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ADB:Stohmann, Friedrich

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Artikel „Stohmann, Friedrich“ von Carl Leisewitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 543–546, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stohmann,_Friedrich&oldid=- (Version vom 20. November 2024, 05:34 Uhr UTC)
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Stohmann: Dr. philos. und Dr. med. h. c. Friedrich St., o. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Leipzig, † am 1. November 1897. Geboren am 25. April 1832 zu Bremen, war er der einzige Sohn des Besitzers einer chemischen Fabrik zu Neusalzwerk bei Oeynhausen, wo ihm schon im Knabenalter durch gelegentlichen Einblick in den Fabrikbetrieb ein besonderes Interesse an chemischen Processen sowie zugleich eine Neigung zur Beschäftigung mit der chemischen Technik eingeflößt wurde. Im Vertrauen auf den Fortbestand dieser Neigung hatte ihn sein Vater daher auch schon früh zum einstigen Nachfolger in der Leitung der chemischen Fabrik ausersehen und ließ ihn demgemäß schon im Alter von 16 Jahren an den Aufgaben des Fabrikbetriebes sich betheiligen. Sehr bald gelangte jedoch der angehende Techniker zu der Ueberzeugung, daß ihm dabei nur eine empirische Schulung geboten sei, durch welche er nicht genügend vorbereitet sein würde, um später selbständig und mit Erfolge auf dem Gebiete der chemischen Industrie [544] wirken zu können. War damit sofort auch das Verlangen nach wissenschaftlicher Ausbildung bei ihm geweckt, so suchte er zunächst demselben durch Privatstudien Rechnung zu tragen und sich zugleich auf ein Studium an der Universität vorzubereiten. Im weiteren Verfolge dieses Vorhabens ging er 1851 nach Göttingen, wo es ihm vergönnt war, in Professor Wöhler einen vortrefflichen Lehrer und wohlwollenden Gönner zu finden. Nachdem er hier seine Studien zu vorläufigem Abschluß gebracht hatte, wandte er sich nach England, um als Studirender bei dem College of Chemistry in London einzutreten und dort gleichzeitig aus der weit mehr vorgeschrittenen Entwicklung der chemischen Industrie eine bessere Förderung seiner Ausbildung zu erzielen. Es glückte ihm, schon bald darauf eine Assistentenstelle bei dem Chemiker Professor Graham übernehmen und damit willkommene Gelegenheit zur weiteren Schulung als technischer Chemiker finden zu können. Durch den nach zwei Jahren erfolgten Rücktritt seines Chefs Graham sah er sich veranlaßt, im Herbste 1855 auf das Gebiet der Fabrikpraxis überzugehen und dabei Gelegenheit zur Ausführung von Instructionsreisen zu suchen. Hatte er in dieser Absicht noch verschiedene Institute Englands und Frankreichs besucht, so folgte er endlich im nächsten Jahre dem Drängen seines Vaters, um die Leitung der Fabrik in Neusalzwerk zu übernehmen. Wider Erwarten war jedoch seiner Thätigkeit an dieser Stelle sehr bald ein Ziel gesetzt, da durch die Umwandlung der Fabrik in ein Actienunternehmen so bedeutende geschäftliche Mißerfolge herbeigeführt wurden, daß er sich entschloß, seine Stelle in dem Fabrikbetriebe aufzugeben und auf anderem Gebiete der Chemie eine seinen Fähigkeiten besser entsprechende Aufgabe zu suchen. Er fand solche als Assistent in dem agriculturchemischen Laboratorium in Celle, dessen Dirigent Professor W. Henneberg ihn mit den Aufgaben der Agriculturchemie sehr bald bekannt zu machen wußte. An diesem Institute hatte er, als dasselbe 1857 zur landwirthschaftlichen Versuchsstation erweitert und nach Göttingen verlegt wurde, den erwünschten freien Spielraum zur Entfaltung fruchtbarer Thätigkeit gewonnen. Schon 1858 konnte er sich mit seiner ersten agriculturchemischen Arbeit zur Promotion in Göttingen melden und demnächst theils mit der Vollendung früher begonnener litterarischer Arbeiten sich befassen, theils gemeinsam mit Henneberg an den wichtigen Untersuchungen hinsichtlich der Ernährung der landwirthschaftlichen Nutzthiere mitwirken, worüber in den von Henneberg und ihm herausgegebenen „Beiträgen zur rationellen Fütterung der Wiederkäuer“ berichtet ist.

Im J. 1862 folgte St. einem Rufe nach Braunschweig, wo ihm die Einrichtung und Leitung einer neuen landwirthschaftlich-chemischen Versuchsstation übertragen wurde. Als er dieser Aufgabe entsprochen und drei Jahre lang dort als Dirigent gewirkt hatte, wurde er nach Halle berufen, um daselbst eine Professur für Agriculturchemie, sowie die Leitung der dortigen neu gegründeten landwirthschaftlichen Versuchsstation zu übernehmen. Hatte er hier reiche Gelegenheit, sich als Docent zu bewähren und zugleich als Forscher und Rathgeber im Interesse der Landwirthschaft zu wirken, so fühlte er sich doch durch die mit der Bestimmung der Versuchsstation gestellten Erfordernisse vielfach in der Verfolgung rein wissenschaftlicher Aufgaben behindert und sehnte sich nach einer Befreiung von solcher Abhängigkeit. Früher, als er geahnt haben mochte, sollte ihm willkommene Gelegenheit geboten werden, sich diesen Schranken zu entziehen, denn schon 1871 wurde ihm von der Universität Leipzig der Antrag gestellt, noch in demselben Jahre die Errichtung und Leitung eines landwirthschaftlich-physiologischen Institutes, welches nur der wissenschaftlichen Forschung dienen und ausreichend dotirt werden sollte, in [545] Verbindung mit einer entsprechenden Professur, zu übernehmen. Die ihm damit eröffneten Aussichten bestimmten ihn, sich im Herbst 1871 nach Leipzig zu wenden und dort den ins Auge gefaßten wissenschaftlichen Problemen seine Kräfte zu widmen.

