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Das schwarze Kabinett

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Das schwarze Kabinett
Untertitel:
aus: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 37. Jahrgang Oktober 1910 – Oktober 1911, Seite 1030
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Friedrich Pustet
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Erscheinungsort: Regensburg, Rom, New York, Cincinnati
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Quelle: Commons
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Das schwarze Kabinett.
Von W. Kabel.

Als König Ludwig XIV. von Frankreich im Jahre 1651 mündig geworden war und die Regierung seines Landes selbständig übernahm, suchte er allmählich die ministerielle Allgewalt, wie solche sich seit 1624 unter Richelieus und Mazarins kräftigem und klugem Regiment ausgebildet hatte, zu beseitigen, um einzig und allein in seiner Person die königliche Macht und Autorität zu vereinigen. Daß er bei diesem Bestreben auf Widerstand nicht nur bei verschiedenen französischen Adelskreisen, sondern auch auf heimliche Gegnerschaft bei den fremden Diplomaten stieß, die an seinem Hofe beglaubigt waren und eine Störung der bestehenden Zustände durch den ebenso temperamentvollen wie geistig bedeutenden jungen Herrscher befürchteten, bestärkte Ludwig nur noch mehr in seiner Absicht, sich der Vormundschaft der Minister und der Großen seines Reiches zu entziehen. Unter den verschiedenen Mitteln, die er zur Erreichung seines Zieles anwandte, spielt besonders das berüchtigte schwarze Kabinett eine Hauptrolle.

Ludwig war es durch einen Zufall bekannt geworden, daß der englische Gesandte selbst über die geringfügigsten Ereignisse in Paris regelmäßig sehr ausführlich nach London berichtete und von dort ebenso regelmäßig genaue Anweisungen erhielt, in welcher Weise die Vorgänge in Frankreich zu Englands Vorteil ausgenutzt werden sollten. Daß der König unter diesen Umständen nur zu gern von dem Inhalt der aus London eintreffenden Briefschaften Kenntnis genommen hätte, erscheint begreiflich. Dies brachte er einmal einem seiner Vertrauten, dem Herrn Piarron de Chamousset, gegenüber zum Ausdruck. Dieser wußte Rat. Er ließ sich von Ludwig das Postregal übertragen und bildete dann unter einem gewissen Jannel als Leiter das schwarze Kabinett, welches berufen war, beinahe zwei Jahrhunderte der französischen Politik als geheimer Helfershelfer zu dienen. Die Aufgabe, die Jannel und seinen Kreaturen zufiel, bestand einmal in der ständigen Überwachung der fremden Diplomaten, dann aber - und das war der Hauptzweck, in der Durchsicht aller jener in Paris eintreffenden Briefschaften, in denen man wichtige Nachrichten vermutete. Das Kabinett verfügte hierzu nicht nur über einen Stab von Gehilfen und Gehilfinnen in allen Ständen, sondern auch über die verschiedenartigsten Instrumente, um Briefe derart zu öffnen und wieder zu verschließen, daß niemand von diesen Manipulationen etwas merkte. Besonders war es aber ein Mann, der dem schwarzen Kabinett durch seine Geschicklichkeit im Nachahmen von Handschriften ebenso unschätzbare wie gefährliche Dienste leistete. - Charles Moulin, den Jannel direkt aus dem Gefängnis, wo jener wegen Testamentsfälschung eine längere Strafe verbüßte, in eine gut besoldete Stellung einsetzte, in der es ihm oblag, die heimlich geöffneten Briefe je nach Wunsch seines Herrn und Meisters zu verändern.

