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Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795

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Autor: Emma Adler
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Titel: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795
Untertitel: Mit 9 Porträts
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Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: C. W. Stern
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: Scans auf Commons
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[III]

Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795.


Mit 9 Porträts.
Von
Emma Adler.



Wien 1906
C. W. Stern
(Buchhandlung L. Rosner), Verlag.


[V] Inhaltsverzeichnis:


Vorwort VII
Madame Legros 1
Théroigne de Méricourt 12
Charlotte Corday 26
Madame Roland 49[WS 1]
Lucile Desmoulins 157
Olimpe de Gouges 182
Rose Lacombe 198
Madame Bouquey 205
Madame Tallien 214
Die Marquise von Condorcet 228
Anhang 244
Quellenliteratur 279
[VII]
Vorwort.


Dies Buch gilt den Frauen der grossen französischen Revolution. Nicht jenen allein, die den einzelnen Abschnitten des Buches ihren Namen geben; sondern all denen, die der grosse Augenblick, die gesteigerte Spannkraft allen Lebens zu Heldinnen machte, deren Taten unbeachtet blieben, weil sie für selbstverständlich galten. Die Revolution hatte Weiber entmenscht. Das Mitansehen von Hinrichtungen wurde weibliches Vergnügen; um die Zeit von einer Hinrichtung zur anderen nützlich zu verbringen, arbeitete man friedlich an einem Strickstrumpf; das Schauspiel der Guillotinierung selbst wurde mit Geschrei und Tänzen begleitet, deren abscheulicher Anblick den ruchlosen Weibern zuerst den Namen „Sansculotten“ eintrug; mit tierischem Jubel wurde der Moment des „Karpfensprungs“ und „In den Sack niesen“ begrüsst, wenn das Blut aufspritzte und der Kopf hinabfiel. Immer neue Erfindungen perverser Blutgier halfen über die Abstumpfung der täglichen Wiederholung hinweg. Aber dieselbe Revolution hatte in jener anderen Gruppe von Frauen, der die Gestalten dieses Buches angehören und wie eine bessere, höhere Menschengattung von den Hyänen der Guillotine geschieden ist, die tiefsten, herzlichsten Instinkte geweckt, von dem tatkräftigsten Mitleid bis zum heroischen Kampf, von der stürmischsten Lebensenergie bis zur gleichgültigen Todesverachtung. Viele kämpften und starben mit dem Bewusstsein, dass ihr Andenken sich im Dunkel der Zeiten verlieren werde. Manche von ihnen, die nicht in die Zahl der grossen Gestalten aufgenommen werden kann, [VIII] verdient einen kleinen Gedenkstein in der Geschichte jener Zeiten.

Rose Bouillon, ein tapferes Weib, wollte ihrem Manne in die Schlacht folgen, sie verschaffte sich eine militärische Uniform und wurde eingereiht. Sechs Monate hindurch ertrug sie alle Strapazen des Kriegerlebens, als ihr Mann an ihrer Seite, in der Schlacht von Limbach, von drei Kugeln durchbohrt, fiel. Trotzdem kämpfte sie bis ans Ende der Schlacht mutig weiter. Dann kam sie um ihren Abschied ein; doch wurde er ihr verweigert. Da erst gab sie sich zu erkennen, indem sie sagte, sie fordere ihren Abschied, um ihren Kindern gegenüber ihre Pflicht als Mutter erfüllen zu können, so wie sie bis nun ihre Pflichten ihrem Manne und ihrem Vaterlande gegenüber erfüllt habe, soweit dies in ihrer Macht gelegen wäre. Man zollte ihr Bewunderung, sie bekam ihren Abschied und überdies eine Ehrenpension von einigen hundert Franken.

Rose Bouillon war nicht die einzige, die in den Kampf zog und sich durch Tapferkeit und Mut auszeichnete. Ferner sei zweier Schwestern gedacht, die im zarten Alter von dreizehn und sechzehn Jahren ihrem Vater in den Kampf folgten, um die Grenze mit ihm zu verteidigen. Es sind dies die Schwestern Félicité und Théophile Fernig. Frau Pochelat und Madeleine Petit Jean, diese, die Mutter zahlreicher Kinder, zeichnete sich in der Vendée durch ihr unerschrockenes Eingreifen in den Kampf aus. Zwei Mädchen, die achtzehnjährige Rose Marchant und die sechzehnjährige Elisa Quatre-Sous, hatten mehrere Feldzüge der republikanischen Armee mitgemacht. Claudine Bouget wurde als Volontär eingereiht. Alle glänzten durch einen Mut, der weit über den ihres Geschlechtes ging und überall Bewunderung hervorrief, wenn man erfuhr, dass sie dem weiblichen Geschlechte angehörten.

Vielleicht mag man in der Teilnahme an dem Krieg einen unweiblichen Zug erblicken, obwohl es sich in den meisten Fällen vor allem darum handelte, eine geliebte [IX] Person in alle Gefahren begleiten zu dürfen. Doch die Treue des Weibes bis in den Tod feierte ihre täglichen Triumphe, als der Schrecken der Bürgerverfolgungen wütete.

Häufig kam es vor, dass Frauen, die gar nicht zum Tode verurteilt waren, alles daran setzten, gleichzeitig mit ihren Männern auf dem Schafott zu sterben. So z. B. Madame Mouchy. Als ihr Mann ins Gefängnis des Luxembourg gebracht wurde, begab sie sich auch dahin. Man machte sie aufmerksam, dass im Verhaftsbefehl nur ihres Mannes, ihrer aber gar nicht erwähnt sei. Sie antwortete: „Da mein Mann verhaftet ist, so bin ich es auch.“ Als ihr Mann vor das Revolutionstribunal geführt wurde, ging sie ebenfalls mit; als man ihr sagte, sie sei nicht vorgeladen, erwiderte sie: „Da mein Mann vorgeladen ist, so bin ich es auch.“ Als er aufs Schafott stieg, ging sie ebenfalls mit. Man sagte ihr, dass sie nicht zum Tode verurteilt sei. „Da mein Mann zum Tode verurteilt ist, so bin ich es auch.“ Sie war glücklich, mit ihrem Manne sterben zu können, den sie so sehr liebte. Der alte, kranke Mann einer jungen schönen Frau, namens Lavergne, sollte zum Tode verurteilt werden. Trotz des Missverhältnisses der Jahre liebte sie ihn innig und wollte seinen Tod nicht überleben, sondern sein Schicksal teilen. Aber es gelang ihr nicht sogleich, sie bat die Richter, diese höhnten sie, verwiesen sie auf ihre Jugend und Schönheit, spotteten über ihren alten Mann und meinten, sie könne nun einen jungen leicht finden. Zu ihrem Schmerz gesellte sich Empörung und Zorn. Sie erwartete, in der Menge stehend, die Stunde, in der ihr Mann vor dem Revolutionstribunal erscheinen sollte. Da er schwer krank war, trug man ihn auf einer Matratze hinein; er antwortete mit ersterbender Stimme auf die ihm vorgelegten Fragen. Als sein Todesurteil verkündet wurde, schrie Madame Lavergne mit markerschütternder Stimme „Es lebe der König! Es lebe der König!“ Sie schrie so lange, bis sie das erreichte, was sie wollte. Sie wurde verhaftet und gab beim Verhör an, dass sie aus lauter Begeisterung für den [X] König in diesen Ruf ausgebrochen sei, und bis zu ihrem Tode nicht aufhören werde, ihren Gefühlen in dieser Weise Ausdruck zu verleihen! Sie wurde, wie sie es gewünscht, zum Tode verurteilt und fuhr im selben Karren wie ihr Mann zur Richtstätte. Ihr Mann lag mit geschlossenen Augen da. Sie rief ihn, er sah sie erstaunt und fragend an. Sie sagte ihm: „Du weisst, dass ich ohne dich nicht leben kann, nun sterben wir gemeinsam!“

Diese Frau nähert sich mancher Grösseren, die in gleicher Liebe das gleiche Schicksal über sich heraufbeschwor, deren ganze Lebensführung aber einen höheren Schwung aufweist, als jener Frauen, deren einzige Bedeutung in ihrer Liebe zum Gatten ruht.

Man verkannte damals, wie zu allen Zeiten die Tapferkeit und den Mut der Frauen, man fand es kaum der Mühe wert, diese Eigenschaften anzuerkennen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Der Eifer, mit dem die Frauen die Revolution erfassten, entsprang ohne Zweifel dem Bewusstsein der moralischen Erniedrigung, in die sie gesunken waren.

Nur zwei Männer, Condorcet und Siéyès, beschäftigten sich mit der Lage der Frau in der Republik, sie fühlten, dass sie nicht weiter das bleiben konnte, was sie unter dem Königtum war, dass sie in einem Jahrhundert der Aufklärung nicht die bleiben konnte, die sie in den Zeiten der Barbarei war, das heisst, ohne Eigentum, ohne politische Rechte, ferngehalten von der Leitung der Geschäfte, kaum dazu berufen und zugelassen, die Angelegenheiten ihrer eigenen Familie zu führen, ihr Eigentum, das sie in die Ehe gebracht, zu verwalten, und auch über die Kinder, denen sie das Leben gegeben, rechtlichen Einfluss zu haben. Condorcet und Siéyès fanden, dass es im Staate genug Beschäftigungen gibt, die zu leisten die Frauen geradezu berufen, und zu denen ihre Anlagen besonders geschaffen seien.

Aber der Tod Condorcets machte all’ diese Pläne der Befreiung der Frau aus jahrhundertelanger Sklaverei zunichte.

[XI] Manch eifrige Freundin der Revolution war in die politische Bahn gedrängt worden, weil ihr Freiheitsbedürfnis, das der Sensucht ihres eigenen Geschlechtes entsprang, sich mit dem allgemeinen Freiheitsrausch vereinigte. Die tätigen Revolutionärinnen Rose Lacombe und Olimpe de Gouges waren vor allem Kämpferinnen für die Rechte der Frau. Doch keine von allen, weder Madame Roland, deren geistige Bedeutung ein Goethe anerkannte, die Anteil an den Fragen der Tagespolitik nahm, noch die Tallien, die zu politischen Umwälzungen mit den Anstoss gab, noch Frau Bouquey, die sich in Kampf und Auflehnung gegen das herrschende Jakobinertum setzte, weil flüchtige Girondisten das Mitleid ihres Herzens weckten, ein Mitleid, fast so gross wie das der tapferen Frau Legros, die durch eine Tat des Mitleids die Bastille zerstören half, noch Charlotte Corday, die mit vollem Bewusstsein einen politischen Mord beging, noch die Frauen angefeindeter und verfolgter Staatsmänner, wie die Condorcet und Desmoulins, keine von ihnen ist über das Grab hinaus von den Freunden missverstanden, vom politischen Hass so besudelt worden, wie Théroigne de Méricourt.

So interessant, abwechslungreich und tragisch das Leben der Théroigne de Méricourt auch ist, so ist es nicht minder wahr, dass man die Geschichte der französischen Revolution schreiben könnte, ohne sie zu erwähnen, ohne dass die Darstellung eine Lücke aufwiese. Denn alles, was die geschichtlichen Darstellungen bis nun zu ihrem politischen Ruhme behauptet haben, ist historisch unhaltbar. Sie soll eine der Ersten bei der Erstürmung der Bastille gewesen sein, man sah sie sogar einen der Thürme erklettern! Sie soll bei den Vorgängen des 5. und 6. Oktober die Hauptrolle gespielt haben!! Und doch beruht dies alles nur auf Erfindung.

Im k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien erliegt eine Art Selbstbiographie, die Théroigne de Méricourt im Gefängnis von Kufstein zu ihrer Verteidigung [XII] niedergeschrieben hat. Die Dinge, die sie darin über die Ereignisse der französischen Revolution, mit denen sie in Zusammenhang gebracht wird, sagt, sind gewiss wahr. Sie hätte sich all der ihr zugeschriebenen Taten lieber gerühmt, als sie in Abrede gestellt. Ueberdies hatte sie auch gar keine Ursache Dinge zu leugnen, die auf den Hochverratsprozess, den man ihr anhängig gemacht hatte, von gar keinem Einfluss gewesen wären. Und wie leicht hätte man ihr damals alles nachweisen können, falls es falsch gewesen wäre, wo die Ereignisse noch so frisch im Gedächtnis aller lebten!

Sie war eine Idealistin, die von allem Guten und Schönen, von der Freiheit begeistert, gewiss jeden Augenblick bereit gewesen wäre, ihr Leben zu opfern. Aber all das, was man ihr andichtet, ist sicherlich nicht wahr, nicht das Gute, nicht das Böse.

Viel länger als ein Jahrhundert existiert diese kostbare Selbstbiographie und noch immer wird Théroigne als Courtisane, als eine von Ausschweifungen völlig kranke Person dargestellt.

Da sie viel Geld hatte, so nahm man an, sie habe viele Liebhaber besessen, denn dass ihr Bräutigam ihr ein Vermögen geschenkt hatte, das wusste man nicht und erging sich daher in so lieblichen Phantasien. Auch an ihren garstigen Krankheiten ist kein wahres Wort. Der berühmte Psychiater Esquirol, der sie in der Salpêtrière viele Jahre hindurch behandelte, schrieb über ihre Geisteskrankheit; er erzählt, dass sie sich körperlich sehr wohl fühle, trotzdem sie in ihrer feuchten, finsteren, kleinen Zelle, ohne alle Einrichtung, ein Dasein führe, dass es geradezu ein Wunder sei, wie ihre Gesundheit all diesen bösen Einflüssen widerstehen könne. Selbst im Winter ging sie immer völlig unbekleidet, barfuss auf den Steinfliesen ihrer Zelle auf und ab. Sie goss überdies Wasser aus, das dann fror. Nie konnte sie, selbst in der grimmigsten Kälte, dazu gebracht werden, etwas anzuziehen, noch des nachts sich wärmer [XIII] zuzudecken. Während des Frostes, wenn sie nicht genug Wasser haben konnte, schlug sie das Eis in ihrer Zelle auf und wusch sich mit dem darunter befindlichen Wasser die Füsse und den ganzen Körper. Sie ass alles, was sie am Boden fand, Stroh, Brotkrumen, Abfälle, sie trank am liebsten Spülwasser, und dennoch lebte sie in dieser Weise fast fünfundzwanzig Jahre lang im Irrenhaus. Wie könnte ein von Krankheit zerstörter Körper diese Lebensweise ein Vierteljahrhundert aushalten. Um diesen schädlichen Einflüssen so lange standhalten zu können, dazu bedurfte es einer eisernen physischen Gesundheit. Und die musste sie wohl nach all dem besessen haben.

Als Théroigne de Méricourt ihre Selbstbiographie hinter den Festungsmauern von Kufstein niederschrieb, geschah es, um das mündliche Verhör zu vereinfachen; sie dachte dabei nicht an die Nachwelt, nicht an ihren Nachruhm, nicht an die Verleumdungen. Wie konnte sie nur einen Augenblick denken, dass die armseligen, mit Bleistift geschriebenen Blätter so sorgfältig aufgehoben werden würden. Das kam ihr gewiss nicht in den Sinn. Ihr war damals nur darum zu tun, ihre Freiheit wieder zu erlangen und den Beweis zu erbringen, dass sie weder Marie Antoinette nach dem Leben getrachtet, noch sich des Hochverrates schuldig gemacht habe.

Um so mehr kann man allen ihren Daten Glauben schenken und der Aufzeichnung ihrer Erlebnisse mehr Vertrauen entgegenbringen, als den phantasiereichen Erfindungen ihrer Zeitgenossen und ihrer vielen Feinde.

Man wird ihre biographischen Aufzeichnungen nicht ohne Rührung und Bewunderung lesen. Welche Liebe und welcher Zartsinn ist darin enthalten. Wie originell und schön weiss sie darzustellen, wie ist ihre Sprache urwüchsig, trotzdem sie so wenig gelernt hatte, sie, die ihre Jugendjahre in schwerer Arbeit und Pein, statt mit Lernen verbringen musste.

Mag der Leser sich ihrem Schicksal ebenso geneigt [XIV] zeigen, wie dem der übrigen Heldinnen, die dieses Buch zu schildern unternimmt.

Für die Benützung der Handschrift, deren Veröffentlichung hier zum erstenmale erfolgt, sowie für die freundliche Unterstützung[WS 2] bei der Entzifferung der Handschrift, bin ich den Herren Archivdirektor Hofrat Gustav Winter und Archivar Dr. Hans Schlitter zu besonderem Dank verpflichtet.

[XV]
Madame Legros.


Quand l’Hydre despotique asservissoit la France :
Elle osa le braver pour servir l’innocence ;
Latude, dans les[WS 3] fers, par l’intrigue abattu,
A son courage seul a du sa delivrance ;
Sans biens et sans crédit, sa rare bienfaisance
A sçu vaincre la haine à force de vertu.

[1]
Madame Legros.


Madame Legros, Besitzerin eines kleinen Schnittwarengeschäftes, fand eines Tages auf der Strasse ein Bündel Schriften; die Hülle war durch die Feuchtigkeit zerfasert, die Siegel aufgeweicht. Mit Schaudern las die Finderin folgende Überschrift: „Masers de Latude, ein unschuldig Gefangener, der seit 32 Jahren in der Bastille, in Vincennes und derzeit in Bicêtre bei Wasser und Brot, sechs Fuss unter der Erde gefangen gehalten wird.“ Sie ging sofort in ihre Wohnung zurück, liess ihren Geschäftsgang Geschäftsgang sein und las mit Begierde die hier geschilderten Einzelheiten von Latudes Leiden. Nachher schrieb sie alles für sich ab, und ihr Mann trug das Paket selbst an seinen Adressaten, den Präsidenten v. Gourgue.

Wer war dieser Latude, und was sein Verbrechen? Masers de Latude wurde am 23. März 1725 im Schlosse Cransech, nahe dem Schlosse Montagnac in der Provinz Languedoc, auf einem Gute, das dem Marquis v. Latude gehörte, geboren. Sein Vater war Ritter des königlichen Ordens und hoher Militär. Die Erziehung Latudes war die eines Edelmannes, der dazu bestimmt war, seinem Vaterlande und seinem Könige zu dienen. Er wurde, als er 23 Jahre alt war, nach Paris geschickt, um seinen Studien zu obliegen. Ein grosser Ehrgeiz beherrschte ihn, er hielt sich für sehr begabt, er wollte eine Rolle spielen.

Das Mittel, zu dem er griff, um sich Protektion zu [2] verschaffen, war nichts weniger als sympathisch, es war dumm und gleichzeitig verwerflich, aber wie immer man es auch werten mag, die schwere Kerkerstrafe von 35 Jahren, die er in den verschiedenen Gefängnissen abbüsste, stand nicht im entferntesten im Verhältnis zu dem albernen Jugendstreich, zu dem ihn seine Phantasie verführt hatte.

Eines Tages, es war dies im Jahre 1749, befand sich Latude in den Tuilerien und war zufällig Ohrenzeuge eines Gespräches, das zwei Männer führten, die ihrer verächtlichen Meinung über die Pompadour, die damals noch unumschränkt herrschte, freien Lauf liessen. Nun kam Latude ein toller Gedanke; er wollte durch eine erfundene Geschichte die Pompadour vor einem ihr bevorstehenden Attentat warnen und sich auf diese Weise ihre Gunst und Protektion erwerben. Er schrieb ihr einen Brief, legte ein völlig unschädliches Pulver hinein, warf diese Sendung in den Postkasten und eilte spornstreichs nach Versailles. Er suchte an, vorgelassen zu werden, und erzählte ihr nun seine selbsterfundene Geschichte und warnte sie vor dem bevorstehenden Attentat. Er beschwor sie, die Pakete, die von nun an einlangen würden, mit der grössten Vorsicht zu öffnen. Er habe, fügte er noch zum Schlusse hinzu, die beiden Männer bis zur Post verfolgt, und gesehen wie sie ein Paket aufgegeben hätten, das gewiss, nach ihren Gesprächen zu urteilen, an sie gerichtet sei und wohl einen gefährlichen Inhalt enthalten dürfte. Die Pompadour war im ersten Augenblick sehr gerührt und reichte Latude eine mit Gold gefüllte Börse hin, um ihm ihre Dankbarkeit zu bezeugen, er aber lehnte das Geschenk ab und sagte, dass er sich berechtigt glaube, auf eine ihrer und seiner würdigere Belohnung Anspruch erheben zu dürfen!

Die Pompadour war misstrauisch und argwöhnisch nach Tyrannenart, sie forderte, er solle ihr seine Adresse aufschreiben, um ihm gegebenenfalls Nachricht zukommen lassen zu können. So jung und unbedacht war er, dass er die Falle, die ihm gelegt wurde, gar nicht bemerkte.

[3] Das angekündigte Paket traf pünktlich ein, das Pulver wurde chemisch untersucht, als völlig ungefährlich befunden, die Schriften verglichen, und von ein und derselben Hand stammend erkannt. Die Pompadour sah in all dem einen blutigen Hohn, ja ein Verbrechen, und gab die strengsten Befehle, Latude dingfest zu machen. Er sass ahnungslos in seiner Wohnung und malte sich eben alle möglichen herrlichen Situationen aus, in die er durch die mächtige Protektion der Pompadour gelangen würde, als man kam, um ihn zu verhaften und in die Bastille zu führen, die er erst nach 35 Jahren, dank der kühnen, hochherzigen Bemühungen einer ihm völlig fremden Frau verlassen sollte.

Dem nur durch seine Qualen abwechslungsreichen Leben, das er so lange ertragen musste, suchte sich Latude wiederholt durch die Flucht zu entziehen: immer vergebens! Das erstemal wäre ihm die Flucht beinahe gelungen. Mit ihm war gleichzeitig ein Priester interniert, namens Saint-Sauveur, ein sehr gütiger Mensch, der den andern durch seine Gespräche und seine Bücher die Haft zu erleichtern suchte. Und eines Tages, nach neun Monaten der Gefangenschaft, als der Wunsch nach Freiheit wieder mächtig in Latude erwachte, benützte er die allgemeine Beliebtheit des Priesters, um zu entspringen.

Latude wurde täglich für zwei Stunden in einen der Bastille-Gärten hinabgeführt; wenn der Kerkermeister kam, um ihn zu holen, eilte er schneller als dieser die Treppe hinab. An jenem Tage, da er seinen Fluchtversuch im Sinne hatte, sprang er die Treppe in rasendem Tempo hinab; anstatt sich zum Garten zu wenden, lief er auf die entgegengesetzte Seite zu einem verschlossenen Tore, das aus dem Turm führte. Er klopfte, worauf die Wache öffnete, er fragte sie nach dem Abbé Saint-Sauveur und behauptete, dass er ihm schon zwei Stunden nachrenne, da der Priester ihm versprochen hätte, im Garten zu warten. Während Latude diese erfundene Geschichte hersagte, rannte er weiter, die Wache erkannte nicht, dass er ein Sträfling sei, [4] und liess ihn unbehelligt durch. Mit der gleichen Frage verblüffte Latude noch weitere drei Wachen, die ihn alle unbehelligt durchliessen; als er die vierte passiert hatte, befand er sich ausserhalb der Gefängnismauern. Aber nicht lange, denn er wurde ausgeforscht und wieder eingebracht.

Die zweite Flucht gelang ihm, indem er aus seiner reichhaltigen Garderobe und seinem Wäschevorrat sechs Monate hindurch Strickleitern knüpfte, und dann durch den Schornstein seiner Zelle, über die Dächer und Türme der Bastille, mit tausend Lebensgefahren den Erdboden ausserhalb der Gefängnismauern erreichte! Aber wie immer nach allen Fluchtversuchen erwies er sich unvorsichtig und man fand ihn wieder.

Die Verfolger Latudes beschuldigten ihn eines gemeinen Diebstahls, sie taten es aber erst, als er nach einer missglückten Flucht wieder in Gewahrsam sass und keine Mittel hatte, sich zu verteidigen. Bei dieser neuen Niedertracht unterlag er unter der Schwere seiner Ketten. Er hatte alles ertragen, die Schrecken des Hungers, die Unbilden der Witterung in strengster Winterkälte, alle Entbehrungen mitsammen, aber die Gemeinheit, jene entsetzliche Tortur der unterdrückten Unschuld – nein, er konnte nicht stillschweigend ihr Opfer werden. Er wandte sich um Hilfe und Unterstützung an seine Eltern und Verwandten, damit sie ihm dazu verhelfen sollten, seine Unschuld zu erweisen, aber sie antworteten ihm, dass er durch seinen Betrug selbst alle Bande freventlich zerrissen hätte, die ihn bis dahin mit seiner Familie verknüpft hätten, dass sie ihn von nun an nicht mehr kennten. Er verfiel in völlige Verlassenheit, er verlor allen Mut, alle Hoffnung und für lange sogar die Empfindung seiner Existenz. Er nahm in den verschiedenen Gefängnissen erborgte Namen an, um den seinen nicht zu beflecken.

Der Präsident v. Gourgue visitierte von Zeit zu Zeit die Gefängnisse und kam auch in die Bastille, in die Zelle Latudes. Er liess sich alles genau erzählen, er sagte dann [5] Latude, man müsste jeder Empfindung bar sein, wenn man von seinem Schicksal nicht gerührt wäre; er beauftragte ihn dann, alles zu Papier zu bringen und gab dem Kerkermeister Befehl, ihm das fertiggestellte Schriftstück sogleich zu übermitteln – dasselbe, das Madame Legros fand! Beim Abschied sagte der Präsident v. Gourgue zu Latude: „Rechnen Sie auf mich, Ihre Leiden sind zu gross als dass man sie vergessen könnte. Leben Sie wohl.“ Latude war gezwungen, einen Teil seines Brotes zu verkaufen, um sich die nötigen Schreibrequisiten zu verschaffen. Er schrieb alles mit seiner Seele nieder, er liess seinen Empfindungen freien Lauf, voll Vertrauen zu diesem guten, mitleidigen Protektor; er schilderte seine Leiden mit der Beredsamkeit des Unglücks, er sagte alles ohne Bitterkeit, aber auch ohne Schonung. Er wagte es nicht, das Schriftstück dem Kerkermeister anzuvertrauen. Er hatte sich all die Jahre hindurch einen guten Anzug und etwas Wäsche aufgespart und gar nicht benützt, um an dem immer erhofften Tag der Befreiung anständig gekleidet sein zu können. Er verkaufte alles und gab den Erlös dem Wachposten, damit dieser das Schriftstück dem Präsidenten v. Gourgue übergebe. Unglücklicherweise, oder besser gesagt, glücklicherweise bemerkte er nicht, dass der Mann berauscht war.

