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ADB:Wilbrand, Johann Bernhard

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Artikel „Wilbrand, Johann Bernhard“ von Wilhelm Heß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 520–521, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilbrand,_Johann_Bernhard&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 12:10 Uhr UTC)
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Wilbrand *): Johann Bernhard W. wurde am 8. März 1779 zu Klarholz bei Münster in Westfalen geboren. Seine Eltern waren Leibeigene des Klosters zu Klarholz und bewirthschafteten ein kleines Besitzthum, welches Eigenthum des Klosters war. Seinen ersten Unterricht erhielt W. von seiner älteren Schwester; dann besuchte er die Dorfschule, in welcher er bald alle anderen Schüler überflügelte, so daß der Pastor in Lette, welcher die Schule häufig inspicirte, auf ihn aufmerksam wurde, und, als er seinen Wunsch zu studiren erfuhr, ihn ein Jahr lang in der lateinischen und griechischen Sprache unterrichtete und ihn 1792 nach Münster in eine Vorbereitungsschule sandte. Im folgenden Jahre trat W. in das Gymnasium daselbst ein. Bald verdiente er sich seinen Unterhalt selbst, indem er im Hause des Herrn v. Hülst Hauslehrer wurde. Nachdem er das Gymnasium absolvirt hatte, mußte er nach der damaligen Studieneinrichtung zunächst einen zweijährigen allgemeinen Cursus auf der Universität durchmachen, ehe er sich für ein Fachstudium entschied. Hier fühlte er sich von den Naturwissenschaften, namentlich Botanik und Chemie besonders angezogen. Dennoch entschloß er sich bei seinen beschränkten pecuniären Verhältnissen Theologie zu studiren, widmete jedoch seine freie Zeit dem Studium der Naturwissenschaften. Je mehr er sich in dieselben vertiefte, desto mehr fühlte er sich zu ihnen hingezogen. Die Liebe zu den Naturwissenschaften überwand schließlich seine Bedenken und im Herbst 1801 gab er das Studium der Theologie auf und widmete sich ganz den Naturwissenschaften, indem er die Medicin als Brotstudium hinzunahm. Im J. 1803 erhielt er durch das Wohlwollen der Klostergeistlichkeit den sogenannten Freibrief, welcher ihn von der Leibeigenschaft befreite, wogegen er auf jeden Anspruch auf das von seinen Eltern bewirthschaftete Eigenthum des Klosters verzichten mußte. Nachdem er sich durch Uebernahme einer Hofmeisterstelle etwas Geld erspart hatte, und von seinen Lehrern eine Unterstützung erhielt, bezog er zu seiner weiteren Ausbildung 1805 die Universität Würzburg, woselbst er 1806 die Doctorwürde erwarb. Dann begab er sich nach Paris und hörte die Vorlesungen von Cuvier, Dumeril und Lamarck. Nach Münster zurückgekehrt, hielt er Vorlesungen „über die graduelle Entwickelung der organischen Natur“, in welcher er die gesammte organische Natur nach allen Richtungen hin als Einheit behandelte. Diese Vorträge erschienen später im Druck unter dem Titel: „Darstellungen der gesammten Organisation“ (2 Bde., Gießen 1809 und 1810). Infolge dieser Vorlesungen, welche große Anerkennung fanden, erhielt W. einen Ruf an die Universität Gießen und übernahm dort 1809 die Vorlesungen über Anatomie, Botanik und Zoologie. Im J. 1811 erhielt er von der naturforschenden Gesellschaft zu Haarlem für die beste Preisarbeit über die Classification der Thiere die goldene Medaille. Die Arbeit erschien zuerst in: Natuurk. Verhandl. Mattsch. Haarlem D. 6, 2 (1812) und später in deutscher Sprache: „Ueber die Classification der Thiere“ (Gießen 1815). Sein System ist jedoch ein einseitiger Ausbau des Linné’schen. Es basirt auf der Beschaffenheit der Blutflüssigkeit. Darnach theilt er die Thiere ein in solche mit warmem rothem Blute (Säugethiere und Vögel), mit kaltem rothem Blute (Amphibien, Reptilien und Fische) und mit kalter Lymphe. Die letzteren zerfallen wieder in solche mit weißer Lymphe und einer Spur des Herzens (Insecten und Mollusken), in solche mit rother Lymphe und ohne Herz (Anneliden) und in solche mit weißer Lymphe und ohne Herz (Zoophyten und Eingeweidewürmer). Dieses System ist jedoch, wie erklärlich, bald der Vergessenheit anheimgefallen. Auch ein Pflanzensystem, welches er in seiner Schrift: „Die natürlichen Pflanzenfamilien in ihren gegenseitigen [521] Stellungen, Verzweigungen und Gruppirungen zu einem natürlichen Pflanzensystem“ (Gießen 1834) aufstellte, hat niemals Anwendung gefunden. Durch alle seine zahlreichen Schriften zieht sich die Idee, die Hypothese zu verbannen, was ihn zu sonderbaren Erklärungsversuchen veranlaßte. Auch ersetzte er häufig die exacte Forschung durch philosophische Speculationen. Mit mancher seit langer Zeit anerkannten Lehre befand sich W. in Widerspruch. So leugnet er z. B. in seiner Schrift: „Nähere Prüfung der gewöhnlichen Lehre von der Zirkulation, insbesondere in Hinsicht der Frage, ob das Blut aus dem arteriellen Gefäßsystem ins venöse hinüberströmt?“ (Pierer’s Annalen 1816, Heft 6, S. 724) den Blutkreislauf und stellt sogar in seiner Abhandlung: „Giebt es in der Pflanzenwelt eine wirkliche Geschlechtsverschiedenheit und eine hierauf gegründete wirkliche Befruchtung?“ (Flora 1830, Bd. II, S. 585–99, 601–9) die ganze Theorie der Befruchtung in Abrede. Trotz dieser argen Fehler fanden seine Schriften große Anerkennung, was schon daraus hervorgeht, daß er von zahlreichen gelehrten Gesellschaften zum Mitgliede ernannt wurde, wie er auch als Lehrer eine hervorragende Stellung einnahm. Von seinen übrigen Werken sind noch besonders zu erwähnen: „Handbuch der Botanik“ (2 Bde., Gießen 1819). In Gemeinschaft mit Ritgen: „Gemälde der organischen Natur in ihrer Verbreitung auf der Erde“ (Gießen 1821); „Handbuch der Naturgeschichte des Thierreichs“ (Gießen 1829). Außerdem veröffentlichte er noch zahlreiche kleinere Abhandlungen in den verschiedensten Zeitschriften. W. starb zu Gießen im J. 1846.

Selbstbiographie von Johann Bernhard Wilbrand. Gießen 1831.

[520] *) Zu Bd. XLII, S. 476.