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Ahrenshoop, 1937

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, 1937
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Entstehungsdatum: 1937
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, 1937
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, 1937 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge zum Jahr 1937. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung]. Während seiner religiös-schwärmerischen Zeit nannte Hans Brass sich „Johannes“ und Martha Wegscheider nannte er „Maria“.

Tagebuchauszüge

[1] Mittwoch, den 28. April 1937.

[1]      Nun bin ich schon fast 14 Tage in Ahrenshoop.

[...] [2]      Im Geschäft, der Bunten Stube, geht das Leben langsam an. Es war in diesen Tagen fast immer zu kalt, um etwas dort zu tun, trotzdem habe ich ein wenig gezimmert, um eine bessere Möglichkeit der Auslage zu erreichen. Es ist so schwer, hier Handwerker zu bekommen, man kann nur das Notwendigste machen lassen u. auch hiervon bleibt manches unausgeführt. –

     Fritz ist voller Tätigkeit u. Fröhlichkeit. Er freut sich, daß wir hier sind. Auch die Dorfleute freuen sich, wenn sie mich begrüßen. Das ist alles sehr nett u. schön.

[3] Sonntag, den 6. Juni 1937.

[...] [3]      Die Arbeit im Geschäft ist recht unangenehm; aber in gewisser Beziehung macht sie auch Freude. Auf meine Veranlassung sind Ausstellungsschränke aus Glas angeschafft worden, die zwar teuer waren, die aber ein besseres Herausbringen der Waren ermöglichen u. bestimmt den Umsatz steigern werden. Auch sonst habe ich verschiedene Sachen neu eingerichtet, um die Ware besser ausstellen zu können. Im Laden selbst gebe ich mir Mühe, diejenigen Leute rauszuekeln, die sich seit Jahren an Maria herangemacht haben u. die mit ihrem anmaßenden u. vordringlichen Wesen einen Ton in das Leben bringen, der dem Geschäft überaus abträglich ist. Diese Leute kaufen fast nichts, doch habe ich sie in Verdacht, daß sie stehlen.

[...] [4] Fritz ist dadurch der Rücken gestärkt worden u. er unterstützt mich darin, geht freilich etwas weit. Aber grade dadurch ist es ihm gelungen, ein junges Mädchen, die Jahre lang im Geschäft beschäftigt worden ist u. die der erklärte Liebling Marias war, die aber nichtsdestoweniger seit Jahren gestohlen hat, nun endlich auf frischer Tat zu ertappen u. sie endgültig hinauszubefördern.

[...] [5]      Politisch spitzen sich die Dinge mehr u. mehr zu. Da ist jetzt der Zwischenfall in Spanien gewesen, wo unser Kriegsschiff „Deutschland“ von Fliegerbomben getroffen wurde u. wo daraufhin die Stadt Almeria von unseren Schiffen bombardiert wurde. Im Innern sehen die Dinge immer böser aus. Hier auf dem Lande ist die Stimmung gegen die Regierung viel offenkundiger u. unverhohlener, wie in der Stadt u. man schimpft laut u. ungeniert. Die Rohstoffknappheit wird immer schärfer, – auch unsere Lieferanten können vieles [6] nicht liefern wegen Mangels an Rohstoffen. Mitten in diese Stimmung hinein platzte der Untergang unseres Luftschiffes „Hindenburg“ – [...]

[6] Sonntag, den 20. Juni 1936.

[6]      Heute Nachmittag war ich nicht im Geschäft. Ich bin täglich 10 Stunden an der Kasse, oder dekoriere usw. Es ist eine anstrengende, aufreibende u. recht unangenehme Tätigkeit, bei der man seelisch Hunger leidet.

[...] [6] Bis zum 1. Juni haben wir 1000 Rm. mehr umgesetzt, als im Vorjahre u. auch jetzt im Juni sind die Tageskassen weit höher. Ich glaube nicht, daß sich der Umsatz selbst gesteigert hat, sondern daß eben jetzt alles Geld in die Kasse fließt, während früher diese Beträge in den Taschen der Angestellten blieb. – Meine Gegenwart lohnt sich also offenbar, indessen zittern mir dabei oft die Nerven. Es wird gut gehen, wenn die Ordnung eingehalten wird, d.h. die Geschäftszeit u. die Sonntagsruhe. Das aber ist eben die Gefahr. Ich habe mit Maria in dieser Woche bereits eine Auseinandersetzung gehabt, weil sie abends nach 9 Uhr im Geschäft an Dienstmädchen verkauft hat. Abgesehen davon, daß das ungesetzlich ist, ist das auch die Quelle von Betrügerei, Verlust u. Diebstahl, denn diese Dienstmädchen wissen ganz genau, daß sie in dem schlecht erleuchteten Geschäft stehlen können, was ihnen gefällt. Im vorigen Jahre dehnten sich diese [7] Abendverkäufe oft bis 11 Uhr Abends aus u. was da gestohlen worden ist, sowohl von der Kundschaft wie von Angestellten, das läßt sich garnicht berechnen. Außerdem aber ist Maria dann am nächsten Tage müde u. abgespannt u. sie kann dann das ordentliche Geschäft nicht ordentlich erledigen. Die Folge ist neuer Verlust.