Der Präsident v. Gourgue empfing Herrn Legros, der ihm das Paket überbrachte, mit grösster Freundlichkeit und voll Dank, dass er durch ihn in den Besitz der Schriften Latudes gekommen sei, die er von Latude selbst erbeten hatte. Er versicherte, dass er von dem Inhalte der Schriften sehr gerührt und gleichzeitig empört sei, dass er schon lange vorher sich für Latudes Schicksal interessiert und zu seinem Schmerze erfahren hätte, Latude sei wahnsinnig geworden, allerdings nur an periodischem Wahnsinn leide, aber da die Krankheit bereits 32 Jahre anhalte, keine Aussicht auf Heilung vorhanden sei. Latude sei dadurch gemeingefährlich und seinen Freunden bleibe nichts anderes [6] übrig, als ihn zu beklagen und über sein Schicksal zu seufzen. Wäre der Gefangenwärter damals zufällig nüchtern gewesen, als er die Schriften an Herrn v. Gourgue zu übermitteln übernahm, so weiss man nun die Aussichten, die Latude gehabt hätte!

Als Herr Legros heimkam, sagte er seiner Frau, dass der Präsident v. Gourgue Latudes Verteidigung nicht übernehmen wolle. Sie war ausser sich. Sie las wieder die Darstellung seines Unglückes durch und war von der Wahrheit des Inhaltes völlig überzeugt. Sie erfüllte sich ganz mit dem Geiste, der jene diktiert hatte; an der Art, wie Latude seine Leiden schilderte, erkannte sie, dass er alle Bitternisse seiner Lage empfand; sie sah ein, dass ein Wahnsinniger sich nie so auszudrücken vermocht hätte, dass er sich nur aufzuregen, umherzuschlagen und sich von den Ketten, die so schwer drückten, zu befreien gesucht hätte, dass er aber nie jene kühne Sprache der Unschuld zu sprechen verstanden hätte, die sich nicht zum Betteln erniedrigen kann wie das Verbrechen. All diese Vorstellungen entflammten sie und klärten sie gleichzeitig auf, so dass sie nicht in denselben Irrtum verfiel wie der Präsident v. Gourgue.

Auch die Tatsache, dass man Latude keines Verbrechens beschuldigen konnte, sondern ihn einfach für wahnsinnig, für einen gefährlichen Narren erklärte, machte sie stutzig. Die Lektüre so vieler unmenschlicher Qualen rührte ihre empfindsame Seele und gleichzeitig erfasste sie ein Gefühl unsagbarer Empörung. Anfangs behielt sie alle ihre Pläne für sich, und pflegte während vieler Monate eifrig Nachforschungen, bis es ihr gelang, sich von der Wahrheit des Briefes und der Unschuld des Häftlings zu überzeugen. Dann aber machte sie seine Angelegenheit zu der ihrigen, wobei sie ihre eigenen Pflichten und Sorgen völlig vergass und drei Jahre hindurch keinem andern Gedanken zugänglich war, als den, einen ihr völlig Fremden, einen vom Unglück so sehr verfolgten Menschen zu befreien. Sie hatte weder einflussreiche Verwandte noch [7] solche Freunde, sie besass weder Vermögen noch irgend welche Protektionen: und doch unterzog sie sich solch einem schier aussichtslosen Unternehmen. Sie war genötigt, vornehme Herren, Männer in hohen Stellungen für Latudes Schicksal zu interessieren. Es gelang ihr, sie ging zu ihnen und sprach mit jener Beredsamkeit der Seele, der gegenüber die Beredsamkeit des Verstandes verblasst. Bald machte man ihr Hoffnungen, dann foppte man sie herum oder stiess sie roh fort! Doch sie beharrte, sie wurde nicht müde, Vorstellungen zu machen, sie schreckte vor keiner Beschwerlichkeit zurück. Die Freunde, die sie sich durch ihr kühnes, mutiges Vorgehen erworben hatte, zitterten für ihr Leben und waren besonders um ihre Freiheit in Sorge, wenn sie die Gefahren sahen, in die sich Madame Legros blindlings stürzte, aber sie war für alle Vorstellungen, für alle Bitten taub. Sie befand sich damals im siebenten Monate guter Hoffnung, als sie an einem kalten Wintertag zu Fuss nach Versailles ging und erschöpft von Hunger, Kälte und Müdigkeit ihre Wohnung endlich am Abend wieder erreichte; dabei war sie gedrückten Herzens, da ihre Bitten abschlägig beschieden wurden. Die Nachtstunden hindurch arbeitete sie für ihren Unterhalt und begab sich am andern Morgen wieder nach Versailles. Erst nach achtzehn Monaten, voll der grössten Anstrengungen, Mühen, Demütigungen und Entbehrungen, gelang es ihr, im Gefängnis die Bekanntschaft Latudes zu machen, und in jenem Zeitpunkt erfuhr er erst von den unbekannten Freunden, die er ausserhalb der Kerkermauern besass. Als sie das unsägliche Elend mit eigenen Augen geschaut hatte, fand sie aufs neue Kraft und Mut, um allen Hindernissen und Gefahren Trotz zu bieten. Im Anfang jener schweren Zeiten war sie niedergekommen. Doch trennte sie sich sehr bald von ihrem Kinde, sie gab es in Pflege, um ihr begonnenes Werk zu vollenden.

In ihrer Aufopferung für den Unglücklichen kannte sie keine Grenzen. Sie rannte in die entlegensten Vorstädte, [8] überallhin wo sie Leute vermutete, die sich für Latudes Schicksal interessieren könnten, sie hungerte, sie liess das Brot alt werden, damit sie nicht zu viel davon zu essen Lust bekomme; viele wollten ihr Unternehmen durch Geldspenden erleichtern, aber sie war nie dazu zu bewegen, auch nur das geringste anzunehmen. Ihr Mann, ein Lehrer der fremden Sprachen, brachte sich selbst sehr kümmerlich fort, doch hinderte er niemals seine Frau, das einmal begonnene Liebeswerk zu vollenden. Man bewunderte Madame Legros Ausdauer, man staunte über ihre Geschicklichkeit, die vielen Wege, die in die entgegengesetztesten Richtungen führten, oft in einem Tag zu bewältigen, dabei die Nacht nur zum kleinsten Teil zur Ruhe zu benützen. Sie arbeitete nicht allein für ihren Unterhalt, sondern sie setzte eine Ehre darein, die kleinen Schulden, die ihr Vater hinterlassen hatte, bei Heller und Pfennig zu begleichen. Sie ertrug diese ehrenhafte und ruhmvolle Dürftigkeit mit stoischer Ruhe. Latude empfand es unsagbar bitter, dass er ihr, die alles für seine Befreiung geopfert hatte, nichts zu bieten vermochte.

Madame Legros war diese drei Jahre, die bis zu Latudes Befreiung verstrichen, immer in Aufregung, immer in einer Hetzjagd. Sie verstand es alle möglichen Menschen, die vielleicht Latude zu helfen in der Lage waren, in Atem zu halten; sie war ohne Unterlass an ihren Türen, bei dem einen wusste sie das Mitleid anzufachen, bei dem andern wieder die Empfindsamkeit rege zu machen; diesem packte sie bei der Eitelkeit, jenem versprach sie Protektion irgend eines einflussreichen Mannes ihres neuen Bekanntenkreises. Es gelang Madame Legros, einen Höfling Marie Antoniettens für Latudes Schicksal zu interessieren. Er las eines Tages der Königin eben eine Schilderung des Unglücks vor, als ein anderer Höfling eintrat und ganz unbedacht erklärte, Latude sei wahnsinnig und die ganze Darstellung nichts als ein Lügengewebe. Das Blatt entfiel dem Vorleser und das eben erwachte Interesse [9] und die Teilnahme der Königin und des Hofes verschwanden augenblicklich.

Der Kardinal Rohan nahm an dem Schicksal Latudes Anteil. Madame Legros machte lange vergebliche Versuche, vorgelassen zu werden, sie verstand es die Portierfrau für Latude zu interessieren und gelangte auf diesem Umweg endlich zum Prinzen. Er war von Madame Legros Eifer und Mut sehr gerührt und versprach ihr, seinen Einfluss geltend zu machen. Eine Kommission sollte die gerechte Sache Latudes noch einmal überprüfen. Während 35 Jahre hatte Latude umsonst jene höllischen Gewölbe mit seinen Seufzern und seiner Verzweiflung ermüdet, seine Seele war jeden Augenblick durch Wutanfälle wie gebrochen und ohne Unterlass durch Schmerz niedergedrückt. Alle seine Glieder waren durch das Reiben und das Gewicht der Ketten gequetscht, der Körper von dem widerlichsten Getier zerfressen, anstatt reiner Luft hatte er die Ausdünstung der Fäulnis einzuatmen, und als Übermass des Entsetzens erschien es ihm immer, dass man ihn mit allen Mitteln gesund pflegte, wenn der Tot endlich Miene zu machen schien, seinen unerträglichen Leiden ein Ziel zu setzen und ihn seinen Henkern zu entreissen. Das war sein Los während dieser langen Reihe von Jahren. Diejenigen für die die Zeit angenehm verläuft, die in Freiheit und Freude leben, denen scheint sie allzurasch zu entfliehen, aber für einen armen Gefangenen, der im Kerker schmachtet, scheint sie regungslos stille zu stehen. Man bedenke, wie viele Jahrhunderte diese 35 Jahre für Latude zu enthalten schienen, dessen immer erneute Leiden sich in der Erinnerung verzehnfachten und seinen Mut und seine Kräfte untergruben. Als er nach einem seiner missglückten Fluchtversuche wieder im Gewahrsam sass und die Öde der scheinbar stillstehenden Zeit nicht zu ertragen vermochte, erhielt er durch die Protektion eines Richters, der ihm mit Wohlwollen entgegenkam und Mitleid mit ihm empfand, einen Privatdiener, mit dem er sprechen durfte, denn allen Gefangenwärtern [10] war es bei schweren Strafen untersagt, mit den Häftlingen zu reden. Aber der arme Teufel von Diener konnte diese Existenz nicht aushalten, er wurde ganz niedergeschlagen, er kränkelte von Tag zu Tag mehr, man entliess ihn nicht, trotzdem er und Latude darum ansuchten und die Vorgesetzten darum beschworen, man liess ihn hinsterben; es schien Latude, als ob man ihn auch mit diesem unglückseligen Anblick peinigen wolle. Man entfernte den Diener erst aus Latudes Zelle als er seinen letzten Seufzer aushauchte. Dieser junge Mensch war nicht imstande, dort drei Monate auszuhalten, wo Latude 35 Jahre verbringen musste und diese drei Monate sollen nach Latudes Behauptung noch verhältnismässig die besten gewesen sein, die er dort verlebt hatte. Latude sagt an einer Stelle seiner Memoiren: „Ich müsste eigentlich jedesmal, wenn ich von meinen unmenschlichen, ungerechten Richtern spreche, Madame Legros Namen nennen, zur Ehre der Menschheit und um den Glauben an sie wiederzugewinnen.“

Von den vielen guten Menschen, die sich um Latudes Befreiung bemühten, ist es hauptsächlich Madame Necker, deren Eifer es gelang, das schier Unmögliche möglich zu machen. Endlich hatte der Minister den Enthaftungsbefehl unterzeichnet, Madame Necker selbst davon in Kenntnis gesetzt und sie ermächtigt, Latude davon Mitteilung zu machen. Sonst war es Vorschrift, den Enthaftungsbefehl an das Polizeibureau zu schicken, welches es dann an den Häftling weiter beförderte. Der Polizeikommissär Le Noir, der Latude mit seinem Hass immer verfolgt hatte, entblödete sich nicht, dieses Schriftstück sechs Wochen lang zurückzuhalten, und ohne die energischen, mutigen Betreibungen Madame Neckers wäre der Befehl überhaupt unterschlagen worden, Latude hätte im Kerker verbleiben müssen und wäre in Ketten gestorben, trotz des Befehles, der alles aufhob. Aber kaum wird die Freilassung zur Tat, als ein neues Unglück Latude bedroht: eine Bedingung seiner Begnadigung war es, dass er in seinen Heimatsort zurückkehren müsse, dort unter strenger [11] Polizeiaufsicht den Rest seines Lebens zu verbringen habe, und keine Stunde in Paris verbleiben dürfe. Was sollte er in der Heimat, die ihm längst zur Fremde geworden war, wo seine Blutsverwandten sich hartherzig von ihm abgewendet hatten? Madame Legros nahm mit ihren vielen neugewonnenen Freunden den schweren Kampf wieder auf. Nach unsäglichen Mühen und Qualen erreichte sie es, dass Latude in Paris bleiben durfte, sie und ihr Mann nahmen ihn bei sich auf und dort fand er alle Freundschaft und Zärtlichkeit reichlich ersetzt, die ihm seine eigene Familie entzogen hatte!

Madame Legros erlebte nicht die Erstürmung und Zerstörung der Bastille. Sie starb kurz vorher. Aber ihr gebührt mit der Ruhm, sie zerstören geholfen zu haben. Sie war es, die die Phantasie des Volkes mit Hass und Entsetzen für dieses Gefängnis, „du bon plaisir“ erfüllte, in dem so viele Märtyrer des Glaubens und des Gedankens schmachteten. Die schwache Hand einer armen, vereinzelten Frau rüttelte an den massiven Eisengittern der Bastille und machte sie in ihren Grundfesten erbeben.

Das erste Auftreten der Frauen in der Laufbahn des Heroismus (ausserhalb der Familiensphäre) fand statt, wie man dessen gewärtig sein konnte, mit einer Tat des Mitleids.

Das war zu aller Zeit so, aber was wirklich dem grossen Jahrhundert der Humanität zuzuschreiben ist, was neu und originell ist, das ist die erstaunliche Beharrlichkeit in einem ungemein gefährlichen und unwahrscheinlichen Unternehmen, eine unerschrockene Menschlichkeit, die allen Gefahren Trotz bot, alle Hindernisse überwand und die Zeit bändigte! All das brachte die gute, einfache Madame Legros zustande. Ihr Name ist wert, neben den glänzendsten der grossen Revolution genannt zu werden.

[12]
Théroigne de Méricourt.


Théroigne de Méricourt, diese mit Unrecht verlästerte und unverstandene Amazone der französischen Revolution, wurde am 13. August 1762 in Marcour in der Provinz von Luxembourg geboren.

Sie hiess eigentlich Anne Josephe Terwagne, ein in Lüttich und im Luxembourg sehr häufiger Name, dessen Aussprache die französische Schreibweise wiedergiebt.

Théroigne verlebte eine traurige Kindheit, ihr Vater hatte durch unglückliche Prozesse und Unternehmungen sein Vermögen eingebüsst. Er war vorher ein wohlhabender Pächter gewesen und betrieb überdies einen kleinen Handel, wovon er und seine Familie behaglich leben konnten. Théroigne und ihre Brüder waren noch im zarten Alter, als ihre Mutter starb. Eine Tante, die sie in Lüttich hatte, nahm sich ihrer an. Anfänglich behielt sie das Mädchen bei sich, dann gab sie es in ein Kloster, wo Théroigne ein wenig nähen lernte. Als die Tante ein Jahr später heiratete, wollte sie nicht weiter im Kloster für ihre Nichte zahlen und nahm sie zu sich ins Haus. Doch sie behandelte das arme Kind so schlecht, dass dieses wieder zu seinem Vater zurückkehrte, der sich inzwischen ebenfalls wieder verheiratet hatte. Aber auch dort konnte Théroigne nicht lange bleiben, die Stiefmutter benahm sich gegen sie und ihre Brüder sehr herzlos, so dass die Kinder das elterliche Haus verliessen. Das Mädchen und ein jüngerer Bruder begaben sich zu Verwandten nach Xhoris. Théroigne war

[12b]
Théroigne de Méricourt.

[13] damals 13 Jahre alt und ihr Bruder in der zartesten Kindheit. Doch Arbeiten wurden von ihr gefordert, die zu ihrer Kraft und ihrem Alter in keinem Verhältnis standen, aber das hätte sie noch eher ertragen, als die Demütigungen, denen sie ausgesetzt war. Als diese unerträglich wurden, kehrte sie wieder zu der bösen Tante nach Lüttich zurück, aber diese behandelte sie nach wie vor so schlecht, dass Théroigne in die Provinz von Limbourg ging, wo sie ein Jahr hindurch die Kühe hütete. Nach Ablauf dieser Zeit kam sie wieder nach Lüttich, wo sie nähen lernte. Als sie 16 Jahre alt war, machte sie die Bekanntschaft einer englischen Dame, die sie zu sich nahm und sie in jeder Beziehung sehr gut behandelte. Ihr verdankte es auch Théroigne, dass sie in der Musik Unterricht bekam. Als sie 20 Jahre alt war, ging sie mit jener Dame nach England. Dort lernte sie in deren Hause einen jungen, reichen Engländer kennen. Er machte ihr in der ehrbarsten Weise den Hof,[WS 4] zeigte ihr bei jeder Gelegenheit, wie lieb und teuer sie ihm sei, auch ihr wurde der junge Mann immer sympathischer, und nach und nach erwachte heftige Liebe in beider Herzen. Die Dame nahm sich Théroignes mütterlich an, sie riet ihr, den Verkehr mit dem reichen Manne aufzugeben, da sie an den Ernst seiner Absichten nicht glaubte, sie ging sogar so weit, dem jungen Mann ihr Haus zu verbieten. Doch er liess von seinen Bewerbungen nicht ab. Eines Abends, als die Dame nicht daheim war, kam der junge Engländer zu Théroigne hinauf und sagte ihr tausend schöne Dinge, er sprach von seiner Liebe und schlug ihr vor, mit ihm davonzugehen und zu heiraten. Théroigne zitterte, sie wollte ihm entfliehen, er aber verfolgte sie und trug sie in seinen Wagen. Zuerst war sie entrüstet und machte ihm viele Vorwürfe, aber der junge Mann erneuerte seine Schwüre, und die Liebe erstickte schliesslich ihre Entrüstung wie auch ihr Bedauern, die Dame verlassen zu haben, der sie zu so grossem Danke verpflichtet war.

Der junge Liebhaber führte Théroigne auf seine Besitzungen [14] in der Nähe von London, wo sie heiraten sollten. Théroigne verliess sich auf seine Ehrenhaftigkeit und seinen Zartsinn. Da er von Adel war und bei seiner Grossjährigkeit 10.000 Louis d’or[WS 5] Rente zu erwarten hatte, war er genötigt, sich seiner Familie gegenüber Rücksichten aufzuerlegen, da diese sicherlich nicht gleichgültig zugesehen hätte, dass er ein mittelloses Mädchen zur Frau nehmen wollte. Aber der junge Mann liebte Théroigne so innig, dass er allen Hindernissen zum Trotz sie auf der Stelle geheiratet hätte, wenn sie es gefordert hätte, aber wie alle Liebenden dachte sie nicht an die Zukunft und lebte nur dem Augenblick.

Die Zeit verging und mit dem Eintritt seiner Grossjährigkeit, da er über ein grosses Vermögen verfügen konnte, war gleichzeitig auch Théroignes[WS 6] Glück verschwunden. Er war von da an nicht mehr derselbe für sie.

Er schenkte Théroigne 200.000 Livres und führte sie nach Paris, wo er eine Zeitlang mit ihr blieb. Nun stürzte er sich dort in Ausschweifungen aller Art, Théroigne grämte sich derart darüber, dass sie krank wurde. Er schien davon empfindsam berührt. Vielleicht wäre es ihr gelungen, ihn auf den rechten Weg zurückzubringen, doch verfügte er zu seinem Unglück über ein allzugrosses Vermögen und hatte eine Gesellschaft von entarteten Geschöpfen um sich, die alles taten, um ihn zu sich hinunter zu ziehen. Nach und nach verlor er immer mehr seine gute Eigenschaften und sank von Stufe zu Stufe; trotzdem liebte ihn Théroigne immer noch und bot Alles auf ihn von Paris loszureissen. Sie hoffte, ihn, einmal aus den Händen seiner niedrigen und ehrlosen Freunde und Maitressen befreit, dazu zu bringen, seine früheren guten Sitten wieder anzunehmen. Es gelang Théroigne ihn zu bewegen, mit ihr nach England zurückzukehren, sie drang in so selbstloser Weise darauf, diesen für ihn so gefährlichen Ort rasch zu verlassen, dass sie alles stehen und liegen liess, ihre Möbeln nicht verkaufte und ihr Vermögen in fremden Händen zurücklassen musste.

[15] Mit Befriedigung und voll Hoffnungsfreudigkeit machte sie sich auf die Reise, aber sie fand sich in all ihren Berechnungen getäuscht. Das Gift des Lasters hatte sein Herz angegriffen. Er liess sie allein auf dem Lande, er selbst ging nach London und überliess sich abermals derart der grössten Zügellosigkeit, dass er seine Gesundheit zerrüttete. Sie sah voraus, dass alles vergebens sein würde, dass er sich nie mehr würde ändern können, und sie selbst gab den Gedanken auf, sich mit einem Manne zu verbinden, der sich von Tag zu Tag ihrer unwürdiger machte. Sie dachte, es sei klüger, ihn seine Wege gehen zu lassen, da er nicht mehr die Kraft hatte seine Laster zu überwinden, als sich selbst dazu zu verurteilen, ihr ganzes Leben hindurch unglücklich zu sein. Théroigne verliess ihren Bräutigam im Jahre 1787 leiderfüllten Herzens, denn sie liebte ihn immer noch!

Théroigne wandte sich zunächst nach London. Da sie hier keine Bekannte hatte, kam ihr der Gedanke, zu ihrer Familie zurückzukehren, um ihr Geld mit ihr zu teilen. Sie wollte ihren Vater nicht kränken und beschloss, sich als Witwe vorzustellen, das Geld sei das Erbe nach ihrem verstorbenen Manne. Sie legte sich deshalb einen englischen Namen bei.

Während der Reise zu ihrem Vater erfuhr sie im Dorfe Jupille in den Ardennen, dass er gestorben sei. Nun änderte sie ihre Absichten, machte einen kurzen Besuch bei ihrer Stiefmutter und ihren Geschwistern; sie gab der ersteren etwas Geld und nahm ihre drei Brüder mit sich nach Paris, um sie dort ausbilden zu lassen, namentlich einen in Musik, einen anderen in der Malerei. So geriet sie in die Hände eines betrügerischen Musiklehrers. Er liess einen Kontrakt aufsetzen, den sie ohne zu lesen oder sich auch nur den Inhalt in seinen Hauptzügen übersetzen zu lassen (er war in italienischer Sprache abgefasst), unterschrieb. Der Lehrer bewog sie, mit ihm und den Brüdern nach Italien zu reisen, er wies auf die Vorteile hin, die sich für [16] ihre eigene musikalische Ausbildung und die ihrer Brüder dort bot. Théroigne hatte keine Ahnung, dass der alte Mann böse Absichten habe und entschloss sich zu der Reise nach Italien. Dort erst erfuhr sie den Inhalt des Kontraktes, worin sie sich auch verpflichtet hatte auf dem Theater zu singen, etwas, wozu sie durchaus keine Neigung hatte, da die Theatersängerinnen damals sehr wenig Achtung genossen. Auch die Summe, die sie für den Unterricht hätte zahlen sollen, war viel höher veranschlagt. Aber der schlaue Betrüger hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Théroigne wandte sich an einen Rechtsfreund und entledigte sich bald des unehrlichen, zudringlichen Menschen.

Nun stand sie wieder unschlüssig da, sie wusste nicht, sollte sie nach Rom, nach London oder in die Heimat. Zur Ordnung ihrer Privatangelegenheiten hätte sie nach Paris gehen sollen. Mittlerweile war die Kunde zu ihr gedrungen, dass die Nationalversammlung zu tagen begonnen hatte. Sie beschloss sogleich, durch Frankreich zu reisen, um Zeuge eines so grossen Schauspieles zu sein.

Anfangs lebte sie in Paris völlig zurückgezogen. Sie beschäftigte sich mit Musik, und den Rest ihrer Zeit wandte sie an die Lektüre der Tagesblätter, deren politischen Inhalt, wie sie selbst bescheiden zugibt, nicht recht verstand. Trotzdem sie keinen Begriff von den Rechten des Volkes hatte, liebte sie die Freiheit ganz natürlich. Ein Instinkt, ein lebhaftes Gefühl, das sie sich selbst nicht recht deuten konnte, liess sie die Revolution gutheissen; denn die Kenntnisse mangelten ihr völlig und nur nach und nach konnte sie sich ein eigenes Urteil bilden, indem sie die Nationalversammlung regelmässig besuchte.