Obwohl seine Thätigkeit auf dem Gebiete der Agriculturchemie hiermit zum Abschluß kam, so umfaßte dieselbe ungeachtet ihrer relativ kurzen Dauer von 15 Jahren jedoch schon eine so bedeutende Summe von Leistungen, daß er als einer der hervorragendsten Vertreter dieser Wissenschaft geschätzt wurde. Seine auf eingehenden Untersuchungen basirten Abhandlungen über Düngungsfragen, über das Absorptionsvermögen des Bodens und die Ernährung der Culturpflanzen, seine Mitwirkung an der Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer, an der Erforschung des thierischen Stoffwechsels wie an der Ermittelung des Nährwerthes der landwirthschaftlichen Futtermittel und seine mit wissenschaftlichen Erfolgen durchgeführten biologischen Studien haben die hohe Bedeutung seiner Wirksamkeit für Agriculturchemie und Landwirthschaft dargethan. Nicht minder wichtig erschienen seine Arbeiten auf dem Gebiete der landwirthschaftlichen Technologie, deren Resultate besonders in seinen Handbüchern der Stärke- und Zuckerfabrikation wie in seiner Schrift über die Molkereiproducte niedergelegt sind. Auch seine Bemühungen hinsichtlich der Ausbildung von Untersuchungsmethoden, welche sich bei biologischen und agriculturchemischen Ermittelungen bewähren sollen, sind mit bestem Erfolge zum Ziele geführt und allgemein geschätzt worden. Außer den damit verbundenen litterarischen Leistungen hat insbesondere noch die Ausarbeitung einer großartig angelegten unter Mitwirkung von Mitarbeitern vollendeten „Encyklopädie der technischen Chemie“ als ein unentbehrlich gewordenes Handbuch Anerkennung gefunden.

Nachdem sich St. in Leipzig eine kurze Frist zur Erledigung der nöthigen Vorbereitungen gegönnt hatte, wandte er sich den neuen Aufgaben zu, welche mit der calorimetrischen Bestimmung des Wärme- bezw. Energiewerthes der organischen Nährstoffe in ihrer specifischen Form, wie der Nährmittel jeglicher Art und der Bestandtheile des thierischen Körpers gestellt waren. Durch sorgfältig geleitete Vorstudien und rationelle Anwendung correcter Untersuchungsmethoden gelangte er bald zur glücklichen Ueberwindung aller damit verknüpften Schwierigkeiten und erzielte auch in dieser Richtung zuverlässige und höchst schätzbare Resultate, mit welchen eine breitere Basis für die Fütterungslehre und neue Stützen für deren rationelle Anwendung gewonnen waren. Aus zahlreichen Schriften, welche im Journal für praktische Chemie sowie in der Zeitschrift für Biologie publicirt sind, erhellt die Gediegenheit wie die Mannichfaltigteit seiner bezüglichen Untersuchungen, die freilich mehrentheils nur in wissenschaftlichen Kreisen volle Anerkennung gefunden haben.

Getreu seinem Princip, eine Förderung wissenschaftlicher Zwecke nach Möglichkeit zu sichern, und dabei bemüht, im Geiste Liebig’s zu arbeiten, haschte er nicht nach äußeren Erfolgen, sondern suchte Befriedigung in der Bedeutung seiner Arbeiten, deren Werth er durch strenge kritische Beurtheilung zu heben wußte. Seine verdienstvollen Leistungen sind übrigens an maßgebenden Stellen vollkommen gewürdigt worden, indem er vorerst seitens der kgl. Landwirthschafts-Gesellschaft zu Celle, desgleichen von der Agricultural Association of Scotland, sowie von verschiedenen landwirthschaftlichen Vereinen zum Ehrenmitgliede ernannt worden war, sodann von der kgl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zum ordentlichen Mitgliede gewählt und von der medicinischen Facultät der Universität in Göttingen zum Dr. med. h. c. promovirt [546] wurde. Außerdem ist ihm noch durch das Curatorium der Liebig-Stiftung an der königl. bayerischen Akademie der Wissenschaften die goldene Medaille für Verdienste um die Landwirthschaft verliehen worden. Durch solche Auszeichnungen konnte weder sein uneigennütziges Streben, noch sein Charakter geändert werden; als bescheidener und schlichter Gelehrter, als ein Mann von aufrichtiger und wohlwollender Gesinnung wurde er in näher wie ferner stehenden Kreisen überall hochgeschätzt und wie eine Zierde des Berufes mit ungetheilter Verehrung gefeiert. Durch seinen nach vorhergegangener Erkrankung an Influenza plötzlich mit einer Herzlähmung herbeigeführten Tod ist daher nicht nur der von ihm gepflegten Wissenschaft eine bewährte Stütze, sondern auch dem Berufsstande ein nachahmenswerther Mitarbeiter und den theilnehmenden Freundeskreisen ein edler, ehrenwerther Charakter geraubt worden.

Vgl. die von Prof. Dr. v. Soxleth und Prof. Tollens ihrem Collegen Fr. Stohmann gewidmeten Nachrufe, erschienen im Journal für Landwirthschaft, Jahrg. 1898, Heft 1 u. 2.