[8] Montag, den 13. September 1937.

[8]      Der Sommer ist vorbei!

     Dieser Betrieb war übermäßig anstrengend – aber sehr lohnend. Vor allem hat Maria zum Glück sehr rasch Einsicht bekommen u. hat sich in allem nach mir gerichtet. Die Geschäftszeiten wurden pünktlich eingehalten u. Sonntags schlossen wir überhaupt, obgleich uns vom Gemeindeamt mitgeteilt wurde, daß wir die polizeiliche Erlaubnis hätten, am Sonntag wie am Wochentage aufzuhalten. Wir verzichteten aber ganz darauf mit Ausnahme von 1 1/2 Stunden des Mittags, wo wir die Zeitungen u. sonstige Kleinigkeiten abgaben. Wir benutzten die Sonntagsruhe, um Bücher u. Rechnungen in Ordnung zu bringen, – u. das hat sich gelohnt. –

     Die Saison war von sehr schönem Wetter begünstigt, besonders im August. Der Besuch der Badegäste war viel höher als sonst, es waren über 3000 Gäste hier. Diese Zahl ist früher noch nie erreicht worden. Dementsprechend war unser Umsatz viel höher als früher; aber das allein kann das gute Geschäft nicht rechtfertigen. Das Geschäft hatte im vorigen Jahre einen Umsatz von nicht ganz 20.000 Rm., während in diesem Jahre jetzt schon mehr als 30.000 Rm. umgesetzt sind. Dazu kommt noch eine kleine Einnahme von etwa 1000 Rm. für den Rest des September u. 600 Rm. Außenstände, die nach u. nach hereinkommen. Der Umsatz wird also in diesem Jahre um 11 bis 12000 Rm. höher sein, – u. das kann nicht allein am höheren Besuch liegen. Es muß eben in früheren Jahren sowohl vom Publikum, wie von Angestellten unerhört gestohlen worden sein u. dem habe ich einen Riegel vorgeschoben durch größte Aufmerksamkeit u. dadurch, daß ich Glasschränke angeschafft habe. Auf diese Weise ist der Umsatz an manchen Sachen, besonders an Cigaretten u. Schokolade, viel niedriger, als im vorigen Jahre; aber die Einnahmen sind viel höher. Dies ist der klarste Beweis, daß früher sehr viel gestohlen worden ist.

     Die sehr teuren Glasschränke sind also rentabel gewesen u. haben sich in einer einzigen Saison bezahlt gemacht. Ich werde im nächsten Jahre noch mehr davon anschaffen. Auch baulich werden einige Veränderungen nötig sein, das Geschäft braucht für manche Artikel mehr Raum, u. einige ganz unrentable Sachen müssen abgestoßen werden.

[...] [9]      Durch die höhere Einnahme des Geschäftes konnten in diesem Jahre endlich alle alten Warenschulden restlos abgedeckt werden. Allerdings ist kaum etwas als Überschuß übrig geblieben, u. das Leben im Winter muß von den Einnahmen bestritten werden, die aus der Zimmervermietung im großen Hause gekommen sind. Diese Einnahmen hätten viel großer sein können, wenn das Frl. Schmidt sich besser darum gekümmert hätte. Leider aber hat sich dieses Mädchen als ein ganz unfähiges, albernes u. vergnügungssüchtiges Ding entpuppt, sodaß wir froh waren, als sie uns am 1. September verließ. Trotzdem reicht das eingenommene Geld für den Winter, wenn nicht unvorhergesehene Dinge eintreten.

     Vor solch unvorhergesehenen Dingen ist man freilich nie sicher

[...] [10] Als bemerkenswertes Ereignis steht mir ein häßliches Flugzeugunglück vor meiner Erinnerung. Der Fliegerhorst Pütnitz hatte sich unseren Küstenstrich dazu ausersehen, Schießübungen zu veranstalten u. täglich donnerten die Flugzeuge über unseren Ort, oft so niedrig, daß man Angst bekam. Eines Abends stürzte eine dreimotorige Maschine im Darss ab, von den 10 Insassen waren 8 Mann tot u. total verbrannt. [11] In diesen Tagen beginnen die Manöver u. man sagt, daß hier in dieser Gegend viel los sein wird, weil die Marine u. die Fliegerei daran beteiligt sein werden.

[11] Mittwoch, den 22. September 1937.

[...] [12]      Das große Manöver zieht seine Kreise bis hierher. Wir sitzen abends bei hermetisch dicht verschlossenen Fenstern, damit kein Lichtschein nach außen dringt, aber sonst merken wir nichts, außer gelegentlichem fernen Kanonendonner u. einigen Patrouillenbooten draußen auf See. Das große Völkermorden wird organisiert.