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ADB:Ree, Anton

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Artikel „Rée, Anton“ von Wilhelm Sillem in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 255–258, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ree,_Anton&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 04:43 Uhr UTC)
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Rée: Anton R., Schulmann, geboren in Hamburg am 9. November 1815, † daselbst am 13. Januar 1891, war ein Sohn des jüdischen Kaufmanns B. J. Rée, Hofbankiers des Königs von Dänemark. Die günstigen äußeren Verhältnisse des Vaters erlaubten ihm, für die Erziehung seiner Familie einen Hauslehrer zu halten. R. besuchte die hamburgischen gelehrten Anstalten, das Johanneum und das akademische Gymnasium und bezog mit seinem Hofmeister Ostern 1835 die Universität Kiel, um unter A. H. Ritter (s. A. D. B. XXVIII, 673) Philosophie zu studiren. In Kiel ward er zum Doctor der Philosophie cum laude promovirt. Rée’s Absicht, die akademische Laufbahn zu betreten, konnte aber infolge von großen Vermögensverlusten seines Vaters nicht verwirklicht werden. Er mußte eine Thätigkeit erwählen, durch die er sich seinen Lebensunterhalt erwerben konnte und wurde Lehrer an der israelitischen Freischule von 1815, der er seine ganze Kraft bis an sein Lebensende widmete. Die Gründung dieser Anstalt war 1815 aus einer besonderen Tendenz hervorgegangen: sie sollte ihre jüdischen Schüler in der nach den [256] Freiheitskriegen unter den gebildeten Juden herrschenden vaterländischen Gesinnung erziehen; demnach, wie es in einem Paragraphen der alten Statuten heißt, sollte „ihr hauptsächlichstes Augenmerk sein die Auslöschung aller Eigenthümlichkeiten in Sitten, Sprache und äußerem Verhalten ihrer Schüler“. Eduard Kley (s. A. D. B. XV1, 181) war seit 1817 Leiter dieser zweiclassigen Schule, in der er zuerst eine Art Gottesdienst mit deutschen Gesängen einführte und von dieser Neuerung aus die Reformgemeindes des „neuen israelitischen Tempels“ gründete. Im J. 1848 wurde R. sein Nachfolger, und in dieser Stellung wirkte er sowohl für die Hebung der Freischule als auch gemeinsam mit Gabriel Riesser (s. A. D. B. XXVIII, 586) für die Emancipation der Israeliten. Als Mitglied der im J. 1848 gewählten constituirenden Versammlung zum Entwurf einer neuen Verfassung Hamburgs und als Mitglied der Bürgerschaft hatte R. Gelegenheit für beide Ziele seines Strebens, die Gründung von staatlichen Volksschulen und die sociale und politische Gleichstellung der Israeliten vielfach mit Eifer und Energie einzutreten und seine Pläne darzulegen. Damals war in Hamburg kein Schulzwang und neben Privatschulen, Kirchen- und Stiftsschulen gab es zwar staatliche Armenschulen, aber keine staatlichen Volksschulen. In der constituirenden Versammlung sprach R. im J. 1848 seine Idee über Staat und Schulwesen mit den Worten aus: „Der Staat ist wesentlich nichts anderes als die Offenbarung und Entwicklung der sittlichen Ideen, und mit dem Jahre 1848 muß die Ueberzeugung durchgedrungen sein, daß der Staat auch für die Bildung aller seiner Angehörigen Sorge tragen muß.