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Der Zweikampf zwischen Landrat v. Bennigsen und Domänenpächter Falkenhagen

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Textdaten
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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Der Zweikampf zwischen Landrat v. Bennigsen und Domänenpächter Falkenhagen
Untertitel:
aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 5, Seite 224–237
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Der Zweikampf zwischen Landrat v. Bennigsen und Domänenpächter Falkenhagen.

Seit den letzten 50 Jahren ist ein ganz gewaltiger Fortschritt auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu verzeichnen. Vor 50 Jahren gab es noch weite Gebiete in Deutschland, in denen man das Dampfroß, diese großartige Erfindung, nur dem Namen nach kannte. Zu dieser Zeit, auch noch vor etwa 30 Jahren, vermittelte in vielen Gegenden Deutschlands die Postkutsche und anderes Fuhrwerk den Verkehr. Die Telegraphie war vor 50 Jahren in den ersten Anfängen, vom Fernsprechwesen war noch keine Spur vorhanden. Bereits beginnt nunmehr die Elektrizität den Dampf abzulösen, unser Zeitalter wird das der Elektrizität genannt. Ähnliche Fortschritte wie in der Technik sind auf allen anderen Gebieten zu verzeichnen. Die Anschauungen der Menschheit haben jedoch leider mit dem Vordringen der Wissenschaft und Technik keineswegs Schritt gehalten. Die Verständnislosigkeit des großen Publikums für Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit ist geradezu betrübend. Ganz besonders herrscht im großen Publikum noch vielfach Verständnislosigkeit für die Notwendigkeit guter Luft. Es ist noch lange nicht genugsam bekannt, daß ein mehrfaches tägliches Zimmerlüften, selbst bei großer Kälte, zwecks Erhaltung der Gesundheit unerläßlich ist und daß ein gut gelüftetes Zimmer sich bedeutend schneller erwärmt und selbstverständlich alsdann viel mehr Behaglichkeit bietet, als ein schlecht oder gar nicht gelüftetes. Dringend notwendig wäre es, Gesundheitslehre als Lehrgegenstand in den Schulen aufzunehmen. Ein weiteres Erfordernis ist es, endlich mit dem gesamten mittelalterlichen Unrat aufzuräumen, der wie ein Alp noch auf der Neuzeit lastet. Zu diesem mittelalterlichen Unrat gehört in erster Linie der Zweikampf. Über die Widersinnigkeit des Zweikampfes ist kaum noch ein Wort zu verlieren. Jeder gesittete Mensch wird mir beistimmen, daß der Zweikampf allen göttlichen und menschlichen Gesetzen geradezu Hohn spricht. Ein anständiger Mensch sollte absichtlich niemanden beleidigen. Da diese Ansicht aber noch lange ein frommer Wunsch bleiben dürfte, so sind doch die ordentlichen Gerichte berufen, Beleidigungen durch entsprechende Strafen zu sühnen oder durch Vergleich aus der Welt zu schaffen. Die Zahl der Beleidigungsprozesse, die täglich zur gerichtlichen Verhandlung kommen, ist geradezu Legion. Welch ein Hohn liegt aber in der Tatsache, daß im Zweikampf vielfach nicht der Beleidiger, sondern der Beleidigte verwundet oder gar getötet wird. Es ist geradezu ein Hohn auf die staatlichen Gesetze, daß sogenannte Ehrengerichtshöfe entscheiden, der Zweikampf müsse vorgenommen werden. Im Weigerungsfalle der Beteiligten erfolgt gesellschaftliche Ächtung und beim Militär der schlichte Abschied. Welch unendliches Herzeleid diese