Der Löbauer Berg
Oestlich von der Stadt Löbau, nur durch das Tal des Löbauer Wassers getrennt, erhebt sich ein mit herrlichem Nadelwald überzogener Berg, dessen Höhe ein schmucker Aussichtsturm krönt. Dieser Berg trägt seinen Namen nach der unten liegenden Stadt. Der Löbauer Berg wird er genannt. Zu ihm hinauf führen von der Stadt aus gutgepflegte Wege, und es ist auf ihnen die Höhe des Berges bequem in 40 Minuten zu erreichen. Am Nordwestabhange des Berges liegt, umrahmt vom duftenden Walde, das schmucke Restaurant und Hôtel „zum Honigbrunnen.“ Bis an den Rand des Waldes führt der Weg durch eine schattige Linden- und Kastanienallee. Wo dieselbe am Bergabhange endet, steht auf einem künstlichen Hügel das aus rotem Meißner Granit gefertigte Siegesdenkmal mit folgenden Inschriften:
„Ans Vaterland, ans teure, schließ Dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen,
Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft.
(Schiller.)
SEDAN.
Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!
(König Wilhelm).
St. PRIVAT.
Die ihr lebet im Licht,
Vergesset nicht der teuren Toten,
Die, der Ehre Geboten
Und der ehernern Pflicht
Gehorchend, ihr Leben
Für euch dahingegeben
Und für das Vaterland!
(Felix Dahn)
PARIS.
Des Volkes Frieden,
Von Gott beschieden,
Ein Heiligtum!
Den Wackeren Ehre,
Die kühn mit siegreichem Schwert
Dem frevelnden Feinde gewehrt, –
Den Tapferen unsterblicher Ruhm.
Vom Siegesdenkmale aus hat man einen schönen Blick auf Löbau. Im Hintergrunde der Stadt erhebt sich der Hochstein, über den der Weg nach dem sagenreichen Czornebog führt. – Bald ist das Restaurant und Hôtel zum Honigbrunnen erreicht, das seinen Namen einer nahen Quelle verdankt. Auf der Veranda hat man nach Norden hin eine geradezu entzückende Fernsicht. Das Auge schweift hinaus bis über die nördliche Grenze Sachsens. – Vom Honigbrunnen aus ist der turmgekrönte Gipfel des Berges in einer Viertelstunde bequem zu erreichen. Hier oben steht der im Jahre 1854 errichtete und 30 m hohe „König Friedrich August-Turm“. Dieser aus Gußeisen hergestellte Aussichtsturm ist eine Sehenswürdigkeit. Er ist von achteckiger Gestalt, hat vier Etagen und drei Galerien. Das durchbrochene Fachwerk zeigt gotischen Stil. Zwischen den acht zusammengeschraubten, mächtigen eisernen Säulen windet sich zur obersten Plattform eine eiserne Wendeltreppe
[377] von ungefähr 120 Stufen empor. Die Erbauung dieses stolzen Luginsland verursachte einen Kostenaufwand von 45 000 M. – Jede Außenseite der unteren Abteilung trägt eine aus Erz gegossene Inschrift. Ueber der Eingangstüre prangen die Worte:
Ueber dieser Inschrift befindet sich ein großes Medaillon mit dem lebensgroßen Brustbild des Königs Friedrich August, unter dem die Worte stehen:
Ueber diesem Bildnisse ist das des Königs Johann v. Sachsen angebracht. Folgende Worte umrahmen dasselbe:
„Johann, von Gottes Gnaden König von Sachsen.“ Nach rechts tragen die einzelnen Felder des Turmes folgende bemerkenswerte Inschriften:
An Gottes Segen ist alles gelegen.
Auspiciis summis
Friederici Augusti
Regis Saxoniae,
Marchionis Lusatiae
Patris Patriae
Turrem nanc ahebeam.
exstrui curavit.
Fr. Aug. Bretschneider.
Anno Domini
MDCCCLIV.
Pastor Primarius,
Archidiaconus.
Peter Lahoda,
Diakonus.
Es blüht nach alter Sage,
Wenn hundert Jahre sind verrollt,
Just am Johannistage
Des Nachts ein Blümlein wunderhold.
