Bundesgerichtshof - Schloss Tegel
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. September 1974 Az. I ZR 99/73 (Kammergericht), Schloß Tegel
Amtliche Leitsätze:
- Können Fotografien eines im Privateigentum stehenden Gebäudes nur angefertigt werden, wenn ein dem Eigentümer des Gebäudes gehörendes Grundstück betreten wird so bedarf es in der Regel zu deren gewerblicher Verbreitung selbst dann einer ausdrücklichen Erlaubnis des Gebäudeeigentümers, wenn dieser das Betreten seines Grundstücks und die Anfertigung von Gebäudeaufnahmen gestattet hat.
- Störer im Sinne des § 1004 BGB ist sowohl derjenige, der die Aufnahmen zu gewerblichen Zwecken anfertigt, ohne hierzu die Erlaubnis des Eigentümers eingeholt zu haben, wie auch derjenige, der die Vervielfältigung und gewerbliche Verbreitung solcher Aufnahmen durchführt.
Die Kl. ist Eigentümerin des Schlosses Tegel, das in einem ihr gehörigen Park liegt und im Jahr 1824 von dem 1841 gestorbenen Baumeister Schinkel in seiner heutigen Form geschaffen worden ist. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz; das Land Berlin gewährt in gewissem Umfang Subventionen für die Unterhaltung und Pflege des Gebäudes, das von der Kl. bewohnt wird.
Gegen ein Entgelt können das Schloß (von außen) und der Park vom Publikum besichtigt werden. An die Besucher verkauft die Kl. Ansichtskarten von dem Schloß.
Die Bekl. betreibt einen Bildverlag. Sie hat einen Bestand von rund 500 Motiven, die praktisch alle kunstgeschichtlich bedeutsamen Objekte Berlins erfassen. Um diesen Bestand zu vervollständigen, ließ sie von einem Fotografen Aufnahmen des Schlosses Tegel anfertigen. Dieser suchte das Grundstück der Kl. auf und fotografierte von dort aus das Schloß, das nach der Feststellung des BerG von der öffentlichen Straße aus nicht gesehen werden kann. Die Bekl. erwarb für 80,— DM von dem Fotografen zwei Aufnahmen des Schlosses Tegel, nahm diese in ihren Sammelbestand auf und verkaufte sie als Ansichtskarten an Einzelhändler.
Die Kl. hat vorgetragen, ihr Eigentumsrecht sei durch unerlaubtes Fotografieren des Schlosses verletzt worden. Es habe sich nicht um Fotos für den Privatgebrauch gehandelt, deren Anfertigung jedermann gestattet werde, sondern um Aufnahmen eines Berufsfotografen zum Zweck der kommerziellen Verwertung. Das Eigentum der Kl. sei dadurch zweckfremd genutzt worden. Außerdem sei, da hinsichtlich des Verkaufs von Ansichtskarten ein Konkurrenzverhältnis vorliege, die Klage auch wegen unlauteren Wettbewerbs und Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb begründet. Der Vertrieb der Postkarten durch die Bekl. sei auch geeignet, den Publikumsverkehr zu erhöhen, was sich für sie als Bewohnerin des Schlosses nachteilig auswirke.
Die Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, fotografische Aufnahmen des Schlosses und Parks von Tegel als Ansichtkarten und Bildkarten, in Bildmappen, Bildkalendern und Prospekten oder in sonstiger Weise zu veröffentlichen und zu vertreiben.