Dieses bald allseitig gefürchtete Kabinett – noch mehr gefürchtet, weil kein Fernstehender darüber Genaueres wußte, arbeitete folgendermaßen. Jeden Vormittag erschien Jannel bei seinem König und legte ihm die während der Nacht angefertigten Auszüge aus den Briefschaften zur Durchsicht vor, ebenso auch die Berichte der Agenten darüber, was in den diplomatischen Kreisen von Paris Wichtiges vorgefallen war. Dabei arbeitete das Kabinett so vorzüglich, daß weder die Empfänger der Briefe durch eine Verzögerung in der Bestellung stutzig gemacht wurden, noch die fremden Gesandten merkten, wie genau jeder ihrer Schritte kontrolliert wurde. Natürlich erfuhr der König auf diese Weise auch von allen Hofintrigen und Liebesaffären, und diese Wissenschaft soll er häufig dazu benutzt haben, diese oder jene Person durch eine kurze, vielsagende Bemerkung, welche seine genaue Kenntnis der intimsten Angelegenheit bewies, aufs höchste zu erschrecken.

Hier ein Beispiel von den Erfolgen des schwarzen Kabinetts. – Im Frieden von Aachen (2. Mai 1668) sah Ludwig sich infolge der drohenden Haltung der Tripelallianz England, Schweden, Niederlande um die Früchte seines siegreichen Feldzuges gegen Spanien betrogen, indem man ihm nur 12 Festungen an der belgischen Grenze überließ. Zwei Jahre später legte ihm Jannel, der Leiter des schwarzen Kabinetts, ein an den englischen Gesandten in Paris gerichtetes Schreiben vor, in dem die englische Regierung ihren Bevollmächtigten anwies darauf hinzuwirken, daß Frankreich sich vorläufig in keinen weiteren Krieg mit irgend einer fremden Macht einlasse, da England infolge großer Geldnot außerstande sei, in der europäischen Politik ein gewichtiges Wort mitzureden. Der Inhalt dieses Briefes brachte Ludwig sofort an den Gedanken, England durch Bestechung für seine Pläne zur Angliederung der Niederlande an Frankreich zu gewinnen. Um dabei aber ganz sicher zu gehen, ließ er einem anderen von dem schwedischen Gesandten nach Stockholm gerichteten Schreiben einige Sätze zufügen, die die Mitteilung enthielten, daß England allem Anschein nach die Abmachungen der Tripelallianz nicht mehr respektiere und wahrscheinlich ein neues Bündnis mit Frankreich schließen wolle. So säte er zwischen den beiden ihm bisher feindlichen Mächten Mißtrauen und versuchte darauf gleichzeitig beide durch große Geldversprechen auf seine Seite zu ziehen. Der Plan gelang. Das in pekuniären Kalamitäten befindliche England lockten die französischen Millionen, während das argwöhnische Schweden sich nicht isolieren lassen wollte, nebenbei auch noch seinen Abfall von der Tripelallianz als ein glänzendes Geschäft betrachten mußte. Auf diese Weise verstand es Ludwig, seine bisherigen Gegner zu täuschen und sich die Möglichkeit zu einem neuen, aussichtsvolleren Angriff gegen die Niederlande zu schaffen. Daß dieser diplomatische Schachzug ihm trotzdem die erstrebte Gebietserweiterung nicht einbrachte, lag lediglich an der Unzuverlässigkeit seiner neuen englischen und schwedischen Freunde, die, als sie das französische Geld erst in der Tasche hatten, ihm mit gleicher Münze heimzahlten, ihre Sympathien wechselten und gegen die Einverleibung der Niederlande Einspruch erhoben, wodurch Ludwig im Frieden von Nymwegen 1678 genau dasselbe wie zehn Jahre vorher erlebte - sich eben um die Früchte seiner Siege abermals betrogen sah.

Die große französische Revolution hat vorübergehend das schwarze Kabinett beseitigt, nachdem es auch unter Ludwigs XIV. Nachfolgern in unveränderter Weise weiter tätig gewesen war. In großem Stil funktionierte es jedoch wieder unter Napoleon I., der sich in der Wahl seiner Mittel ja überhaupt wenig wählerisch zeigte. So schreckte der Korse selbst davor nicht zurück, die Kuriere fremder Staaten durch als Räuber verkleidete Agenten des schwarzen Kabinetts auf ihren Reisen überfallen und nur zum Schein auch deren Wertsachen zusammen mit den mitgeführten Depeschen verschwinden zu lassen. Nach Napoleons Entthronung wurde dann das berüchtigte Cabinet noir vollständig abgeschafft.