mittelalterliche, widersinnige Einrichtung über anständige Familien schon gebracht hat, läßt sich auch nicht annähernd feststellen. Wieviel Mühe und Opfer kostet es Eltern, den Sohn die Universität besuchen oder die Offizierslaufbahn einschlagen zu lassen. Und wegen irgendeiner, bisweilen aus frivolem Übermut vom Zaun gebrochenen Lappalie ist der junge Mann oftmals „aus Standesrücksichten“ genötigt, sich dem mörderischen Blei seines Beleidigers gegenüberzustellen und das Lebensglück, ja die ganze Hoffnung seiner Familie für immer zu vernichten. Vor etwa zehn Jahren hat sich aus notabeln Herren der verschiedensten politischen Parteien eine sogenannte Antiduell-Liga gebildet. Es haben auch öffentliche Zusammenkünfte dieser Liga in verschiedenen Gegenden des Reiches stattgefunden, irgendeinen Erfolg hat jedoch die Liga wohl kaum zu verzeichnen. Dieser Krebsschaden der menschlichen Gesellschaft, als den man wohl mit vollem Recht die Einrichtung des Zweikampfs bezeichnen kann, kann meines Erachtens nur ausgerottet werden, wenn die Tötung im Zweikampf gleich dem Totschlag bestraft wird. Der Zweikampf, der im Januar 1902 zwischen dem Landrat Adolf v. Bennigsen und dem Domänenpächter Falkenhagen stattfand, ist ein Schulbeispiel für meine Auffassung. Der am 23. November 1873 geborene Falkenhagen, Sohn des Abgeordneten Amtsrats Falkenhagen (Nordheim), war seit 1899 Pächter der Königlichen Domäne Springe in Hannover. Das Wohnhaus Falkenhagens war nur durch einen Hof von der Wohnung des Landrats von Bennigsen, einem Sohne des früheren Führers der nationalliberalen Partei, Reichstags- und Landtagsabgeordneten, Oberpräsidenten Rudolf v. Bennigsen, getrennt. Der unverheiratete Falkenhagen war ständiger Gast im Hause des Landrats. Dies sollte letzterem zum Verhängnis werden. Bereits seit langer Zeit war es in Springe offenes Geheimnis, daß zwischen Falkenhagen und Frau von Bennigsen intime Beziehungen bestanden. Diese Gerüchte drangen schließlich zu den Ohren des Landrats. Dieser wollte zunächst nicht glauben, daß ihn seine Frau, mit der er 12 Jahre in glücklichster Ehe lebte, und die ihm fünf Kinder geschenkt hatte, hintergehe. Da die Gerüchte aber schließlich zur Gewißheit wurden, so wurde in dem Klub der Honoratioren zu Springe, dem auch Herr v. Bennigsen als Mitglied angehörte, beschlossen: Letzterem die Sache zu unterbreiten. Daraufhin brach v. Bennigsen sofort den Verkehr mit Falkenhagen ab. Außerdem soll ein peinlicher Auftritt zwischen v. Bennigsen und seiner Gattin stattgefunden haben, der zur Folge hatte, daß Frau v. Bennigsen sofort zu ihrer Schwester nach Leipzig abreiste. Gleich darauf sandte Landrat v. Bennigsen durch den Oberförster Limmer an Falkenhagen eine Herausforderung zum Zweikampf auf Pistolen. Die Bedingungen lauteten: Kugelwechsel auf 15 Sprungschritt: Distanz ohne Avancieren bis zur Kampfunfähigkeit eines der Kämpfenden. Unter Kampfunfähigkeit wurde nicht der Tod oder die tödliche Verwundung eines der Kämpfenden, sondern bereits eine Verwundung verstanden, welche die Unfähigkeit zum Weiterschießen zur Folge hätte. Die vereinbarten Bedingungen entsprachen dem Willen des Herrn v. Bennigsen. Die Sekundanten waren bemüht, dem Zweikampf eine mildere Form durch Festsetzung einer bestimmten Kugelzahl, etwa 10 Stück, zu geben, Herr v. Bennigsen lehnte jedoch diesen Vorschlag