Beschreibung des Oberamts Tuttlingen/Kapitel B 14
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In dem anmuthigen, weit geöffneten Faulenbachthal, das auf beiden Seiten von hochaufsteigenden, steilen Waldgehängen begrenzt wird, liegt, umgürtet von Baumgärten, auf der rechten Seite des Faulenbachs, der nicht große, jedoch freundliche und reinliche Ort, an dessen gut unterhaltenen Straßen die meist weiß getünchten, mittelgroßen, ziegelbedachten Bauernwohnungen ziemlich weitläufig hingebaut sind.
Am südlichen Ende des Orts erhebt sich das dem Freiherrn von Widerhold gehörige Schloß, ein ansehnliches, dreistockiges in schönem, modernem Stil errichtetes Gebäude nebst stattlichem Meiereihaus und Ökonomiegebäuden. Das Schloß liegt sehr angenehm im großen von einem Tannenhag umgebenen Garten zwischen üppigen Gruppen von Waldbäumen und Linden, steht auf einem Rost und war mit einem Wassergraben umgeben.
Die im Jahre 1835 vom Staat in höchst einfachem Stil erbaute Kirche hat einen alten Thurm mit stumpfem, vierseitigem Zeltdach, und einem räthselhaften, wahrscheinlich frühromanischen Steinbild (roh gearbeitetes Flachrelief eines Mannes) an der Südseite. Das ebenfalls einfach gehaltene Innere enthält das Bild Martin Luthers und ein kleines altes Kruzifix. Außen an der Westseite der Kirche sind zwei Grabdenkmale angebracht: Der Frau Anna Justina, gebohrne Widerholdin von Weydenhoven, geboren zu Hohentwiel den 9. April Anno 1647, † zu Riedheim 28. Dec. 1710 und des Friderich Maximilian Alexander Widerhold von weidenhoffen, † 13. April 1772.
Im Frühjahr 1878 wurde an der östlichen Langseite der Kirche durch den Freiherrn Karl Friedrich Kuno v. Wiederhold ein Denkstein angebracht: Seinem Großvater Ludwig Carl Dietrich von Wiederhold, geb. 23. Dez. 1715, gest. 15. März 1800, begr. zu Rietheim, und seinem Vater Friedrich Carl Eberhard von Wiederhold, geb. zu Rietheim 9. März 1783, geblieben im Felde 12. Mai 1809.[ER 1]
Von den zwei Glocken auf dem Thurm hat die größere die Umschrift in altgothischen Majuskeln: lucas. marcus. matheus. iohannes. o rex glorie criste veni cum pace. Die andere| Glocke wurde aus einer uralten Glocke, die aus dem Egelsee gezogen worden sein soll, umgegossen und hat die Umschrift: Gegossen von A. Hugger in Rottweil 1864. Gott zur Ehr und den Menschen zum Heil.Ferner befindet sich an der Mauer des an der Kirche gelegenen Friedhofs das hübsche Grabmal des Sebastian Schreier, geb. 18. Februar 1633, gest. 11. Juni 1693.
Die Kirche wurde im Jahre 1842 von der Gemeinde erkauft, welche sie auch zu unterhalten hat.
Auf das frühere Schulhaus wurde im Jahre 1850 ein Stockwerk aufgebaut und zur Pfarrwohnung eingerichtet. Die Unterhaltung hat die Gemeinde. Zum Schul- und Rathhaus dient ein im Jahre 1852 erkauftes Bauernhaus; es enthält neben den Gelassen für den Gemeinderath zwei Lehrzimmer und die Wohnungen beider Lehrer. Zwei Back- und vier Waschhäuser, die Privatleuten gehören, werden öffentlich benützt.
Durch den Ort fährt die Eisenbahn von Rottweil nach Tuttlingen und nördlich am Ort steht das freundliche Bahnhofgebäude „Rietheim“. Überdies berührt die Rottweil-Tuttlinger Landstraße den westlichen Theil des Orts, und eine Vizinalstraße geht nach Dürbheim und weiter auf den Heuberg. Über den Faulenbach führen zwei steinerne und eine hölzerne Brücke, deren Unterhaltung auf der Gemeinde ruht.
Die Markung ist reich an Quellen und der Ort hinlänglich mit gutem Trinkwasser versehen, das von 8 laufenden, 5 Schöpf- und 8 Pumpbrunnen geliefert wird; dieselben sind sämtlich Eigenthum von Privaten. Überdies ist eine Wette im Ort und läuft der Faulenbach an der Ostseite des Dorfes vorüber.
Die Einwohner, von denen gegenwärtig nur eine Person über 80 Jahre zählt, sind ein gesunder Menschenschlag, fleißig, betriebsam und ordnungsliebend; die Haupterwerbsquellen bestehen in Feldbau und Viehzucht, nebenbei arbeiten manche, wie Schuhmacher, Schneider, Leine- und Strumpfweber, für größere Fabrikanten in Tuttlingen. Acht Wirthschaften, worunter eine mit Bierbrauerei, ein Kaufladen und drei Kramläden, eine Mühle mit zwei Mahlgängen, einem Gerbgang und einer Gips- und Hanfreibe sind im Ort vorhanden. Die Vermögensumstände gehören zu den mittleren, der vermöglichste Bürger besitzt 80 M., der Mittelmann 15–20 und die ärmere Klasse 3–4 Morgen Grundeigenthum. Freiherr von Widerhold dagegen besitzt 522 Morgen, darunter etwa 330 Morgen Wald; seine Güter liegen| zerstreut auf der Markung und werden verpachtet; die Waldungen bewirthschaftet der freiherrliche Verwalter. Auf angrenzenden Markungen besitzen die Ortsbürger etwa 80 Morgen. Unterstützung von Seiten der Gemeinde erhalten gegen 20 Personen.Die mittelgroße Gemeindemarkung ist mit Ausnahme der steilen Abhänge gegen das Faulenbachthal ziemlich eben, hat einen mäßig fruchtbaren, etwas leichten und hitzigen Boden, der größtentheils aus den Zersetzungen des weißen, zum Theil auch des braunen Jura und in den Thalebenen aus fruchtbaren Diluvial- und Alluvial-Gebilden besteht. Einige Steinbrüche im weißen Jura, mehrere Lehmgruben und eine stark benützte Kiesgrube sind vorhanden.
Das Klima ist ziemlich mild und erlaubt noch den Anbau von Obst und Gartengewächsen, Frühlingsfröste und kalte Nebel sind häufig, Hagelschlag kam seit 20 Jahren zwei Mal vor.
Die Landwirthschaft wird gut und fleißig betrieben und der Boden, neben den gewöhnlichen Düngungsmitteln, auch noch mit Gips, Asche und Kompost zu verbessern gesucht. Im Gebrauch sind Wendepflüge, eiserne Eggen und Walzen. Zum Anbau kommen die gewöhnlichen Getreidearten und von diesen besonders Dinkel, Haber und Gerste, ferner Kartoffeln, dreiblätteriger Klee, Esparsette, Wickenfutter, Flachs und Hanf; beide letztere werden nur selten verkauft. Von den Getreidefrüchten können über den eigenen Bedarf etwa 300 Scheffel Dinkel, 200 Scheffel Gerste, 150 Scheffel Haber nach außen, größtentheils auf der Tuttlinger Schranne, abgesetzt werden.
Der nicht ausgedehnte Wiesenbau liefert theils mittelmäßiges, theils gutes Futter, das jedoch für den nöthigen Viehstand nicht zureicht, deshalb muß noch Futter von außen bezogen und auch mit Futtersurrogaten nachgeholfen werden. Gartenbau besteht nur für den eigenen Bedarf.
Die mittelmäßige Obstzucht beschäftigt sich hauptsächlich mit Luiken, Fleinern, Jakobiäpfeln, Wadelbirnen, Wasserbirnen, Heubirnen und Zwetschgen. Der Obstertrag wird meist gemostet oder gedörrt und nur in ganz günstigen Jahren kann ein kleiner Theil nach außen verkauft werden. Eine Gemeindebaumschule und ein besonderer Baumwart für die Obstpflege besteht.
Eigentliche Weiden sind nicht vorhanden, dagegen wird die Brach- und Stoppelweide an einen fremden Schäfer, der 200 Stück Bastardschafe auf der Markung laufen läßt, um 300 M.| jährlich verpachtet; von dieser Summe bezieht Freiherr v. Widerhold ein Fünftel. Waldungen besitzt die Gemeinde keine.Die Pferdezucht ist nicht von Bedeutung die Rindviehzucht aber in gutem Zustand, man züchtet eine Kreuzung von Simmenthaler- und Landrace und hat zwei Farren von derselben Race aufgestellt. Für die Haltung der Farren empfängt ein Ortsbürger 124 Gulden jährlich. Mit Vieh wird einiger Handel getrieben.
Die Schweinezucht (halbenglische Race) ist von Bedeutung und erlaubt nicht nur einen namhaften Verkauf von Ferkeln, sondern auch von gemästeten Schweinen.
Die Fischerei im Faulenbach ist ganz unbedeutend, das Fischrecht hat der Freiherr von Widerhold.
Die Bienenzucht wird mit Glück betrieben und ist im Zunehmen begriffen. Wachs und Honig kommt nach außen zum Verkauf.
An öffentlichen Stiftungen ist laut Stiftungsrechnung von 1873/74 ein Kapital von 6327 Gulden 28 kr. vorhanden, dessen Zinsen zur Unterstützung von Ortsarmen verwendet werden.
Von Spuren aus der Vorzeit nennen wir: auf der zwischen Lupbühl und Bulzingen gelegenen Flur „im alten Garten“ stieß man schon auf Gebäudereste, auch führt die „alte Straße“ (Römerstraße) hier vorüber. Eine weitere Römerstraße führte auf der Höhe von Böttingen (O.-A. Spaichingen) her, am Rußberg vorüber und weiter, „in alten Wegen“ genannt, nach Tuttlingen. Eine Stunde östlich vom Ort stand die Burg Alt-Rietheim, von der noch wenige Mauerreste, Graben etc. sichtbar sind; sie ist Eigenthum des Freiherrn v. Widerhold, liegt jedoch schon auf Mühlheimer Markung. Auf dem Rühberg, westlich von Kehlen, stand ein Gebäude, von dem man noch Mauerreste findet. (Über die Bräunlisburg s. u.)
Zu der Gemeinde gehören:
b. Bulzingen. Ein ansehnlicher, in einer Bergbucht wohl geschützt gelegener Weiler, 1/4 Stunde westlich vom Mutterort.
c. Heuchen. Ein unweit des Mutterorts, nordwestlich von demselben, gelegener Hof.
d. Höfle. Der Weiler liegt freundlich, ganz nahe nordöstlich von Rietheim.
e. Kehlen, Hof, 1/4 Stunde nordwestlich vom Ort am Fuße des Zundelbergs gelegen.
| f. Lupbühl. Der Weiler liegt etwas erhöht am Fuße des Berges Steinbühl, 1/8 Stunde südwestlich vom Ort.g. Mühle, unterhalb des Orts am Faulenbach (s. oben).
h. Rußberg. Der Weiler hat eine hohe Lage auf dem Heuberg mit sehr schöner Aussicht an die Alpen, zwischen dem Faulenbachthal und dem Ursenthal; soll zum Theil aus den Steinen der nahe gelegenen Burgen Altrietheim und Bräunlisburg erbaut sein.
i. Schmidten. Ein Weiler, zunächst, östlich vom Ort.
Rietheim erscheint von 786 an durch Schenkungen an’s Kl. St. Gallen, wobei 834 schon die durchs Thal ziehende via publica, 868 die Wiese Chela genannt wird. Der Ort Chelun wird 1116 von Otto von Kirchberg an’s Kl. Allerheiligen übergeben (W. U. B. 1, 341). Von Ortsadeligen werden genannt: Sigeboto de Ritheim 27. Febr. 1100 als Zeuge in einer Urkunde des Gr. Burkard von Nellenburg (also wohl Dienstmann dieses Hauses, wie eine Reihe Adeliger in unserer Gegend) (Mone Anz. 1837, 8); Gerung v. R., Anfang des 12. Jahrh., Razo de Ritheim als Zeuge 1116 (s. o.); Berthold v. R. 1215 (Gerb. St. Blas. 3 S. 123); Konrad von R. 1251 (eb. 3, 125); Hug von R. 1312 (s. Trossingen); (Magdalene v. R., vermählt an Fridr. v. Enzberg, bis 1540).
Rietheim war Bestandtheil der Herrschaft Lupfen (s. Thalheim) und kam mit dieser an Wirtemberg, welches 1455 Burgstall und Maierhof an Jörg Schörer von Spaichingen als Erblehen gab (St. Arch.). 1491 kam es als wirtembergisches Lehen an die Herren von Karpfen (neue Linie); bei deren Aussterben nach dem 30 jährigen Kriege fiel es an Wirtemberg zurück, das nun die karpfischen Lehen der Familie v. Widerhold verkaufte (s. Hausen o. V., mit welchem Rietheim seit 1491 ganz zusammengehört).
Die Forstjurisdiktion hatte Österreich von Hohenberg her (weil Rietheim weder in den fürstenbergischen, noch nellenburgischen oder mühlheimischen Jagdbezirk, noch zur Freipürsch Tuttlingen gehörte). Auch sprach es die hohe und Geleitsjurisdiktion an, welche aber Württemberg, wie auch den Zoll auf dem Rußberg, behauptete (Köhler).
Rietheim hat 1275 einen Pfarrrektor (Kirche zu St. Silvester), von dem aber nicht zu ersehen ist, ob er hier residirt, da er auch noch die Pfarreien Sunthausen und Heidenhofen| besitzt. 1454 scheint es zur Pfarrei Wurmlingen zu gehören; vor der Reformation wurde es von der St. Martinskaplanei zu Tuttlingen versehen, seit circa 1600 aber mit der Pfarrei Hausen o. V. verbunden, von welcher es um 8 fl., 18 Scheffel Dinkel und einige Giltfrüchte aus 10 Höfen (ohne Roß) besorgt wurde (St. Arch.). 1835 wurde die Kirche neu gebaut; sie erhielt einen ständigen Pfarrverweser 12. Febr. 1846.10. Febr. 1633 wurde Rietheim nach der Einnahme von Rottweil durch die Wirtemberger, wahrscheinlich von den Schweden, verbrannt (Gaisser). 22. Aug. 1704 verbrannten die Franzosen 8 Häuser. 1796 hatte der Ort Kriegsschaden (s. Hausen o. V.). 1775 errichtete hier ein Herr Bühl von Stein am Rhein eine Anstalt für Seidespinnerei (vgl. Tuttlingen).
15. Jan. 786 übergibt Ekino eine Hube mit Unfreien und deren Leibeigenen in Rietheim (reot a. d. Ried) und Amalpertiwilare (s. Weilheim) im Gau Piritilos und unter diesem Grafen an’s Kl. St. Gallen (W. Urkb. 1, 29). 1. Okt. 834 übergibt Eccho zwei Äcker in Rietheim ebendahin (eb. 108), ob und unter der via publica gelegen. 21. Juni 868 vertauschen die Priester Amalpert und seine Brüder Güter in Ruo dotale gegen solche auf und an dem Berg Scubilo in derselben Gegend, worunter die Wiesen Maracha und Chela. (W. U. B. 169). Tuta soror Ottonis de Stuzzilingen cum filia sua Adilheit nuncupata et marito nomine Gerungo do Rietheim, quod est situm in pago Bare vocitato, beschenken das Kl. Zwiefalten bei Bussingen (abgeg. bei Ennabeuren) Anf. des 12. Jahrh. (Berth. v. Zwiefalten in Pertz Mon. Germ. SS. X. S. 116). 1275 fatirt der Rektor von der Rietheimer Kirche und seinen andern in Sunthausen und Heidenhofen 50 Pf. 5 Schill. 6 Den. (circa 600 fl.) und zahlt seinen Zehnten für beide Termine (lib. dec.). Um 1380 verkaufen Heinrich, Berthold und Zaisolf von Lupfen eine Gilt in Rietheim an einen Rottweiler Bürger. (Sattl. Top. 344.) Um 1411–1435 besitzt Bruno von Lupfen halb Rietheim; es wird damals von Fürstenberg geschädigt. (S. Thalheim.) 1436 verkauft Bruno von Lupfen und seine Frau Marg. v. Geroldseck das Dorf Rietheim an Heinr. und Rud. von Fridingen. (St. Arch.) 1454 unterschreibt Heinr. Waibel, Pfarrer zu Wurmlingen, das Verzeichnis der in allen Öschen Rietheims gelegenen Güter der Heiligenpflege St. Sylvester zu Rietheim. (St. Aich.). 1509 verkauft Gregor Keim von Tuttlingen einen ewigen Zins von 1 fl. aus 2 Mannsmahd Wiesen an die Heiligenpflege St. Sylvester in Rietheim. (St. Arch.)
Berichtigungen und Nachträge
- ↑ Absatz eingefügt nach Berichtigungen und Nachträge
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