Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Die Sage vom Störtebecker

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Heinrich der Eiserne, oder die Ritterburg im Tannensee Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Ein Sittenspiegel aus Stade, angeblich aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts
[83]
13.
Die Sage vom Störtebecker.
(Nach Mitteilungen vom Herrn D. Möhlmann in Stade und Herrn Pastor Wiedemann in Bargstedt. Vergl. des Herrn Professor Deecke Lübische Geschichten und Sagen. Seite 161.)

Wenn im Munde des Volks Jahrhunderte lang das Andenken an Begebenheiten und Persönlichkeiten fortlebt, so darf daraus mit Recht geschlossen werden, daß sie auf ihre Zeitgenossen einen sehr tiefen Eindruck gemacht haben. Die Schaale derselben wird dann durch die Sage vielfach verändert, aber der Kern der Geschichte bleibt. Eine solche Begebenheit waren die Seeräuber-Züge der s. g. Vitalienbrüder in der Ost- und Westsee zu Ende des 14ten Jahrhunderts; diese sind vergessen, aber von ihren beiden Anführern, Claus Störtebecker und Gödeke Michael, weiß die Sage noch immer zu erzählen.

Als um 1389 die Dänen-Königin Margaretha den König Albrecht von Schweden gefangen hielt, machten sich zu dessen Befreiung die Rostocker und Wismarschen auf und warben ein wildes Volk, das sich Vitalienbrüder nannte, weil man dem Könige Victualien zuführen wollte, das aber bald durch Seeräubereien weit und breit gefürchtet wurde.

[84] Ihre beiden genannten Anführer waren waghalsige Abenteurer, deren damals keineswegs als unehrlich geachtetes Handwerk sie doch zuletzt in die Hände der erbitterten Hamburger brachte, so daß sie als Verbrecher sterben mußten. Aber im Volke lebten sie fort und fort als Seehelden; daher mehrere Gegenden sich um die Ehre streiten, ihr Geburtsort zu sein. Nach Kobbe Gesch. Theil 1. Seite 206 war Störtebecker aus dem Bisthum Verden: sein Schloß stand bei Verden in der Nähe der Halsmühle (Pfannkuche Geschichte des Bisthums Verden. I. S. 214), und seines Schwagers Hofstelle in Dauelsen wird noch gezeigt. Ja, er und Gödeke sollen, wenig glaublich, in den Dom zu Verden jeder 7 Fenster geschenkt haben (eins mit Störtebecker’s Wappen: zwei umgestürzte Becher), zur Büßung von sieben Todsünden; auch eine jährliche Spende von Rocken und Heringen an die Geistlichkeit und die Armen daselbst wird von Störtebecker hergeleitet. Aber die Fischer auf Rügen erzählen: Gödeke Michael sei ein Knecht des Gutes Ruschwitz auf Jasmund, Störtebecker aber aus der Gegend von Barth in Pommern gewesen: in einer Kluft zu Stubbenkammer hätten sie ihr Raubgut verwahrt. In Mecklenburg wird ein alter Burgwall des Gutes Schulenburg bei Sülz an der Reknitz als eine Burg von Störtebeck und Jörte Micheel bezeichnet. Desgleichen sollen sie zu Neustadt in Holstein eine Schanze gehabt haben, und noch 1771 existirte dort der Familienname Störtebecker. Weiter weiß man Vieles von ihnen zu erzählen in Ostfriesland. Nach ihrer Vertreibung aus der Ostsee fanden sie daselbst, wie in Oldenburg und im Groninger Lande, Zuflucht, und standen mit den Einwohnern in lebhaftem Verkehr wegen ihres Raubgutes. Am meisten hielten sie sich auf zu Marienhafe, wo sie an der berühmten Kirche den hohen Thurm zu bauen anfingen, aber nicht vollendeten. Ein ehemals dahin führender Kanal heißt noch jetzt das Störtebeckerstief, und die Sage berichtet: an großen in der Kirchhofsmauer angebrachten eisernen Ringen habe Störtebecker seine Schiffe befestigt. Dieselbe Sage wird von der Kirche zu Holtgaste im Amte Jemgum erzählt, welche jetzt fast eine halbe Stunde von [85] der Ems entfernt liegt. Vor Allem aber ist sein Andenken in Hamburg noch lebendig. Die Schiffergesellschaft daselbst besitzt einen mächtigen Becher, welcher 4 Flaschen faßt und den er in Einem Zuge geleert haben soll. Und eines gleichen Bechers rühmt sich auch Lübeck und Groningen. Natürlich, der deutsche Seeheld mußte auch ein starker Trinker sein. Den reichen Hamburger Kaufherren, und selbst dem Sultan in Konstantinopel soll er manchen Streich gespielt haben. Eine Stunde von Harburg nach Buxtehude zu liegt bei Neugraben ein Sandhügel, der Falkenberg genannt und jetzt mit Tannen bepflanzt, wo er eine Burg gehabt und von da aus die Elbe mit Ketten gesperrt haben soll. Endlich im Jahre 1402 wurde er zwischen Neuwerk und Helgoland durch ein von Flandern kommendes Seeschiff, „die bunte Kuh“, nach tapferer Gegenwehr gefangen genommen, er und M. Gödeke und Wichmann Wichelt mit 70 Genossen. Ein schlauer Hamburger hatte nämlich, wie die Sage geht, das Steuerruder an Störtebecker’s Schiffe durch geschmolzenes Blei unbeweglich gemacht. Man machte ihm hierauf den Proceß, dessen Acten in Hamburg noch vorhanden sein sollen. Als Gefangener zerriß er seine Ketten, und erbot sich, wenn man ihm die Freiheit schenken wolle, den Thurm von St. Petri mit Golde zu decken. Aber umsonst! Mit allen seinen Gefährten wurde er auf dem Grasbrook enthauptet. Aus Liebe zu diesen that er die letzte Bitte, daß Alle, bei denen er nach seiner Enthauptung vorbei liefe, begnadigt werden möchten. Als ihm dieses nun gewährt wurde, und die Seeräuber in Reihe und Glied standen, lief er enthauptet bis zum fünften Mann. Da warf der Henker ihm einen Klotz vor die Füße, daß er fiel und nicht wieder aufkommen konnte.

Kein Wunder, daß dieser volksthümliche Held frühzeitig in Volksliedern besungen wurde. Die ursprünglich plattdeutsche, ohne Zweifel von einem Hamburgischen Meister verfaßte Störtebecker-Ballade ist aber verklungen und nur noch in einzelnen Reminiscenzen vorhanden. Eine hochdeutsche, etwa 1550 verfaßte Ubersetzung davon besitzt Herr D. Möhlmann und hat dieselbe in dem Archiv für [86] Friesisch-westphälische Geschichte, Heft 1, abdrucken lassen: er erklärt sie aber für schlecht und zum Theil unverständlich. Der Schlußvers lautet:

Hamborg, Hamborg! das geb’ ich dir Preiß.
Die Seeräuber werden nun auch so weiß.
Umb Deinetwillen mußten sie sterben.
Deß magstu von Gold eine Krone tragen.
Den Preiß hast Du erworben.

Nachdem Lessing zuerst auf das Lied aufmerksam gemacht, ist es in moderner Bearbeitung in des Knaben Wunderhorn von Arnim und Brentano erschienen. Folgende Strophen, in einem Hamburger Volksblatte mitgetheilt, charakterisiren als Bruchstück das Ganze:

Störtebecker un Gödeke Micheel,
Dat weeren twee Röver to gliken Deel
To Water un nich to Lande;
Bit datt et Gott in Himmel verdroot.
Do mosten se liden groot Schande.

Störtebecker sprook: Altohand!
De Westsee is uns wol bekannt:
Dahin wöll’n wi nu fahren.
De riken Koplüd von Hamburg
Mögt jem ehr Scheep nu wahren.

Nu lepen si wi dull dahin
In ehren bösen Röversinn,
Bit dat man jem kreeg faten
Bie’t Hilgeland in aller Fröh:
Da mussen se’t Haar wol laten.

De bunte Kuh uut Flandern kam,
Dat Roovschipp op de Hören nam
Un stött et wiss in Stücken.
Dat Volk se brogten na Hamborg up,
Da mosten se’n Kopp all missen.


[87]

De Vrone de het Rosenfeld,
Hau’t aff so mangen vilden Held
Den Kopp mit kühlen Moote.
He hadde angeschörte Schoo.
Bit an sien Enkel stunn he in Bloote.

Zur Vergleichung diene noch ein Fragment des Störtebecker-Liedes, wie es die Fischer auf Rügen singen (aus Indigena’s Streifzügen durch das Rügenland. Altona, 1805. S. 147).

Störtebeck und Gödke Michel
Die raubten bei zu lyken Deel
Zu Wasser und zu Lande.
Ein’ stolze Kuh aus Flandern kam
Mit ihren eisern Höhren
Sausend und brausend wol durch das wilde Meer.
Das G’lach wollt sie zerstören.

Heinrich der Eiserne, oder die Ritterburg im Tannensee Nach oben Ein Sittenspiegel aus Stade, angeblich aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts
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