Ueber die Belagerung der Bastille erzählt sie selbst folgendes: „Ich war im Palais Royal, als man die Nachricht brachte, die Bastille sei erstürmt. Bei allen Anwesenden zeigte sich unmittelbare lebhafte Befriedigung, viele weinten aus Freude, indem sie riefen, es gebe keine Bastille, keine [17] geheimen Verhaftsbefehle. Als der König nach Paris kam, ich entsinne mich nicht mehr genau des Tages, ging ich mit den Soldaten in Reih und Glied ihm entgegen, ich war froh, die Rolle eines Mannes zu spielen, denn ich fühlte mich immer äusserst gedemütigt von der Sklaverei und den Vorurteilen, unter denen die Männer unser unterdrücktes Geschlecht halten. Trotzdem ich täglich ins Palais Royal ging, sprach ich nie öffentlich, weil ich nichts zu sagen wusste. Ich sah alle Augenblicke Kanonen, Säcke mit Mehl hinschleppen. Dann sah ich die französischen Garden, die das Volk aus dem Gefängnis befreit hatte. Den stärksten Eindruck auf mich machte der Anschein einer allgemeinen wohlwollenden Gesinnung. Der Geist der Selbstsucht schien verschwunden, alle Welt trug sich ohne Unterschied des Standes. In diesem Augenblick der Bewegung mischten sich die Reichen unter die Armen und verschmähten es nicht, weiter mit ihnen wie mit ihresgleichen zu reden. Alle Physiognomien schienen mir geändert, jeder wagte seine Eigenschaften und seine natürlichen Anlagen zu entfalten. Ich habe viele gesehen, die, trotzdem sie in Lumpen gehüllt waren, ein heroisches Ansehen hatten. Sofern man nur irgendwelches Gefühl hat, würde es nicht möglich gewesen sein, ein derartiges Schauspiel gleichgültig mitanzusehen.“

Théroignes Begeisterung war gross, sie entschloss sich, nach Versailles zu gehen, um Zeuge der Beratungen der Nationalversammlung zu sein; sie bedauerte sehr, nicht von allem Anbeginne an dabei gewesen zu sein, da sie dadurch den schönsten Augenblick nicht miterlebt hatte. Sie kam, als die Beratung über die Erklärung der Menschenrechte begann. Sie war von früh bis abends in den Sitzungen der Nationalversammlung. Diese nahm sie ganz in Anspruch, so sehr, dass sie sich nach eigenem Geständnisse nicht einmal an jenem berühmten Zuge der Frauen vom 5. Oktober beteiligte, die nach Versailles kamen, um vom Könige Brot zu fordern. Sie sagt selbst, dass das Schauspiel der täglichen [18] Beratungen eine mächtige Wirkung auf sie ausübte, dass es erhabene Gefühle in ihr wachrief, dass es ihrer Seele einen neuen Schwung gab. Sie gibt, wie immer, bescheiden zu, dass sie im Anfang nichts verstand, dass sie sich nach und nach belehrte und schliesslich dazu gelangte, die Sache des Volkes und die der Bevorrechteten zu kennen. Je mehr sie zur Ueberzeugung kam, dass die Gerechtigkeit und die Vernunft auf Seite des Volkes war, destomehr wuchs ihr Patriotismus.

Théroigne, die den Verhandlungen der Nationalversammlung auf der Galerie anwohnte, wurde dort mit verschiedenen ebenso eifrigen Besuchern bekannt. Sie machte einigen von diesen den Vorschlag, eine politische Gesellschaft mit ihr zu gründen, die der „Klub der Menschenrechte“ heissen sollte. Etwa ein Dutzend Leute versammelte sich eine kurze Zeit hindurch in ihrer Wohnung. Diese Gesellschaft hatte weitsausschauende Pläne, die sie zur Ausführung bringen wollte, falls die Zahl ihrer Mitglieder gross genug würde. Doch diese Pläne kamen niemals zur Ausführung, da die Gesellschaft nie die Zahl von 50 Mitgliedern überschritt, von denen höchstens neun bis zehn zu den Beratungen erschienen.

Camille Desmoulins berichtet in seinem „Journal de Révolutions de France et de Brabant“, was sich bei einer Sitzung im Klub der Jakobiner zutrug, als Théroigne de Méricourt dort erschien. Bei ihrem Anblick rief ein ehrwürdiges Mitglied begeistert aus: „Das ist die Königin von Saba, die ihren Salomo des Distriktes besuchen kommt!“ Théroigne bezog sich in der Einleitung ihrer Rede auf diesen Vergleich und sagte: „Ja, der Ruf Ihrer Weisheit führt mich in Ihre Mitte. Beweisen Sie, dass Sie Salomo sind, dass es Ihnen vorbehalten war, den Tempel zu bauen, und beeilen Sie sich, einen für die Nationalversammlung zu errichten, das ist der Gegenstand meines Antrages. Können die guten Patrioten es weiter dulden, dass die Exekutivgewalt in einem Palaste wohnt, während die gesetzgebende [19] Gewalt, bald unter Zelten, bald in der Direktion der Hofbelustigungen im Ballhaus, bald in der Reitbahn tagt, ganz wie Noas Taube, die keinen Ort hatte, wohin sie den Fuss setzen konnte? Der letzte Stein des letzten Kerkers der Bastille wurde dem Senat zu Füssen gelegt und täglich wird er im Archiv mit Entzücken betrachtet. Der Platz der Bastille ist freigelegt, 100.000 Arbeiter ermangeln der Beschäftigung. Was zögern wir, vortreffliche Cordeliers, Muster des Distriktes, Patrioten, Republikaner, Brüder, die Ihr mich anhört? Beeilen Sie sich, eine Subskription zu eröffnen, um an der Stelle der ehemaligen Bastille den Nationalpalast sich erheben zu lassen. Ganz Frankreich wird sich beeilen, Sie zu fördern. Das Land erwartet bloss das Signal, geben Sie es ihm, laden Sie die besten Arbeiter, die berühmtesten Künstler ein, eröffnen Sie eine Ausschreibung für die Architekten, fällen Sie die Zedern des Libanon, die Tannen des Berges Ida! Wenn je Steine sich hätten von selbst bewegen sollen, so gilt es nicht, die Mauern von Theben zu errichten, sondern den Tempel der Freiheit zu erbauen. Um dieses Bauwerk zu verschönern und zu verzieren, wollen wir uns alles überflüssigen Goldes und der wertvollen Steine entledigen. Ich werde als erste das Beispiel geben. Man hat es Ihnen schon wiederholt gesagt, die Franzosen gleichen darin den Juden, einem Volke das zum Götzendienst hinneigt. Das niedere Volk wird durch die Sinne gefangen genommen, es bedarf äusserliche Zeichen, an die es seinen Kultus knüpft. Wenden Sie den Blick von den Tuilerien, vom Louvre ab, um sie einer Basilika zuzuwenden, schöner als die von St. Peter in Rom, und die von St. Paul in London. Der wahre Tempel des Ewigen, der einzige der seiner würdig ist, ist der Tempel, in dem die Menschenrechte proklamiert wurden. Die Franzosen haben in der Nationalversammlung die Menschen und Bürgerrechte zurückgefordert. Dies ist ein Schauspiel, auf das das höchste Wesen zweifellos seinen Blick mit Wohlgefallen ruhen lässt, dies ist die Huldigung, die es gewiss [20] mit mehr Vergnügen anhört, als das schönst gesungene ‚Kyrie eleïson‘ oder das ‚Salvum fac regem.‘“ Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck eine so lebhafte Rede und diese Mischung der aus Pindar und der heiligen Schrift entlehnten Bilder auf die Zuhörer machte, besonders da sie aus so schönem Munde kam. Ein stürmischer Applaus rauschte durch den Saal, als sie geendet hatte. Man beschloss, einen Aufruf zu verfassen und an die 59 Distrikte und die 83 Departements zu verschicken. Entsprechend dem Kirchenbeschluss von Nicaea, der besagt, dass auch Frauen Seele und Verstand wie die Männer haben, musste man sie ermutigen, einen eben solch guten Gebrauch davon zu machen wie die Vorrednerin!

Aber ihre Teilnahme an den öffentlichen Vorgängen hatte Théroigne nicht bloss Freunde, sondern noch mehr Feinde geschaffen. Schon auf der Galerie der Nationalversammlung war sie vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, da den dort anwesenden Aristokraten ihr Eifer und ihre Aufrichtigkeit missfielen[WS 7], sie stichelten und wussten ihr jeden Tag mit neuen Ungezogenheiten lästig zu fallen. Aber auch die eigenen Gesinnungsgenossen, die anstatt ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie noch obendrein lächerlich machten, boten Grund zur Klage. Dazu kamen noch die ungerechten Verdächtigungen, sie sei an den Vorgängen des 5. und 6. Oktober schuld, man suchte sie mit der Drohung zu schrecken, man werde die Klage gegen sie erheben. Trotzdem sie sich völlig unschuldig wusste, dachte sie doch nicht ohne Angst an diese Möglichkeit, und erinnerte sich an all die schuldlos Verurteilten des Châtelet-Gefängnisses. Des einen war sie sich bewusst, sich durch ihr freimütiges Benehmen viele Feinde zugezogen zu haben. Dazu kam noch eines.

Théroigne[WS 8] hatte sich gewöhnt im Ueberfluss, ohne Berechnung, zu leben, so dass der Reichtum, der ihr von ihrem ehemaligen Bräutigam zugekommen war, mit der Zeit sehr zusammenschmolz. Sie sah ein, dass sie völlig [21] verarmen würde, deshalb entschloss sie sich, Paris zu verlassen und mit ihrem Bruder nach Lüttich zu übersiedeln, wo sie eine bescheidene Lebensweise zu führen beabsichtigte.

Nach manchen Reiseabenteuern langte sie in ihrem Heimatsdorfe Marcour an. Sie konnte sich vor Freude gar nicht fassen, ihre Heimat, das Haus, in dem sie geboren wurde, all ihre Verwandten und einstigen Gespielen wieder zu sehen. Fast vergass sie im Ansturm ihrer Jugenderinnerungen die Revolution, sie träumte sich ganz in die Vergangenheit zurück und spielte mit ihren Freundinnen alle Jugendspiele mit einer harmlosen Freude wieder, als läge nicht eine Welt von Erfahrungen und Erlebnissen zwischen dem Jetzt und der Vergangenheit. Sie war so sehr für den ländlichen Frieden und die harmlosen Freuden eingenommen, dass sie sich entschloss, dauernd dort zu bleiben; sie wollte nicht wieder nach Frankreich zurückkehren und schickte ihren älteren Bruder nach Paris, um ihre Effekten zu holen. Sie hatte sogar ein kleines Grundstück und ein Häuschen von ihrem Onkel käuflich an sich gebracht, die Zahlungsbedingungen wurden ihr sehr leicht gemacht, sie konnte zahlen, bis sie Geld haben würde!

Inzwischen begab sie sich an ein noch ländlicher, noch stiller gelegenes Plätzchen mitten im Walde, nach La Boverie, um dort mit Musse die Ordnung ihrer Angelegenheiten abzuwarten. Da geschah nun etwas ganz unvorhergesehenes, etwas ausser aller menschlichen Berechnung liegendes, von dem sie auch nicht die leiseste Ahnung hatte, wovor sie sich nicht schützen konnte!

Mitten in der Nacht vom 15. zum 16. Jänner 1791, als die wenigen Bewohner dieses Weilers im tiefen Schlafe lagen, wurde an Théroignes Tür heftig gepocht, nach wiederholtem Rütteln an ihrer Türe erwachte sie halb und halb und öffnete. Nun traten zwei ihr völlig Unbekannte ins Zimmer. Der eine war ein gewisser Chevalier de la Valette, der zweite ein Graf von Saint-Malon. Ueberdies hatten sie noch einen Unteroffizier namens Lechoux in ihrer Begleitung. [22] Diese Herren hatten sich gute Empfehlungsbriefe zu verschaffen gewusst und hofften auf fürstliche Belohnungen und Ehrenbezeugungen, wenn sie diese gefährliche Person in ein sicheres Gewahrsam bringen würden. Sie erfanden einen ganzen Roman, darin sie besonders angeklagt wurde, Maria Antoinette nach dem Leben getrachtet und sich überdies des Hochverrates gegen Leopold II. schuldig gemacht zu haben.

Als Théroigne sie schlaftrunken nach ihrem Begehren fragte, versicherten sie sie, gute Patrioten zu sein, die um sie in grösster Sorge seien und aus purer Freundschaft gekommen wären, um sie vor Verfolgungen der Aristokratie zu schützen. Während sie sich in Anwesenheit der Männer ankleiden musste, von dem einen fortwährend zur Eile angetrieben, schaute sich der andere überall um, und als er eine Menge von Papieren und Schriften erblickte, wickelte er alles zusammen und nahm sie an sich. Der Bruder Théroignes sah hilflos allem zu, und trotz seiner Verzweiflung musste er alles geschehen lassen. Théroigne war noch nicht recht zum Bewusstsein gekommen, als sie mit den drei Freunden im Wagen sass, der Kutscher hieb auf die Pferde ein, und über Stock und Stein ging es ins dunkle Ungewisse hinein.

Zuerst wurde Théroigne nach Freiburg im Breisgau geschleppt, wo sie am 25. Februar ankamen; sie blieb dort unter Aufsicht ihrer Entführer bis zum 9. März. An jenem Tage kam der Befehl des Hofkriegsrates, sie unter militärischer Bedeckung in die Gefängnisfestung nach Kufstein in Tirol zu bringen. Ihre Eskorte bestand aus dem Hauptmann Baron von Landresc, dem Leutnant Krause und zwei Unteroffizieren. Am 9. März gegen Abend verliess Théroigne mit diesen neuen Begleitern Freiburg. Während der ganzen langen Reise, die man damals noch mit dem Wagen in sehr beschwerlicher Weise zurücklegen musste, war Théroigne der Meinung, dass sie nach Wien gebracht würde, wo sie alle Hoffnung auf den Kaiser Leopold II. setzte, von dem [23] sie ihre Freiheit wieder zu erlangen hoffte. Der Baron von Landresc benahm sich sehr gütig gegen sie, er sah ihre grosse Seelenerschütterung, liess sie bei dem sie beruhigenden Gedanken und verriet ihr nicht das wirkliche Ziel ihrer Reise. Am 17. März kamen sie endlich in Kufstein an. Man kann sich das Entsetzen und die Angst Théroignes vorstellen, als sie sich vor der Festung mit den schweren Eisentoren, den Türmen und den vergitterten Fenstern befand, als sie erfuhr, dass sie nun Gefangene sei. Gleich traten allerlei Schreckbilder vor ihr geistiges Auge, vielleicht würde sie nie mehr die Freiheit erlangen, vielleicht würde sie nun hinter diesen düstern Kerkermauern, allen Qualen ausgesetzt, ihr Leben hoffnungslos hindämmern müssen.

Sie weinte krampfhaft, sie bekam einen Nervenanfall und rief ein über das anderemal: „Lieber sterben, als hinter diesen elenden Mauern ein verwünschtes Leben hinschleppen!“ Inzwischen war der Festungskommandant, Hauptmann Schöniger, herbeigekommen, er war an die Verzweiflungsausbrüche der Häftlinge so gewöhnt, dass ihn die von Théroigne kalt liessen.

Nun ging es durch düstere Höfe, über allerlei Treppen, an Wachposten vorbei, es rasselten Schlüsseln an den schweren Türschlössern, und alles war dazu angetan die Verzweiflung zu steigern und die Hoffnung auf jegliches Entkommen auszuschliessen …

Endlich war die Zelle erreicht, nach einer gründlichen Durchsuchung und Notierung der Effekten wurde Théroigne mit sich und ihrer Verzweiflung allein gelassen. Ihre Haft dauerte schon viele Wochen; es war gegen Ende Mai, als endlich der von ihr so sehnlichst herbeigewünschte Untersuchungsrichter Hofrat Franz von Blanc in Kufstein anlangte. Seiner Menschenfreundlichkeit und seinem guten Willen ist es zu danken, dass die Untersuchung mit Eifer in kürzerer Zeit als dies meist üblich ist, geführt wurde und dass nach einigen Monaten der Prozess so weit gediehen war, dass Théroigne von der Anklage des Hochverrates freigesprochen [24] wurde. Die Untersuchung ergab, dass es eine pure Erfindung der zwei französischen Schwindler war, als hätte Théroigne Maria Antoinette nach dem Leben getrachtet. Als der Prozess zu Ende war, fuhr sie unter starker Bedeckung nach Wien; um jedes Aufsehen zu vermeiden, reiste sie unter dem Namen Lahaye. Nach einigen Wochen erhielt sie vom Kaiser Leopold II. ein Gnadengeld von 600 fl. und den Befehl, Wien zu verlassen und die Stadt nie wieder zu betreten. Die zwei Franzosen hatten gar nichts erreicht und mussten schliesslich froh sein, eine kleine Summe von Hofrat von Blanc zu ihrer Rückreise geschenkt zu bekommen. Ende November 1791 verliess Théroigne Wien und begab sich zuerst nach Lüttich.

Zu Beginn des folgenden Jahres kam sie wieder nach Paris, aber sie fand nicht mehr die Beachtung und Bewunderung wie ehedem. Ihre Petitionen und Ansprachen[WS 9] waren unklar, verworren.

Am 26. Jänner 1792 kam sie in den Jakobiner-Klub und wurde in einer Ansprache gefeiert und zu den überstandenen Leiden und Verfolgungen beglückwünscht.

Armes Mädchen! Furchtbare Zeiten standen ihr noch bevor, der Tod wäre minder schrecklich gewesen als ihre letzten Lebensjahre.

Am 15. Mai 1793 erlitt Théroigne eine so schmähliche Behandlung, dass sich ihr Geist darob völlig verwirrte und umnachtete. Eine grössere Anzahl Weiber, die sich Mitglieder der „Sociètè fraternelle“ nannten, machten sich selbst zu Aufsichtsorganen und hielten Leute, die ihnen verdächtig schienen, an. Sie stürzten sich auf Théroigne, die sich auf der Terasse der Feuillants befand, schrieen einüber das anderemal, sie sei eine Anhängerin Brissots und schlugen unbarmherzig darein; sie rissen ihr die Kleider vom Leibe, bis sie völlig entblösst dastand, dann peitschten sie sie gehörig, während die heulende Menge um sie herum tanzte und: Nieder mit Brissot und der Brissotine!“ schrieen. Es gelang einigen Männern nur mit Mühe, zu [25] verhindern, dass man Théroigne in dem Teich des Parkes ertränkte, und sie retteten ihr das Leben. Aber hiess das sie retten? Die grausame Behandlung hatte ihre Nerven angegriffen, die Verletzung ihrer Schamhaftigkeit hatte ihren Geist getrübt. Théroigne de Méricourt war wahnsinnig geworden und erlangte nie wieder ihr klares Bewusstsein. In einer Zwangsjacke eng eingeschnürt, war sie im Irrenhaus Saint-Marceau, später in der Salpétrière interniert, sie sprach nur mehr völlig unverständliche Worte, sie bewegte unaufhörlich ihre Arme, als würde sie zum Kampfe anfeuern, und lebte so, in ihren wirren Phantasien befangen, noch ein Vierteljahrhundert lang im Irrenhaus. Die arme Théroigne glich den abgeschiedenen Schatten, von denen Vergil spricht, sie schien sich anzustrengen, ihr vergangenes Leben in die Erinnerung zurückzurufen, aber vergebens. Wie sehr ist sie nun verschieden, diese arme lallende, gebrochene um den Verstand gekommene Théroigne von jener stolzen, die in den Klubs begeisternde Reden hielt, die von allen bewundert wurde.

Die schöne Théroigne war dem Schaffott entgangen, auf dem so viele berühmte Menschen ihrer Zeit das Leben geendet hatten. Eine grausamere Strafe war ihr vorbehalten, sie erlitt in ihren Wahnvorstellungen hunderterlei schreckliche Tode!

Beim Klange von tausenden von Trompeten, die die Erlösung feierten, als man 3000 Vögel in Freiheit auffliegen liess, die Zettel um den Hals befestigt hatten, worauf geschrieben stand: „Wir sind frei, ahmt uns nach“, die der Welt verkünden sollten, dass Frankreich frei ist, kämpfte die „Amazone der Revolution“ in ihrer einsamen Zelle den aussichtslosen Kampf mit ihren Phantomen, gehasst, verkannt, verachtet, den Geist für immer getrübt.

Arme Anna Terwagne! Warum musstest du dein friedliches Dorf, deine Wälder und Fluren verlassen! Dort hättest du weder die Wonnen des Triumphes, noch die Schmerzen der Niederlage kennen gelernt. Dein Leben wäre bloss eine liebliche Idylle gewesen. Welch innerer Trieb hat dich in die wilden Wogen der Revolution gestossen?

[26]
Charlotte Corday.


7. Juli 1793. Der Generalmarsch wirbelte, und auf dem riesigen, grünen Rasenteppich von Caen versammelten sich die Freiwilligen, die sich anschickten nach Paris zu ziehen, um dort einen Feldzug gegen Marat zu unternehmen. Es kamen ihrer Dreissig. Die schönen Damen, die sich ebenda mit den Abgeordneten eingefunden hatten, waren von dieser kleinen Anzahl überrascht und wenig erbaut. Ein Fräulein unter ihnen schien tieftraurig; es war dies Marie Charlotte Corday d’Armont, eine junge schöne Person, eine Republikanerin aus adeliger armer Familie, die in Caen bei ihrer Tante lebte. Pétion deutete ihre Traurigkeit ganz falsch und scherzte darüber; er wusste nicht, dass seine und seiner Genossen öffentliche Reden auf Fräulein Corday einen so grossen Eindruck gemacht hatten, dass sie in ihrem Herzen zum Schicksal wurden, das Leben oder Tod hiess. Auf dieser Wiese von Caen, die 10.000 Mann fassen kann und auf der nur Dreissig standen, hatte sie etwas gesehen, was keiner sah: das preisgegebene Vaterland! Die Männer taten so wenig; da kam ihr der Gedanke, dass es einer Frauenhand bedürfe.

Das einzige Bildnis, das von ihr existiert, ist knapp vor ihrem Tode verfertigt worden. Es zeigt eine ungemeine Sanftheit. Nichts steht weniger im Zusammenhang mit der blutigen Erinnerung, die ihr Name heraufbeschwört, als ihr Aeusseres. Es ist das Gesicht eines jungen Mädchens aus der Normandie, ein jungfräuliches Gesicht in seiner Frühlingsblüte. Sie sieht viel jünger aus als sie ist, als sonst Mädchen von 25 Jahren aussehen. In diesem tragischen Porträt scheint

[26b]
Charlotte[WS 10] Corday.

[27] sie ungemein vernünftig, verständig, ernst, so wie es die Frauen ihrer Heimat sind. Nimmt sie ihr Los leicht? Durchaus nicht, nur ist nichts von falschem Heroismus in ihr. Man muss bedenken, dass sie bloss eine halbe Stunde von der schrecklichen Feuerprobe trennte.

Sie hat aschblonde Haare, sie trägt ein weisses Häubchen und ein weisses Kleid. In ihren Augen liegt ein Ausdruck des Zweifels und der Traurigkeit. Dem Stärksten mögen, so entschlossen er auch immer sei, im letzten Augenblick fremdartige Zweifel aufsteigen. Wenn man genau in ihre traurigen und sanften Augen blickt, fühlt man noch etwas, das vielleicht ihr ganzes Schicksal erklärt: Sie war immer einsam gewesen! Ja, das ist das einzige wenig Zuversichtliche, das man in ihr findet. In diesem entzückenden, guten Wesen war jene unheilvolle Macht, der Dämon der Einsamkeit.

Sie hatte das Unglück ihre Mutter zu verlieren, als sie noch ein Kind war, sie wuchs ohne mütterliche Liebkosung auf. In Wahrheit hatte sie auch eigentlich keinen Vater, denn der ihre, ein armer Landedelmann, ein romantischer Kopf voller Utopien, der gegen den Gewaltmissbrauch der Adeligen schrieb, kümmerte sich viel um seine Bücher und wenig um seine Kinder. Mit dreizehn Jahren kam sie in die Abtei der Damen von Caen. Das Kloster lag sehr einsam, man hörte hier nur das Gekrächze der Raben und das Heulen des Windes, der um die Türme strich. Wie einsam sie auch dort war, kann man sich leicht vorstellen, wenn man weiss, wie die Reichen die Armen verachten, auch in jenen frommen Zufluchtsorten, die die geweihten Stätten der christlichen Gleichheit sein sollten. Die Seele der jungen Charlotte suchte ihre erste Zuflucht in der Frömmigkeit und der Freundschaft, die sie für zwei andere arme, adelige Mädchen empfand. Im Sprechzimmer der Aebtissin kam oft Gesellschaft zusammen, wohin auch junge Männer aus der Aristokratie Zutritt hatten; die Seichtheit dieser Leute trug noch überdies dazu bei, Charlotte zu [28] veranlassen, deren Gesellschaft zu fliehen, sich mehr und mehr von der Welt zurückzuziehen und ihre Neigung zur Einsamkeit zu befestigen.

Ihre wahren Freunde waren ihre Bücher. Die Philosophie drang auch in die Klöster ein. Zufällige und wenig gewählte Lektüre kamen Charlotte in die Hände. Raynal und Rousseau, alles durcheinander, mit Ungestüm griff sie nach den entgegengesetzten Büchern. In ihrer Vorstellung lebte sie unter den Helden Plutarchs, im Elysium, unter jenen, die ihr Leben dahingegeben hatten, um ewig zu leben.

Als die Klöster aufgehoben wurden und ihr Vater sich wieder verehelichte, flüchtete sie nach Caen zu einer alten Tante, Madame de Breteville. Dort fasste sie auch ihren Entschluss. Nicht ohne Zaudern. Einen Augenblick wurde sie von dem Gedanken an die alte Dame, die sie so freundschaftlich aufgenommen hatte und die sie nun so grausam kompromittieren sollte, zurückgehalten.

Als ihre Tante sie eines Tages weinend fand und sie nach der Ursache fragte, sagte ihr Charlotte: „Ich weine über Frankreich, über meine Verwandten und über Sie. So lange Marat lebt, ist niemand auch nur einen Tag seines Lebens sicher.“

Seit der Abreise der Volontäre von Caen hatte Charlotte Corday nur einen Gedanken, der Ankunft dieser Männer in Paris zuvorzukommen, das Leben jener, das sie grossmütig opfern wollten, zu retten und ihre Vaterlandsliebe überflüssig zu machen, indem sie vor ihnen Frankreich von der Tyrannei erlöste. Aber abgesehen von ihrem Opfermut für diese Männer, war es vor allem ihre Vaterlandsliebe, die sie zu diesem Schritte antrieb.