“ Demgemäß erklärte die genannte Versammlung, daß der Staat für die Bildung der Jugend durch öffentliche Lehranstalten, namentlich durch Volksschulen, die allen Volksclassen gemeinsam sein müßten, zu sorgen habe. Mit dem Abflauen der stürmischen Bewegung von 1848 löste sich auch 1850 die constituirende Versammlung auf; die sogenannte Neunercommission wurde mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung betraut und demnach 1862 die „interimistische Oberschulbehörde“ eingesetzt mit der Aufgabe, den Entwurf eines Unterrichtsgesetzes vorzulegen. Dies erschien am 2. Mai 1864 und gründete sich auf die Unterscheidung der allgemeinen Volksschule, der Mittelschule und der höheren Bürgerschule. Dieser Entwurf bildet die Grundlage für die Entwicklung des hamburgischen Schulwesens. Rée’s Grundsatz, wie er ihn 1866 auch namentlich gegen Schulrath Th. Hoffmann (s. A. D. B. L, 770) ausgesprochen hat, lautete: „Hat der Staat für sich, wie für seine Bürger in seinen Schulen ausschließlich das Interesse, eine möglichst gute Bildung möglichst vielen Kindern zu verschaffen, so muß er, zumal da er dafür keine größeren Kosten hat, allen die gleiche Arena öffnen, sie alle in gleichorganisirte Schulen schicken, deren Lehrziel das der mittleren oder höheren Bürgerschule ist. Das ist die allgemeine Volksschule, wie wir sie verlangen.“ Die bestehenden Schulen seien „Standesschulen“, deren Lehrziele sich nach dem Stande oder vielmehr nach dem Vermögen der Eltern richteten. Um jenes Ziel an der Freischule von 1815, die bald den Namen „Stiftungsschule von 1815“ annahm, zu erreichen, mußte sie auch Christen aufnehmen können und ihr Lehrziel erhöhen. Von 1815 bis 1852 war die von R. geleitete Schule ausschließlich für Juden bestimmt, und zwar nach den Stiftungsgrundsätzen, um „Dienst- und Gewerbsleute“ zu bilden. Dies war freilich nicht zu erreichen, da die Zünfte die Aufnahme jüdischer Lehrlinge den Meistern verboten. Und da 1816 die Schule nur aus zwei Classen bestand, so war das Lehrziel auch nicht der Art, daß etwa christliche Schüler durch dasselbe angezogen werden konnten. Unter Kley und R. hob sich die Schule der Art, daß sie 1851 von 219 Schülern in sechs Classen besucht [257] wurde. 1852 nahm R. zuerst drei christliche Schüler auf, deren Zahl bald zusehends wuchs, indem auch Schüler aus wohlhabenderen christlichen Familien die Stiftungsschule besuchten. Aus der israelitischen Schule war demnach eine „Simultanschule“ geworden. Dagegen erhob nun aus unersichtlichen Gründen der Vorstand der deutsch-israelitischen Gemeinde (es gibt in Hamburg auch eine portugiesisch-israelitische Gemeinde) Einspruch, welcher um so gewichtiger war, als dieser Vorstand eine Art städtischer Behörde war, ohne deren Zustimmung z. B. kein fremder Jude in Hamburg Aufnahme finden konnte, keine jüdische Verwaltung ohne seine Beihülfe einen Hausposten belegen konnte. Der jüdische Schulvorstand fügte sich dem Verbot, fernerhin Christen in die Stiftungsschule aufzunehmen. Merkwürdig genug; denn die meisten Mitglieder des Schulvorstandes schickten ihre Kinder in christliche Schulen. Eine persönliche Feindschaft gegen R. lag der Maßregel des Gemeindevorstandes auch nicht zu Grunde. Denn als R. 1854 einen Ruf an die bekannte Jakobson’sche Schule in Seesen ablehnte, erhöhte der Gemeindevorstand seinen jährlichen Schulbeitrag um 1200 Mk. mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß er sich zu dieser Zahlung verpflichtete, so lange R. an der Schule blieb. Erst 1859 wurde eine weitere Zulassung christlicher Schüler vom Schulvorstande beschlossen. Ein christlicher