Aus grünendem Geklüfte,
Umleuchtet himmlisch schön,
Verbreitet’s Balsamdüfte
Bei Aeolsharfen Getön.
Gar sinnig reich gezieret
Mit goldenem Purpurschein,
In seinen Wurzeln führet
Es Gold und Edelstein.
Doch wem sich soll erschließen
Sein köstlicher Gewinn,
Dem muß im Herzen fließen
Ein frommer, reiner Sinn.
Spodziwna kwjetka l lubilkeje hory.
(Bergmannswappen)
Glück Auf!
Ludwig von Klitzing, Besitzer des Eisenhütten-Emaillirwerkes Bernsdorf.
Kannst du nicht allen gefallen durch deine Tat, und dein Kunstwerk macht’s wenigen recht; vielen gefallen, ist schlimm.
Dieser Turm wurde entworfen und ausgeführet von dem Eisenhüttenwerke Bernsdorf. Die Beamten und ausführenden Meister waren:
F. Zitzling.
H. Schmid. E. Zimmer. E. W. Marquart, Bildhauer und Modelleur. J. Maliske, Modelltischlermeister. E. Leutert, Formermeister. A. Geißler, Ciseleur und Monteur.
Den ersten Gedanken zur Erbauung eines eisernen Turmes erfaßte Karl Ferdinand Schmidt allhier, mit dem sich zu diesem Zwecke Julius Oehne verband. Das Unternehmen stieß auf mehrfache Hindernisse und zerschlug sich, ward aber bald darauf durch sechs andere Bürger wieder aufgenommen und dessen Ausführung dem jetzigen Erbauer überlassen. Jene sechs Bürger waren: Wilh. Grafe, Carl Gotthelf Heinrich, Gustav Hermann Kneschke, Carl Laettig, Eduard Hermann Neumerkel, Fr. Aug. Bretschneider.
Bürgermeister Carl Hartmann.
Stadträte:
Fr. Theodor Auster, Carl Aug. Köhler, Johann Ferdinand Kneschke, Carl Gottlieb Lippert, Carl Heinrich Puy.
Der Blick von der obersten Plattform aus ist überraschend. Zu unseren Füßen liegt nach Westen hin das traute Städtchen Löbau mit seinen roten Ziegeldächern. Ueber dasselbe hinaus schweift das Auge hin zu den alten Götterbergen Czornebog und Bielebog. Draußen am westlichen Horizonte taucht die alte Wendenstadt Bautzen mit den zahlreichen Türmen auf. Von Süden her grüßen der turmgekrönte Kottmar, der Hutberg bei Herrnhut und aus größerer Entfernung die Berge südlich von Zittau. Nach Osten hin schweift der Blick zum Rotstein, dem Nachbar des Löbauer Berges, zur stolzen Landeskrone bei Görlitz, zum Iser- und Riesengebirge. Nach Norden zu erhebt sich der Stromberg bei Weißenberg. Das Auge überblickt die niederschlesische Ebene mit ihrer endlosen Heide, ferner die fruchtbare Oberlausitzer Ebene, auch die „Wendei“ genannt, mit ihren freundlichen Siedelungen. Vom Löbauer Berge aus sieht man den größten Teil des östlichen Sachsenlandes. Nicht weniger als 12 Städte erreicht das unbewaffnete Auge. Ringsum aber breitet sich noch ein Kranz lieblicher Dörfer mit gesegneten Gefilden aus. – Am Fuße des Turmes liegt ein schmuckes Restaurant. Wenige Minuten von diesem entfernt steht an der Südseite des Berges das Berghaus, die älteste Restaurationsanlage des Löbauer Berges. Ihre Gründung fällt bereits in das Jahr 1738. Von hier überblickt man die Süd- und Westseite des Berges. Unterhalb des Berges befindet sich das „Steinerne Meer“, eine von Granitblöcken überschüttete Hangfläche. –