ab. Am 16. Januar 1902, vormittags, fand der Zweikampf im Saupark bei Springe, und zwar in voller Wahrung der hergebrachten Zweikampfsregeln, statt. Der Unparteiische, Referendar Freiherr von Langwerth-Simmern, zählte mit Zwischenpausen von einigen Sekunden: 1, 2, 3 halt! Zwischen 1 und halt waren die Schüsse abzugeben. Die beiden ersten Gänge, in welchen von beiden Seiten, und zwar immer zuerst von Falkenhagen, geschossen wurde, waren ohne Ergebnis. Beim dritten Kugelwechsel erhielt von Bennigsen einen Schuß in den Unterleib, der ihn sofort zu Boden streckte. Der Zweikampf war damit beendet. Der hinzugezogene Arzt leistete Herrn v. Bennigsen die erste Hilfe. Der Schwerverwundete wurde sogleich in einem bereitstehenden Wagen nach Springe und von dort per Bahn nach dem Krankenhause „Henriettenstift“ in Hannover überführt. Obwohl ihm hier die sorgsamste Pflege und beste ärztliche Behandlung zuteil wurde, erlag er am 17. Januar nachmittags der erlittenen Schußverletzung. Die im Körper Vorgefundene Kugel soll den Dünndarm und das am Dickdarm sitzende Gekröse an mehreren Stellen durchschlagen und dadurch eine große Blutung in der Bauchhöhle verursacht haben. Diese Blutung hatte eine eitrige Bauchfellentzündung zur Folge, die den Tod herbeiführte. Landrat v. Bennigsen hinterließ 5 Kinder im Alter von 4 bis 11 Jahren. Falkenhagen soll den Versuch unternommen haben, die Verzeihung seines Gegners zu erlangen. Der Bruder des Getöteten, Gouverneur von Neu-Guinea, Rudolf v. Bennigsen, dessen Vermittelung Falkenhagen nachsuchte, hatte jedoch diese Vermittlerrolle abgelehnt. Falkenhagen gab zu, mit Frau v. Bennigsen schon seit dem Sommer 1900 sträflichen Verkehr unterhalten zu haben. Frau v. Bennigsen, eine üppige, schöne Erscheinung, 31 Jahre alt, war die Tochter des früheren Domänenpächters in Springe, v. Schnehen. Falkenhagen ist nach dem Zweikampf zunächst zu Frau v. Bennigsen nach Leipzig und von dort nach Berlin gereist, um die Verzeihung seines Vaters, der in seiner Eigenschaft als Landtagsabgeordneter in Berlin weilte, nachzusuchen. Am Sonntag den 19. Januar 1902 wurde Falkenhagen in aller Frühe im Zentralhotel in Berlin auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu Hannover wegen Fluchtverdachts verhaftet und nach Hannover transportiert. Falkenhagen hatte sich am 17. Februar 1902, vor dem Schwurgericht zu Hannover wegen Tötung im Zweikampf, auf Grund des § 206 des Strafgesetzbuches, zu verantworten. In dieser Verhandlung war der Andrang des Publikums aus den besseren Ständen, insbesondere der Damenwelt, geradezu ungeheuer. Nach erfolgter Auslosung und Vereidigung der Geschworenen stellte der Vorsitzende an den Ersten Staatsanwalt Dr. Kitz die Frage, wie er sich zu einem etwaigen Ausschluß der Öffentlichkeit stelle. – Erster Staatsanwalt: Ich stehe auf dem Standpunkte, daß angesichts des großen Aufsehens, das die Angelegenheit in der Öffentlichkeit verursacht hat, die Öffentlichkeit nur insoweit ausgeschlossen wird, als die Beziehungen des Angeklagten zur Frau v. Bennigsen, zur Erörterung kommen. – Vert. R.