Schuhmacher hatte nämlich seinen Sohn für die Schule angemeldet. Als ihm die Aufnahme seines Sohnes versagt wurde, machte er geltend, daß er trotz des Verbotes seiner Zunft jüdische Lehrlinge aufgenommen habe; denn seine Zunftgenossen seien intolerant und inhuman. Zum Danke sei nun der Schulvorstand gegen ihn intolerant verfahren. Diese Argumentation schlug bei dem Schulvorstande durch und bestimmte ihn, sich über den Einspruch des Gemeindevorstandes hinwegzusetzen und fortan christliche Schüler aufzunehmen. Ob infolge der Hemmnisse, die der israelitische Gemeindevorstand der Schule bereitete, R. aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten ist, ist ungewiß. Sein Austritt ist aber constatirt, ohne daß der Eintritt in eine christliche Gemeinde folgte. In der allen Kindern ohne Unterschied des Glaubens und des Standes eröffneten Stiftsschule wurde der christlich-lutherische Religionsunterricht von einem Geistlichen am Sonnabend, der jüdische am Sonntage ertheilt. Wie auch in den staatlichen Schulen waren die jüdischen Schüler nicht genöthigt, am Sonnabend zu schreiben. „Es ist auch den orthodoxesten Juden“, schrieb R. hierüber, „nicht verboten, am Sonnabend Unterricht zu nehmen; fast alle Juden, die höhere Schulen besuchen, versäumen denselben am Sonnabend nicht.“ Neben Freischülern wurden auch Schüler gegen ein jährliches Schulgeld aufgenommen, das, je nach dem Vermögen der Eltern, 72 bis 144 Mark betrug, nach Hamburger Verhältnissen, besonders mit Privatschulen desselben Lehrzieles verglichen, ein sehr mäßiges Schulgeld. Der Unterrichtsplan ist jetzt der der 1873 in Hamburg eingeführten Realschule und wird auf die drei Classen der Vorschule und die sechs Classen der eigentlichen Realschule vertheilt. Das bestandene Abgangsexamen berechtigt zum einjährig-freiwilligen Dienst. Im letzten Schuljahre, dessen Abschluß zu Ostern 1890 R. noch erlebt hat, wurde die Stiftungsschule von 732 Schülern besucht, und zwar von 472 Christen, 242 Juden und 18 „Neutralen“, d. h. „meist aus Mischehen entstammenden Kindern, über deren Zugehörigkeit zu einer Kirche [!] die Eltern noch keine definitive Entscheidung getroffen haben.“ Von 29 aus der Prima abgehenden Schülern erhielten 27 die Berechtigung zum einjährigen Dienst. R. genoß das Vertrauen einer großen Zahl seiner Mitbürger und wurde in das Parlament des Norddeutschen Bundes 1867–70 gewählt; den dritten hamburgischen Wahlkreis vertrat er 1881–84 im Reichstage. Selbst seine Gegner [258] stimmten aber mit seinen Anhängern überein in der Hochachtung seines lautern Charakters. Er glaubte an Ideale. Zu diesen gehörte „seine Ueberzeugung von dem Fortschritte der bürgerlichen Gesellschaft auf der Grundlage religiöser und politischer Toleranz und liberaler Anschauungen“. (Hamb. Correspondent 1891, vom 14. Jan., Abendausgabe.) Rée’s Schriften führt das Hamburger Schriftstellerlexikon Bd. 6, S. 181 an; es sind außer dem philosophischen Buche: „Wanderungen eines Zeitgenossen auf dem Gebiete der Ethik“, Bd. 1, 2. Hamburg 1857, XIV und 507 S., 8°, meist Vorträge und durch die Tagesereignisse hervorgerufene Broschüren.

Schlie, Dr. Ant. Rée. Hamburg 1891, 115 S. 8°; besonders: Schulprogramm der Stiftungsschule von 1815. Rée, Geschichtliches über die Schule und ihre Tendenz, 1889/90. Das Schulprogramm 1892/93 von Dränert (Rée’s Nachfolger): Rée im Kampfe um die allgemeine Volksschule.