Die Bekl. hat demgegenüber behauptet, der Fotograf habe eine Angestellte der Kl. an der Kasse gefragt, ob er Aufnahmen anfertigen dürfe; dies sei vorbehaltlos bejaht worden. Die Bekl. ist der Auffassung, nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist sei das Schloß als künstlerisches Werk gemeinfrei geworden und es liege im Interesse der Allgemeinheit, daß eine preiswerte Verbreitung der Ansicht erfolge. Die Kl. sei als Eigentümerin eines kulturgeschichtlichen Gebäudes Beschränkungen unterworfen und müsse die Verbreitung der Postkarten und eine etwaige Zunahme des Besucherverkehrs hinnehmen. Ein Eingriff in ihr Eigentum liege nicht vor. Eine unzulässige wettbewerbliche Beeinträchtigung sei nicht gegeben, zumal die Kl. Postkarten an Besucher verkaufe, während die von ihr, der Bekl., vertriebenen Ansichtskarten in anderen Bereichen Berlins angeboten würden.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Kl. ihren Unterlassungsantrag weiterverfolgt. Das Kammergericht hat das Urteil des LG zum Teil abgeändert und die Bekl. verurteilt, es zu unterlassen, fotografische Aufnahmen des Schlosses von Tegel als Ansichtskarten oder in Bildkalendern zu veröffentlichen und zu vertreiben. Wegen der anderen Verbreitungsmöglichkeiten hat es die Berufung mangels Begehungsgefahr zurückgewiesen.
Die Revision der Bekl. wurde zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Das BerG verneint Unterlassungsansprüche der Kl., soweit das Urheberrecht in Betracht komme, weil etwaige Ansprüche durch Ablauf der Schutzfrist erloschen seien. Auf ihr Eigentumsrecht könne sich die Kl. nicht stützen, weil das Fotografieren nicht als beeinträchtigende Einwirkung auf ihr Eigentum anzusehen sei. Denn das Schloß werde als Sache nicht beeinträchtigt und könne in gleicher Weise wie vorher genutzt werden. Es entspreche auch der überwiegenden Meinung in der Literatur, daß das Fotografieren keine Einwirkung im Sinne der §§ 903, 1004 BGB sei, die versagt werden könne. Der gegenteiligen Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahr 1909 (OLGE 20, 402) könne nicht zugestimmt werden, zumal die Begründung im Ergebnisnicht auf Gesichtspunkten des Eigentumsrechts, sondern auf solchen des Wettbewerbsrechts beruhe. Dagegen könne die Kl. Unterlassung aus Gründen des Wettbewerbsrechts verlangen. Die Bekl. handele sittenwidrig, weil sie sich mittelbar durch einen Vertrauensbruch die Aufnahmen zur gewerblichen Verwertung verschafft habe. Denn der Fotograf habe die Aufnahmen hergestellt, ohne die Kl. auf die Absicht der gewerblichen Verwertung hinzuweisen und insoweit um Erlaubnis zu fragen. Die Kl. sei aber als Eigentümerin ohne weiteres berechtigt gewesen, die Besichtigung oder den Zutritt nur unter der Bedingung zu gestatten, daß nicht oder nur zu privaten Zwecken fotografiert werde. Die Besuchern allgemein erteilte Fotografiererlaubnis enthalte nicht die Befugnis, die Aufnahmen zu gewerblichen Zwecken zu verwerten. Vielmehr zeige der Verkauf eigener Postkarten, daß die Kl., um nicht eine Konkurrenz zu fördern, eine solche Verwertung nicht erlaubt habe. Indem sich der Fotograf über diesen erkennbaren Willen der Kl. hinweggesetzt habe, habe er einen Vertrauensbruch begangen, dessen Ausnutzung den Wettbewerb der Bekl. als sittenwidrig erscheinen lasse. Auch die Sozialbindung des Eigentums, die Gewährung von Subventionen und die Stellung unter Denkmalschutz hindere die Kl. nicht, das Fotografieren des Schlosses zu verbieten oder einzuschränken. Insoweit könne die Bekl. sich auch nicht auf § 59 UrhG berufen, wonach Fotografien von Gebäuden an öffentlichen Wegen uneingeschränkt vervielfältigt und verbreitet werden könnten. Denn Schloß Tegel könne von der Straße aus nicht aufgenommen werden, liege auch unbeschadet der Freigabe zur Besichtigung nicht an einem öffentlichen Weg im Sinne des § 59 UrhG.
