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Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Heinrich der Eiserne, oder die Ritterburg im Tannensee

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Kirchliche Alterthümer der Provinz Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Die Sage vom Störtebecker
[78]
12.
Heinrich der Eiserne, oder die Ritterburg im Tannensee.
Vom Landrath Meyer zu Buxtehude.
(Hannov. Magazin 1841 № 82.)

Am Herzogthum Bremen, und zwar im Gerichtsbezirke Delm, trifft man im Moore bei den in Apensen eingepfarrten Dörfern Revenahe und Cammerbusch, nicht weit von der Bremer Heerstraße, die von Buxtehude nach Zeven führt, eine mit Wasser angefüllte Vertiefung an, die den Namen Dannensee oder Tannensee führt, vermuthlich, weil selbige in alten Zeiten von einem Tannenwalde eingeschlossen gewesen ist, und mitten in diesem s. g. See eine aus dem Wasser hervorragende trockene Stelle. Befragt man die Landleute der dortigen Gegend hierüber, so pflegen sie in ihrer plattdeutschen Mundart zu erwiedern: „da hett de ysern Hinnerk wohnt“, und dann allerlei Sagen von diesem eisernen Heinrich zu erzählen, wie er z. B. von dieser Burg aus seine Räubereien unternommen; wie er, um die Reisenden wegen seiner Abwesenheit von der Burg zu täuschen, seine Rosse mit verkehrten Hufeisen versehen lassen; wie endlich seine Burg zerstört und bis auf den Grund geschleift und er selbst gefangen und in Ketten und Banden weggeführt worden sei, und dergleichen.

In dem eben so lesenswerthen als lehrreichen Aufsatze des diesjährigen hannoverschen Magazins, betitelt: „Monumenta germanica, oder Statistik der im Königreiche Hannover und einigen angrenzenden Ländern vorhandenen heidnischen Denkmäler“ geschieht im 65sten Stücke S. 520 jenes aus dem Wasser hervorragenden Mittelpunktes des Tannensees, als eines der wenigen Ueberbleibsel von Burgruinen im Herzogthume Bremen, ebenfalls Erwähnung und es wird zugleich auch einer Sage des Landvolks gedacht, wonach der eiserne Heinrich bei der Belagerung seiner Burg unter anderen werthvollen Sachen auch einen goldenen Tisch in den Burgsee versenkt haben soll, wobei die Bemerkung gemacht wird, daß die Geschichte nichts von diesem eisernen Manne wisse.

[79] Diese Schlußbemerkung aber bedarf einer Berichtigung, denn sie enthält, mit Erlaubniß zu sagen, eine historische Unrichtigkeit. Allerdings weiß die Geschichte, wenigstens die Specialgeschichte des Herzogthums Bremen, von diesem eisernen Manne; ja sie weiß, daß er vor länger als 500 Jahren wirklich gelebt hat. Wer aber noch länger, als 500 Jahr, in dem Andenken des Landvolks und dessen mündlichen Traditionen fortlebt, von dem läßt sich mit ziemlicher Gewißheit annehmen, daß er sich durch außerordentliche Handlungen ausgezeichnet haben müsse, und es verlohnt sich daher wohl der Mühe, zu untersuchen, wer jener Mann, der im Munde des Volks der eiserne Heinrich genannt wird, gewesen sei.

Freilich, wer die Wolterschen und Rennerschen Chroniken besitzt und den Mushard, Pratje und Kobbe gelesen hat, der wird hierüber nicht lange im Zweifel sein. Da man aber voraussetzen darf, daß manche Leser sich in diesem Falle nicht befinden, so wird es diesen, und besonders den Bremensern, hoffentlich nicht unangenehm sein, wenn Einsender dieses sich die Erlaubniß nimmt, ihnen aus seinen, in den Mußestunden nach und nach gesammelten historischen Notizen und Excerpten über diesen Gegenstand Einiges mitzutheilen, was freilich für die gelehrten Herren Historiker nicht sonderlich viel Neues enthalten mag.

Heinrich der Eiserne war ein bremischer Ritter und hieß eigentlich Heinrich von Borgh oder Borch. Er war Burgmann zu Horneburg und besaß viele Güter im Lande und unter andern auch jene Raub- oder Ritterburg im Tannensee, wovon die Dorfschaften Revenahe und Cammerbusch Vorwerke waren. Er muß in der Mitte des 13ten und in der ersten Hälfte des 14ten Jahrhunderts gelebt haben, denn Mushard führt eine Namensunterschrift von ihm als Zeugen schon in einer Urkunde von 1272 an, und es kann nicht fehlen, daß er in den Jahren 1307 bis 1327 noch gelebt haben muß, weil in diesen Zeitraum die Regierungsperiode des Erzbischofs Jonas fällt, in welcher eben dieser Heinrich von Borch eine sehr thätige Rolle spielt. Im Jahre 1350 scheint er dahingegen nicht mehr gelebt zu [80] haben, denn da tritt bei Mushard schon der Name seines Sohnes Daniel hervor.

Den Beinamen der Eiserne hat er ohne Zweifel deswegen beim Volke davon getragen, weil er unaufhörlich in Kampf und Fehde und auf Streifzügen begriffen war und fast nicht aus seinem Harnisch kam. – Wäre es weiter nichts als dies, so würde sicher kein Mensch davon sprechen und sein Name, gleich denen sonstiger tapferer Ritter aus jenen anarchischen Zeiten des Faustrechts längst bei den Nachkommen im Meere der Vergessenheit versunken sein. Aber gerade der merkwürdige Umstand, daß sich der Name und das Andenken des Mannes seit länger als 500 Jahren bei schlichten Landleuten, die weder Chroniken noch sonstige historische Werke lesen, durch bloße mündliche Tradition von Vater auf Sohn erhalten haben, gerade dieses führt schon auf die Vermuthung, daß die Thaten dieses Mannes von mehr als gewöhnlicher Beschaffenheit gewesen sein müssen, sich weiter erstreckt, tiefere und bleibendere Spuren den Verhältnissen der Menschen eingedrückt haben müssen, als man bei den gewöhnlichen Begebenheiten der Ritterzeit anzutreffen pflegt. Und so ist es auch. Denn wenn auch nur die Hälfte von demjenigen wahr ist, was die Chronikenschreiber von ihm berichten, so muß er allerdings einer der blut- und raubgierigsten Wütheriche gewesen sein, die jemals die Erde getragen hat. Er wird von ihnen als ein Nonnenschänder geschildert, als ein Mensch, dem nichts heilig gewesen, der Klöster zerstört, Mönche und Priester verfolgt und in die Kerker geschleppt, Ortschaften niedergebrannt, viele Menschen durch Feuer und Schwert getödtet und in Wasser und Schnee habe umkommen lassen.

Eine erwünschte Gelegenheit und ein weiteres Feld zur Befriedigung seiner bösen Gelüste eröffnete sich ihm besonders auch in jenen Zeiten, als der durch den Tod Heinrichs des 1sten (von Golthorn) erledigte bremische Erzbischofsstuhl vom Pabste ganz eigenmächtigerweise und ohne sich um das Domcapitel in Bremen, dem doch bei dergleichen Wahlen das Jus eligendi et postulandi zustand, im geringsten zu bekümmern, mit einem entwichenen Erzbischofe [81] von Lund, Namens Jens Grand, der in der bremischen Geschichte unter dem Namen Jonas bekannt ist, wieder besetzt und dieser Mann dem Lande als Erzbischof gleichsam aufgedrungen wurde. Kein Wunder, wenn das ganze Land diesen unberufenen Ankömmling ungern sah und ihn als Landesherrn nicht anerkennen wollte; kein Wunder, wenn derselbe gleich mit Hamburg und Bremen in Streit gerieth; kein Wunder, wenn ein großer Theil des bremischen Adels und unter diesem vorzugsweise auch Heinrich von Borch und sein eben so übel berüchtigter Genosse Otto Schack die Waffen gegen denselben ergriff und diesen Jonas so lange quälte und ängstigte, bis er endlich, von Geldmangel und Kränkungen aller Art niedergedrückt, sich genöthiget sah, auch sein Erzbisthum Bremen mit dem Rücken anzusehen und sich durch die Flucht zu retten.

Gleich beim ersten Einzuge des Erzbischofs Jonas hielt Heinrich von Borch das erzbischöfliche Schloß zu Bremervörde besetzt und weigerte sich, ihm selbiges herauszugeben. Er wich nicht eher, als bis der Erzbischof, mit Hülfe eines benachbarten Fürsten, ihn mit Gewalt der Waffen daraus vertrieb. Als er aber noch immer nicht zu bändigen war, nahm Erzbischof Jonas seine Veste in Horneburg ein, ließ sie (1307) niederbrennen und schleifen und zwang ihn, sich in die ihm allein übrig gebliebene Burg im Tannensee zurückzuziehen. Aber auch dahin folgten ihm die erzbischöflichen Truppen; die Burg wurde erstürmt und der Erde gleich gemacht. Vergebens, so deutet die Sage, waren die erzbischöflichen Soldaten bemüht, seiner Person habhaft zu werden, denn er hatte Mittel und Wege gefunden, aus der Burg zu entwischen. Endlich entdeckte man ihn in einiger Entfernung im Moore hinter einem Torfhaufen versteckt, wo er wohl nicht gesehen wäre, wenn nicht eine Schaar von Kibitzen die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich gezogen hätte, die, wahrscheinlich, weil diese Thiere in dieser Gegend ihre Nester hatten, unaufhörlich und mit großem Geschrei um jene Torfhaufen herflogen. So fiel denn der eiserne Heinrich endlich in die Hände seiner Verfolger, wurde nach Bremervörde gebracht, und da in’s Verließ geworfen. Hier hat er lange [82] gesessen, bis endlich Herzog Johann von Lüneburg ihn auf freien Fuß stellte. Dieser nämlich war Canonicus und Scholaster am Dom zu Bremen und administrirte das Erzstift während der Abwesenheit des Erzbischofs. Er gehörte ebenfalls zu den Feinden desselben, fürchtete dessen Zurückkunft und suchte sich daher inzwischen unter dem bremischen Adel Anhang zu verschaffen, wobei er sein vorzügliches Augenmerk auf den eben so energischen als kühnen und kriegserfahrenen Heinrich von Borch richtete, der noch immer mächtige Verbindungen im Lande besaß und dessen Gut zu Horneburg, selbst noch während seiner Gefangenschaft, durch Hülfe seines Freundes Schack in die Hände seiner Söhne zurückgeliefert war.

Dieser beabsichtigte Zweck wurde auch vollkommen erreicht. Denn wenn gleich der Erzbischof sich durch Vermittelung des Pabstes mit dem Herzoge aussöhnte und in Folge dieser Vereinbarung wirklich auch in das Erzstift zurückkehrte, so wußte ihm doch seine Gegenpartei so viele Hindernisse und Verdrießlichkeiten in den Weg zu legen, daß er sich in sehr kurzer Zeit wieder veranlaßt fand, das Erzstift zum zweiten Male zu verlassen. Er starb im Jahre 1327 zu Avignon.

Das Todesjahr des Heinrich von Borch ist mir nicht bekannt. Seine Familie aber (die übrigens mit einer andern gleiches Namens, welche aus Westphalen herstammt, nicht verwechselt werden darf) ist jetzt längst ausgestorben. Der letzte dieses Geschlechts war Johann von Borch, der um’s Jahr 1500 lebte und dessen Tochter Ilse (oder Margarethe) im Jahre 1520 einen Otto von Düring heirathete, durch welche Verbindung eine Verschmelzung der von Borch’schen Güter mit den von Düring’schen entstanden ist.

Die Delmer Bauern aber sagen nichts als die reine, an der Geschichte wohlbegründete, Wahrheit, wenn sie von dem Tannensee erzählen:

„da hett de ysern Hinnerk wahnt“.

Herr Rector Visbeck zu Bremervörde bemerkt zu vorstehendem Aufsatze: 1. daß der Tannensee in einem tiefen [83] und wilden Moor, genannt Dasdörper Moor, liege; 2. daß der moorige Burggraben neuerlich einen Abzugscanal erhalten habe, wodurch nicht nur der Sandboden des See’s, sondern auch eine Reihe von Pfählen, offenbar zu einer schmalen Brücke gehörig, und auf dem Burgplatze zertrümmerte Balken und Ziegel sichtbar geworden. 3. Daß, nach der Erzählung der Landleute, Hinrich von der Borch seine Ehefrau in einem eisernen Backofen verbrannt habe; auch daß im Burggraben unter Anderem eine goldene Wiege liege, welche alle hundert Jahre in der Johannisnacht zum Vorschein komme. Wer sie aber haben will, darf kein Wort dabei sprechen.

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