheils näher kennen zu lernen, kam ihm eine Einladung des Gutsbesitzers Dr. Dominik Kammel Edlen v. Hardegger sehr gelegen, der ihn aufforderte, sich als ethnologischer Sachverständiger an einer wissenschaftlichen Expedition nach dem Osthorne Afrikas zu betheiligen. Die Reise sollte von dem Hafen Zeila am Golf von Aden aus in südlicher Richtung nach der Stadt und Landschaft Harâr und dann womöglich weiter in das Gebiet der Galla- und Somalistämme gehen, und neben landeskundlichen und ethnographischen Arbeiten sollten auch Höhenmessungen, meteorologische Beobachtungen, botanische und zoologische Studien und geologische Untersuchungen vorgenommen und Sammlungen aller Art angelegt werden. Um sich möglichst gründlich vorzubereiten, unterzog P. die gesammte ältere Litteratur über die zu besuchenden Gegenden einer eingehenden kritischen Durchsicht. Als Frucht dieser Beschäftigung ließ er noch vor der Abreise eine werthvolle Monographie über „Die geographische Erforschung der Adâl-Länder und Harârs in Ostafrika“ (Leipzig 1884, 2. Auflage ebd. 1888) mit umfangreichen bibliographischen Nachweisen und eine Programmabhandlung „Ueber die Etymologie und Schreibweise einiger geographischer Namen Ostafrikas“ (Wien 1884) erscheinen. Im December 1884 verließen die Reisenden Wien und gelangten durch den Suezcanal und das Rothe Meer nach Zeila, wo sie am 20. Januar 1885 landeten. Leider stellte es sich bald heraus, daß die politischen Zustände weiter im Innern wenig vertrauenerweckend und deshalb auch die Sicherheitsverhältnisse ungünstig waren. Sie mußten sich deshalb begnügen, bis nach Harâr, dem „Timbuktu des Ostens“ vorzudringen und die Umgegend dieser Stadt zu untersuchen. Ein Vorstoß nach Süden führte sie bis zu den Ruinen der altabessinischen Festung Bia Woraba. Weitere Excursionen dagegen erwiesen sich als lebensgefährlich, und so sahen sie sich schließlich genöthigt, ihre größeren Pläne aufzugeben und auf dem nächsten Wege nach der Küste zurückzukehren. Am 21. März trafen sie wieder in Zeila, Mitte April in Wien ein. Ueber den Verlauf der Reise berichtete P. unter Beigabe einer selbstentworfenen Karte in Petermann’s Mittheilungen (1885, S. 369 ff., 460 ff. und Tafel 17). Seine reichen ethnographischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen überwies er später nebst mehreren hundert Photographien dem Wiener Hofmuseum und wurde dafür durch den Titel eines Kaiserlichen Rathes ausgezeichnet. Nachdem er bald nach der Rückkehr im Auftrag der Herder’schen Verlagsbuchhandlung eine gut lesbare, populäre Schrift über „Die Sudân-Länder nach dem gegenwärtigen Stande der Kenntniß“ (Freiburg 1885) verfaßt hatte, begann er mit der Ausarbeitung des gewonnenen wissenschaftlichen Materials an astronomischen, magnetischen und meteorologischen Beobachtungen, topographischen Aufnahmen, statistischen Daten, anthropologischen Messungen und ethnographischen Gegenständen. Im Laufe [3] der Jahre entstanden hauptsächlich auf Grund dieses reichhaltigen Stoffes drei nach Inhalt und Umfang gleichbedeutsame, mit Tafeln, Karten und Abbildungen ausgestattete Werke: „Beiträge zur Ethnographie und Anthropologie der Somâl, Galla und Hararî“ (Leipzig 1886, 2. Ausgabe ebd. 1888), „Harâr. Forschungsreise nach den Somâl- und Galla-Ländern Ost-Afrikas“ (Leipzig 1888) und „Ethnographie Nordost-Afrikas“ (Berlin 1893–96, 2 Bände), durch die er seinen Namen für alle Zeiten mit der Völkerkunde Afrikas verknüpfte. Er hoffte, daß man ihm auf Grund dieser Schriften eine Universitätsprofessur für Ethnographie übertragen würde, doch ging sein Wunsch nicht in Erfüllung. Leider stellte sich als unerwünschte Nachwirkung der Reise allmählich ein langwieriges Leberleiden ein, das ihn trotz vieler Curen nicht wieder verließ. Um ihn etwas von seinem Schuldienst zu entlasten, wurde er 1890 in eine bequeme Stellung an das Staatsgymnasium im 8. Wiener Bezirk versetzt. Da seine Arbeitskraft noch ungebrochen und seine Arbeitslust unbeschränkt war, trat er zwei Jahre später als Volontär bei der anthropologisch-ethnographischen Abtheilung des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums ein. Daneben widmete er auch den Wiener wissenschaftlichen Fachvereinen viel Zeit und Mühe. Namentlich in der Geographischen, sowie in der Anthropologischen Gesellschaft hielt er zahlreiche Vorträge. Die letztere ernannte ihn deshalb zu ihrem ersten Secretär. Allmählich aber begannen mit dem Fortschreiten seiner Krankheit die Kräfte nachzulassen. Mit Aufbietung aller Energie hielt er sich noch einige Jahre aufrecht. Im Frühjahr 1898 vollendete er die französische Uebersetzung eines von ihm aus Afrika mitgebrachten arabischen Werkes, das die kriegerischen Ereignisse in Abessinien während des 16. Jahrhunderts behandelte (Muhammad Ahmad dit Gragne, Futûh el-Hábacha: Des conquêtes faites en Abyssinie au XVIe siècle. Version française de la chronique arabe du Chahâb ad-Dîn Ahmad. Publication commencée par Antoine d’Abbadie, terminée par Philippe Paulitschke. Paris 1898). Aber im Sommer 1899 erfolgte der Zusammenbruch. Im Herbst mußte er sein Schulamt niederlegesn, und am 11. December desselben Jahres rief ihn der Tod mitten im besten Mannesalter aus seiner vielseitigen und ergebnißreichen Thätigkeit. Sein Hinscheiden bedeutete einen schweren Verlust für die Wissenschaft, die noch mancherlei Früchte seines Fleißes von ihm erhoffen durfte. Namentlich auf dem Gebiete der Ethnographie hätte er sicher noch Bedeutendes geleistet, da ihn sein ungewöhnliches Sprachentalent befähigte, neben den wichtigsten europäischen Idiomen auch mehrere orientalische und afrikanische zu bemeistern und für seine Studien dadurch Quellen zu erschließen, die den meisten anderen Forschern verborgen bleiben mußten. Außer den oben erwähnten selbständigen Werken hat er noch eine überaus große Zahl von Aufsätzen vorwiegend ethnographischen Inhalts, sowie von Bücher- und Kartenbesprechungen in deutscher, französischer und italienischer Sprache veröffentlicht. Sie finden sich theils in wissenschaftlichen Zeitschriften, wie den Mittheilungen der K. K. Geographischen und der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, der Oesterreichischen Monatsschrift für den Orient, dem Ausland, dem Globus, Petermann’s Mittheilungen, der Deutschen Rundschau für Geographie und Statistik, den Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe, der Revue coloniale internationale, der Gazette géographique, dem Bulletin de la Société Khediviale de Géographie, dem Bollettino della società geographica italiana und dem Bollettino della società africana d’ Italia, theils in angesehenen Tagesblättern, wie der Neuen Freien Presse, dem Petersburger Herold und anderen.
Paulitschke: Philipp P., Ethnograph und Afrikaforscher, wurde am 25. September 1854 in Czermakowitz bei Mährisch-Kromau als Sohn eines Försters geboren. Nachdem er die Gymnasien in Ungarisch-Hradisch und Laibach besucht hatte, genügte er seiner militärischen Dienstpflicht und studirte dann auf den Universitäten Graz und Wien classische und orientalische Philologie, sowie Geographie und Geschichte. Sein höchster Wunsch war es, den Beruf eines Forschungsreisenden zu ergreifen. Da er aber weder eigene Geldmittel besaß noch vorläufig auf Unterstützung von anderer Seite rechnen konnte, sah er sich 1876 genöthigt, eine Lehrerstelle am Staatsgymnasium in Znaim anzunehmen. Hier unterrichtete er hauptsächlich in den alten Sprachen. Um seinen Reisetrieb wenigstens einigermaßen zu befriedigen, unternahm er während der Ferien ausgedehnte Wanderungen durch Oesterreich-Ungarn, Deutschland, die Niederlande, Frankreich, Spanien und Italien. 1879 erwarb er in Graz den philosophischen Doctortitel. Noch in demselben Jahre veröffentlichte er sein erstes größeres Werk „Die geographische Erforschung des afrikanischen Continents von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage“ (Wien 1879), das von einer ungewöhnlichen Beherrschung und Durchdringung des sehr umfangreichen und zerstreuten Stoffes Zeugniß ablegte und bereits im folgenden Jahre eine vermehrte und verbesserte Auflage erlebte. Im Sommer 1880 benutzte er die Ferien, um von Afrika, dem Lande seiner Sehnsucht, wenigstens ein kleines Stück kennen zu lernen. Er durchreiste Aegypten und Nubien, sammelte zahlreiche ethnographische Gegenstände und übte sich an der Hand von G. Neumayer’s „Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen“ in jenen Fertigkeiten, die einem Forschungsreisenden unentbehrlich sind. Nach der Rückkehr ließ er sich, um den Bildungsmitteln der Hauptstadt näher zu sein, an das Staatsgymnasium in Hernals versetzen. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm der Professortitel verliehen. Da er einen Theil des geographischen Unterrichts übernehmen mußte, wendete er sich mit Eifer dem Gebiete der Schulgeographie zu und veröffentlichte auch einige hierher gehörige populäre Schriften: „Die afrikanischen Neger“ (Wien 1880) in Hölder’s Geographischer Jugend- und Volksbibliothek, und einen „Leitfaden der geographischen Verkehrslehre für Schulen und zum Selbstunterricht“ (Breslau 1881; neue, völlig umgearbeitete Ausgabe ebd. 1892) als Ergänzung zu den vielverbreiteten geographischen Schulbüchern von Seydlitz. Daneben faßte er den später allerdings nicht ausgeführten Plan, eine umfassende wissenschaftliche Monographie- [4] Mittheilungen der K. K. Geographischen Gesellschaft in Wien XLIII, 1900, S. 101–109, mit Bibliographie (Wilhelm Hein). – Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik XXII, 1900, S. 326–328 (mit Bildniß). – Biographisches Jahrbuch IV, 1900, S. 203–204 (W. Wolkenhauer).