-A. Dr. Stehmann: Ich beantrage, die Öffentlichkeit vollständig auszuschließen. Ich halte es für unvermeidlich, bei Erörterung der Angelegenheit die Beziehungen des Angeklagten zur Frau v. Bennigsen zu streifen. Der Angeklagte schloß sich auf Befragen dem Antrage seines Verteidigers an. – Der Gerichtshof beschloß nach kurzer Beratung, die Öffentlichkeit vorläufig nicht auszuschließen, sich aber den Beschluß hierüber vorzubehalten. – Der Angeklagte, ein großer, hagerer Mann mit blassem Gesicht und kleinem, hellblondem Schnurrbart, äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Er heiße mit Vornamen Oswald, er sei am 23. November 1874 in Northeim geboren, evangelischer Konfession. Seit Sommer 1899 Sei er Pächter der Königlichen Domäne in Springe. Am 15. Januar habe ihm Landrat v. Bennigsen eine Herausforderung zum Zweikampf auf gezogene Pistolen gesandt. Die Bedingungen lauteten: Kugelwechsel auf 15 Sprungschritt Distanz bis zur Kampfunfähigkeit eines der Kämpfenden. Unter Kampfunfähigkeit wurde nicht der Tod oder die tödliche Verwundung eines der Kämpfenden, sondern bereits eine Verwundung verstanden, welche die Unfähigkeit zum Weiterschießen zur Folge hatte. – Vors.: Wer sollte diese Kampfunfähigkeit feststellen? – Angekl.: Der Arzt. – Vors.: Sie hatten sich den praktischen Arzt Dr. Herrmann mitgenommen? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Wann fand der Zweikampf statt? – Angekl.: Am 16. Januar früh 81/2 Uhr. – Vors.: Beabsichtigten Sie, auf Ihren Gegner zu schießen? – Angekl.: Nein, ich wollte in den Sand schießen. – Vors.: Wohin richteten Sie Ihre Pistole? – Angekl.: Auf meinen Gegner. – Vors.: Sie behaupten aber, Sie hatten nicht die Absicht, auf Ihren Gegner zu schießen? – Angekl.: Nein. – Vors.: Wer war Ihr Sekundant? – Angekl.: Referendar Wunnenberg. – Vors.: Sie haben zunächst Ihren Schwager ersucht, Ihr Sekundant zu sein, dieser hat aber abgelehnt, deshalb wandten Sie sich an Herrn Referendar Wunnenberg? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Wer war Unparteiischer? – Angekl.: Freiherr v. Langwerth-Simmern. – Vors.: Dieser war in Springe Referendar? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Die beiden ersten Gänge waren ergebnislos? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Haben Versöhnungsversuche stattgefunden? – Angekl.: Nach den ersten zwei Gängen regte ich eine Versöhnung an, es wurde mir aber von meinem Sekundanten gesagt, daß dies zwecklos sei. – Erster Staatsanwalt: Bei der Aussage des Angeklagten ist ein Widerspruch vorhanden; er sagte einmal, er wollte seinen Gegner nicht treffen, und andererseits wieder, er habe die Pistole auf seinen Gegner gerichtet. – Angekl.: Da der Gegner die Pistole auf mich gerichtet hielt, so tat ich das ebenfalls, ich habe aber trotzdem vorbeischießen wollen. Der Angeklagte erzählte alsdann im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: Er habe, nachdem Herr v. Bennigsen gefallen war, durch dessen Bruder die Verzeihung des Gegners nachgesucht. Der Bruder des Herrn v. Bennigsen, der Gouverneur von Neuguinea, Rudolf v. Bennigsen, habe aber die Vermittlerrolle abgelehnt. Er sei noch am Vormittag des 16. Januar nach Hameln und von dort nach Leipzig gefahren, woselbst sich Frau v. Bennigsen bei ihren Verwandten aufhielt. Abends gegen 7 Uhr sei er in Leipzig angekommen und habe dort Frau v. Bennigsen das Vorgefallene mitgeteilt. Er habe in Leipzig in einem Hotel übernachtet und sei am folgenden Morgen nach Berlin gefahren, um den Rat seines dort als Abgeordneten weilenden Vaters einzuholen. Er sei in Berlin im Zentralhotel abgestiegen. Sein Vater wohnte im Hotel de Magdeburg. Dieser habe ihn aufgefordert, sich zu dem Bürgermeister a. D. Schmidt zu begeben und diesen zu fragen, was er machen solle. Letzterer, der in der Pritzwalkerstraße in Berlin wohnte, habe ihm gesagt, die Sache sei durch die Presse bereits bekannt, er solle sich daher der Staatsanwaltschaft zu Hannover zur Verfügung stellen. Es seien nämlich alle Beteiligten durch Handschlag verpflichtet worden, den Zweikampf geheim zu halten, so lange er nicht durch die Presse bekannt werde. Er (Angeklagter) habe daher sofort in einem eingeschriebenen Brief sich der Staatsanwaltschaft zu Hannover zur Verfügung gestellt. Daraufhin habe er mit Bürgermeister Schmidt in Berlin mehrere Bierlokale besucht. Abends sei er mit Schmidt in der Weinhandlung von Kempinski gewesen. Dort habe ihm Bürgermeister Schmidt einen Herrn namens Mandus und dessen Gattin vorgestellt. – Vors.: Es hat sich nachträglich herausgestellt, daß dies nicht Frau Mandus war? – Angekl.: Das habe ich später gehört. Ich sagte Herrn Mandus, daß ich ihm meinen Namen nicht nennen könne. – Vors.: Später haben Sie sich aber dennoch dem Herrn vorgestellt. – Angekl.: Jawohl, der Mann sagte, wenn Sie Ihre Tat bereuen, dann können Sie Ihren Namen ganz ruhig nennen. Ich blieb in Gesellschaft des Bürgermeisters Schmidt bis etwa 1 Uhr nachts. Alsdann ging ich ins Hotel, am folgenden Morgen wurde ich verhaftet. – Vors.: Nun ist die Vernehmung des Angeklagten bis zu seinen Beziehungen zur Frau v. Bennigsen gediehen. Der Gerichtshof beschließt, während dieses Teils der Vernehmung die Öffentlichkeit auszuschließen. Der Zuhörerraum ist zu räumen, auch die Vertreter der Presse haben den Saal zu verlassen. – Es wurde in nichtöffentlicher Sitzung Frau v. Bennigsen als Zeugin vernommen. Sie war in tiefe Trauer gekleidet und augenscheinlich sehr niedergeschlagen. Die Vernehmung, von der nichts in die Öffentlichkeit drang, dauerte etwa dreiviertel Stunden. Nach Beendigung dieser Vernehmung wurde die Öffentlichkeit wieder hergestellt und Oberförster Zimmer als Zeuge aufgerufen. Dieser bekundete: Er war Sekundant des Herrn v. Bennigsen. Die Pistolen wurden von Herrn v. Bennigsen geliefert. Die Schüsse seien stets gleichzeitig von beiden Seiten abgegeben worden. Der Unparteiische, Freiherr v. Langwerth-Simmern, zählte 1, 2, 3, halt. Zwischen 2 und 3 fielen die Schüsse. Er hatte die Auffassung, daß der Angeklagte, der die Pistole direkt auf seinen Gegner gerichtet hielt, diesen töten wollte. Erster Staatsanwalt: Verstand denn der Angeklagte mit der Pistole umzugehen ? – Zeuge: Sehr gut. – Der zweite Zeuge, Referendar Freiherr v. Langwerth-Simmern, der, wie bereits erwähnt, Unparteiischer beim Zweikampfe war, bekundete: Er sei mit Herrn v. Bennigsen befreundet gewesen; dieser habe ihn ersucht, als Unparteiischer zu fungieren. Nachdem er von der Sachlage Kenntnis erhalten, habe er die Anrufung eines Schiedsgerichtes für zwecklos gehalten und die Bedingungen festgestellt. Die Beteiligten wurden sämtlich auf Handschlag verpflichtet, den Zweikampf so lange geheim zu halten, bis ein Beteiligter eine amtliche Vorladung erhalten habe oder die Sache durch die Presse bekannt geworden sei. Der Zweikampf verlief ganz kommentmäßig. Nur beim zweiten Gange, als er „Spannen“ kommandierte, habe er beobachtet, daß Falkenhagen die Pistole nicht in der vorgeschriebenen Weise senkte. Er habe auch den Angeklagten sofort darauf aufmerksam gemacht. – Referendar Wunnenberg: Er kenne den Angeklagten von Northeim her und habe auf dessen Ersuchen sich bereit erklärt, sein Sekundant zu sein. Er sei bemüht gewesen, die Bedingungen zu mildern, habe aber damit keinen Erfolg gehabt, da dies von beiden Seiten abgelehnt wurde. – Vors.: Der Angeklagte soll den Vorschlag gemacht haben, die Distanz auf 10 Schritt herabzusetzen? – Zeuge: Das ist mir nicht erinnerlich; ich habe allerdings dem Angeklagten gesagt, ich finde die Distanz von 15 Schritt etwas weit. – Vert.: Hat der Angeklagte nicht gesagt, er befürchte, einen dreimaligen Kugelwechsel nicht aushalten zu können, deshalb wäre es ihm angenehmer, wenn 10 Schritt Distanz gewählt würden. – Zeuge: Das ist mir nicht erinnerlich. – Der folgende Zeuge war der praktische Arzt Dr. Seebohm. Dieser hatte auf Ersuchen des Herrn v. Bennigsen dem Zweikampf als Arzt beigewohnt. Er habe wahrgenommen, daß der Angeklagte die Pistole auf die Brust seines Gegners gerichtet habe. Er könne sich nicht denken, daß der Angeklagte vorbeischießen wollte. Sowohl v. Bennigsen, als auch der Angeklagte waren sehr aufgeregt. – Dr. med. Herrmann, der von dem Angeklagten zum Zweikampf hinzugezogen war, bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Es sei ihm nicht erinnerlich, in welcher Weise der Angeklagte gezielt habe. – Gerichtsassessor Jahn (Hameln): Er sei mit der Schwester des Angeklagten verlobt. Der Angeklagte habe ihn ersucht, im Zweikampf sein Sekundant zu sein. Er habe dies abgelehnt, ganz besonders weil ihm die Bedingungen zu schwer schienen. Der Angeklagte habe gesagt: Die schweren Bedingungen müssen nicht den Tod eines der Kämpfenden zur Folge haben. Er werde, wenn möglich, vorbeischießen, oder den Gegner durch Schießen in die unteren Extremitäten kampfunfähig machen. Der Angeklagte habe die Absicht geäußert, sein Testament zu machen, er (Zeuge) habe ihm dies auch geraten. Der Angeklagte sei bei dem Zweikampf, dem er beigewohnt habe, sehr aufgeregt gewesen. In welcher Weise der Angeklagte gezielt habe, sei ihm nicht erinnerlich. Nach beendigtem Zweikampf sei der Angeklagte zunächst planlos in den Wald gelaufen, alsdann mit ihm nach Hameln gefahren. Der Angeklagte habe alsdann den Wunsch geäußert, nach Leipzig zu fahren und den Ausgang des Zweikampfes der Frau v. Bennigsen mitzuteilen. Er habe darauf dem Angeklagten gesagt, er dürfe auf keinen Fall länger in Leipzig verweilen, als unbedingt erforderlich sei. Ob der Angeklagte dies getan habe, wisse er nicht. – Bürgermeister a. D. Schmidt (Berlin): Ich bin ein langjähriger Freund des Vaters des Angeklagten. Am Vormittag des 18. Januar kam der Angeklagte zu mir und machte mir von dem Vorgefallenen Mitteilung. Ich sagte ihm, daß ich bereits durch die Zeitungen Kenntnis davon habe, und daß ich auch gehört habe, Herr v. Bennigsen sei inzwischen gestorben. Der Angeklagte brach bei dieser Mitteilung vollständig zusammen. Nach einiger Zeit bat er mich, ihm Papier, Tinte und Feder zu geben, damit er sein Testament machen könne, außerdem fragte der Angeklagte, was er machen solle. Ich riet ihm, sich sofort der Staatsanwaltschaft zu Hannover zu stellen, er solle aber vorerst noch den Rat des Herrn Justizrats Krause in Berlin (Vizepräsident des Abgeordnetenhauses und ebenfalls langjähriger Freund des alten Falkenhagen) einholen. Ich lud den Angeklagten ein, bei mir Mittag zu essen. Nachmittags gingen wir zu Herrn Justizrat Krause. Dieser riet dem Angeklagten ebenfalls, sich sofort der Staatsanwaltschaft in Hannover zu stellen. Der Angeklagte sandte darauf einen eingeschriebenen Brief an die Staatsanwaltschaft zu Hannover. Ich ging alsdann mit dem Angeklagten in das Lokal von Siechen und von dort in die Weinhandlung von Kempinski. Der Angeklagte war ungemein niedergeschlagen. Da mir bekannt ist, daß die Zustände in der Friedrichstraße in Berlin geradezu toll sind (Heiterkeit), so begleitete ich den Angeklagten in sein Hotel. Wir wurden, es war in später Nacht, von einer ganzen Anzahl Dirnen angerempelt, der Angeklagte hat aber alle diese Zudringkeiten sehr energisch zurückgewiesen. Am folgenden Tage hörte ich, daß der Angeklagte verhaftet sei. – Gerichtsarzt Dr. Schwabe, begutachtete: Die Kugel habe den Darm durchgeschlagen und so tief gesessen, daß er sie nur mit Mühe mit dem Meißel herausstemmen konnte. Der Tod sei durch Verblutung in der Bauchhöhle eingetreten. – Der Vorsitzende verlas darauf die den Geschworenen vorzulegenden Schuldfragen: 1. Ist der Angeklagte schuldig, einen Zweikampf mit dem Landrat v. Bennigsen bestanden und 2. in diesem seinen Gegner getötet zu haben? – Es nahm alsdann das Wort Erster Staatsanwalt Dr. Kitz: Es haben in der letzten Zeit mehrfach Zweikämpfe mit tödlichem Ausgange stattgefunden. Aus diesem Anlaß hat sich die Presse eingehend mit der Frage wegen der Berechtigung des Zweikampfes beschäftigt. Von der einen Seite wird der Zweikampf als ein notwendiges Übel, von der anderen Seite als Unsitte bezeichnet, die allen göttlichen und menschlichen Gesetzen und aller Logik widerspricht. Es ist von dieser Stelle nicht meine Aufgabe, über die Berechtigung des Zweikampfes ein Urteil abzugeben. Ich bin aber der Meinung, eine seit Jahrhunderten im deutschen Volke eingebürgerte Sitte ist nicht so ohne weiteres aus der Welt zu schaffen. Es ist von gewissen Zeitungen verlangt worden, die Tötung im Zweikampfe als Mord zu bestrafen. Das ist selbstverständlich ein vollständiges Verkennen der Sachlage. Eine hiesige Zeitung schrieb: Herr Landrat v. Bennigsen hat in leichtfertiger Weise sein Leben aufs Spiel gesetzt und dabei den Kürzeren gezogen. Das entspricht selbstverständlich in keiner Weise dem Ernst der Sachlage. Herr v. Bennigsen, der sein ganzes Lebensglück und das seiner Kinder zerstört sah, konnte nicht anders als in dieser Weise als Rächer seiner Ehre auftreten. Selbstverständlich soll auch den Duellanten eine möglichst hohe Strafe treffen. Das Gesetz hat gegen Duellanten eine Strafe bis 15 Jahren Festung vorgesehen. Ich habe die Überzeugung, der Gerichtshof wird bei der Strafzuerkennung die gesamten Umstände in Betracht ziehen und auf eine hohe Strafe erkennen. Wenn ein Mann im Alter des Angeklagten auf eine Reihe von Jahren seiner Freiheit beraubt wird, dann ist das immer eine erhebliche Strafe. Eine entehrende Strafe ist in dem gegenwärtigen Falle nicht möglich. Es muß aber auf eine möglichst hohe Strafe erkannt werden, schon um dadurch eine Verminderung der Duelle herbeizuführen. Es steht fest, daß der Angeklagte seinen Gegner im Zweikampfe töten wollte und auch, daß er der frivole Beleidiger ist. Er hat sich als Freund in das Haus des Herrn v. Bennigsen eingeführt und ist pflichtvergessen genug gewesen, diese ihm gewährte Gastfreundschaft in schmählichster Weise zu mißbrauchen. Er hat dadurch nicht bloß das Familienglück des Herrn v. Bennigsen zerstört, sondern auch durch sein Verhalten im Zweikampfe die fünf Kinder ihres Vaters beraubt. Es ist das um so schlimmer, da die Kinder von der Mutter für immer getrennt sein dürften. Strafmildernd kann hier höchstens in Betracht kommen, daß Frau v. Bennigsen um mehrere Jahre älter als der Angeklagte ist, und daß mithin die Schuld mehr auf seiten der Frau v. Bennigsen liegt. Ich ersuche Sie, meine Herren Geschworenen, die Schuldfragen zu bejahen. – Vert. R.-A. Dr. Stehmann: Ich kann mich den Ausführungen des Herrn Ersten Staatsanwalts im allgemeinen anschließen, ich weiche nur bezüglich der Ausführungen über das Strafmaß von dem Herrn Ersten Staatsanwalt ab. Ich behalte mir die Ausführung hierüber vor. – Der Angeklagte erklärte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er nichts mehr zu sagen habe. Der Vorsitzende erteilte den Geschworenen die vorgeschriebene Rechtsbelehrung. Darauf zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Nach kaum 20 Minuten traten die Geschworenen wieder ein. Der Obmann verkündete, daß die Geschworenen beide Schuldfragen bejaht haben. Der Erste Staatsanwalt beantragte, den Angeklagten zu acht Jahren Festung zu verurteilen. – Vert. R.-A. Dr. Stehmann: Ich muß diesen Strafantrag als einen außergewöhnlich hohen bezeichnen. Es muß doch berücksichtigt werden, daß der Angeklagte offenbar in den Zweikampf ging, um seine Schuld Zu sühnen. Ich verkenne nicht, daß der Angeklagte frivol gehandelt hat, allein es darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Angeklagte um mehrere Jahre jünger als Frau v. Bennigsen ist, und daß wohl kaum ein anderer unverheirateter Mann der Verführung dieser Frau widerstanden hätte. – Erster Staatsanwalt: Diesen Umstand habe ich bereits als Milderungsgrund angeführt und dies auch beim Strafantrage berücksichtigt. Die Festungsstrafe ist verhältnismäßig eine milde, deshalb muß sie aber wenigstens eine hohe sein. – Nach nur kurzer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor v. Lütcken: Der Gerichtshof hat den Angeklagten wegen Tötung seines Gegners im Zweikampf zu sechs Jahren Festung verurteilt und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Gerichtshof hat bei der Strafzumessung erwogen, daß der Angeklagte die ihm von dem Landrat v. Bennigsen gewährte Gastfreundschaft in schmählichster Weise mißbraucht und sich somit der Lüge und Heuchelei schuldig gemacht hat. Der Angeklagte hat nicht bedacht, daß er durch seine niedere Handlungsweise das Lebensglück der Familie Bennigsen zerstöre und die Zukunft der Kinder vernichte. Er ist augenscheinlich in den Zweikampf gegangen, um seinen Gegner zu töten. Strafmildernd kann nur in Betracht kommen, daß der Angeklagte von der um mehrere Jahre älteren Frau v. Bennigsen verführt worden ist. Deshalb ist, wie geschehen, erkannt worden. – Der Erste Staatsanwalt und der Angeklagte erklärten, daß sie auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichten. Der Angeklagte, der furchtbar niedergeschlagen aussah und unaufhörlich die Augen zu Boden senkte, wurde hierauf von zwei Gefangenaufsehern wieder abgeführt.