ADB:Rauschenplat, Hermann von
Ahrens und Schuster, gleichen Alters mit R., Hannoveraner und Privatdocenten der juristischen Facultät wie er, alle drei bekannt durch ihre Theilnahme an dem Göttinger Aufstande vom Januar 1831. Aber während die letztern die Jugendverirrung durch ihr späteres Wirken und Schaffen sühnten, bleibt für R. die Göttinger Revolution die bemerkenswertheste Thatsache seines Lebens. Ein Conflict mit dem Decan, Hugo, machte seinen und seiner Genossen Namen zum erstenmal bekannter. Die Beanstandung einer von Ahrens verfaßten Abhandlung: de confoederatione germanicarum civitatum durch Hugo rief den Zorn der jungen Hitzköpfe wach, sie protestirten dagegen im „Eremiten“, und wurden infolge dessen und wegen Veranstaltung eines uncensirten Druckes der Schrift im Auslande in akademische Untersuchung gezogen. Ein Martyrium gewiß nicht schwerer Art, aber in Tagen wie jenen ausreichend, um Anhang zu verschaffen. Die Studirenden sammelten sich zu einer Lesegesellschaft um die drei, und mit den unzufriedenen Elementen in der Göttinger Bürgerschaft wie in der von Osterode, die sich theils durch locale Uebelstände, theils durch die politischen Zustände des Landes bedrückt fühlten, wurden Anknüpfungen gewonnen. Als der Aufstand am 8. Januar ausbrach, stand R. mit seinen Adjutanten, größtentheils Angehörigen der Landsmannschaft der Hildesen, deren Mitglied er selbst als Student gewesen war, an der Spitze. Ohne Widerstand zu finden, setzte man den Magistrat und den Polizeicommissar Westphal ab und bildete einen Gemeinderath, aus einer großen Anzahl von Rechtsanwälten, Privatdocenten und Bürgern bestehend, und bewaffnete die Bürgerschaft und die Studenten. R. war Mitglied des Gemeinderaths und der Chef der bewaffneten Macht. Ein Versuch des akademischen Senats, die Studirenden von den Bürgern zu trennen und in eine unter Langenbeck’s (s. A. D. B. XVII, 664) Commando stehende Sicherheitswache zu vereinigen, mißlang durch Rauschenplat’s energische und revolutionäre Rhetorik, der der berühmte Mediciner nicht gewachsen war. Das war aber auch alles: Proclamationen, Reden, Umzüge durch die Stadt, bei denen die [447] akademische Jugend zur Melodie des Marsches aus der Stummen von Portici, der Revolutionsoper, sang: Rauschenplat geh Du voran. Du hast die großen Stiefeln an; die Göttinger wußten in der That mit ihrer siegreichen Revolution nichts anzufangen. Ein bestimmtes Ziel hatte man nicht; das Abzeichen der Aufständischen war die kalenbergische Cocarde roth-grün-lilla. Als der General v. d. Bussche zur Unterwerfung aufforderte, bedrohte R. die Muthlosen mit seinen Waffen und verbreitete unter seinen Anhängern das Gerücht, die Franzosen seien an zwei Stellen über den Rhein gegangen. Am 16. Januar rückte das Heer in die Stadt ein; die akademischen Führer waren größtentheils in der Nacht zuvor entflohen, während die bürgerlichen Häupter verhaftet wurden und ihre Betheiligung durch langjähriges Gefängniß zu büßen hatten. R. ging wie seine Genossen nach Frankreich, hatte er doch schon vor dem Ausbruch der Göttinger Revolution sich mit seinen Collegen an den französischen Gesandten in Cassel mit der Bitte gewandt, da sie durch öffentlichen Protest gegen eine Censurverfügung und durch freisinnige Lehren sich mißliebig gemacht und eine Ausweisung aus Göttingen zu befürchten hätten, ihnen eine Anstellung als Lehrer des Staats- oder Civilrechts in Frankreich zu verschaffen. R. begab sich zunächst nach Straßburg, durchstreifte die Länder Westeuropas, betheiligte sich an dem sog. Savoyerzuge, einem Einfalle von Polen, Italienern und Deutschen, der im Februar 1834 aus dem Genfergebiet versucht wurde, ging im Herbst 1835 nach Barcelona, überall bei Aufständen und Unruhen thätig. Ein Mann der revolutionären That, scheint er nur selten zur Feder gegriffen zu haben. Ref. ist nur eine Schrift von wenigen Seiten unter dem Titel: „Briefe über Frankreich und Deutschland“ bekannt geworden, die nichts weiter als ein Abdruck von vier Artikeln der Neuen Basler Zeitung von 1840 und 1841 sind und die Bestimmung haben, den „Eroberungsprahl“ von 1840 als vereinzelt, die Mehrzahl der Franzosen als frei von allen Rheingelüsten darzustellen. Die Amnestie des J. 1848 verschaffte ihm die Freiheit der Rückkehr ins Vaterland; er kämpfte gegen die republikanischen Freischaaren in Baden, trat in den Polizeidienst des Reichsverwesers und kam etwa 1851 in seine hannoversche Heimath zurück, eine Zeitlang in Hildesheim, dann wieder in seinem Geburtsorte lebend. Hier starb er am 21. Dec. 1868; seine Mutter, die Landräthin von R. dankte öffentlich denen, die ihren „unglücklichen“ Sohn zu Grabe geleitet hatten.
Rauschenplat: Johann Ernst Arminius v. R., geboren am 6. Oct. 1807 in Alfeld, besuchte die Schule in Ilfeld und die Universitäten Berlin und Göttingen. An der letztern promovirte er auf Grund einer Dissertation: de onere probandi in negatoria 1829 und habilitirte sich im Jahre darauf. Um dieselbe Zeit siedelten sich in Göttingen an: die Doctoren- Pütter-Oesterley, Göttinger Gel.-Gesch. IV 361. – G. W. Böhmer, der Aufstand im Kgr. Hannover im J. 1831 S. 13 ff. – Conversationslexikon der Gegenwart IV 1 (1840) S. 1054: Art. Seidensticker. – Oppermann, Herm. Forsch S. 187 ff.; hundert Jahre VI 117; zur Gesch. der Entwicklung u. Thätigkeit der allg. Stände des Kgr. Hannover (1842) S. 167 ff. – Gervinus, Gesch. des 19. Jahrh. VIII 710. – Unger, Göttingen u. die Georgia Augusta S. 110. – Ebers, Richard Lepsius S. 354 (mit unrichtigem Jahres- u. Tagesdatum). – Alfelder Wochenblatt v. 23. und 30. Dec. 1868.