Eine Vorahnung des kommenden Schreckens durchlief schon damals Frankreich. Das Schafott war in Paris aufgerichtet; man sprach davon, es in der ganzen Republik umherzuführen. Die Macht des Berges und Marats sollte siegen, und sollte sie sich nur durch die Hand des Henkers halten können. Man sprach davon, Marat hätte schon die [29] Listen der zu Verbannenden geschrieben und die Häupter gezählt die er für seinen Argwohn und seine Rachsucht brauchte. 2500 Opfer waren in Lyon bezeichnet, 3000 in Marseille, 2800 in Paris, 3000 in der Bretagne und im Calvados. Der Name Marat machte erschaudern als wäre er mit dem des Todes gleichbedeutend. Um all dieses Blutvergiessen zu hindern, wollte sie sich opfern.

Sie wollte die Girondisten studieren und kennen lernen, sie wollte sie ergründen, ohne sich ihnen zu entdecken. Sie achtete sie genügend, um ihnen nicht einen Plan zu verraten, den sie für ein Verbrechen hätten ansehen können, dem sie gleich einer grossmütigen Verwegenheit zuvorgekommen wären. Sie besass die Standhaftigkeit, ihren Freunden den Gedanken zu verbergen, der sie selbst zu grunde richten sollte, um die andern zu retten. Sie gab Scheingründe an, um in die Intendantur zu gelangen, wohin die Bürger Zutritt hatten, falls sie den Abgeordneten ein Anliegen mitzuteilen hätten. Sie sprach mit einigen, auch mit Barbaroux zweimal, was gleich zu albernen Vermutungen, woran kein wahres Wort war, Anlass gab, da beide jung und schön waren.

Als einmal Pétion durch den allgemein zugänglichen Wartesaal ging, wo Charlotte Corday auf Barbaroux wartete, spöttelte er über ihren Eifer und sagte lachend: „Da ist wieder die schöne Aristokratin, die die Republikaner besuchen kommt.“ Das junge Mädchen verstand das zynische Lächeln und die beleidigende Anspielung, sie antwortete errötend: „Bürger Pétion, Sie beurteilen mich jetzt ohne mich zu kennen, eines Tages werden Sie erfahren, wer ich bin!“

Charlotte Corday hatte sich von Barbaroux eine Empfehlung an den Minister geben lassen, um zu gunsten ihrer Jugendfreundin Fräulein v. Forbin um dessen Unterstützung zu bitten. Fräulein v. Forbin war von ihren Eltern gezwungen worden, mit ihnen in die Verbannung zu ziehen, sie litt nun in der Schweiz Not und Elend. Barbaroux gab ihr einen Brief an Lanze de Perret.

[30] Sie kam Donnerstag den 11. Juli gegen Mittag in Paris an, und stieg in der Rue Vieux Augustins Nr. 17, im „Hôtel de la Providence“ ab. Sie war müde von der Reise, ging um 5 Uhr nachmittags zu Bette, und schlief bis zum darauffolgenden Morgen den Schlaf der Jugend und des guten Gewissens. Ihr Opfer war gebracht, die Handlung im Geiste vollführt, sie empfand weder Unruhe noch Zweifel.

Sie war ihres Vorsatzes so sicher, dass sie nicht das Bedürfnis empfand, dessen Ausführung zu beschleunigen.

Am anderen Morgen begab sie sich zu Lanze de Perret, den sie jedoch nicht traf; seine Tochter übernahm den Empfehlungsbrief Barbaroux’, Lanze de Perret wurde erst abends zurückerwartet. Charlotte Corday kehrte in ihr Hôtelzimmer zurück und verbrachte dort den Tag mit Lesen und Nachdenken. Um 6 Uhr begab sie sich abermals zu Lanze de Perret, teilte ihm ihr Anliegen mit und bat ihn, sie zum Minister Garat zu führen, um ihre Bitte dort zu unterstützen. Dies war nur ein Vorwand, sie wollte einen jener Girondisten sehen, für die sie sich opferte.

Lanze de Perret versprach ihr, sie am nächsten Tag abzuholen und ihrem Wunsche zu entsprechen. Sie liess ihm Name und Adresse zurück. Bevor sie sich entfernte, sagte sie ihm: „Erlauben Sie mir, Bürger, Ihnen einen Rat zu geben, verlassen Sie den Convent, Sie können daselbst nichts mehr Gutes tun, begeben Sie sich nach Caen, um daselbst mit Ihren Brüdern und Kollegen zusammenzutreffen“. Doch der Abgeordnete erwiderte sehr bestimmt: „Mein Posten ist in Paris und ich werde ihn nicht verlassen!“ „Sie begehen einen Fehler,“ sagte Charlotte Corday; beinahe flehend fügte sie hinzu, „Flüchten Sie! Flüchten Sie vor morgen Abend.“ Sie ging ohne seine Antwort abzuwarten.

Am andern Tag, zeitig früh, holte Lanze de Perret Charlotte ab, um mit ihr zum Minister Garat zu gehen. Der Minister empfing sie jedoch nicht. Lanze de Perret meinte dann, Garat könne ihr eher schaden als nützen, da [31] er verdächtigt werde, und dass gerade in der Nacht zuvor der Konvent gegen ihn Massregeln ergriffen hätte. Charlotte Corday bestand nicht sehr darauf, wie man des Vorwandes nicht weiter bedarf, durch den man eine Handlung in günstiges Licht gestellt hat. Lanze de Perret verabschiedete sich von ihr auf der Schwelle des Hôteleinganges.

Sie tat als ob sie hineinginge. Doch bald trat sie wieder auf die Strasse und liess sich den Weg zum Palais Royal Strasse für Strasse weisen. Dort kaufte sie bei einem Messerschmied ein dolchartiges Messer mit schwarzem Griff für 40 Sous und verbarg es hinter dem Brusttuch. Auf dem Rückweg trat sie in den Garten und setzte sich auf eine Bank. Ihr erster Gedanke, den sie noch in Caen gefasst hatte, war, Marat inmitten der Bergpartei, während einer Versammlung zu töten, unter den Augen seiner Anhänger und Bewunderer. Sie hoffte, dass auch ihr eigenes Schicksal dann gleich entschieden sein würde, indem sie von der Wut des Volkes in Stücke gerissen würde, ohne ein anderes Andenken als das an zwei Leichname und der im Blute erstickten Tyrannei zu hinterlassen. Sie hoffte ihren Namen in der Vergessenheit zu begraben und ihren Lohn einzig in der Tat selbst zu gewinnen; ihre Schande oder ihr Ruhm musste sich vor ihrem Gewissen allein rechtfertigen, das in dem vollbrachten Guten Beruhigung fände. Doch Marat kam nicht in die Sitzungen, er lag krank daheim. Als sie im Park auf der Bank sass, spielte ein Kind in ihrer Nähe, das sich damit vergnügte, Sand in sein Schürzchen zu tun; das Gesicht Charlottens schien ihm zu gefallen, es kam zutraulich näher und lehnte sein Köpfchen an ihr Knie. Charlotte nahm das Kind auf ihren Schoss. Inzwischen hatte das Kind das Heft des Messers erblickt und es herausgezogen. Als Charlotte es bemerkte, erbleichte sie, stand auf, warf besorgte Blicke um sich, stellte das Kind zu Boden und entfernte sich, indem sie das Messer wieder hinter ihrem Fichu verbarg. Kaum zu Hause gelangt, beschloss sie, ihr Vorhaben auszuführen.

[32] Sie musste also zu ihm gehen, ihn in seinem Hause aufsuchen, durch die besorgte Wachsamkeit derer, die ihn umgaben, hindurch eindringen. Sie musste ihn täuschen, sich unter falschem Vorwande einschleichen, das kostete sie Ueberwindung, das machte ihr Skrupel und Gewissensbisse, das verletzte die natürliche Biederkeit ihrer Seele, verwandelte den Dolch in eine Falle, den Mut in List, und die Aufopferung in Meuchelmord!

Das erste Billet, das sie Marat schrieb, blieb unbeantwortet. Sie schrieb noch ein zweites, worin sich eine gewisse Ungeduld fühlbar machte und das Zunehmen der Leidenschaft deutlich zeigte. Sie ging sogar so weit, ihm zu schreiben, dass sie ihm wichtige Geheimnisse anzuvertrauen habe, dass sie verfolgt werde, dass sie unglücklich sei. Doch kam sie gar nicht dazu, das Billet abzugeben.

Am 13. Juli, um 7 Uhr abends, ging sie aus, bestieg auf der „Place des Victoires“ eine Lohnkutsche und fuhr in die Rue des Cordeliers Nr. 20, wo Marat wohnte.

Charlotte Cordays Gesicht war weit entfernt Misstrauen einzuflössen, ganz im Gegenteil nahm ihre sittsame Tracht eines Provinzfräuleins im voraus für sie ein. Sie hatte ein weisses, einfaches Kleid an, ihr weisses Häubchen mit Spitzen umsäumt, ihre Wangen waren rosig, ihre Stimme sicher, nicht das mindeste Zeichen von Erregung.

Sie ging mit festen Schritten an der Portiersfrau vorüber, die sie vergebens zurückrief. Sie bestand die wenig freundliche Musterung Katherine Evrards, die auf das Geschrei hin die Türe halbgeöffnet hatte, und die sie einzutreten hindern wollte. Diese Verhandlung wurde auch von Marat gehört. Trotzdem er im Bade sass, befahl er gebieterisch, sie eintreten zu lassen. Das Zimmer war klein und dunkel, Marat sass in einer Badewanne, mit einem Leintuch bedeckt, vor sich ein Brett der Quere nach gelegt, worauf er schrieb, man sah nur seinen Kopf und seinen rechten Arm. Ein Tuch war um seine Haare gebunden. Mit seinem mageren, knochigen Gesicht und dem breiten Mund war er von [33] erschreckender Hässlichkeit. Sie hatte ihm Nachrichten aus der Normandie versprochen; er fragte sie aus, besonders wollte er die Namen der nach Caen geflüchteten Abgeordneten wissen; sie nannte sie und er schrieb sie nacheinander auf. Als er fertig war, fügte er hinzu: „Es ist gut, sie müssen alle auf die Guillotine.“ Diese Worte besiegelten sein Todesurteil und verstärkten Charlottens Kraft. Sie zog das Messer aus ihrem Kleid und stiess es ihm mitten ins Herz. Er hatte nur mehr die Kraft, die Worte: „Zu Hilfe, meine liebe Freundin, zu Hilfe!“ hervorzubringen. Sie hatte ihn tödlich getroffen, das Messer hatte die Lunge und das Herz völlig durchstossen, er schwamm in seinem Blute. Auf seinen Hilfeschrei kamen sein Gehilfe Laurent Basse und das Dienstmädchen herbeigeeilt und fingen das bewusstlos sich neigende Haupt Marats in ihren Armen auf.

Charlotte Corday hatte gar nicht versucht zu entfliehen, sie blieb in der Nähe des Fensters, sie stand aufrecht, gelassen und unbeweglich. Basse schlug mit einem Stuhl nach Charlotte Corday und warf sie um, Katherine Evrard trat sie mit Füssen.

Man nahm den Leichnam Marats aus der Badewanne und trug ihn aufs Bett ins Nebenzimmer. Umsonst bemühten sich die Aerzte, das Blut zu stillen, es war alles vergebens, Marat hatte zu leben aufgehört.

Indessen hatte sich Charlotte Corday erhoben, stellte sich ans Fenster und sah ruhig hinunter.

Auf der Strasse schrie die angesammelte Menge, unter der sich die Kunde von der Tat rasch verbreitet hatte, sie wolle Charlotte Corday lynchen. „Arme Leute,“ sagte sie, „Ihr wollt meinen Tod und Ihr seid mir einen Altar schuldig, dass ich Euch von diesem Scheusal befreit habe.“ Die Menge sah die Tyrannei und die Befreiung nur in einem Menschen verkörpert. Auch Charlotte Corday teilte diese Meinung. Der Schatten Marats verdunkelte ihr die ganze Republik.

Eine Kommission, bestehend aus den Abgeordneten [34] Maure, Chabot, Drouet und Legendre, die durch den Polizeikommissär von der Tat in Kenntnis gesetzt waren, begaben sich sogleich dahin und nahmen an Ort und Stelle ein Verhör auf. Als sie Charlotte Corday nach den Ursachen befragten, die sie zu dieser Tat veranlasst haben, antwortete sie: „Da ich einen Bürgerkrieg in ganz Frankreich entbrennen sah und überzeugt war, dass Marat der Haupturheber des Unheils sei, habe ich es vorgezogen, das Opfer meines Lebens zu bringen, um mein Vaterland zu retten.“

Chabot und Drouet fuhren mit ihr in das Militärgefängnis (l’Abbaye). Aber die in der Strasse angesammelte Menge war im höchsten Grade aufgebracht, seine Beute entführt zu sehen und verdoppelte ihr Geheul. Da fiel Charlotte in Ohnmacht, sie glaubte fest, ihre letzte Stunde herankommen zu sehen. Als sie aus ihrer Betäubung erwachte war sie sehr erstaunt, dass man ihr ihr Leben gelassen hatte. Sie war sicher, von der Menge gelyncht zu werden.

Im Militärgefängnis angekommen, wurde sie von Drouet und Chabot einem Verhör unterzogen, das bis Mitternacht währte. Zum Schluss sagte sie: „Was mich betrifft, so habe ich meine Aufgabe erfüllt, andere werden das übrige tun.“

Nach dem Verhör wurde Charlotte Corday vom Militärgefängnis in die Conciergerie überführt. Doch da ihre Wohnung nicht mehr auf Erden war, so war es ihr einerlei, in welches Gefängnis man sie brachte. Sie sah mit himmlischer Ruhe den Augenblick herannahen, um ihr Werk zu krönen. Sie hatte in dem kurzen Zwischenraum, von der Tat bis zum Vollzug der Todesstrafe, keine unmenschliche Behandlung zu erdulden. Fouquier-Tinville versuchte zweimal vergebens sie zu verhören, sie verweigerte jede Aussage, sie wollte erst vor dem Gerichtshof sprechen. Sie schrieb vom Gefängnis aus zwei Abschiedsbriefe, den einen an ihren Vater, den andern an Barbaroux. Sie lauten: „Verzeihen Sie mir, mein lieber Vater, dass ich über mein Leben ohne Ihre Erlaubnis verfügt habe. Ich habe viele unschuldige Opfer [35] gerächt, ich bin vielem Unheile zuvorgekommen. Das Volk, dem einst die Augen geöffnet sein werden, wird sich freuen, von seinem Tyrannen befreit worden zu sein. Wenn ich gesucht habe, Ihnen die Meinung beizubringen, als sei ich nach England gereist, so war es, weil ich gehofft hatte, auch nach der Tat mein Inkognito beibehalten zu können; aber ich sehe die Unmöglichkeit ein. Ich hoffe, dass man Sie nicht quälen wird. Wie dem auch sei, werden Sie in Caen Verteidiger finden.

Adieu mein lieber Vater, ich bitte Sie, mich zu vergessen, oder vielmehr, sich meines Loses zu freuen. Sie kennen Ihre Tochter. Ein tadelnswertes Motiv hätte sie niemals zu leiten vermocht. Ich umarme meine Schwester, die ich vom ganzen Herzen liebe, wie auch meine Verwandten.

Vergessen Sie nicht Corneilles Vers: „Nicht das Schafott, das Laster macht die Schande.“

Nun der Brief an Barbaroux: „Sie haben den Wunsch ausgesprochen, die Einzelheiten meiner Reise zu erfahren. Ich werde Ihnen keine Anekdote erlassen. Werden Sie es glauben, Fauchet ist als mein Mitschuldiger eingesperrt, er, der nicht einmal etwas von meiner Existenz wusste! Ich bin von Chabot und Legendre einvernommen worden. Chabot glich einem Wahnsinnigen. Legendre behauptet, mich am Morgen bei sich gesehen zu haben, ich, die niemals an diesen Menschen gedacht habe! Ich kenne keine genug grossen Talente an ihm, um zu glauben, dass er der Tyrann eines Landes sein könnte, und ich hatte nicht die Absicht, alle Welt zu strafen. Uebrigens ist man wenig erbaut, nur eine Frau ohne Bedeutung zu haben, die man den Manen des „grossen Mannes“ als Opfer darbringen kann. Verzeihung, Männer! Dieser Name entehrt Euer Geschlecht: es war ein wildes Tier, das den Rest Frankreichs durch die Flamme des Bürgerkriegs vernichten wollte. Jetzt lebe der Friede! Dank sei dem Himmel, er war kein geborener Franzose. Ich glaube, man hat die letzten Worte [36] Marats gedruckt. Ich zweifle, dass er welche hervorbringen konnte. Aber hier die letzten, die er mir gesagt hat, nachdem er alle Namen jener Abgeordneten, die in Evreux sind, gehört hatte. Er sagte mir, um mich zu trösten, dass er Euch in Paris werde guillotinieren lassen. Diese letzten Worte entschieden über sein Schicksal.

In Paris begreift man nicht, wie eine überflüssige Frau, deren längstes Leben auch zu nichts gut wäre, dieses Leben kaltblütig opfern kann, um das Vaterland zu retten. Möge der Friede so rasch eintreten als ich es wünsche. Nun ist der grosse Verbrecher beseitigt, ohne diese Tat, würden wir nie Ruhe bekommen haben. Ich zweifle nicht, dass man meinen Vater quälen wird, ihn, der ohnehin an meinem Verlust genug zu tragen hat, der so sehr betrübt ist.

Ich bitte Sie, Bürger, und Ihre Kollegen, sich der Verteidigung meiner Verwandten anzunehmen, falls man sie beunruhigt. Ich habe in meinem Leben nur ein Wesen gehasst und ich zeigte, mit welcher Heftigkeit ich dies Gefühl empfand, aber es gab Tausende, die ich noch mehr liebte als ich ihn hasste. Ich erfreue mich in köstlicher Weise des Friedens, seit zwei Tagen bildet das Glück meines Vaterlandes das meine. Ich verbringe meine Zeit mit Verfassen von Gedichten.

Diejenigen, die meinen Verlust beklagen, werden sich freuen, mich in den elysäischen Gefilden mit Brutus und einigen Alten zu wissen; denn die Modernen reizen mich nicht, sie sind so niedrige Seelen. Es gibt wenige Patrioten, die für ihr Vaterland zu sterben verstehen, sie sind alle egoistisch.

Man hat mir zwei Gendarmen beigestellt, um mich vor der Langeweile zu schützen; ich habe diese Einrichtung für den Tag sehr gut befunden, aber nicht während der Nacht! Ich habe mich über diese Unschicklichkeit beklagt. Man hat es nicht für nötig erachtet, davon Notiz zu nehmen. Ich glaube, dass diese Wache eine Erfindung Chabots ist. Nur ein Kapuziner kann solche Ideen aushecken!

[37] Falls einige Freunde in diesen Brief Einsicht nehmen wollten, so bitte ich Sie, es keinem abzuschlagen. Ich muss einen Verteidiger haben, dies ist gesetzlich vorgeschrieben. Ich habe Gustav Doucet de Pontécoulant genommen. Ich denke, er wird diese Ehre zurückweisen, und es würde ihm doch nur wenig Mühe machen. Ich habe auch daran gedacht, Robespierre zu nehmen. Ich werde auch fordern, über mein Geld verfügen zu können. Ich vermache es den Frauen und Kindern jener braven Bewohner von Caen, die fortgezogen sind, um Paris zu erlösen.

Ich staune, dass das Volk sich bei meiner Ueberführung aus dem Militärgefängnis in die Conciergerie so ruhig verhalten hat. Dies ist ein neuerliches Zeichen seiner Mässigung.

Morgen um 8 Uhr werde ich gerichtet werden und mittags werde ich gelebt haben, um in der Sprache der Römer zu reden.

Man muss an die Tapferkeit der Bewohner von Calvados glauben, da die dortigen Frauen einiger Festigkeit fähig sind. Uebrigens weiss ich nicht, wie die letzten Augenblicke meines Lebens vorübergehen werden, und das Ende krönt das Werk. Ich habe nicht nötig, Unempfindlichkeit meinem Lose gegenüber zu erkünsteln, denn bis nun habe ich auch nicht die mindeste Angst vor dem Tode.

Ich werde das Leben nie anders als nach seiner Nützlichkeit schätzen. Ich hoffe, dass Duperret und Fauchet morgen in Freiheit gesetzt werden. Man behauptet, dass der letztere mich in den Nationalkonvent auf eine Galerie gebracht hätte. Wie sollte er dazu kommen, Frauenzimmer dahin zu führen? Als Abgeordneter hat er nicht auf der Galerie zu sein und als Bischof sollte er sich nicht mit Weibern abgeben. So hat er jetzt eine rechte Lehre bekommen. Aber Duperret hat sich keinen Vorwurf zu machen. Marat wird nicht ins Pantheon kommen, doch hätte er es so sehr verdient! Ich beauftrage Sie alle, eine [38] passende Leichenrede für ihn zu verfassen und die nötigen Urkunden dazu zu sammeln.

Ich sage nichts meinen anderen Freunden; ich fordere bloss ein rasches Vergessen; ihre Betrübnis würde mein Andenken entehren.

Leben Sie wohl, Bürger, ich empfehle mich dem Andenken ‚der Freunde des Friedens.‘ Die Gefangenen in der Conciergerie, weit entfernt davon mich zu beleidigen, schienen sogar mich zu bemitleiden. Das Unglück macht teilnehmend. Das ist eine letzte Betrachtung.“

Hier die Details des Verhöres:

Frage: „Ist es wahr, dass Sie sich beim Bürger Marat eingedrängt haben, der sich damals im Bade befand und dass Sie den obgenannten Marat mit dem Messer, das wir Ihnen hier vorweisen, ermordet haben?“

Antwort: „Ja, ich erkenne das Messer.“

Frage: „Welcher Beweggrund hat Sie bestimmt, diesen Mord zu begehen?“

Antwort: „Da ich in ganz Frankreich den Bürgerkrieg sich entzünden sah und überzeugt war, dass Marat der Haupturheber des Unheils sei, habe ich es vorgezogen, das Opfer meines Lebens zu bringen, um mein Vaterland zu retten.“

Frage: „Es scheint uns nicht glaubhaft, dass Sie diesen fluchwürdigen Plan allein, aus eigenem Antriebe, gefasst haben. Nennen Sie uns die Personen, die Sie dazu bestimmt haben und auch die Namen der Personen, mit denen Sie in Caen am häufigsten verkehrt haben?“

Antwort: „Ich habe meinen Plan keiner sterblichen Seele mitgeteilt. Ich besass schon seit längerer Zeit den Reisepass, der nur zur Fahrt nach Paris nötig war. Als ich Dienstag von Caen fortfuhr, und die alte Verwandte verlies, bei der ich wohnte, sagte ich ihr, dass ich auf Besuch zu meinem Vater fahre. Sehr wenige Leute verkehren mit dieser alten Verwandten und niemand war von meinem Vorhaben unterrichtet.“

[39] Frage: „Nach Ihrer früheren Antwort ist Ursache vorhanden anzunehmen, dass Sie die Stadt Caen nur verlassen haben, um diese Mordtat zu vollführen?“

Antwort: „Es ist wahr, dass ich diese Absicht hatte, und dass ich Caen nicht verlassen hätte, wenn ich nicht das lebhafteste Verlangen getragen hätte, die Tat auszuführen.“

Frage: „Wo haben Sie sich das Messer verschafft, um diesen Mord auszuführen? Wer sind die Personen, die Sie seit Ihrer Anwesenheit in Paris gesehen haben ? Was haben Sie hier seit Donnerstag, dem Tag ihrer Ankunft, getan?“

Antwort: „Ich habe diesen Morgen um acht Uhr das Messer im Palais Royal gekauft. Ich kenne niemanden in Paris, wohin ich vorher niemals gekommen bin. Am Donnerstag, gegen Mittag, bin ich angekommen und habe mich zu Bett begeben. Ich bin erst Freitag Früh ausgegangen, und ging auf der Place des Victoires und im Palais Royal spazieren. Nachmittags bin ich gar nicht ausgegangen. Ich habe verschiedenes geschrieben, was Sie bei mir finden werden. Ich bin heute morgens ausgegangen. Ich war gegen sieben Uhr im Palais Royal. Ich habe dieses Messer gekauft, ich habe auf der Place des Victoires einen Wagen genommen, um mich zum Bürger Marat führen zu lassen, bei dem ich nicht vorsprechen konnte. Dann nach Hause zurückgekehrt, habe ich mich entschlossen, einen Brief mit der Stadtpost an ihn zu senden und unter einem erdichteten Vorwand eine Unterredung zu verlangen. Gegen halb acht Uhr abends habe ich abermals einen Wagen genommen, und bin wieder zu Marat gefahren, um dort eine Antwort auf meinen Brief zu verlangen. Aus Angst vor einer neuerlichen abschlägigen Antwort habe ich mich mit einem zweiten Brief versehen, den ich in meinem Portefeuille habe, es ist derselbe, den ich dem Bürger Marat zu übergeben dachte. Ich habe keinen Gebrauch von demselben gemacht, da ich von ihm empfangen wurde.“

Frage: „Wie sind Sie dieses zweitemal zum Bürger [40] Marat vorgedrungen, und zu welcher Zeit haben Sie das Verbrechen an seiner Person begangen?“

Antwort: „Frauen haben mir die Türe geöffnet. Man hat mir den Eintritt zu Marat verweigert, aber als er mich auf mein Ansuchen bestehen hörte, verlangte er selbst, dass man mich einlasse. Er hat mehrere Fragen über die in Caen wohnenden Abgeordneten an mich gerichtet, er fragte mich um ihre Namen, wie auch um jene der Munizipalbeamten. Ich habe sie ihm genannt, und als Marat sagte, dass es nicht mehr lange dauern würde, dass er sie würde guillotinieren lassen, zog ich mein Messer, das ich im Busen versteckt hielt, und habe damit Marat im Bade den tötlichen Stoss versetzt.“

Frage: „Haben Sie nicht versucht, nachdem Sie dieses Verbrechen vollführt haben, zu entweichen?“

Antwort: „Ich wäre durch die Türe entwichen, wenn man sich dem nicht wiedersetzt hätte.“

Frage: „Es ist Grund vorhanden zu glauben, dass Sie uns imponieren wollen, indem Sie behaupten, dass niemand von Ihrem Vorhaben verständigt war, wie auch in Anbetracht der Menge des Bargeldes, womit Sie versehen sind, besonders viel für ein Mädchen Ihres Alters.“

Antwort: „Ich habe mich mit diesem Gelde, das mein Eigentum ist, versehen, weil ich von niemanden etwas verlangen wollte.“

Frage: „Sind Sie Mädchen?“

Antwort: „Ja.“

Frage: „Sind Sie nicht heute in Saint-Pelagie öder in anderen Gefängnissen dieser Stadt gewesen?“

Antwort: „Nein. Ich weiss nicht einmal wo diese Gefängnisse sich befinden.“

Endlich war der furchtbare Tag, der 17. Juli 1794, herangekommen, an dem Charlotte Corday vor dem Revolutionstribunal erscheinen sollte.

Nachdem sie vorgeführt worden war, liess man sie auf der Anklagebank Platz nehmen und richtete die üblichen [41] Fragen an sie. Da der Verteidiger, den sie genannt hatte, nicht erschienen war, teilte der Präsident der Angeklagten mit, dass der Gerichtshof den zufällig im Saale anwesenden Chauveau-Lagarde zu ihrem Verteidiger ernenne. Er begab sich an ihre Seite. Sie kannte ihn nicht und musterte ihn mit besorgten Blicken, als ob sie gefürchtet hätte, dass er eine Verteidigung unternehmen könnte, die sie unfehlbar in Abrede zu stellen genötigt sein würde. Sofort begann die Verhandlung. Der erste Zeuge war Katherine Evrard. Sie erzählte recht getreulich die beiden Versuche Charlotte Cordays, bei Marat einzudringen; als sie die Details des Attentates schildern wollte, unterbrach sie Charlotte mit diesen Worten: „Wozu das, ich bin’s, die ihn getödtet hat.“ Der Präsident fragt: „Wer hat Sie beredet diese Mordtat zu begehen?“ „Sein Verbrechen,“ antwortet die Angeklagte. Was verstehen Sie unter seinem „Verbrechen“, fragt er weiter … „Das Unglück, an dem er seit der Revolution schuld ist.“

Frage: „Wer sind jene, die Sie dazu bestimmt haben diese Mordtat zu begehen?“

Antwort: „Niemand, ich selbst habe diesen Gedanken ersonnen.“

Die Zeitung wurde verlesen, in der das Attentat geschildert war. Charlotte Corday bestätigte, dass die Tatsachen wahrheitsgetreu wiedergegeben seien.

Auch die Aussagen der Köchin und Portierin Marats wurden von ihr als richtig befunden. Auf die Frage, mit wem sie in Caen verkehrt habe, nennt sie einige wenige Personen. Da diese aber von gar keiner Bedeutung sind, kommt der Untersuchungsrichter immer wieder auf die Frage zurück, ob sie mit den geflüchteten Abgeordneten viel verkehrt habe. Sie verneint die Frage und erzählt von ihrer ganz oberflächlichen Bekanntschaft und dem geringen Verkehr, den sie mit ihnen gepflogen habe. Aut die Frage, bei welchen Priestern sie beichten gegangen sei, antwortete sie, dass sie überhaupt keine Beichte abgelegt habe.

[42] „Sie haben wohl durch die Zeitungen erfahren, dass Marat ein Anarchist sei,“ fuhr der Untersuchungsrichter in seinem Verhöre fort. „Ja, ich wusste, dass er Frankreich verderbe,“ antwortete Charlotte Corday, und sagte weiter: „ich habe einen Mann ermordet, um Hunderttausende zu retten. Ich war übrigens lange vor der Revolution Republikanerin, und es hat mir nie an Willenskraft gefehlt.“

Frage: „Was verstehen Sie unter Willenskraft?“

Antwort: „Die Kraft jener, die ihren Privatvorteil beiseite lassen und es verstehen, sich für das Vaterland zu opfern.“

Frage: „Haben Sie sich eingeübt, um es zu ermöglichen, so sicher zu zielen?“

Antwort: „Oh! das Scheusal! es hält mich für eine Mörderin.“

Der Präsident: „Es ist indessen von Sachverstandigen erwiesen, dass, wenn der Stich statt der Breite der Länge nach ausgeführt worden wäre, Sie ihn nicht getödtet hätten.“

Charlotte Corday: „Ich habe den Stoss geführt wie es eben kam, das ist Zufall. Die Empörung, die mein Herz aufwallen machte, hat mir wohl den Weg gewiesen“!

Frage: „Sind Sie nie vordem in Paris gewesen?“

Antwort: „Nein“.

Frage: „Haben Sie seit Ihrer Ankunft Briefe aus Caen erhalten, oder welche dahin geschickt?“

Antwort: „Nein“.

Der Abgeordnete Claude Fauchet, Exbischof, erscheint. Er kennt die Angeklagte nicht, hat sie niemals gesehen, und kann sie folglich auch nicht auf die Galerie des Konventes geleitet haben.

Charlotte Corday: „Ich kenne Fauchet nur vom sehen, ich betrachte ihn als einen Menschen ohne Sitten und Prinzipien, den ich verachte.“

Dann wird der Abgeordnete Duperret einvernommen. Charlotte Corday entlastet ihn völlig. Der Untersuchungsrichter [43] fragt darauf Duperret, welche Meinung er sich nach dem Gespräch mit Charlotte Corday von ihr gebildet habe. „Ich habe,“ sagt Duperret, „in ihren Reden nur die Aeusserungen einer guten Bürgerin erblickt. Sie hat mir Bericht erstattet über das Gute, das die Abgeordneten in Caen leisten, und hat mir geraten, ihnen dahin zu folgen.“

Frage: „Wie konnten Sie eine Frau für eine gute Bürgerin halten, die Ihnen riet, nach Caen zu gehen?“

Antwort: „Ich betrachtete das als Ansichtssache.“

Als man der Angeklagten das mit Blut befleckte Messer vorwies, wendete sie den Blick ab, und eine Regung des Entsetzens malte sich in ihren Zügen, sie machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung um es zurückzustossen, und sagte mit geängstigter Stimme: „Ja es ist jenes, dessen ich mich bediente, um Marat zu ermorden.“

Man verlas die beiden Briefe, die sie im Gefängnis geschrieben hatte. Den an Barbaroux hörte sie mit Gelassenheit an, sie lächelte sogar bei gewissen Stellen, wie der, die vom Kapuziner Chabot handelte. Aber ihre Augen füllten sich mit Tränen und ein tiefes Schmerzgefühl erschütterte sie einen Augenblick lang, als man den Brief an ihren Vater vorlas. Nachher nahm ihr Gesicht den gewohnten Ausdruck der Heiterkeit an und sie teilte dem Revolutionstribunal mit, dass das Komitee des Wohlfahrtsausschusses ihr versprochen habe, den Brief bestimmt Barbaroux zukommen zu lassen, damit er seinen Freunden von dem Inhalte Mitteilung machen könne. Was den zweiten Brief betreffe, so verlasse sie sich auf die Menschlichkeit des Tribunals, damit er sicher ihrem Vater zukomme.

Der Präsident resümierte in wenigen Worten die Verhandlungen. Der öffentliche Ankläger machte seine Anklage und beantragte die Todesstrafe.

Als er über die Grösse des Verlustes, den Frankreich erlitten, sprach, und sich in Lobeserhebungen über Marat erging, unterbrach ihn Charlotte Corday mit den Worten. „Ihr Marat war ein Ungeheuer!“

[44] Nun ergriff ihr Verteidiger das Wort. Wir lassen hier die Schilderung des Eindruckes, den Chauveau-Lagarde später einmal darstellte, folgen: „Als ich mich erhob, hörte man einen dumpfen und verworrenen Lärm, wie vom Schrecken herrührend, und gleich darauf trat eine Totenstille ein, die einem bis ins innerste Herz erstarren machte. Während der öffentliche Ankläger sprach, liessen mir die Geschworenen sagen, ich sollte schweigen, und der Präsident verlangte, ich solle mich darauf beschränken zu behaupten, dass die Angeklagts wahnsinnig sei. Sie wollten alle, dass ich sie demütige. Was sie selbst betrifft, so war ihr Gesicht immer das gleiche. Nur sah sie mich in einer Weise an, die mir sagte, dass sie nicht gerechtfertigt sein wolle!

Uebrigens konnte ich nach dem Verhör nicht daran zweifeln, dies war unmöglich, da unabhängig von ihrem Geständnis der gerichtliche Beweis vorlag, dass sie einen vorsätzlichen Mord begangen habe. Indessen, ganz entschlossen, meine Pflicht zu erfüllen, wollte ich nichts sagen, was mein Gewissen und die Angeklagte missbilligen könnten. Mit einemmale kam mir der Gedanke, mich auf eine einfache Beobachtung zu beschränken, die in einer Volksversammlung oder in einer gesetzgebenden Versammlung als Grundstoff zu einer ganzen Verteidigung hätte dienen können, und ich sagte: „Die Angeklagte gesteht kaltblütig die lange vorhergehende Ueberlegung, mit einem Wort, sie gesteht alles und sucht sich nicht einmal zu rechtfertigen. Das ist, Geschworene, Mitbürger, ihre ganze Verteidigung. Diese unveränderliche Gemütsruhe, diese Selbstverleugnung, die nicht einmal im Angesicht des Todes irgend welche Reue empfindet, diese Ruhe und Selbstaufopferung, erhaben in einem gewissen Betracht, existieren nicht in der Natur. Sie können sich nur durch die Begeisterung des politischen Fanatismus erklären, die ihr den Dolch in die Hand gedrückt haben. An Ihnen, meine Geschworenen, ist es zu urteilen, von welchem Gewichte diese Betrachtung in der Wagschale [45] der Gerechtigkeit sein kann.“ Charlotte Corday schien mit dieser Verteidigung sehr einverstanden zu sein.

Die Geschworenen verurteilten sie einstimmig. Der Präsident verkündete ihr Todesurteil mit folgenden Worten: „In Anbetracht des einstimmigen Verdiktes der Geschworenen, das erstens besagt, dass es zuverlässig sicher ist, dass Jean Paul Marat, Abgeordneter des Nationalkonvents, am 13. des laufenden Monats Juli, zwischen 6 und 7 Uhr abends, durch einen Messerstich in die Brust getötet wurde, während er im Bade sass, durch welchen Stich er auch augenblicklich verschied; zweitens: dass Marie Anne Charlotte Corday die Urheberin dieser Mordtat ist; drittens: dass sie die Tat vorsätzlich und in verbrecherischer kontrerevolutionärer Absicht verübt hat, wird Marie Anne Charlotte Corday zur Todesstrafe verurteilt. Es wird angeordnet, dass sie, mit einem roten Hemd angetan, zur Richtstätte geführt wird, dass ihr Vermögen der Republik zufällt und dass das gegenwärtige Urteil auf Antrag des öffentlichen Anklägers, auf der Place de la Revolution vollzogen wird.“

Aller Blicke waren auf sie gerichtet und man forschte, ob die unerschütterliche Ruhe, die sie während der Verhandlung zeigte, sich im Angesicht der sicheren und unausweichlichen Todesstrafe nicht verleugnen würde. Vergebliche Erwartung. Die stolze Republikanerin blieb unempfindlich. Ihre Züge zeigten keine Erregung; sie war weder von dem schrecklichen Urteil, das sie dem Schafott weihte, noch von der eisigen Stille, die sie umgab, noch von der heiligen Scheu, die auch diese blutigen Entscheidungen des Strafgerichtes begleiten, erschüttert. Eine tiefe Ruhe lag auf ihrer Stirne während jener Augenblicke, in denen der Mut der Unerschütterlichsten gezwungen wird, der Regung der Natur nachzugeben.

Der Präsident fragte sie hierauf, ob sie etwas über die Anwendung der Gesetze zu bemerken habe. Als einzige Antwort liess sie sich vom Gendarmen zu ihrem Verteidiger führen und richtete mit vieler Grazie und Sanftmut folgende [46] Worte an ihn: „Mein Herr, ich danke Ihnen für den Mut mit dem Sie mich verteidigt haben, der einzigen Art, die Ihrer und meiner würdig war. Diese Herren konfiszieren mein Eigentum, aber ich will Ihnen den grössten Beweis meiner Dankbarkeit geben, indem ich Sie bitte, für mich das zu zahlen, was ich im Gefängnis schuldig bin. Ich rechne auf Ihren Edelmut“.

Ihre Schulden beliefen sich auf 36 Francs, die Chauveau-Lagarde am darauffolgenden Tag dem Kerkermeister bezahlte.

Nach der Verhandlung wurde Charlotte Corday augenblicklich in die Conciergerie zurückgeführt, von der sie nur herauskam, um aufs Schafott zu steigen. Sie blieb völlig heiter und unverändert. Es dauerte nicht lange, so kam der Scharfrichter in die Zelle, um sie zum Richtplatz zu führen. Als er Charlotte Corday die Hände festband und die Haare abschnitt, sagte sie: „Dies ist eine Toilette, die ich nur nicht gewohnt bin.“

Im Augenblick als sie den verhängnisvollen Karren bestieg, ging ein heftiges Gewitter über Paris los und übertönte das Brüllen und Heulen der Menge, die sie zur Richtstätte begleitete. Nichts konnte die unerschütterliche Seele ausser Fassung bringen. Sie liess ihre sanften ruhigen Blicke über die Menge schweifen. Sie trug den Kopf hoch, ohne Stolz, sie hatte einen freien Blick ohne Verachtung, ihre Züge waren ausdrucksvoll und belebt, ganz ungezwungen. Das rote Hemd, das an sich so scheusslich anzusehen ist, schien ihre natürlichen Reize noch zu heben. Auf dem ganzen Weg, von der Conciergerie bis auf die Place de la Revolution, verliess sie ihre heldenhafte Ruhe auch nicht einen Augenblick. Das Blut strömte ihr beim Anblick des Schafottes ins Gesicht. Sie stieg die Stufen zum Schafott so rasch hinauf, als ihr das Gehen durch die auf dem Rücken zurückgebundenen Hände möglich war. Sie fiel mutig auf das verhängnisvolle Brett. Eine tiefe Stille herrschte und das fürchterliche Beil fiel.

[47] Der erbärmliche Scharfrichter, namens Legros, war so schändlich, dem abgehauenen Kopfe eine Ohrfeige zu versetzen, als er ihn in die Höhe hob. Die Tat dieses Nichtswürdigen erregte einen Ausbruch der Entrüstung.

Das Martyrium Charlotte Cordays machte Proselyten. Schon als sie ins Gefängnis eintrat, kam ein junger Mann herbeigeeilt, der sich erbot, sich statt ihrer als Gefangener zu stellen und für sie die Strafe über sich ergehen zu lassen. Adam Lux hatte den Mut, seine Bewunderung in einer Broschüre öffentlich auszudrücken.

Er hat sie geschildert, wie sie ihr friedliches Heim verlassen, wie sie sich niemandem anvertraut habe, ohne Stütze, ohne Rat, ohne Tröster da gestanden sei. Ihr Dasein bedeutet nichts für sie, sie geht das Dasein von Tausenden zu retten. Dieser einzige Gedanke gibt ihr eine Kraft und eine Sicherheit, die sie nicht verlassen. Ihr Brief an Barbaroux ergreift und begeistert den Verfasser der Broschüre, er könnte keinen ähnlichen ersinnen. Dieser Brief wird Schwärmer erzeugen und Helden hervorbringen. „Charlotte Corday, hehres Mädchen, unvergleichliches Wesen! was hab’ ich nicht empfunden, als ich dich zum Richtplatz führen sah! Du, so schön, so zart! Als ich deine unerschütterliche Sanftmut inmitten des barbarischen Geheules sah! Dieser so sanfte und durchdringende Blick! Diese lebhaften, feurigen Funken, die aus deinen schönen Augen sprühten, aus denen eine ebenso zarte als unerschrockene Seele sprach. Bezaubernde Augen, die Steine hätten erweichen müssen! Einziges, unsterbliches Angedenken! Blicke eines Engels, die mein Herz innig durchdrungen haben, die es mit lebhaften, bis dahin unbekannten Regungen erfüllt haben, Regungen, deren Süssigkeit die Bitternis ausgleicht, und deren Empfindung nur mit meinem letzten Atemzug erlöschen wird.“

Der Unglückliche forderte für sich die Guillotine heraus wie einen Altar, der durch das Blut der schönen Heldin geläutert war. Er sehnte sich darnach, sein Blut mit dem [48] ihren zu vergiessen: „Bedeckt mich mit Schmach wie sie, sättigt Euch zum zweitenmal an diesem tierischen Schauspiel. Oh! Pariser, ist’s inmitten Euerer Mauern, ehemals die Stätte des feinen Betragens, dass solche Greueltaten sich ereignen? Verzeihe, o Charlotte, wenn es mir unmöglich ist, in meinem letzten Augenblick einen Mut und eine Sanftheit gleich der deinen zu zeigen! Ich freue mich über deine Ueberlegenheit, denn ist es nicht gerecht, dass das angebetete Wesen den Anbetenden überragt?“ Er erschauerte vor Freude, als er festgenommen wurde und liess nur die Worte hören: „Ich werde für sie sterben.“

Tatsächlich erlitt er bald das gleiche Schicksal wie sie. Seine letzte Seligheit war, dass derselbe Stahl, der den schönen Hals derjenigen getroffen, die er geliebt hatte, auch den seinen treffen würde. Auf diesen einzigen Gedanken vereinigten sich alle Kraft, alle Fähigkeiten seines Daseins. Das längste Leben schien ihm mit diesem Augenblick des Todes nicht vergleichbar.

[48b]
Madame Roland.
[49]
Madame Roland.


Im Gefängnis von Saint-Pélagie am 9. August 1793[WS 11]. „Tochter eines Künstlers, Frau eines Gelehrten, der Minister geworden und ein rechtschaffener Ehrenmann geblieben ist, heute Gefangene, vielleicht zu einem gewaltsamen Tode bestimmt, habe ich das Glück und die Trübsal kennen gelernt, ich habe den Ruhm von der Nähe gesehen und Ungerechtigkeit erduldet.

Aus niedrigem Stande, aber von ehrenwerten Eltern geboren, habe ich meine Jugend inmitten der schönen Künste verbracht, erfüllt vom Zauber des Studierens, ohne anderes Vorrecht als das des Verdienstes, noch andere Grösse als die der Tugend zu kennen.

Im Alter, wo man sich zum Ehestand entschliesst, habe ich die Aussichten auf ein Vermögen verloren, welches mir eine meiner Erziehung entsprechende Partie hätte verschaffen können. Die Verbindung mit einem ehrenwerten Manne schien diesen Schicksalsschlag wieder gut zu machen, sie bereitete mir neue.

Ein sanfter Charakter, eine starke Seele, ein tüchtiger Verstand, ein sehr zärtliches Herz, ein Aeusseres, das all das ankündigte, haben mich bei denen beliebt gemacht, die mich kennen. Die Stellung, in der ich mich befunden habe, hat mir Feinde gemacht, ich als Person habe keine; diejenigen, die das Schlechteste über mich sagen, haben mich nie gesehen.

Es ist wahr, dass die Dinge selten das sind, was sie zu sein scheinen, dass die Abschnitte meines Lebens, in denen ich die meiste Wonne genossen oder den meisten [50] Kummer empfunden habe, ihrem Wesen nach oft dem völlig entgegengesetzt sind, was andere darüber urteilen könnten. Weil das Glück mehr von den Gefühlen als von den Begebenheiten abhängt.

Ich nehme mir vor, die Musse meiner Gefangenschaft zu benützen, um mir alles, was mich persönlich betrifft, von meiner zartesten Kindheit bis zu diesem Augenblick, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es heisst ein zweitesmal leben, wenn man sich auf diese Weise zu allen Spuren seiner Lebensbahn zurückversetzt. Und was kann man im Gefängnis besseres tun, als sein Dasein durch eine glückliche Täuschung, oder durch interessante Erinnerungen, anderswohin zu verlegen? Wenn sich die Erfahrung weniger durch die Macht des Handelns als durch die des Nachdenkens über das, was man sieht und das was man tut, erwerben lässt, so kann sich die meinige durch das Unternehmen, das ich beginne, sehr steigern.

Die öffentlichen Angelegenheiten, meine persönlichen Empfindungen boten mir seit den zwei Monaten meiner Haft genug Stoff zu denken und zu schreiben, ohne dass ich es nötig hätte, auf so weit fernliegende Zeiten zurückzugreifen. Die fünf ersten Wochen waren der Aufzeichnung historischer Notizen gewidmet, deren Sammlung vielleicht nicht ohne Wert war. Sie sind eben vernichtet worden.*) [1]

Ich habe die ganze Bitterkeit dieses Verlustes gefühlt, den ich nicht mehr werde gut machen können; aber ich würde mich gegen mich selbst empören, wenn ich mich, durch was immer es auch sei, niederschlagen liesse. In allen Leiden, die ich erduldet habe, ist der lebhafteste Eindruck des Schmerzes fast gleichzeitig von dem Streben begleitet, meine Kräfte dem Schmerz, dessen Gegenstand ich bin, entgegen zu stellen und ihn zu überwinden, entweder durch das Gute, das ich andern tue, oder durch die [51] Steigerung meines eigenen Mutes. Auf diese Art kann mich das Unglück verfolgen, aber nicht zu Boden drücken. Die Tyrannen können mich quälen, aber erniedrigen – niemals! Meine Notizen sind verloren, so werde ich Memoiren verfassen, und indem ich mich mit Klugheit meiner eigenen Schwäche in einem Augenblick anpasse, in dem ich auf das schmerzlichste betrübt bin, werde ich mich mit mir beschäftigen, um mich besser von mir abzulenken. Ich werde mich im Guten und Bösen mit gleicher Freimütigkeit vorstellen. Derjenige, der es nicht wagt, sich selbst ein gutes Zeugnis auszustellen, ist beinahe immer ein Feigling, der das Böse kennt und fürchtet, das man über seine Person sagen könnte. Und derjenige, der zögert, sein Unrecht einzugestehen, hat nicht die Kraft, es zu verteidigen, noch die Macht, sich davon loszumachen. Dieselbe Aufrichtigkeit, die ich mir gegenüber habe, werde ich mir auch anderen gegenüber auferlegen. Vater, Mutter, Freunde, Gatten, alle werde ich so zeichnen, wie sie sind, oder wie ich sie gesehen habe.

So lange ich in dem Zustande des Friedens, der Zurückgezogenheit verharrte, hat meine natürliche Empfindsamkeit alle meine anderen Eigenschaften derart eingehüllt, dass sich diese allein nur bemerkbar machte oder alle anderen beherrschte. Mein erstes Bedürfnis war zu gefallen und Gutes zu tun. Ich war ein wenig wie der gute Herr de Gourville, von dem Madame Sévigné sagt, dass die Nächstenliebe ihn bei der Aussprache halbe Worte verschlucken liess. Und ich würde verdienen, dass Sainte Lette von mir sagte: „dass ich mit der Fähigkeit feine Epigramme zuzuspitzen, mir dennoch niemals eines habe entschlüpfen lassen.“

Seitdem die Umstände, die politischen und die anderen Stürme die Tatkraft meines Charakters entwickelt haben, bin ich vor allem offen, ohne auf die leichten Verwundungen, die im Fluge entstehen können, allzugenau zu achten. Ich mache keine Epigramme mehr, denn sie lassen das Vergnügen [52] vermuten, durch die Kritik zu verletzen, und ich verstehe mich nicht darauf, mich mit dem Töten von Fliegen zu unterhalten. Aber ich liebe es, Gerechtigkeit durch die Macht der Wahrheit widerfahren zu lassen; ich sage die furchtbarsten Dinge den Beteiligten ins Gesicht, ohne zu erschrecken, ohne mich aufzuregen, noch mich zu erzürnen, welchen Eindruck sie auf sie machen mögen.*)[2]

Dies die Einleitung zu dem dritten Bande ihrer herrlichen Memoiren, in denen sich Madame Roland ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Der Vater Madame Rolands hiess Gatien Phlipon, Kupferstecher von Beruf, nebstbei auch Maler. Er wollte sich ganz der Emailmalerei widmen, weniger aus Neigung als aus Geschäftssinn. Aber seine Augen zwangen ihn, dieses Gebiet aufzugeben, er beschränkte sich dann bloss auf das Kupferstechen. Trotzdem er sehr fleissig war und die Mode gerade diese Kunstart bevorzugte und er überdies eine grosse Anzahl Arbeiter beschäftigen konnte, so trieb ihn der Wunsch, Reichtum zu erwerben, zum Handel. Er kaufte Schmuck, Diamanten oder nahm solche als Zahlung für seine Arbeiten an, um sie bei günstiger Gelegenheit wieder zu verkaufen. Dieses Streben, Reichtum auf unbekannten Gebieten zu erwerben, scheint den meisten verderblich zu werden. In den seltensten Fällen kommt ein Einzelner auf Umwegen zu fabelhaftem Reichtum und verführt durch sein Beispiel eine Menge anderer, die dann durch diese Nachahmung schmählich zugrunde gehen. Seine Kunst hätte genügt, ihm eine auskömmliche Existenz zu bieten, er aber wollte reich werden und endigte damit, sich zu ruinieren.

[53] Herr Phlipon war ein gesunder, kräftiger, tätiger und grosssprecherischer Mensch und hatte eine Neigung für allen Luxus und Zierat. Trotzdem er ohne Bildung war, hatte er sich einen gewissen Grad von Geschmack und Kenntnisse erworben, die die Beschäftigung mit den schönen Künsten, wenn auch nur oberflächlich, verschafft. So sehr er auch auf den Reichtum und alles, was ihn verschaffen könnte, Wert legte, so verkehrte er doch mit den Kaufleuten nur geschäftlich, Freundschaftsverhältnisse hatte er nur mit Künstlern, Malern, Bildhauern. Er lebte in sehr geordneten Verhältnissen, so lange sein Ehrgeiz Grenzen kannte und er kein Missgeschick zu erdulden hatte. Man kann nicht gerade behaupten, dass er ein tugendhafter Mensch war, aber er hatte viel von dem, was man Ehre nennt. Er liess sich wohl hie und da eine Sache wesentlich teuerer bezahlen, als sie wert war, aber er hätte sich eher das Leben genommen, als den Preis des von ihm gekauften Gegenstandes nicht zu bezahlen.

Seine Frau Marguerite Bimont hatte ihm als Mitgift sehr wenig Geld, aber eine himmlische Seele und ein reizendes Gesicht mitgebracht. Sie war die älteste von sechs Geschwistern, bei denen sie Mutterstelle vertrat, und deshalb entschloss sie sich erst mit 26 Jahren zur Heirat. Ihr empfindsames Herz, ihr liebenswürdiger Charakter hätte sie mit jemand Aufgeklärten, Zartfühlenden verbinden sollen. Aber ihr Vater stellte ihr einen ehrbaren Mann vor, dessen Talent ihr Auskommen sicherte, und ihre Vernunft willigte in diese Wahl!

In Ermanglung des Glückes, das sie nicht erhoffen konnte, wollte sie den Frieden walten lassen, der es teilweise zu ersetzen vermag. Es ist weise, sich in sein Schicksal zu ergeben. Die Freuden sind seltener als man denkt, aber der Trost fehlt der Tugend nie.

Madame Roland war das zweite Kind, das dieser Ehe entspross. Im ganzen hatte das Ehepaar sieben Kinder, von denen jedoch sechs zum Teil gleich nach der Geburt, zum [54] Teil in früher Kindheit starben. Auch sie wurde zu fremden Leuten aufs Land zum Aufziehen gegeben, wie das in Frankreich bis zu dem heutigen Tage Sitte ist.

Als das kleine Mädchen zwei Jahre alt war, kam es zu den ihr ganz entfremdeten Eltern zurück und weinte nach seiner vermeintlichen Mutter. Es bedurfte des ganzen Verstandes und der Güte Frau Phlipons, um das Kind im Elternhause heimisch zu machen. Bald gewann sie über den sanften, weichen Charakter des Kindes den Einfluss, den sie immer nur zum Vorteil ihrer Tochter gebrauchte. Er war so mächtig, dass in den kleinen, unausweichlichen Aergernissen, die zwischen der Vernunft, die das Kind leiten soll und dem Widerstand, den es ihr entgegensetzt, entstehen, die Mutter nur nötig hatte, das Kind kalt „Fräulein“ zu nennen und es strenge anzusehen, um Folgsamkeit zu erzielen. Immer fühlte Madame Roland selbst in späteren Jahren einen gewissen Schauer, wenn sie an dieses Wort „Fräulein“ und an den strengen Blick aus den sonst so zärtlich blickenden Augen ihrer Mutter dachte.

Madame Roland hiess Manon Jeanne. Sie sagt selbst in ihren Memoiren folgendes über diesen Namen: „Ja, Manon, so nennt man mich, ich bedauere das selbst für die Liebhaber von Romanen; es ist kein vornehmer Name, er steht einer Heldin höheren Grades gar nicht an. Aber schliesslich ist er der meine und meine Geschichte ists, die ich schreibe. Uebrigens hätten sich die Empfindsamsten mit dem Namen ausgesöhnt, wenn sie ihn von meiner Mutter ausgesprochen gehört hätten, und die gesehen haben würden, die ihn trug!“

Manon war lebhaft ohne lärmend zu sein; von Natur sinnend veranlagt, forderte sie nichts weiter, als nur immer beschäftigt zu sein. Sie fasste alles rasch. Diese Begabung war so gross, dass sie mit einemmale lesen konnte, ohne sich erinnern zu können, es jemals gelernt zu haben. Als sie vier Jahre alt war, las sie schon leidenschaftlich gerne. Gleich nach den Büchern kam ihre Liebhaberei für Blumen. [55] Wenn sie an ihre Kindheit zurück denkt, so findet sie sie beglückt, weil sie sie inmitten von Büchern und Blumen verbringen durfte. Und selbst im Gefängnis, kurz vor ihrem Tode, konnte der Anblick einiger Blumen, die ihr Kerkergitter verdeckten, sie die Ungerechtigkeit der Menschen vergessen machen, und ihre Bücher trösteten sie auch dort in ihren Leiden. Sie war so wissbegierig, dass sie selbst den Koran studiert hätte, wenn sich ihr dazu eine Gelegenheit geboten hätte.

Die Künstler, die im Elternhaus der kleinen Manon verkehrten, beschäftigten sich gerne mit dem schönen, muntern Kinde und erzählten ihm manch schönes Märchen.

Mit sieben Jahren schickte man sie jeden Sonntag in die Pfarrschule, um sie zur Konfirmation vorbereiten zu lassen. Ein Bruder ihrer Mutter war Geistlicher und unterrichtete sie in der Sonntagsschule. Er war von der Leichtigkeit ihrer Auffassung und ihrer Lernbegierde so begeistert, dass er auf den Gedanken verfiel, sie im Lateinischen zu unterrichten. Das kleine Mädchen war entzückt, es war ein Fest für sie, einen neuen Lehrgegenstand gefunden zu haben. Sie hatte daheim die verschiedensten Lehrer für Kalligraphie, Geographie, Musik und Tanz. Ihr Vater erteilte ihr Unterricht im Zeichnen. Aber all das war ihr nicht genug. Sie stand um 5 Uhr früh auf, als noch alle im Hause schliefen, sie schlüpfte leise, nur mit einem Jäckchen bekleidet, ohne daran zu denken Strümpfe und Schuhe anzulegen, zu einem Tisch im Winkel des Zimmers ihrer Mutter, worauf ihre Arbeiten lagen, und begann abzuschreiben, ihre Uebungsbeispiele mit derartigem Eifer zu wiederholen, dass sie riesige Fortschritte machte. Die Lehrer wurden ihr alle gewogen und gaben ihr aus Vergnügen längere Lektionen; dieses Interesse erhöhte noch den Eifer der kleinen Manon. Alle schienen sich geschmeichelt zu fühlen, das begabte Kind unterrichten zu dürfen und dieses selbst war ihnen andererseits sehr dankbar, unterrichtet zu werden. Es gab keinen Lehrer, der nicht nach [56] einigen Jahren des Unterrichtes erklärt hätte, dass Manon nun der Anleitung nicht weiter bedürfe, dass aber die Eltern gestatten mögen, dass er ihr Haus besuchen und mit ihrer Tochter im Verkehr bleiben dürfe. Der Vater nahm fast keinen Einfluss auf ihre Erziehung. Ihre kluge, und vorsichtige Mutter fand bald heraus, dass man sie nur durch Vernunftsgründe beherrschen, oder durch Gefühl gewinnen könne. Sie stiess bei ihrer Tochter nie auf Widerstand, während der Vater als Herr befahl und nie oder spät Folgsamkeit durchsetzte. Wenn er nun gar als Despot auftrat und sein Kind bestrafte, da verwandelte sich das sonst sanfte Geschöpf in eine kleine Löwin. Sie schlug um sich, protestierte und bäumte sich gegen seinen Willen auf.

Als Manon eines Tages krank war, wollte der Vater ihr mit Gewalt die verordnete Medizin beibringen. Ihre Mutter hatte sich schon vorher in aller Güte und Geduld bemüht, sie dazu zu bewegen, vergebens. Der Vater fuhr dazwischen, erklärte den Ekel der Kranken für Trotz und begann tüchtig auf sie loszuhauen. Dann reichte er wieder die Medizin hin, und als sie Miene machte sie auszuschütten, wurden die Prügel zweimal wiederholt. Erst schrie sie laut, dann aber, als die Schmerzen schier unerträglich wurden, beruhigte sie sich mit einemmale, sie hörte zu weinen auf, eine jähe Ruhe kam über sie und vereinigte alle ihre Kräfte zu einem Entschluss. Sie stieg aus dem Bette, wendete sich gegen die Mauer, lehnte den geneigten Kopf gegen sie und bot selbst ihren entblössten Körper den Streichen dar. Sie erzählt selbst, dass ihr kein weiterer Seufzer entfuhr und dass man sie auf der Stelle hätte totschlagen können, ohne ihr einen Seufzer zu entlocken! Der Mutter gelang es endlich den Vater aus dem Zimmer zu entfernen. Sie legte das misshandelte Kind ins Bett und liess es zwei Stunden unbehelligt. Nach Verlauf dieser Zeit trat die Mutter ins Zimmer. Sie weinte und beschwor Manon, die Medizin zu nehmen und ihr nicht weiter Schmerz zu bereiten. Das [57] Kind blickte sie unbeweglich an, nahm das Glas und leerte es auf einen Zug.

Madame Roland sagt in ihren Memoiren bei Erinnerung an diese ungerechte Züchtigung: „Alle Einzelheiten dieser Szene sind mir so gegenwärtig, als hätten sie sich erst kürzlich zugetragen. Alle Eindrücke, die ich empfunden habe, sind mir noch so deutlich, es ist dieselbe Steifheit, die ich seither auch in den feierlichen Augenblicken eintreten fühle, und ich brauche heute nicht mehr zu tun, um stolz auf das Schafott zu steigen, als ich damals tat, mich der barbarischen Behandlung zu überlassen, die mich wohl hätte töten aber nicht bezwingen können.“

Seit jenen Schlägen hatte der Vater sie nicht mehr gezüchtigt, er gab ihr auch nicht den geringsten Verweis. Er liebkoste sie häufiger als früher, unterwies sie im Zeichnen, führte sie auf die Promenade, und dies alles mit einer Güte, die ihn in den Augen Manons wieder ehrwürdiger erscheinen liess und ihm von ihrer Seite völligen Gehorsam sicherte.

Ihr siebenter Geburtstag wurde wie der Eintritt in das Alter der Vernunft feierlich begangen. Ihr Dasein verlief sanft im häuslichen Frieden und einer grossen geistigen Tätigkeit. Die Mutter war fast unausgesetzt zu Hause und verkehrte nur mit sehr wenigen Leuten. Zweimal die Woche gingen sie zu den Grosseltern väterlicher Seite. Auch die Grossmutter Bimont wurde häufig besucht; sie war eine grosse, schöne Frau, die in früheren Jahren vom Schlage gerührt worden war. Ihr Geist blieb zeitlebens getrübt; sie war völlig stumpfsinnig. Die kleine Manon langweilte sich dort über alle Massen, sie begriff die traurige Krankheit nicht und wurde ärgerlich, wenn sie sah, dass die Grossmutter laut auflachen konnte, wenn sie niederfiel oder sich sonst weh tat, und dann weinte, wenn sie heiter war und sich freute. Wenn man sie aufklärte, es sei dies infolge ihrer Krankheit, so fühlte sie sich dadurch nicht weniger traurig. Das Schluchzen und sinnlose Schreien verletzten ihr Gefühl [58] und erfüllten sie mit Entsetzen. Das war eine harte Geduldsprobe, auf die Manon gestellt wurde. Als sie einmal durchaus nicht hingehen wollte, genügte es, dass ihre Mutter ihr Vorstellungen machte, dass es eine strenge und rühmliche Pflicht sei, die sie ihrer Mutter gegenüber erfülle, und dass es ehrenvoll sei, wenn sie sie mit ihr teile. Madame Phlipon verstand es, die Dinge so darzustellen, dass das Herz des Kindes diese Lehre mit Rührung aufnahm und darnach zu handeln bereit war.

Die Aufgaben füllten die Stunden des Tages derart aus, dass sie ihr für das, was sie unternehmen wollte, immer zu kurz wurden. Aber bald genügten ihr die Lehrbücher allein nicht mehr, sie entnahm der Hausbibliothek ein Buch nach dem andern, das gab eine recht zusammengewürfelte Lektüre: Die Bibel, die sie besonders anzog, das Leben der Heiligen, Geschichtswerke, Theaterstücke, kurz alles Gedruckte, das ihr in die Hände kam. Der Lerneifer beherrschte sie derart, dass sie einmal eine Abhandlung über Heraldik studierte. Aber endlich kannte sie alles, was in ihres Vaters Bibliothek stand, und suchte nach neuer Nahrung für ihren Geist. Durch Zufall entdeckte sie im Atelier ihres Vaters ein Versteck, wo die Schüler ihre Bücher aufbewahrten. Sie nahm immer eines im Geheimen weg und las es, sie gab es immer rechtzeitig zurück, bevor die Schüler kamen, so dass diese nichts bemerkten. Es waren im allgemeinen gute Werke. Eines Tages bemerkte Manon, dass ihre Mutter die gleiche Entdeckung wie sie gemacht habe, indem sie einen der Bände, den sie bereits kannte, in ihrer Hand sah. Danach genierte sie sich nicht weiter und entnahm die Bücher ganz ungescheut.

Reisebeschreibungen gehörten zu ihrer Lieblingslektüre. Aber allen voran waren die Werke Plutarchs die Geistesnahrung, die ihr entsprach.

Als sie neun Jahre alt war, es waren die Fasten von 1763, trug sie den Plutarch an Stelle des Andachtsbuches in die Kirche! Von dieser Zeit datieren die Eindrücke [59] und Gedanken, die sie noch unbewusst zur Republikanerin machten.

Telemach und Tassos „Befreites Jerusalem“ kamen etwas störend zwischen drein in die grossen Spuren, auf denen Manon wandelte. Der rührende Fénélon bewegte ihr Herz und Tasso entzündete ihre Phantasie. Hie und da musste sie ihrer Mutter vorlesen, aber sie tat es nicht gerne, da sie dadurch aus ihrer Sammlung gerissen wurde und nicht wie sonst bei den schönen Stellen nach Belieben verweilen konnte. Wenn sie für sich las, versank die wirkliche Welt um sie her, und sie war bald Eucharis von Telemach, bald die Erminia für Tankred! Sie sah nur mehr die Gestalten, und die Dinge um sie verwandelten sich auch in die geschilderte Umgebung. Es war ein Traum ohne Erwachen.

Nach dieser Zeit kam Voltaire an die Reihe. Eines Tages sassen einige alte Damen bei ihrer Mutter und spielten Piquet. Manon sass in einem Winkel des Zimmers und las „Candide“; als ihre Mutter für einige Augenblicke das Zimmer verlassen hatte, rief eine der alten Damen das Kind zu sich heran, und bat es, ihr das Buch zu zeigen, worin es eben las. Dann wandte sie sich an Frau Phlipon, die wieder ins Zimmer trat, und drückte ihr ihr Erstaunen über Manons Lektüre aus. Ohne ihr zu antworten, sagte Frau Phlipon zu ihrer Tochter, sie solle das Buch wieder hinstellen, wo sie es genommen habe. Die kleine, alte, dicke, wichtigtuende Frau bekam seither keinen freundlichen Blick wieder von Manon. Aber die gute, kluge Frau Phlipon änderte gar nichts in ihrer Auffassung und liess ihre Tochter weiter alles lesen, was ihr in die Hand kam und tat als sähe sie es nicht, trotzdem sie alles sehr genau wusste.

Uebrigens gab es gar keine unsittlichen Bücher im Hause, und so kam nichts Verderbliches in die Hände des wissbegierigen Kindes.

Herr Phlipon beschenkte seine Tochter fast ausschliesslich mit Büchern. Aber er war in der Wahl nicht [60] immer glücklich, wie sie sagt; er gab ihr zum Beispiel Locke „Ueber die Erziehung der Kinder“, oder Fénélon „Abhandlung über die Erziehung junger Mädchen“. Bücher, die dazu bestimmt waren die Erzieher zu leiten, gab man dem Zögling! Aber sie war so frühreif, sie liebte nachzudenken und wollte sich selbst bilden, sie studierte die Regungen ihrer Seele und suchte darnach, sich selbst zu kennen, und so kam es, dass der Zufall ihr günstiger war als gewöhnliche Berechnungen es vielleicht gewesen wären. Sie begann zu fühlen, dass sie eine grosse Bestimmung habe und dass sie sich in den Stand setzen müsse, sie würdig erfüllen zu können. Es waren unklare Ahnungen, und der Weg, den sie ging, war ein sehr merkwürdiger, voller Windungen und Krümmungen.

Sie hatte ein ganz besonderes Talent für Sprachen, Italienisch zum Beispiel lernte sie allein, ohne alle Schwierigkeit. Ihr Vater unterrichtete sie auch im Gravieren; bald hatte sie die ersten Schwierigkeiten überwunden und verstand es, mit dem Grabstichel umzugehen. Sie machte grosse Fortschritte, der Vater gab ihr die einfachen Arbeiten zur Ausführung und dachte sie dafür zu interessieren, wenn er den Profit mit ihr teilte. Manon sollte ein Buch darüber anlegen und am Ende jeder Woche abrechnen. Aber das langweilte sie und schliesslich interessierte sie auch die Arbeit nicht. Sie las lieber ein Buch, als sich für den Erlös der Arbeit Bänder zu kaufen. Sie nahm sich nicht die Mühe, ihre Abneigung zu verbergen und man widersetzte sich ihr nicht. Und so tat sie die Grabstichel, die Flachstichel in die Werkzeugskiste, ohne sie jemals wieder daraus zu entnehmen.

Trotzdem Frau Phlipon für sich gar keinen Wert auf Kleider legte, hielt sie bei ihrer Tochter sehr viel darauf. Mit Schrecken dachte Madame Roland ihrer damaligen Lockenfrisuren, deren Herstellung ihr arge Schmerzen verursachten, bei denen sie aber jede Klage unterdrückte.

Als Kind von acht Jahren also las sie, wie wir [61] gesehen haben, bereits ernste Werke, verstand mit der Grabstichel umzugehen, zeichnete gut, kannte sich in den Gestirnen aus, war in der Gesellschaft[WS 12] älterer Mädchen die beste Tänzerin; oft wurde sie in die Küche gerufen um eine Omelette zu machen, Gemüse zu putzen oder die Suppe abzuschäumen. Frau Phlipons Umsicht war es zu danken, dass Manon sich ebenso mit ernsten Studien, als angenehmen Freiübungen und häuslichen Geschäften befasste. Diese verschiedenartige Ausbildung, die sie zu allem befähigte, schien die Wandelbarkeit ihres Geschickes voraus zu verkünden und half ihr alles zu ertragen. Sie war nirgends am unrechten Platz. Wenn sie kochte oder Holz spaltete und diese Arbeiten auch höchst geschickt und flink zu vollführen verstand, so sah man ihr doch gleichsam an, dass sie für etwas anderes geschaffen war, niemand dachte daran, diese Beschäftigung als die für sie geeignete zu halten.

Frau Phlipon war fromm, ohne deshalb eine Betschwester zu sein, sie glaubte, oder bemühte sich zu glauben. Die ehrfurchtsvolle Art, mit der man Manon die ersten religiösen Begriffe beibrachte, hatten ihre Aufmerksamkeit wachgerufen und machten auf ihre lebhafte Phantasie einen grossen Eindruck, und trotz der Unruhe, in die sie ihre aufkeimende Urteilskraft oft warf, sie etwa über die Verwandlung des Teufels in die Schlange erstaunen machte, hinderte sie das nicht, gläubig zu sein und anzubeten.

Sie hatte der Firmung mit jener geistigen Sammlung angewohnt, die sie die Bedeutung ihrer Handlungen erkennen liess, und sie über ihre Pflichten nachzudenken veranlasste. Als davon die Rede war, sie zur ersten Kommunion vorzubereiten, fühlte sie sich von einem heiligen Schauer durchdrungen; sie las Andachtsbücher, sie fühlte den Drang, sich mit den grossen Problemen über ewiges Seelenheil oder ewige Verdammnis zu beschäftigen, und so neigten nach und nach, erst fast unmerklich, ihre Gedanken nach dieser Richtung hin.

Ein bedauernswerter Zwischenfall kam noch hinzu, [62] steigerte ihre Unruhe, und veranlasste sie einen grossen Entschluss zu fassen.

Im Atelier ihres Vaters waren verschiedene junge Schüler und Gehilfen. Manon trat wiederholt mit ihnen in Berührung, wenn sie dahin kam, um ihrem Vater ihre Arbeit vorzulegen, oder wenn sie ihre Grabstichel schärfen musste und dergleichen mehr. Unter diesen Schülern befand sich einer, dessen Eltern fern von Paris lebten. Frau Phlipon hatte Mitleid mit ihm, und da er noch sehr jung war, lud sie ihn meist am Sonntag für den Abend ein, damit er nicht in schlechte Gesellschaft gerate. So kam es, dass Manon viel vertrauter und freundschaftlicher mit ihm verkehrte als mit den andern Schülern ihres Vaters. Ganz harmlos, ohne jede Furcht ging sie ins Atelier, wenn auch ihr Vater nicht zugegen war.

Eines Abends ging sie wieder ins Atelier und fand bloss den einen Schüler anwesend, der bei der Lampe zu studieren schien. Sie ging an den Tisch und verlangte etwas, was sie gerade benötigte, da fasste er ihre Hand und zog sie in unanständiger Weise an sich. Das erschreckte Kind schrie laut auf und suchte seine Hand loszumachen, aber er lachte, ohne sie freizugeben und sagte ganz leise: „Aber stille doch! Wovor fürchten Sie sich, welche Dummheit! Kennen Sie mich denn nicht? Ich bin kein Bösewicht, Sie werden durch Ihr Schreien Ihre Frau Mutter zu kommen veranlassen, die mich wegen Ihrer Angst ausschelten wird.“ Sie verstummte, war aber sehr aufgeregt und forderte, dass er ihre Hand freigebe. Aber er hielt sie weiter fest und machte eine Halbdrehung auf seinem Sitz, so dass sie kaum Zeit hatte, den Kopf nach dieser Richtung zu wenden. Sie schrie und rief laut, es sei wirklich schrecklich, was er treibe, sie wehrte sich, um loszukommen und davonzulaufen.

Dann entschuldigte er sich bei ihr und versicherte, er habe durchaus nicht die Absicht gehabt, sie böse zu machen, aber es stehe ihr frei, ihn bestrafen zu lassen. „Ach mein Gott! Ich werde nichts sagen, lassen Sie mich nur gehen,“ [63] antwortete sie ihm. Nun liess er ihre Hand los und sie entwischte rasch.

Kaum hatte sie ganz erregt ihr Zimmer aufgesucht, als sie die Stimme ihrer Mutter vernahm, die sie rief. Sie war verwirrt und hätte Zeit bedurft sich zu fassen, aber es half nichts, sie musste dem Ruf Folge leisten. Ihre Mutter bemerkte die Veränderung ihres Aussehens und fragte besorgt, was ihr geschehen sei, warum sie so bleich aussehe. Sie antwortete ausweichend, sie wisse nicht, sie habe das Bedürfnis ein Glas Wasser zu trinken. Dann wurde sie gefragt, was sie fühle, und sie wusste nichts anderes zu antworten, als dass ihr ein wenig unbehaglich zumute sei. Dabei zitterten ihre Kniee, als sie aber das Wasser getrunken hatte, kam sie wieder zu sich, konnte sich beherrschen, ihre Mutter beruhigen und nach dem Begehr fragen.

Der peinliche Auftritt im Atelier war lange nicht zu verwischen und bereitete ihr doppelte Pein, da sie nicht wagte, ihrer Mutter davon Mitteilung zu machen. Sie hätte gar nicht gewusst, wie beginnen! Eine Zeit lang unterliess es Manon, ins Atelier zu gehen und sah den jungen Mann mit den zwei anderen Burschen bloss in Gegenwart ihrer Eltern am Mittagstisch. Das schien dem Burschen unangenehm und er suchte Manon einmal heimlich auf, als sie in der Küche beschäftigt war. Er stellte sie zur Rede, warum sie nicht mehr ins Atelier komme, entschuldigte sich wieder wegen seines Benehmens und bat sie, doch wieder wie früher hinzukommen. Sie sagte bloss „ja“, und rannte davon.

Nach und nach, fast unmerklich, begann sie ihre Angst und den Auftritt zu vergessen und ging wieder wie früher ins Atelier, um ihren Vater zu sprechen und das Nötige zu holen. Der junge Mensch suchte oft nach einer Gelegenheit, um auf den Auftritt zurückzukommen, darüber zu scherzen und ihn ihr als Kinderei hinzustellen; endlich brachte er es zuwege, auch sie darüber zum Lachen zu bringen. Daraus entstand eine Vertraulichkeit wie dies meist zwischen zwei [64] Menschen ist, die etwas, was immer es auch sei, nur allein wissen und darüber ihre Gedanken ausgetauscht haben.

Eines Tages arbeitete das Kind wieder an der Seite ihres Vaters im Atelier, als dieser hinausgerufen wurde; sie wollte ihm gleich folgen, als sich irgend eine Blechmusik auf der Strasse hören liess. Sofort eilte sie an das hohe Fenster und stieg auf den daneben stehenden Stuhl, denn sie hatte auf andere Art nicht in die Strasse blicken können, da sie noch zu klein war. Der junge Mensch riet ihr, auf den Werktisch zu steigen und half ihr dabei. Die anderen Schüler waren auf die Strasse geeilt um zu sehen, was es gäbe. Als Manon wieder hinab steigen wollte, fasste er sie unter den Armen, drückte sie an sich, und auf einmal sass sie auf seinem Schosse, denn er hatte sich, während er sie hinabhob, auf den Sessel sinken lassen.

Als sie losgelassen zu werden verlangte, begann er wieder sein altes Lied, und fragte spöttisch, ob sie denn wieder Angst bekomme; sie wich der Frage aus und sagte nur, sie wolle gehen, er zerdrücke ihr Kleid … Da wollte er ihr Kleid glätten, wobei sie seine Hände unverschämt berührten. Sie wollte sich ihm mit Gewalt entziehen, schlug um sich, dabei glitt sie zu Boden und sah mit Entsetzen in sein Gesicht. Seine Augen schienen aus den Höhlen zu treten, seine Nasenflügeln waren erweitert, sie war nahe daran in Ohnmacht zu fallen. Als er das sah, veränderte er sein Benehmen, er wurde sanft und tat alles, um sie zu beruhigen, er wollte sie nicht eher gehen lassen, als bis ihm dies gelungen wäre. Endlich konnte sie aufstehen und fortgehen. Von da an sah sie ihn nur mehr mit missbilligenden Blicken an, seine Gegenwart missfiel ihr. Sie wurde traurig und unruhig, sie hielt sich für beleidigt, sie wollte alles ihrer Mutter erzählen, doch war sie ängstlich und verlegen. Frau Phlipon bemerkte, dass Manon angegriffen war, und ihre erste Frage über die Veränderung ihres heiteren Wesens genügte, um sie den Vorgang vom [65] Anfang bis zum Ende erzählen zu machen. Die Gemütsbewegung und das entsetzte Aussehen der Mutter drückten sie voll Schmerz nieder. Die gute Frau war verzweifelt, als sie bemerkte, wie nahe sie daran gewesen war, die Früchte ihrer Sorgfalt zu verlieren; vielleicht überkam sie auch die Angst, dass die Tochter ihr etwas verbarg; sie stellte tausenderlei verhüllte Fragen, um ihr nicht mehr zu sagen als sie bereits wusste, und gleichzeitig um sich zu versichern, dass Manon nicht mehr darüber unterrichtet sei, als es den Anschein hatte.

Frau Phlipon benützte sehr geschickt den Widerwillen und die natürliche Schamhaftigkeit, die ihre Tochter bei diesem traurigen Vorgang empfunden hatte, um die eine und die andere ihrer Empfindungen bis zum höchsten Grade zu steigern, sie stellte es als einen Fehler hin, dass Manon ihr die Sache so lange habe verheimlichen können und diese unerhörte Ausschreitung des jungen Mannes so leicht zu nehmen schien. Sie unterliess es nicht, dieses Benehmen in so fürchterlichen Farben zu schildern, dass sich das Kind für verloren hielt. Religion, Tugend, Ehre, Ruf, alles benützte sie als Mittel, auf sie einzuwirken, mit dem Eifer einer erfüllten Seele und der Zärtlichkeit eines mütterlichen Herzens, eines Herzens wie des ihren. Sie wollte die Gefahr, der ihre Tochter ausgesetzt war, als sicherstes Schutzmittel gegen ähnliche für die Folge ausnützen. Sie brachte es dahin, dass Manon sich für die Schuldbeladenste unter allen Menschen hielt! Sie fand keine Ruhe, bis sie es durchsetzte, dass die Mutter sie zur Beichte führte. Das arme Kind fand es entsetzlich, derartige Dinge erzählen zu müssen, aber der Gedanke, dass dies ein Mittel der Sühne sei, veranlasste sie wohl oder übel es zu benützen, und der Mut sich dazu zu entschliessen, flösste ihr eine beruhigende Stärke ein. Von jenem Augenblick an beherrschten sie die religiösen Ideen. Die Frömmigkeit, in die Manon verfiel, veränderten sie seltsam. Eine tiefe Demut, eine unbeschreibliche Schüchternheit kam über sie. [66] Sie betrachtete die Männer mit einer Art Entsetzen, das noch wuchs, wenn der Betreffende liebenswürdig war; sie wachte mit ausserordentlicher Peinlichkeit über ihre Gedanken und es bedurfte eines Nichts, um in ihr das Gefühl zu erwecken, es sei ein Verbrechen.

Frau Phlipon hatte durch geschickte Vorwände es ermöglicht, dass sie und Manon nicht an dem gemeinsamen Mittagstisch teilnahmen. Das war eine grosse Erleichterung für das Kind. Auf diese Weise konnte sie dem Burschen völlig aus dem Wege gehen. Denn die Eltern hielten es für klüger, ihn seine Lehrzeit beenden zu lassen, als durch seine plötzliche Entlassung einen Skandal heraufzubeschwören.

Das zurückgezogene Leben, das Manon führte, erschien ihr noch immer zu weltlich, um sich würdig für die Kommunion vorzubereiten. Diese grosse Angelegenheit, die von solchem Einfluss auf das ewige Seelenheil sein soll, beschäftigte alle ihre Gedanken. Sie fand Geschmack am Gottesdienst, die Feierlichkeit übte einen starken Eindruck auf ihre Sinne aus. Sie las eifrig die Erklärung der kirchlichen Gebräuche und ihre symbolische Bedeutung. Sie las das Leben der Heiligen und beneidete sie um ihre Märtyrerkrone, die sie sich zu den Zeiten des Heidentums durch ihren Glaubenseifer errungen hatten. Eines Abends warf sie sich vor ihren Eltern auf die Knie und beschwor sie zu gestatten, dass sie für eine Zeit ins Kloster gehen dürfe.

Die gute Mutter war gerührt, sie hätte gezittert, wenn sie nicht gewusst hätte, dass ihrer Tochter nichts geschehen sein konnte, da sie sie in der letzten Zeit keine Minute verlassen hatte. Man befragte sie um die Gründe, die ihr diesen Plan wünschenswert erscheinen liessen, und erinnerte sie daran, dass man ihr bisher nichts Vernünftiges abgeschlagen habe. Sie sagte bloss, es geschehe aus dem Wunsch heraus, ihre erste Kommunion mit aller schicklichen Sammlung abzulegen. Der Vater lobte ihren frommen Eifer und beriet sich mit der Mutter über das zu wählende Kloster. Kurze Zeit darnach, am 7. Mai 1765, trat Manon [67] mit 11 Jahren in das Kloster Neuve-Saint-Etienne im Faubourg Saint-Marcel ein.

In Tränen gebadet, nahm sie Abschied von ihrer Mutter; es war die erste längere Trennung von ihr. Aber es schien ihr, als folge sie der Stimme Gottes, wenn sie ihm unter Tränen das grösste Opfer, dessen sie fähig war, darbrachte; denn als solches galt ihr diese erste Trennung

Sie verbrachte die erste Nacht sehr aufgeregt. Sie befand sich nun nicht mehr unter dem väterlichen Dache, sie fühlte schmerzlich die Entfernung von ihrer guten Mutter, die sicherlich an sie dachte – überall herrschte tiefste Stille, sie gab sich ihr mit einem gewissen Schauer hin. Grosse Bäume warfen ihren mächtigen Schatten dahin und dorthin und versprachen einen sicheren Zufluchtsort für die stille Andacht und Betrachtung. Als sie die Augen zum heiteren Himmel erhob, glaubte sie die Gegenwart der Gottheit zu fühlen, die ihr für ihr Opfer zulächelte, und sie fühlte bereits den Lohn dafür in dem trostreichen Frieden eines himmlischen Aufenthaltes. Köstliche Tränen flossen langsam über ihre Wangen und sie wiederholte mit heiligem Schauer ihre Gottergebenheit.

Als der Abend wiedergekommen war, hatte sie noch nicht alle ihre Klostergefährtinnen gesehen, es waren deren vierunddreissig in einer einzigen Klasse vereinigt, Schülerinnen vom sechsten bis zum achtzehnten Lebensjahre. Manon wurde bei Tisch unter die Grossen gereiht. Die feine Lebensart, mit der sie ihre Mutter vertraut gemacht hatte, die gesetzte Art, die ihr zur Gewohnheit geworden war, die sanfte, richtige Weise sich auszudrücken, ähnelten in nichts dem lärmenden Uebermut der übrigen, ausgelassenen Jugend. Die Kinder behandelten sie wie eine Erwachsene, und die Erwachsenen liessen sie den trennenden Altersunterschied nicht fühlen und behandelten sie mit einer gewissen Achtung. Durch ihren Lerneifer war sie unterrichteter als die meisten älteren Mädchen, die sich dort befanden. Die Lehrerinnen waren bald alle von Manons [68] Eifer und Talent entzückt und beschäftigten sich mit ihrem Unterricht auch ausserhalb der obligaten Stunden. Sie brachte es dazu, die Erste zu werden, und fand noch immer freie Zeit, weil sie fleissig war und keinen Augenblick verlor. In den Erholungsstunden und auf den Spaziergängen lief sie nicht scherzend mit den andern, sie zog sich meist einsam mit einem Buche unter den Schatten eines Baumes zurück. Sie liebte und bewunderte die Natur, es überkam sie dort, wie in der Kirche, eine heilige Empfindung der Dankbarkeit für den Schöpfer all dieser Herrlichkeiten.

Es waren bereits einige Monate vergangen, seit Manon innerhalb der stillen Klostermauern lebte. Die Eltern besuchten sie bloss des Sonntags und nahmen sie zu einem Spaziergang mit. Beim Abschied gab es regelmässig Thränen, die sich aber nicht etwa auf ihre Lage bezogen, sondern nur einzig der Zärtlichkeit galten, die sie für ihre Eltern empfand. Wenn sie dann durch die stillen Gänge schritt, hielt sie oft inne, um die Einsamkeit recht zu geniessen, oder sie blieb vor dem Grabe irgend einer frommen Nonne stehen und las das Lob, das auf dem Leichenstein eingegraben war. Dann konnte das kleine Mädchen tief aufseufzen, und fand die Todte beneidenswert in ihrer ewigen Glückseligkeit! Diese melancholische Anwandlung entbehrte nicht des Reizes, auch sie hoffte sich diese Seligkeit, nach der sie Verlangen fühlte, zu erringen.

Zwei neue Schülerinnen kamen von Amiens ins Kloster, es waren dies die Schwestern Cannet, mit denen Madame Roland bis zu ihrem Tode in aufrichtiger Freundschaft verbunden blieb. Trotzdem die Eine bereits achtzehn und und die andere vierzehn Jahr alt war, hinderte sie dieser Altersunterschied nicht, mit Manon ganz auf gleich und gleich zu verkehren. Darin glichen sich alle Schülerinnen, dass sie Manon gerne ausfragten und sie zum Reden brachten, aber dies wurde nicht allen leicht gemacht. Wirklich mitteilsam konnte sie nur ihren wirklichen Freundinnen gegenüber sein, andere konnten sie nur erraten, und nur [69] ganz Geschickte[WS 13] vermochten den Schleier ein wenig zu lüften, in den sie sich, ohne die Absicht sich zu verbergen, ganz natürlich hüllte.

Beim Eintritt ins Kloster wurde von den Eltern festgesetzt, dass Manon ein Jahr hier zu verbleiben habe, sie hatte es selbst gewünscht, eine Frist bestimmt zu sehen, nach der sie nicht weiter das Opfer zu bringen hatte, von ihrer Mutter getrennt leben zu müssen. Als die Zeit um war und es hiess, sich von der geliebten Einsamkeit[WS 14], von den guten Freundinnen und teilnehmenden Lehrerinnen für immer zu trennen, da gab es Thränen in Hülle und Fülle von allen Seiten. Man schwor sich ewige Freundschaft, und Manon gab das Versprechen, recht oft ins Kloster zu kommen, um alle die teueren Personen wiederzusehen. Frau Phlipon musste durch die häufige Abwesenheit ihres Mannes viel im Atelier sein, um die Schüler zu beaufsichtigen und gab ihre Tochter deshalb für eine Zeit zu Herrn Phlipons Mutter. Manon willigte ein, da sie dort ihre Mutter doch viel häufiger sehen konnte als im Kloster. Bei dieser Grossmutter lebte auch eine Tante Manons, Fräulein Rotisset, die sie Angélique nannte. Sie war asthmatisch und sehr fromm, gut wie ein Engel und harmlos wie ein Kind. Sie betrug sich wie eine demütige Magd vor ihrer älteren Schwester, Manons Grossmutter. Die Sorge um den Haushalt ruhte einzig auf ihr, eine Waschfrau kam zweimal des Tages, um die gröbste Arbeit zu verrichten, alles übrige machte Tante Angélique. Sie half ihrer Schwester mit einer gewissen Ehrerbietung sogar beim Ankleiden. Sie wurde auch sogleich Manons Bonne, während die Grossmutter Phlipon das Amt der Erzieherin für sich in Anspruch nahm. Das im Kloster gegebene Versprechen wurde gehalten; so oft es nur anging, machte sich Manon in Begleitung ihrer Tante Angélique auf den Weg dahin. Aber der Verkehr mit den Schwestern Cannet war durch das Dazwischentreten der anderen, die auch ins Sprechzimmer kamen, um Manon zu sehen, gestört. Die Mädchen verfielen auf den [70] Gedanken, einander in Briefen das mitzuteilen, woran sie durch die Anwesenheit der andern gehindert waren. Diese Idee wurde zur That und wir verdanken ihr zwei Bände sehr interessanter, merkwürdiger Briefe Madame Rolands an die Schwestern Cannet.

Manon hatte ihren zwölften Geburtstag im Hause ihrer Grossmutter verbracht. Der Friede in diesem Hause und die Frömmigkeit der Tante Angélique entsprachen ganz besonders ihrem empfindsamen, andächtigen Gemütszustande. Jeden Morgen ging sie mit Tante Angélique in die Kirche, um die Messe zu hören. Sie hatte den geheimen Plan, sich dem Klosterleben zu weihen. François de Sales, einer der liebenswürdigsten Heiligen aus dem Paradiese, hatte es ihr angetan. Da sie aber das einzige Kind ihrer Eltern war, dachte sie, dass sie ihr dazu kaum ihre Einwilligung geben würden. Sie fügte sich in ihr Schicksal und wollte mit der Ausführung dieses Planes bis zu ihrer Grossjährigkeit warten.

Der Vater war wieder regelmässig zu Hause, und Manon konnte endlich zu ihrer Mutter zurückkehren. Auch daheim, wurde der fleissige Besuch der Kirche nicht unterlassen. Manon ging jeden Morgen mit ihrer Mutter in die Messe. Nachher wurden meist Besorgungen gemacht, dann kam ein Lehrer nach dem andern. Nach dem Mittagessen zog sie sich in ihre Stube zurück, um zu lesen, zu schreiben und nachzusinnen. Die langen Abende wurden zu Handarbeiten verwendet, wobei Frau Phlipon stundenlang vorlas. Von allem, was ihr vorgelesen wurde, besonders aber von dem, was sie selbst las, machte Manon regelmässig Auszüge und schrieb die Stellen, die ihr besonders gefielen, nieder. Bei all ihrem Lerneifer und der Begierde sich zu bilden, ging sie ganz und gar nicht planmässig vor, sie hatte nur ein Ziel, zu wissen und sich zu unterrichten, sie musste den Tätigkeitstrieb ihres Geistes beschäftigen, und ihre ernsten Neigungen fördern, sie bedurfte des Glückes, sie konnte es nur in der völligen Entwicklung ihrer Anlagen finden, es schien ihr, in ihrer Betätigung zu bestehen.

[71] Das Erste, das ihr nach langem Nachdenken und Studieren in der katholischen Religion widerstrebte, war die Lehre von der ewigen Verdammnis und das Dogma der Unfehlbarkeit. Sie zögerte nicht, das eine und das andere zu verwerfen. Was blieb denn Wahres? Dies wurde mehrere Jahre hindurch der Gegenstand des fortgesetzten Suchens, nach dem sie mit einem Eifer, mit einer geistigen Unruhe, die schwer zu schildern ist, forschte. Kritische, philosophische, moralische und metaphysische Schriften waren damals ihre Lieblingslektüre.

Die Zeit verging unmerklich und mit einemmale war Manon in das Alter gekommen, wo die Freude zu gefallen, einen grossen Raum in der Vorstellung einnimmt.

An der Stelle ihrer Memoiren, wo sie davon spricht, entwirft sie eine Schilderung ihres Aeusseren: „Mein Gesicht hatte nichts Auffallendes, als eine grosse Frische und viel Sanftheit im Ausdruck; wenn man jeden Zug eingehend betrachtet, fragt man sich, wo die Schönheit eigentlich steckt, kein einziger ist regelmässig, alle zusammen gefallen. Mein Mund ist etwas gross, man sieht tausend schönere, aber keiner von ihnen hat ein sanfteres und verführerischeres Lächeln. Das Auge hingegen ist nicht sehr gross und zeigt eine graublaue Farbe. Die Augen treten etwas hervor, der Blick ist offen, frei, lebhaft und milde; braune Augenbrauen, die in der Farbe den Haaren gleichen und gut gezeichnet sind. Die Augen wechseln in ihrem Ausdruck wie die liebevolle Seele, deren Regungen sie malen; sie setzen manchmal durch den Ernst und den Stolz in Erstaunen, aber sie schmeicheln häufiger und muntern auf. Die Nase verursacht mir einigen Kummer, ich finde sie etwas stark an der Spitze, indessen im Ensemble betrachtet, und besonders im Profil gesehen, verdirbt sie nicht das übrige. Eine breite offene Stirn, stark gewölbte Augenhöhlen, in der Mitte ein deutliches Y, von Adern gebildet, die bei der geringsten Erregung merklich hervortreten; sie ist dadurch von der Unbedeutendheit, die man an vielen anderen findet, verschont. [72] Das Kinn ist hinaufgestülpt, der Teint mehr lebhaft als weiss, mit blendenden Farben. Ein schöner runder Arm, eine angenehme, wenn auch nicht kleine Hand, gesunde, gut gereihte Zähne, eine üppige Gestalt, das sind die Schätze, die mir Mutter Natur zum Geschenke gemacht hat.“

Madame Roland sagt dann weiter, dass sie wiederholt gemalt und gezeichnet worden sei, dass aber kein Bild einen rechten Begriff ihrer Persönlichkeit gebe, sie sei schwer zu treffen, weil sie mehr Seele als Gesicht, mehr Ausdruck als Züge habe. Ihre Züge belebten sich im Verhältnis zu dem Interesse, das man ihr einflösste, sowie auch im Verhältnis zu dem Geist, den man ihr gegenüber aufwandte. So fand sie sich Dummen gegenüber wie vor den Kopf geschlagen, und hinwiederum Gescheiten gegenüber fand sie ihren Geist immer wieder, glaubte aber meist, es sei das Verdienst dieser Gescheiten und nicht das ihre. Nicht allen Leuten war es gegeben, ihren Wert und ihre Veranlagung zu erkennen. Sie sagt selbst, dass manche sie zehn Jahre kannten, ohne eine Ahnung zu haben, dass sie mehr konnte als eine Addition machen und Hemden nähen. Gegen viele war sie schweigsam, kalt, wenn nicht gar abstossend. Hofmacher mochte sie nicht leiden, sie hasste ebenso die Galanten als sie die Sklaven verachtete, sie verstand es, die Courschneider fein hinauszukomplimentieren.

Vor allem machte sie auf Achtung und Wohlwollen Anspruch, die Bewunderung stand in dritter Linie, sie wollte in erster Linie anerkannt und geliebt sein, das gelang ihr auch bei allen, die das Herz am rechten Fleck hatten.

Auf das Studium der Philosophie, die als die Wissenschaft der Sitten und die Grundlage der Glückseligkeit betrachtet wurde, wendete sie nun allen Fleiss und alle Zeit. Beim Studium der Alten gab sie den Stoikern den Vorzug; sie versuchte, wie diese, den Lehrsatz aufrecht zu halten, dass der Schmerz kein Uebel sei und sie bemühte sich hartnäckig, sich nie von ihm besiegen zu lassen. Ihre Versuche [73] überzeugten sie, dass sie grosse Leiden zu ertragen vermochte, ohne zu schreien.

Eine Zeitlang beschäftigte sie sich auch mit lebhaftem Interesse mit Physik und höherer Mathematik, aber diese Wissenschaften vermochten sie nicht lange zu fesseln, bald kehrte sie wieder zur Literatur zurück.

Im Sommer wurde jeder Sonntag zu Ausflügen in die reizende Umgebung benützt. Meudon liebte sie ganz besonders, dort gab es wild wachsende Wälder, einsame Teiche, Alleen von Fichten, alten Baumriesen. An diese einfachen Freuden in der freien Natur dachte sie immer mit Rührung zurück. Wenn man nach einem frugalen Mittagessen, das die Familie in einer Waldschänke eingenommen hatte, wieder eine einsame Waldlichtung aufsuchte um ein Mittagschläfchen zu halten, da brachte es Manon nicht dazu, die Augen im Angesicht all der sie umgebenden Herrlichkeiten zu schliessen, sie träumte mit offenen Augen, oder zog das Buch eines Schriftstellers heraus und versank in die Welt jener Vorstellungen: „Reizendes Meudon, wie oft habe ich in deinem Schatten die liebliche Luft eingeatmet, indem ich den Schöpfer meines Daseins segnete, indem ich dasjenige wünschte, was es eines Tages vollkommen machen konnte, aber mit jenem Zauber eines Wunsches, ohne Ungeduld, der nichts tat, als die Wolken der Zukunft mit den Strahlen der Hoffnung zu vergolden. Wie liebte ich es, mich unter den grossen Bäumen auszuruhen! Während die Eltern schliefen, betrachtete ich die Erhabenheit deiner schweigsamen Wälder, ich bewunderte die Natur, ich betete die Vorsehung an, deren Wohltaten ich fühlte. Das Feuer der Empfindung färbte meine feuchten Wangen, und der Reiz des irdischen Paradieses schien für meine Empfindung in diesem ländlichen Aufenthalte verkörpert. Der Bericht über meine Ausflüge und das Glück, das sie mich empfinden liessen, bildete einen Teil der Korrespondenz mit meiner Freundin Sophie Cannet, manchmal in Prosa von Versen durchbrochen, absonderliche, aber leichte, manchmal glücklich geratene [74] Geisteskinder einer Seele, für die alles Leben, Bild, Glückseligkeit war. Sophie fand sich in eine Welt geworfen, in der es keine Annehmlichkeiten gab, die sie mich in meiner Einsamkeit geniessen sah. Als ich ihre Familienangehörigen kennen lernte, schätzte ich den Wert meiner Zurückgezogenheit erst recht.

Es ist zweifellos, dass unsere Lage viel unsern Charakter und unsere Meinung beeinflusst, aber man konnte sagen, dass die Erziehung, die mir zuteil wurde, dass die Ideen, die ich durch Studium und mit Hilfe der Welt erworben habe, dass alles sich vereinigte, mir die republikanische Begeisterung einzuflössen, indem es mich das Lächerliche beurteilen und die Ungerechtigkeit einer Menge von Vorrechten und Standesunterschieden fühlen liess. In meiner Lektüre begeisterte ich mich ganz besonders für die Reformatoren der Ungleichheit. Wenn ich beim Einzug der Königin oder der Prinzen zugegen war, oder die Danksagungen sah, die bei der Niederkunft der Königin verrichtet wurden, so hielt ich voll Schmerz diesen asiatischen Luxus, diesen unverschämten Pomp mit dem Elend und der Erniedrigung des angesammelten Volkes gegen einander, des Volkes, das ganz verblödet auf den Weg, eilt um die von seiner Hand geschaffenen Götzen zu sehen und dabei das glänzende Gepränge albern beklatscht, dessen Kosten es mit Aufopferung des eigenen Notwendigsten beschaffen muss!“

Die lockeren Sitten, für die der Hof in erster Linie verantwortlich zu machen war, erfüllten sie mit Entrüstung. Sie sah damals noch nicht das geringste Anzeichen einer Revolution und legte sich wiederholt die Frage vor, wie es möglich sei, dass die Dinge in diesem Staate fortbestehen können. In der Geschichte sah sie, dass die Staaten, die in einem ähnlichen Zustande der Entartung sich befanden, ins Wanken gerieten und zusammenstürzten. Jetzt aber hörte sie die Franzosen über ihre eigenen Leiden lachen und [75] spotten; sie fand, dass die Engländer Recht hatten, die Franzosen für Kinder zu halten.

Frau Phlipon sah ein, dass man den Geist ihrer Tochter beschäftigen müsse, und legte ihren Studien keine Hindernisse in den Weg. Geschichte und Philosophie waren nun die zwei Hauptgegenstände, die ihr Interesse wachriefen. Selbst die Gefahr der Ungläubigkeit, die durch diese Studien entstand[WS 15], hinderte Madame Phlipon nicht, sie gewähren zu lassen. Es war ihr lieber, die Phantasie, als das Herz ihres Kindes mit fortgerissen zu sehen! „Ach mein Gott! Welche vergebliche Mühe, seinem Schicksale auszuweichen!“ Im Augenblick, wo ein junges Mädchen das Alter erreicht, das seine Entwicklung ankündigt, heftet sich der Schwarm der Verehrer an ihre Fersen, gleich dem Bienenschwarm, der um die eben erblühte Rose summt. Manon war in einer sehr puritanischen Weise aufgezogen worden und lebte sehr zurückgezogen. Es stellte sich trotzdem eine Menge von Freiern ein. Sie umgingen die Schwierigkeit, ins Haus eingeführt zu werden, indem sie den schriftlichen Weg betraten. Ihr Vater brachte ihr jedesmal die Briefe dieser Art. Sie verfasste dann regelmässig selbst die Absagebriefe, die ihr Vater getreulich abschrieb. Die Herren wurden mit Würde, ohne Hoffnung und Beleidigung, abgewiesen. So passierte die ganze junge Herrenwelt der Vorstadt, in der sie lebte, Revue. Ihr Vater legte nur auf Reichtum Gewicht, alle, die nicht ein solides Vermögen oder alte, gutgehende Geschäftshäuser hatten, erlangten nicht seinen Beifall. Kam aber einer, der ihm nach dieser Richtung entsprach, so sah er es mit Schmerz, wenn seine Tochter sich nicht entschliessen wollte.

Von jener Zeit an begannen sich die Gegensätze zwischen ihr und ihrem Vater immer mehr zuzuspitzen. Er liebte und achtete den Handel, weil er ihn als die Quelle des Reichtums betrachtete, sie hingegen hasste ihn, weil er in ihren Augen die Quelle des Geizes und der Betrügerei war. Ihr Vater begriff nicht, dass ein eleganter [76] Juwelier, der nur schöne Dinge berührte, ein altes, gutgegründetes Haus hatte, der eine glänzende Zukunft vor sich sah, ihr nicht genügte und nicht gefiel!

Von ihrer frühesten Kindheit von den reinsten Moralgrundsätzen erfüllt, mit den grossen Beispielen des Altertums vertraut, sollte sie nur deshalb mit den Helden Plutarchs gelebt haben, um sich mit einem Kaufmann zu verbinden, der nicht wie sie urteilen oder fühlen würde?

Frau Phlipon, die vernünftige Mutter, wollte, dass Manon sich ebenso in der Küche wie im Salon, auf dem Markte wie auf der Promenade, auskenne und nahm sie mit, oder liess sie die Sachen selbst besorgen. Dabei kamen recht komische Zufälle vor. Der Fleischer hatte seine Frau verloren. Er hatte ein Vermögen von 50.000 Thaler und hoffte überdies, es noch zu vergrössern. Manon wusste nichts von all dem. Sie bemerkte nur, dass sie sehr gut bedient wurde und verwunderte sich sehr, dass er ihr am Sonntag immer auf der Promenade, in feiner Toilette, in den Weg kam und sich mit Bücklingen nicht genug tun konnte. Das dauerte den ganzen Sommer. Als Manon einmal unwohl war, schickte der Fleischer jeden Morgen hin, um sich nach dem Befinden und den etwaigen Wünschen der Kranken zu erkundigen, die in sein Fach einschlugen. Diese Teilnahme fiel dem Vater auf, er lächelte darüber und unterhielt sich ausgezeichnet; er versicherte seine Tochter wiederholt, dass er das Prinzip habe, ihren Gefühlen keinen Zwang anzutun. Er erzählte nun von dem Heiratsantrag des Fleischers und fragte sie nach ihrer Entscheidung. Sie ging auf den Ton ein und versicherte ihm in aller Form, dass sie sich in ihrer gegenwärtigen Lage sehr wohl befinde und nicht daran denke, sie vor Ablauf einiger Jahre zu ändern, ihm aber die weiteren Schritte in dieser Angelegenheit überlasse.

Der Vater stellte ihr dann ganz ernst vor, dass sie zu wählerisch sei, und was sie denn eigentlich für einen Mann erwarte, welchen sie fordere? Darauf machte ihm Manon Vorwürfe, dass er schuld sei, dass er sie gelehrt [77] habe nachzudenken, und er zugegeben habe, dass sie sich Studien hingebe. Sie wisse zwar noch nicht, welchen Mann sie erwählen werde, aber das wisse sie, dass sie nur den nehmen werde, mit dem sie ihre Gedanken werde austauschen können und mit dem sie ihre Gefühle zu teilen imstande sein würde. Der Vater fand, dass auch Kaufleute Bildung und Benehmen haben, Manon bestritt das nicht, fand aber, sie entsprächen nicht ihrer Richtung. Ihr Benehmen bestehe in einigen Höflichkeitsphrasen und Verbeugungen, ihr Wissen beziehe sich nur auf die Geldkasse. Sie habe in diesem Stande keinen Menschen nach ihrem Geschmacke gefunden. Auch missfalle es ihr, dass der Reichtum der Kaufleute dadurch entsteht, dass sie dasjenige teuer verkaufen, was sie billig ergattern, dass sie viel lügen und ihre armen Arbeiter ausbeuten. Sie würde sich niemals zu solch einem Tun hergeben können, noch jenen zu achten vermögen, der sich von früh bis spät mit derlei beschäftigte.

Es machte Manon sehr viel Spass, die Absagebriefe aufzusetzen und zu sehen, wie sie ihr Vater genau abschrieb. Sie gefiel sich darin, den Vater zu spielen, sie behandelte ihre eigenen Interessen mit dem ganzen Ernst, den die Sache verdiente, wie für sich selbst, jedoch im Stile der Weisheit der Vaterschaft!

Es stellten sich auch Schriftsteller und Doktoren ein, aber keiner hatte das Glück, Manon zu gefallen. Einer ihrer Lehrer verliebte sich auch in sie, wurde aber gleich verabschiedet, als es die Eltern bemerkten.

Die Gesundheit Madame Phlipons begann unmerklich angegriffen zu werden. Sie hatte einen leichten Schlaganfall erlitten, sie wollte, dass man die Krankheit Rheumatismus nenne, damit sich ihre Tochter nicht Sorgen hingebe! Sie war ernst und wortkarg, sie verlor mit jedem Tag ihre Lebhaftigkeit, sie liebte es, sich in sich selbst zurückzuziehen, und schickte alle fort, wenn sie ihr Gesellschaft leisten wollten. Sie sprach oft mit Manon über deren Verheiratung und bedauerte, dass sich das Mädchen nicht zu [78] einem der Freier entschliessen konnte. Eines Tages drang sie sehr in sie, den Antrag eines ehrlichen Mannes, eines Juwelenhändlers, anzunehmen. Sie lobte seine grosse Ehrenhaftigkeit, sein Vermögen und sein feines Benehmen. Sie versicherte, er verstehe Manon, er schätze ihre ungewöhnliche Art und würde es sich zur Ehre anrechnen, sich von ihr leiten zu lassen! Eine Ehe sei, wenn sie auch nicht den Idealen ihrer Tochter entspräche, noch immer dem Lose einer alten Jungfer vorzuziehen. Sie stellte ihr die Möglichkeit ihres baldigen Todes vor Augen, wie sie da mit dem Vater allein zurückbleiben würde; er sei noch jung und sie könne sich nicht die Sorgen vorstellen, die ihre zärtliche Liebe für sie fürchte. Wie ruhig würde sie sein, wenn sie sie mit einem ehrenhaften Manne verbunden wüsste, ehe sie diese Welt verlasse.

Dieser Gedanke überwältigte Manon vor Schmerz, es schien ihr, als würde die Mutter einen bedrohlichen Schleier von einer düstern, erschreckenden Zukunft wegziehen, die sie nicht einmal vermutet hatte. Sie hatte sich nie vorgestellt, dass sie sie jemals verlieren könnte. Die Erwähnung dieses Verlustes allein, von dem sie sprach, als ob er nah bevorstehend wäre, erfüllte sie mit Entsetzen, ein Schauer lief über ihren Körper, sie sah die Mutter mit ganz verstörten Blicken an, Tränen stürzten ihr aus den Augen, als sie die Mutter lächeln sah: „Wie! Du beunruhigst dich? Als ob man in den zu fassenden Entschlüssen nicht die Möglichkeiten zu erwägen hätte. Ich bin wohl nicht krank, doch befinde ich mich in einer kritischen Zeit, deren Zufälle oft unheilvoll werden können, aber im Zustand der Gesundheit muss man sich mit dem Gegenteil befassen. Die günstige Gelegenheit, die sich bietet, veranlasst mich insbesondere dazu, mit dir darüber zu sprechen. Ein guter und würdiger Mann hält um dich an. Du bist nun über zwanzig Jahre alt, von nun an wirst du nicht weiter so viele Bewerber als in den letzten fünf Jahren, die verflossen sind, sehen. Ich kann sterben … weise den Gatten nicht zurück … der, es ist wohl wahr, nicht jenes [79] Zartgefühl besitzt, auf das du so grossen Wert legst, ein Zartgefühl, das immer sehr selten ist, selbst bei denen, bei welchen man es vermutet: Er wird dich lieben, und du wirst mit ihm glücklich sein.“ „Ja, Mama, ein Glück wie das deine,“ schrie Manon mit einem tiefen Seufzer auf.

Madame Phlipon kam ausser Fassung und schwieg. Seither sprach sie nie wieder über Heiraten mit ihrer Tochter, noch versuchte sie es, sie zu irgend einem Entschluss zu drängen. Das Wort war Manon entschlüpft, wie der Ausdruck einer lebhaften Empfindung, über die man nicht nachgedacht hat, einem Menschen entfährt. Der Eindruck, den ihre Bemerkung hervorrief, bewies nur ihre all zu grosse Richtigkeit. Die Fremden sahen wohl auf den ersten Blick den Unterschied zwischen Mutter und Vater, aber niemand konnte die Vorzüglichkeit der Mutter mehr schätzen als Manon. Was die arme Frau jedoch in der Ehe litt, konnte das junge Mädchen nicht annähernd beurteilen, sie war seit ihrer Kindheit gewohnt, den tiefsten Frieden im Hause herrschen zu sehen, sie vermochte es nicht zu beurteilen, ob es mühselig war, ihn aufrecht zu erhalten. Der Vater hatte seine Frau gerne und liebte seine Tochter zärtlich. Man sah nie ein Zeichen des Vorwurfs oder der Unzufriedenheit auf dem Gesicht von Madame Phlipon; wenn sie nicht der Ansicht ihres Mannes war und diese nicht hatte abändern können, so hätte man meinen können, dass sie sich ohne Schwierigkeit fügte. In den letzten Jahren, wenn die Diskussionen des Vaters heftig wurden, nahm sich Manon heraus einzugreifen, sie hatte einen gewissen Einfluss, meist gab er ihr eher nach, als seiner Frau. In Manons Gegenwart wagte er es nicht, seine Frau zu quälen. Manon hatte viel Takt und erwähnte nie ein Wort über die Vorfälle, wenn der Vater fort war, sie tat, als hätte sie alles vergessen. Sie war imstande, für ihre Mutter deren Gatten zu bekämpfen, aber war dieser Gatte abwesend, so war er nur mehr ihr eigener Vater, über den man schwieg, wenn man nichts Freundliches über ihn zu sagen wusste.

[80] Seit einiger Zeit hatte Manon bemerkt, dass ihr Vater nach und nach seine Arbeitsfreude einbüsste, er ging häufig vom Hause fort. Dazu kam die Leidenschaft des Spieles, er wollte ein Vermögen gewinnen und spielte in der Lotterie; da er in seiner Kunst nicht zu Reichtum gelangen konnte, so versuchte er es mit dem Zufall. So kam es, dass er immer mehr Kunden verlor und sein eigentliches Geschäft zurückging. Madame Phlipon hing sehr ihren Gedanken nach und teilte der Tochter so halb und halb ihre Besorgnisse mit; diese suchte sie zu beruhigen, indem sie auf Mittel sann, die drohenden Gefahren abzuwenden. Sie selbst tat alles, um der Mutter angenehm zu sein. Madame Phlipon ging nicht mehr gerne aus, Manon brachte ihr das Opfer, mit dem Vater zu gehen. Das freute und beruhigte die Kranke. Aber Herr Phlipon ging meist wieder allein fort, wenn er die Tochter heimgebracht hatte. Für einen Augenblick, wie er sagte, doch kam er nicht vor Mitternacht heim. Da weinten Mutter und Tochter gemeinsam in der Stille. Manchmal machte ihm Manon bei seiner Rückkehr Vorwürfe, doch nahm er die sehr leicht, oder scherzte; auch zog er sich manchmal, ohne ein Wort zu sagen, zurück. Das häusliche Glück wurde in diesem düsteren Kummer nach und nach begraben, aber der äusserliche Friede wurde nicht gestört, und gleichgültige Augen hätten die Veränderung gar nicht bemerkt, die sich von Tag zu Tag mehr vollzog.

Die Mutter ging ihrem Ende entgegen, ohne dass ihre zärtliche, wachsame Tochter das Nahen dieses schrecklichen Schlages vorausgesehen hätte!

Eines Tages eilte Manon, statt spazieren zu gehen, rasch heim, sie war von traurigen Ahnungen erfüllt, trotzdem die Mutter sich bei ihrem Weggehen scheinbar wohl gefühlt hatte. Als sie sich ihrem Wohnhause näherte, schrie ihr das Nachbarmädchen entgegen: „Ach, Fräulein! Ihre Mama hat sich sehr unwohl gefühlt.“ Voll Entsetzen gab sie einige unartikulierte Laute von sich und stürzte ins Haus.

[81] Sie fand die Mutter im Fauteuil, der Kopf hing herab, die Arme waren schlaff, das Auge ohne Ausdruck, der Mund halb geöffnet. Als sie der Tochter ansichtig war, belebte sich der Ausdruck ihres Gesichtes, sie wollte sprechen und konnte nur mühsam einige Worte lallen, aus denen man erraten konnte, dass Frau Phlipon Manon mit Ungeduld erwartet habe. Mit Mühe hob sie einen Arm und wischte die Tränen aus dem Gesichte ihres Kindes, sie streichelte sie, wie um sie zu beruhigen, und versuchte zu sprechen, aber es war eine vergebliche Anstrengung. Der Schlag hatte sie gelähmt. Manon holte den Arzt, lief in die Apotheke, verordnete alles, was zu geschehen habe und tat die Dinge, eh’ sie noch verordnet waren, es schien, als ob sie sich nicht vom Krankenbette fortrühre und doch tat sie fast alles selbst. Um 10 Uhr nachts wurde Madame Phlipon so schlecht, dass man ihr die letzte Oelung reichte. Manon stand am Bett und hielt den Armleuchter, dabei verwandte sie keinen Blick von ihrer sterbenden, geliebten Mutter und war nur von einem Gedanken beherrscht, der alle ihre Kräfte aufhob. Der Armleuchter entglitt ihrer Hand, und sie fiel ohne Besinnung zu Boden.

Als Manon aus der Ohnmacht erwachte, befand sie sich im anstossenden Salon, umgeben von Mitgliedern ihrer Familie. Nach einer Zeit trat der Vater bleich und schweigend ins Zimmer, auf eine leise Anfrage hin nickte er bloss mit dem Kopfe, worauf alle in lautes Seufzen ausbrachen. Manon entschlüpfte ungesehen aus dem Zimmer und eilte zu ihrer Mutter … sie war nicht mehr! Sie hob ihren Arm in die Höhe, sie hob und senkte die Lider jener Augen, die sie nie mehr sehen sollten – sie wollte es nicht glauben.

Manon litt entsetzlich, sie konnte den Atem nicht finden und glaubte ersticken zu müssen; es war kein Atmen mehr, es war ein Röcheln, das so laut war, dass man es auf der Strasse hörte. Acht volle Tage vergingen, und noch hatte Manon keine Träne zu weinen vermocht.

[82] Der Vater trat im Traueranzug an ihr Bett und suchte sie in seiner Weise zu trösten. Er gab zu, dass der Verlust unersetzlich sei, dass aber das Schicksal doch gnädig gehandelt habe, indem er die Mutter, deren Erziehungswerk vollendet war, abberufen habe und ihr den Vater gelassen hätte, der ihr zu ihrem Glücke eher würde nützlich sein können. Sie war von der trockenen Art jener angeblichen Tröstungen, die so gar nicht nach ihrem Sinne waren, ganz betroffen. Zum erstenmal ermass sie all das, was sie von ihrem Vater trennte, es schien ihr, als ob er selbst den Schleier der Ehrfurcht, unter dem sie ihn betrachtete, zerriss. In jenem Momente fühlte sie sich völlig verwaist; ihre Mutter war nicht mehr, und das sah sie nun ein, dass ihr Vater sie nie werde verstehen können. Eine neue Art von Kummer lastete auf ihrem Herzen, sie fiel wieder in einen Zustand der heftigsten Verzweiflung zurück. Nur der Güte und aufopfernden Pflege guter Verwandter war es zu danken, dass Manon dem nahen Tode entrissen wurde. Sie sagte selbst darüber: „Ach! wenn meine Tage damals zu Ende gegangen wären! Es war mein erster Kummer, von wie vielen Prüfungen war er nicht gefolgt!“

Hier endet die freundliche, hell strahlende Epoche jener ruhigen Jahre, die sie im Frieden und dem Reiz beglückender Zärtlichkeit und geliebter Studien verbrachte, ähnlich jenem schönen Frühlingsmorgen, wo die Heiterkeit des Himmels, die Reinheit der Luft, die Lebhaftigkeit des Laubes, der Duft der Pflanzen, alles was atmet, entzückt, das Dasein entwickelt und beglückt, indem es das Glück in Aussicht stellt.

Als sich Manon nach und nach ein wenig erholt hatte, liess man Bekannte zu ihr kommen, um sie mit der Aussenwelt wieder in Verbindung zu bringen. Sie schien nicht in der wirklichen Welt zu leben, sie beachtete nicht, was um sie herum vorging, sie antwortete nicht, oder sie antwortete eher auf ihre eigenen Gedanken, als dass sie jene der andern [83] auffasste, es schien, als wäre ihr Geist krank. Das Bild ihrer geliebten Mutter stand immer vor ihrem geistigen Auge und rief ihr den furchtbaren Verlust in Erinnerung. Entsetzte Schreie entfuhren ihr, die ausgebreiteten Arme wurden steif und sie verlor die Besinnung.

Nach und nach festigte sich ihre Gesundheit wieder. Sie war einundzwanzig Jahre alt geworden, da kamen ihr die Werke Rousseaus zum erstenmal in die Hand. Sie war hingerissen, und voll Begeisterung verschlang sie alles, was sie von seinen Schriften bekommen konnte; es schien, als wäre dies die richtige Geistesnahrung für sie. Sie hatte die Zeit ihrer Krankheit und Wiedergenesung im Hause gütiger Verwandter zugebracht, nun war sie gesund und nun hiess es zu ihrem Vater zurückkehren. Schmerzlich war das Wiedersehen in den verödeten Räumen. Man glaubte besonders rücksichtsvoll zu handeln, indem man das Blld ihrer Mutter von der Wand entfernte. Sie verlangte es auf der Stelle zurück. Die Sorgen des Haushaltes waren ihr nun allein zugefallen, doch war die Arbeit für drei Personen nicht gar gross.

Die grosse Angelegenheit ihres Lebens war ihre persönliche Zukunft. Sie wollte der eigene Schmied ihres Glückes sein und liebte es nicht, wenn sich andere in ihre Privatangelegenheiten mischten. Herr Phlipon versuchte in der ersten Zeit seiner Witwerschaft mit aufrichtigem Bestreben, sich mehr daheim aufzuhalten. Aber er langweilte sich bald. Manon wollte mit ihm reden, doch sie hatten wenig gemeinsame Gedanken, und überdies neigte er damals zu solchen, in denen er seine Tochter nicht bewandert zu sehen wünschte. Er wusste, dass seine Tochter Kartenspielen hasste und es nur ihm zuliebe tat. Umso langweiliger war es Herrn Phlipon, mit seiner Tochter zu spielen. Der Kreis, in dem sich der Vater mit Vorliebe bewegte, schien ihm für die Tochter dennoch nicht schicklich genug.

Die Mutter hatte die Einsamkeit immer vorgezogen, [84] und so kam es, dass Manon nun allein stand: „In einer Ehe, wo die Ehegatten nicht zusammenpassen, kann die Tugend des einen von beiden den Schein und den Frieden aufrechterhalten, aber der Mangel an Glück macht sich früher oder später geltend und führt mehr oder minder ernste Uebelstände herbei. Das Gerüst dieser Verbindungen ähnelt unserem politischen Staatssystem, es fehlt an der Grundlage, es muss eines Tages zusammenbrechen, trotz der in der Konstruktion angewandten Kunst.“

Alles ging gut in der Ehe von Manons Eltern, so lange die Frau jung war und Herr Phlipon in seinem Hause die Arbeit und die Freuden fand, die ihm entsprachen. Er war jedoch ein Jahr jünger als seine Frau und überdies begann sie frühzeitig zu kränkeln; er selbst verlor durch allerlei Ideen und Ablenkungen die Freude an seinem Berufe. Bald nach dem Trauerjahr nahm er sich eine Maitresse, um seiner Tochter keine Stiefmutter zu geben. Er begann zu spielen, um seine Verluste wieder wett zu machen. So kam es, dass er sich sachte zugrunde richtete. Manon sah, wie ihr von der Mutter vermachtes Erbe in der Hand des Vaters zerrann, aber sie hätte es unschicklich gefunden, ein Aufhebens davon zu machen, sie schwieg und fügte sich.

Nun war sie meist allein in ihrer Behausung, zwischen den kleinen häuslichen Arbeiten und ihren Studien eingeschlossen, aber von beiden Beschäftigungen wurde sie häufig abberufen, um in Abwesenheit des Vaters Auskünfte zu erteilen.

Ihre Studien wurden ihr teurer denn je, sie bildeten ihren Trost. Noch mehr als zuvor auf sich selbst angewiesen und häufig melancholisch gestimmt, fühlte sie das Bedürfnis zu schreiben. Sie liebte es, sich von ihren Gedanken Rechenschaft zu geben, ihre Feder half ihr, sich Klarheit zu verschaffen. Diese Aufsätze häuften sich immer mehr, sie gab ihnen einen Titel: „Werke der Musse und vermischte Betrachtungen“. Niemals hatte sie auch nur den entferntesten Wunsch, Schriftstellerin zu werden; sie fand, [85] dass eine Frau, die diesen Titel sich erwarb, viel mehr verliere als gewinne. Die Männer lieben eine solche Frau nicht, und das eigene Geschlecht kritisiert sie. Sind ihre Arbeiten schlecht, so spottet man über sie, und man tut gut daran, sind sie gut, so spricht man sie ihr ab.

Einer ihrer Bekannten, Saint-Lette, mit dem sie gerne verkehrte, da er weit gereist war, viel gesehen hatte, und interessant zu erzählen verstand, sagte ihr eines Tages: „Fräulein, Sie können sich wehren wie Sie wollen, Sie werden dahin kommen, ein Werk zu verfassen!“ „Das wird aber unter fremdem Namen erscheinen,“ antwortete Manon, „denn ich würde mir eher die Finger abbeissen, als Schriftstellerin zu werden.“

Im Dezember des Jahres 1775 war Manon noch in Trauer um die verstorbene Mutter, sie befand sich in jener mild-melancholischen Stimmung, die auf heftigen Kummer folgt. Ein Herr überbrachte einen Empfehlungsbrief von Sophie Cannet; wer immer auch von dieser Seite kam, konnte eines freundlichen Empfanges sicher sein, die Freundin schrieb: „Dieser Brief wird dir durch den Philosophen Herrn Roland de la Platière, von dem ich dir oft erzählte, überreicht werden. Er ist ein aufgeklärter Mann von reinen Sitten, dem man bloss seine zu grosse Bewunderung der Alten auf Kosten der Modernen, die er unterschätzt, vorwerfen kann, und überdies die Schwäche, gerne von sich selbst zu reden.“

Manon fand, dass dieses Bild weniger als eine Skizze war, aber die Züge waren richtig und gut aufgefasst. Herr Roland war damals im Beginn der Vierziger, er war gross von Wuchs, etwas vernachlässigt in seinem Aeussern, und von einer gewissen Steifheit, die man sich in der Studierstube angewöhnt. Sein Benehmen war einfach und ungezwungen, ohne den Schliff der Welt zu haben, es war die Höflichkeit des Wohlerzogenen, verbunden mit dem Ernst des Philosophen. Er war mager, die Hautfarbe gelblich und die Stirne bereits sehr durch fehlendes Haar vergrössert, [86] was zwar seinen regelmässigen Zügen nicht schadete, ihn aber mehr ehrwürdig als einnehmend erscheinen liess. Ein feines Lächeln und lebhafter Ausdruck bewirkten, dass das Gesicht sehr merkwürdig auffiel. Seine Konversation war voll von Tatsachen, wie sein Kopf voll von Ideen war, und beschäftigte mehr den Verstand des Zuhörers als sie dem Ohre schmeichelte. Manon sah im Verlaufe eines Jahres Herrn Roland wiederholt. Er kam nicht oft, blieb aber jedesmal längere Zeit; er machte die Besuche nicht aus konventionellen Rücksichten, sondern wie ein Mensch, der so lange als möglich dort bleibt, wo er sich wohl fühlt. Seine belehrende und offene Redeweise langweilte das junge Mädchen gar nicht, und er liebte es, angehört zu werden; sie hatte die Gabe zuzuhören, die, wie man sagt, besonders bei Frauen so selten ist. Herr Roland war aus Deutschland gekommen, als er Manon kennen lernte, ein Jahr später schickte er sich an, eine längere Studienreise nach Italien zu machen. Vor seiner Abreise übergab er ihr ein Paket Manuskripte zum Lesen und zum Aufbewahren, falls ihm ein Unglück zustossen sollte. Sie fühlte sich von diesem schmeichelhaften Zeichen seines Vertrauens sehr geehrt. Die Einsicht in die Manuskripte gewährten ihr einen besseren Einblick in seinen Charakter und sein Wesen, als dies selbst sehr häufiger Verkehr möglich gemacht hätte.

Eine starke Seele, eine strenge Rechtlichkeit, unumstössliche Prinzipien, Wissen und Geschmack zeigten sich darin unverhüllt. Herr Roland stammte aus rechtschaffener, vornehmer Familie ab. Im Ueberfluss geboren, hatte er, noch jung, den Zusammenbruch des Vermögens seiner Eltern mitangesehen; einerseits lag die Schuld an dem Mangel an Ordnung, andererseits an massloser Verschwendung. Da er weder das Ordenskleid nehmen, noch Kaufmann werden wollte, zwei Wege, zu denen die Verwandten ihm verholfen hätten, verliess er mittellos mit neunzehn Jahren das Elternhaus. Fleissiges Studium und weitläufige Reisen hatten ihm zu einer vielseitigen Bildung verholfen. Als er sein Elternhaus [87] verliess, wollte er nach Indien, doch hielt ihn Kränklichkeit ab, diesen Plan auszuführen. Er ging nach Rouen zu einem Verwandten, der Inspektor der Manufakturen war, und trat in dessen Bureau. Er erwies sich als sehr tüchtig und brauchbar. Nach dem Tode des Verwandten übernahm Herr Roland dessen Stelle.

Als Roland von Italien zurückkam, fand er in Manon eine Freundin, die ihn gerne wiedersah; sein Ernst, sein Benehmen, seine Lebensführung, die ganz dem Studium gewidmet war, liessen ihn ihr sozusagen geschlechtslos erscheinen, oder wie einen Philosophen, der nur durch den Verstand existierte. Eine Art von Vertraulichkeit entstand zwischen ihnen, und er kam immer häufiger. Fünf Jahre waren vergangen, seit er ihre Bekanntschaft gemacht hatte, als er ihr eines Tages seine Liebe erklärte. Sie war nicht unempfindlich dafür, weil sie ihn mehr denn irgend einen andern Menschen, den sie bis dahin kennen gelernt hatte, schätzte. