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Ahrenshoop, August 1943

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, August 1943
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Entstehungsdatum: 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, August 1943
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, August 1943 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom August 1943. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Donnerstag, 5. August 1943.     

[1]      Sonntag Nachmittags machten Prof. Franz Triebsch u. Frau Besuch. Wir saßen auf der Terrasse in ingeregtem Gespräch, natürlich war das Hauptthema die politische Lage u. die Katastrophe von Hamburg. Frau T. ist Hamburgerin, geb. Becker. Durch die Katastrophe ist T. auch sehr berührt, da er sein Vermögen dort angelegt hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, Herrn T. einige bittere Wahrheiten zu sagen über die ehemaligen Deutschnationalen, zu denen er ja auch gehörte u. denen wir die Nazis in der Hauptsache zu verdanken haben. [...]

[1]      Inzwischen hat sich der Ort mehr u. mehr mit Hamburgern angefüllt, lauter Menschen, die alles verloren haben u. die dieses traurige Geschick teilweise mit nur geringer Würde zu tragen wissen. Der Gott dieser Menschen war von je her ihr Bauch, ihr Lebensinhalt war Reichtum u. Wohlleben. Nun ist das über Nacht dahin u. es bleibt nichts übrig als eine leere Fassade. Jetzt schimpfen sie alle auf Hitler – aber früher haben sie ihn gewählt. – Die Stimmung ist fürchterlich. – [...]

[2]      Es gibt seit Hamburg keinen Tabak mehr. Die Leute kommen täglich zu mir, um zu fragen, ob nicht doch etwas gekommen wäre. Auch auf die Kleiderkarten gibt es nichts mehr zu kaufen, jeder Verkauf ist gesperrt. Infolge der Dürre gibt es kaum noch Magermilch. [...]

[3]
Montag, 9. Aug. 1943.     

[...] [3] Lehrer Deutschmann, unser politischer Leiter, ist zurück von einer großen Tagung, auf der die Richtlinien für die nächste Zeit besprochen worden sind. Er hat erklärt, daß Ahrenshoop für evakuierte Berliner ausersehen sei. Für die Bevölkerung sei pro Kopf ein Zimmer zugebilligt. Das kann in unserem Hause ja nett werden, nachdem die Zimmer fast alle ineinander übergehen. Man will Oefen aufstellen, um die nicht heizbaren Räume bewohnbar zu machen. – [...]

[3]
Mittwoch, 11. August 1943.     

[...] [3]      Gestern nachmittag war der kleine Borchers noch einmal bei mir, um Zigaretten zu erbitten. Ich ließ mir etwas von Hmb. erzählen. Als Pionier ist er ja sowohl bei den Rettungsaktionen wie bei der Aufräumung tätig. Seine kurzen Schilderungen sind grauenhaft. Er ist mit dem Motorrad durch die Straßen gefahren, oft über die verkohlten Leichen hinweg. Zerfetzte Menschen, abgerissene Glieder. Es brennt immer noch, besonders die Schiffe im Hafen. [...]

[...] [3]      Bisher hatten wir das Geschäft jeden Montag, Mittwoch, Donnerstag u. Sonnabend von 4 – 7 Uhr für das Publikum geöffnet, von jetzt an wollen wir auch den Donnerstag schließen. [...]

[4]
Sonnabend, 14. Aug. 43.     

[4]      Borchers erzählt mir, daß bis zum vorigen Freitag, – so lange er noch in Hmb. war u. sich als Pionier bei der Aufräumung beteiligen mußte 103.000 Leichen geborgen wurden. Zu dieser Zeit waren aber nur die wichtigsten Stadtteile bearbeitet, unter den Trümmern der übrigen Stadtteile mag noch einmal dieselbe Anzahl liegen. Die Fortschaffung dieser Leichen geschieht auf Lastwagen u. sie werden dann mit Baggern oder Greifern in vorher ausgebaggerte Gruben geworfen, da eine Identifizierung der Leichen völlig unmöglich ist. – Das sind die letzten Früchte menschlich=teuflischer Kultur! [...]

[5]
Mittwoch, 18. Aug. 1943.     

[5]      Ich wachte um 1/2 2 Uhr auf von sehr starkem Motorengeräusch, das von schweren Bombern herrührte, die über uns hinweg flogen. Gegen 3/4 2 Uhr kam Martha zu mir, sie ängstigte sich. Sie will in Richtung Rostock Flakfeuer gesehen u. Detonationen gehört haben. Es mag sein, – ihre Fenster liegen in dieser Richtung, während ich in meinem Zimmer nur das Motorengeräusch hörte. Es müssen viele Hunderte von Flugzeugen gewesen sein, die immer in neuen Wellen anflogen aus Richtung Gjedser. Der Lärm ließ erst nach 1/2 3 Uhr nach. – Heute früh im Rundfunk wurde keinerlei Nachricht darüber bekannt gegeben. Ich fürchte, daß dieser Angriff Berlin gegolten hat. Es war klarer Mondschein u. fast windstill. [...]

[6]
Donnerstag, 26. Aug. 1943.     

[6]      Gestern Nachmittag erhielten wir die Anzeige des Geburt eines kleinen Mädchens Susanne des Ehepaares Arnold u. Barbara Klünder in Althagen. Barbara ist die Tochter von Koch-Gotha, der eine sehr reizende Anzeige gezeichnet hat. Heute habe ich in Gedichtform gratuliert.

     Ferner wurde gestern bekannt, daß Heinr. Himmler zum Innenminister ernannt worden ist. Der bisherige Innenminister Dr. Frick ist Reichsprotektor in Böhmen geworden an Stelle von Neurath, der nun endlich von diesem Amte entbunden worden ist, nachdem er es schon längst nicht mehr führte. – Die Ernennung Himmlers zum Innenminister wirkt überall niederschmetternd. Dieser Mann ist wohl der Meistgehaßteste unter allen Bonzen, selbst die Nazis u. sogar die SS, deren Chef er ist, hassen ihn. Diese Ernennung ist ein Symptom für den Ernst der Lage, man fürchtet Revolten, zu deren Niederschlagung man einen brutalen, rücksichtslosen Menschen braucht, besonders am Vorabend der zu erwartenden Angriffe auf Berlin. [...]