II.
Die dagegen gerichtete Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die gegen die Annahme unlauteren Wettbewerbs gerichteten Rügen begründet sind, es bestehe zwischen den Parteien kein Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § l UWG, auch könne von einem Vertrauensbruch nicht gesprochen werden, jedenfalls sei die Ausnutzung des angeblichen Vertrauensbruches nicht sittenwidrig. Denn selbst wenn diese Revisionsangriffe zutreffen, muß dem Klageantrag stattgegeben werden, weil die Kl. auf Grund ihres Eigentumsrechts Unterlassung verlangen kann (§§ 903, 1004 BGB).
Dem kann nicht, wie das BerG meint, entgegengehalten werden, das Fotografieren sei keine beeinträchtigende Einwirkung auf das Bauwerk im Sinne der §§ 903, 1004 BGB. Selbst wenn das richtig wäre — der BGH hat diese Frage bisher offen gelassen (BGHZ 44, 288, 293 — Apfelmadonna) — wäre das für die Entscheidung des Streitfalls unerheblich. Denn Gegenstand des Rechtsstreits ist nach dem Klageantrag nicht das Verbot, das Schloß zu fotografieren, sondern fotografische Aufnahmen als Ansichtspostkarten oder in Bildkalendern zu veröffentlichen und zu vertreiben, mithin solche Aufnahmen gewerblich zu verwerten.
Die gewerbliche Nutzung des Eigentums steht unbeschadet der sich aus der Rechtsordnung ergebenden Sozialbindung des Eigentums im Grundsatz dem Eigentümer zu. Läßt sich die Ansicht eines Gebäudes durch den Vertrieb von Ansichtskarten usw. gewerblich auswerten, so liegt es nahe, das Recht solcher Nutzung dem Eigentümer vorzubehalten, der es errichtet hat oder unterhält. Ob dies allgemein zu gelten hat, bedarf hier keiner Entscheidung, mag auch durchaus zweifelhaft sein, da nach g 59 UrhG die Verbreitung — auch die entgeltliche — der Lichtbilder sogar von unter Urheberschutz stehenden Gebäuden zulässig ist, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden.
Liegt ein Gebäude dagegen wie hier auf einem Privatgrundstück und kann es nur fotografiert werden, wenn dieses Grundstück betreten wird, so steht es dem Eigentümer grundsätzlich frei, den Zutritt zu verbieten oder doch nur unter der Bedingung zu gewähren, daß dort nicht fotografiert wird. Der Eigentümer hat somit in einem solchen Fall auf Grund seiner Sachherrschaft die rechtliche und tatsächliche Macht, sich die Möglichkeit, auf seinem Gelände Aufnahmen anzufertigen, ausschließlich vorzubehalten.
Anders kann es zwar liegen, und darauf beruft sich die Revision, wenn die Sozialbindung des Eigentums im Einzelfall Veranlassung gibt, den Eigentümer zu zwingen, auch Dritten solche Aufnahmen zu gestatten. Für den Streitfall hat das BerG aber rechtsfehlerfrei eine solche Verpflichtung der Kl. verneint. Zwar besteht ein allgemeines Interesse, künstlerisch oder sonst bedeutsame Bauten kennenzulernen. Das Schloß Tegel gehört auch zu diesen Bauwerken, was sich aus den zur Erhaltung gezahlten Subventionen der Stadt Berlin und aus der Aufnahme in die Liste der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude ergibt. Dem allgemeinen Interesse kann unter Umständen auch der Vertrieb von Ansichtskarten dienen. Ob solche Karten dabei von derartiger Bedeutung sind, daß der Eigentümer ihre Herstellung und Verbreitung durch Dritte dulden müßte, wenn er diese Aufgabe nicht selbst wahrnimmt, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn die Kl. entspricht diesem öffentlichen Interesse durch den Vertrieb eigener Ansichtskarten. Daß sie dies in unangemessener oder nicht ausreichender Weise tue, ist den Feststellungen des BerG nicht zu entnehmen. Die von der Revision befürwortete Beschränkung des Eigentumsrechts findet daher im übergeordneten Interesse keine Stütze.
