Bundesverwaltungsgericht - Wegfall des Primogenituradels
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WV Art. 109 Abs. 3; Preuß. AdelsG § 22; Namensänd.-Ges. § 8 (Wegfall des Primogenituradels)
Die in § 22 Abs. 1 des preuß. Gesetzes über die Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen enthaltene namensrechtliche Regelung hält sich im Rahmen des Art. 109 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung.
[OVG Münster = DÖV 1963, 345]
[1] Der Ururgroßvater des Kl., Freiherr von S., wurde 1840 vom König von Preußen in den Grafenstand erhoben nach dem Rechte der Erstgeburt aus adliger Ehe und geknüpft an den Besitz eines Fideikommisses. Auf Grund dieser Verleihung führte der 1943 verstorbene Vater des Kl. den Namen Graf von S. Der im Jahre 1927 geborene Kl. ist sein ältester Sohn und führte zu Lebzeiten seines Vaters den Namen Freiherr S. von der J. Nach dem Tode seines Vaters nannte sich der Kl. Graf von S. Der Kl. ist 1944 als Graf von S. in die Wehrmacht eingetreten. Sein Geburtsschein sowie andere behördliche Papiere wurden auf diesen Namen umgeschrieben; er heiratete 1956 auch unter diesem Namen. Mit dem angefochtenen Bescheid stellte der Bekl. den Familiennamen des Kl. mit „Freiherr S. von der J.“ fest. Die dagegen erhobene Klage mit dem Antrag, den Bekl. zur Feststellung des Familiennamens Graf S. zu verpflichten, blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.
[2] Art. 109 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383) – WV – lautet: „Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden.“
[3] Während Art. 109 Abs. 3 Satz 1 die Aufhebung der Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes dem Gesetzgeber überläßt und nur Richtlinien enthält (vgl. RGZ 103 S. 190), greift Art. 109 Abs. 3 Satz 2 erster HS unmittelbar in das Recht der Namensführung ein und enthält im 2. HS ein ebenfalls unmittelbar wirksames Verbot. Die Tendenz dieser gemäß Art. 123 GG als einfaches Bundesrecht weitergeltenden Bestimmung der Weimarer Verfassung (vgl. BVerwGE 9, 323) ist eindeutig auf die Beseitigung aller adelsrechtlichen Privilegien gerichtet und läßt die beim Inkrafttreten der WV geführten Adelsbezeichnungen lediglich noch als Bestandteil des bürgerlich-rechtlichen Namens fortbestehen.
[4] Der Vater des Kl. führte bei dessen Geburt im Jahre 1927 den Namen Graf von S. Die Führung dieses Namens mit der Adelsbezeichnung „Graf“ durch den Vater des Kl. entsprach der in der Familie des Kl. nur in der Primogenitur aus adliger Ehe bestehenden Vererblichkeit des Grafenstandes und stellte sich gegenüber allen übrigen Angehörigen der Familie als eine bevorrechtigte Sonderstellung dar. Da Art. 109 Abs. 3 Satz 1 WV auf die Abschaffung derartiger Vorrechte gerichtet ist, ließ sich die Weiterführung des Grafentitels durch den Vater des Kl. nur aus Art. 109 Abs. 3 Satz 2 rechtfertigen, der die rechtmäßig geführten Adelsbezeichnungen zu Bestandteilen des bürgerlich-rechtlichen Namens erklärt. Damit wurde aber der nur dem Vater des Kl. persönlich zustehende Grafentitel nicht zum Bestandteil eines Familiennamens im Sinne des bürgerlichen Rechts, weil er nicht zur Kennzeichnung der Angehörigen einer Familie, sondern nur eines einzigen bevorrechtigten Familienmitgliedes diente (vgl. RGR Komm. 10. Aufl., Vorbem. V 2 und Staudinger 11. Aufl., Anm. 8 zu § 12 BGB). Dieser namensrechtlichen Situation entsprach es, daß der Kl. bis zum Tode seines Vaters nicht den auf Primogenitur beruhenden Grafentitel, sondern lediglich den freiherrlichen Familiennamen führte.