[381] Der Löbauer Berg endigt in zwei Kuppen, die durch einen Sattel verbunden sind. Die südwestliche Kuppe hat eine Höhe von 450 Meter und trägt den stattlichen Aussichtsturm. Die nordöstliche Kuppe wird der Schafberg genannt. Um den Gipfel desselben zieht sich ein mächtiger Steinwall von ungefähr 1000 Meter Umfang. Es ist der sehenswerte Schlackenwall, der vor Jahrtausenden eine Kultusstätte der früheren Bewohner der Löbauer Gegend war. Sein Alter schätzt man auf über 2000 Jahre. Daraus ist zu schließen, daß der Löbauer Berg bereits in den frühesten Zeiten den damaligen Bewohnern der Umgegend eine liebe Stätte war. – Der Schlackenwall auf dem Löbauer Berge ist drei bis sechs Meter breit und bis zwei Meter hoch. An der Westseite ist er höher als an der Nordseite. Er hat die Gestalt eines verschobenen Vierecks mit abgerundeten Ecken. Die nördliche Ecke des Schlackenwalles findet ihren Abschluß in der Nähe einer sehenswerten Felsenpartie, die man die Bautzner Kuppe nennt. Auch der Südwestecke des Schlackenwalles ist eine steile Felsengruppe vorgelagert. – Die von dem Steinwalle eingeschlossene Fläche beträgt ungefähr 4 Hektar. Der Schlackenwall auf dem Löbauer Berge ist der größte in ganz Deutschland. Es ist dieser Wall im Laufe vieler Jahre von Menschenhänden aufgebaut worden und zwar aus Basalt- und Nephelin-Doleritstücken. Im Innern des Walles sind diese Steine durch Feuereinwirkung verschlackt. Auffallend ist diese Verschlackung an der Westseite. Bei der Untersuchung des Schlackenwalles hat man allerhand Scherben und Knochensplitter, auch Steinbeile und Bronzegegenstände aufgefunden. Der von dem Steinwall eingeschlossene Raum ist mit einer dichten Humusschicht bedeckt, in der sich zahlreiche Scherben von Kochtöpfen befinden. Aus diesen Funden wird auch geschlossen, daß der Schlackenwall in frühester Zeit lange bewohnt und bebaut gewesen sein muß. Herr Bürgerschullehrer Hermann Schmidt in Löbau schreibt hierüber folgendes:
„Ganz besonders scheinen die Bewohner außer der Höhe den mehr windstillen Südabhang dazu benutzt zu haben. Um Garten- und Weideland zu verbessern, werden die Bewohner die Steine auf der bewohnten Seite aufgelesen und an den Rand geworfen, resp. aufgeschichtet haben, geradeso wie in der Niederlausitz die Leute heute noch die Steine vom Felde auflesen und an Garten-, Weg- und Waldrändern wallartig aufhäufen. – Warum sollte nicht ein in unsere Gegend eingewanderter Germane den schöngelegenen, fruchtbaren Schafberg als Wohnplatz gewählt haben, wo er für sein Vieh gewiß reichlich Futter fand und an dessen südwestlichem Abhange (im Sattel des Berges) es während des ganzen Jahres nicht am Wasser mangelte. Wurde im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte die Familie stärker und fehlte es oben am Raume und am Futter für das Vieh, so bezogen herangewachsene Söhne mit Frau und Kindern andere Höhen, kehrten aber zu den Familien- und Opferfesten zum Familienhaupte zurück, wodurch der Stammsitz zugleich Versammlungsort und Opferplatz wurde. Die Toten begrub man außerhalb des Wallkammes.“ –
Gewiß hat also der Löbauer Berg für die umwohnende Bevölkerung schon seit Jahrtausenden eine hohe Bedeutung gehabt. Das ist nicht nur aus den hier oben gemachten vorgeschichtlichen Fundgegenständen und aus der noch vorhandenen alten Kultusstätte auf dem Schafberge zu schließen, sondern auch aus den zahlreichen Sagen, die sich an den Löbauer Berg knüpfen. Ein lieblicher Sagenkranz umrankt den Berg, worauf auch die eine Inschrift oben am Aussichtsturme hindeutet. Im Kräutergärtlein am Löbauer Berge blüht alle hundert Jahre eine Wunderblume. Diese vermag aber nur [382] ein sündenreiner Mensch zu pflücken. Sie dient ihm dann als Schlüssel zu den unermeßlichen Schätzen, die im Innern des Berges vergraben liegen. –
Der südöstlichen Ecke des Schlackenwalles ist eine Felsengruppe vorgelagert, welche im Volksmunde der Gold- oder Geldkeller heißt. Hier sind nach der Sage große Schätze aufbewahrt. Von ehemaligen Löbauer Ratsherrn und Bürgermeistern werden dieselben bewacht. Wenn die Stadt Löbau einmal in Not kommen sollte, dann stellen die Hüter diesen Schatz ihrer Vaterstadt zur Verfügung. In gewissen heiligen Nächten können bevorzugte Bürger Löbaus zu diesem Schatze gelangen. – Alljährlich ist der Goldkeller einmal geöffnet und zwar am Johannistage mittags 12 bis 1 Uhr. Wer in dieser Stunde an jenes Gewölbe kommt, der kann in den Goldkeller gelangen. – Vor Jahren war an diesem Tage ein Knabe aus Löbau oben auf dem Berge. Der Wind ging heftig und nahm ihm seinen Hut. Der Knabe sprang dem Hute nach und sah auf einmal vor sich ein Gewölbe, das mit Gold und Edelsteinen angefüllt war. Eine große Furcht erfaßte ihn. Er stürmte den Berg hinab in die Stadt, wo er den Leuten alles erzählte, was ihm begegnet war. Als nun die Leute nach der von ihm bezeichneten Stelle gingen, fanden sie keine Höhle, wohl aber viele Felsentrümmer und viel Gestrüpp. –
In dunklen Herbstnächten jagt in den Forsten des Löbauer Berges der wilde Jäger Berndittrich. Bald ohne, bald mit dem Kopfe stürmt er zu Pferde durch die Wälder. Doch tut er niemandem etwas zu leide; freilich wer ihn neckt, den straft er mit einem Stück Fleisch, das er ihm zuwirft. – Bei dem Dorfe Mönchswald befinden sich ein Nadelgehölz und ein bewaldeter Berg, der „Pan-Dittrich“ genannt. Dort hauste nach der Sage der wilde Jäger einst auf einer Burg als gefürchteter Raubritter. Von dieser Burg sieht man freilich nur noch Steingeröll. Der Ritter findet im Grabe keine Ruhe und jagt nun zur Nachtzeit, oft aber auch in den hellsten Mittagsstunden in den Forsten der Lausitz. –
In früheren Zeiten wurde am Löbauer Berge Bergbau auf Silber und Gold getrieben. Im 16. Jahrhunderte waren zwei Bergwerke im Betrieb. In dem einen grub man nach Blei, in dem anderen nach Galmei und Wesmuth. – Beim Bau der großen Eisenbahnbrücke, welche über das Löbauer Wasser sich spannt, stieß man auf einen verschütteten Schacht. –
Im Innern des Löbauer Berges befinden sich große Höhlen. Dort wohnen, wie man sich erzählt, graubärtige Männlein, die am Kegelschieben sich ergötzen. Oft kann der Wanderer das Rollen der Kugeln, das Fallen der Kegel aus dem Innern des Berges vernehmen. Viele wollen es schon gehört haben. –
Wie glaubwürdige Leute erzählen, soll auf dem Löbauer Berge nach der denkwürdigen Schlacht bei Bautzen eine französische Kriegskasse vergraben worden sein. Mit Bestimmmtheit will man selbst den Ort angeben können, wo dieser Kriegsschatz liegen soll. Im Jahre 1823 wurden Holzfäller, welche am Löbauer Berge arbeiteten, von einem Fremden, der schlecht deutsch sprach, nach dem mutmaßlichen Aufbewahrungsorte des sagenhaften Kriegsschatzes befragt. Der Fremde habe dann an der von den Waldarbeitern bezeichneten Stelle gegraben und sei darauf plötzlich verschwunden. – In mondhellen Nächten, öfters aber auch in der sonnigen Mittagszeit, jagt in den Wäldern am Löbauer Berge die wendische Jagd- und Waldgöttin „Dziwica.“ – Ihr zu begegnen, bedeutet Glück. –