Nun ist zwar im Streitfall ein Fotografierverbot nicht ausdrücklich — etwa durch Aushang — erklärt worden. Die Bekl. behauptet sogar, dem Fotografen, von dem sie die fraglichen Aufnahmen erworben habe, sei das Fotografieren ausdrücklich gestattet worden. Selbst wenn dies zutreffen sollte, hätte hieraus jedoch die Bekl. nicht folgern dürfen, die Kl. habe damit auch gestattet, diese Aufnahmen des Schlosses Tegel als Ansichtskarten oder in Bildkalendern zu veröffentlichen und zu verbreiten. Denn die Bekl. hat selbst nicht geltend machen können, der Fotograf habe bei seiner Frage, ob er fotografieren dürfe, zu erkennen gegeben, daß er ein Berufsfotograf sei, der eine gewerbliche Verwertung der Aufnahmen beabsichtige.
Wird aber eine Fotografiererlaubnis in Fällen der vorliegenden Art ohne ausdrückliche Einschränkung auf Aufnahmen für private Zwecke erteilt, ergibt sich eine solche Einschränkung in der Regel stillschweigend daraus, daß es das natürliche Vorrecht des Eigentümers ist, den gewerblichen Nutzen, der aus seinem nur gegen seine Erlaubnis zugänglichen Eigentum gezogen werden kann, für sich zu beanspruchen. Wer Ansichtskarten eines im Privateigentum stehenden Gebäudes, das nicht frei zugänglich ist, gewerblich herstellt und verwertet, macht sich dabei nach natürlicher Betrachtung einen fremden Vermögenswert nutzbar. Er darf — auch ohne ausdrückliches Verbot — nicht damit rechnen, daß der Eigentümer gewillt sei, jedermann eine solche Auswertung ohne Entgelt zu gestatten. Dieser schon vom Kammergericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1909 (a.a.O.) angedeutete Gesichtspunkt mußte sich im Streitfall auch der Bekl. aufdrängen. Auch aus der nach jenem Urteil schon damals, erst recht heute verbreiteten Übung, in Museen, Schlössern, zoologischen Gärten usw. dem Fotografieren, insbesondere zu gewerblichen Zwecken, Schranken zu setzen, mußte für die Bekl. ersichtlich sein, daß sie zu der beanstandeten gewerblichen Auswertung der Aufnahmen der ausdrücklichen Genehmigung der Kl. bedurfte. Daß mit dem üblichen Eintrittsgeld eine solche Sondernutzung abgegolten sein sollte, wie die Revision meint, kann kein Besucher ernstlich annehmen, erst recht nicht ein Berufsfotograf oder ein Postkartenverleger, der diesen Einschränkungen naturgemäß häufig begegnet. Zu Recht geht zudem das BerG davon aus, daß schon der Umstand, daß die Kl. selbst Ansichtskarten vom Schloß verkauft, den Schluß nahelegte, daß sie noch ohne weiteres bereit sein werde, anderen die Herstellung solcher Karten zu ermöglichen, um sich dadurch selbst zu benachteiligen. Diese Erwägung wird nicht dadurch entkräftet, wie die Revision meint, daß die Erlaubnis, das Schloß zu privaten Zwecken zu fotografieren, ebenfalls dem Verkauf von Ansichtskarten abträglich sein kann. Denn der wettbewerbsmäßig betriebene Verkauf von fachmännisch hergestellten Ansichtskarten wird in der Regel eine erheblich spürbarere Beeinträchtigung mit sich bringen, als der durch privates Fotografieren verursachte Ausfall.
Das BerG hat nach alledem zu Recht die Bekl. als Störer im Sinne des § 1004 BGB zur Unterlassung verurteilt.