[5] Gesetzlich fand diese auf Art. 109 Abs. 3 WV beruhende Rechtslage in dem preuß. G über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen v. 23. 6. 1920 (Preuß. Ges. Samml. 1920, 367) i.d.F. des G. vom 22. 4. 1930 (Preuß. Ges. Samml. 1930, 51 [90]) – PrAdG – ihren Niederschlag. § 22 Abs. 1 PrAdG lautet:
[6] „Als Namen der bisherigen Adelsfamilien und ihrer Angehörigen gilt die Bezeichnung, die sich auch bisher auf die nicht besonders bevorrechtigten Familienmitglieder als eigentliche Familienbezeichnung vererbte. Stand zur Zeit des Inkrafttretens der Reichsverfassung einem Familienangehörigen vor den anderen Familienangehörigen eine besondere Bezeichnung zu, so darf er diese Bezeichnung für seine Person auf Lebenszeit beibehalten, sofern sie nicht dem Ausdrucke der durch die Ereignisse des November 1918 beseitigten Landeshoheit diente.“
[7] Daß der preuß. Landesgesetzgeber zuständig war, eine auf die Aufhebung von Standesvorrechten gerichtete Regelung zu treffen, hat der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich in seiner Entscheidung vom 10. 5. 1924 (RGZ 111, Anhang) mit überzeugender Begründung ausdrücklich anerkannt. Auch gegen die sachliche Vereinbarkeit der vom Gesetzgeber getroffenen namensrechtlichen Regelung mit Art. 109 Abs. 3 WV können rechtliche Bedenken nicht bestehen. Der Gesetzgeber entsprach mit § 22 Abs. 1 PrAdG der in Art. 109 Abs. 3 Satz 1 WV enthaltenen Forderung auf Beseitigung aller öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes und trug in § 22 Abs. 1 Satz 2 PrAdG der Bestimmung des Art. 109 Abs. 3 Satz 2 Rechnung, wonach beim Inkrafttreten der Reichsverfassung geführte Adelsbezeichnungen als Bestandteil des bürgerlich-rechtlichen Namens weitergeführt werden dürfen. Der Kl. war somit nicht befugt, seinen freiherrlichen Namen beim Tode seines Vaters in einen gräflichen Namen zu ändern, weil er nur zur Führung des freiherrlichen Namens berechtigt ist.
[8] Daran wurde auch dadurch nichts geändert, daß der Kl. im Jahre 1944 als Graf von S. in die Wehrmacht eingetreten ist und sein Geburtsschein sowie andere behördliche Papiere auf diesen Namen umgeschrieben wurden. Es handelte sich dabei nicht um eine von der zuständigen Behörde vorgenommene Namensänderung oder Namensfeststellung. Nichts anderes gilt, wenn der Kl. im Jahre 1956 unter dem gräflichen Namen heiratete. Auch damit war keine Namensänderung oder Namensfeststellung im namensrechtlichen Sinne verbunden. Ebenso wenig konnte dadurch der richtige Name des Kl. eine Änderung erfahren, daß der Kl. mehr als zehn Jahre hindurch unangefochten – aber unberechtigt – den gräflichen Namen geführt hat. Zwar lag es im Ermessen des Bekl., ob er eine Namensfeststellung vornehmen wollte. Der Bekl. hat aber sein Ermessen nicht fehlerhaft gebraucht, sondern handelte pflichtgemäß, wenn er auf Grund der von dem deutschen Adelsarchiv an ihn herangetragenen Zweifel die Feststellung des richtigen Namens des Kl. betrieb. Für ein weitergehendes Entscheidungsermessen ist jedoch bei [423] der Namensfeststellung gemäß § 8 des NamensändG v. 5. 1. 1938 (RGBl. I S. 9) kein Raum (vgl. BVerwGE 9, 320).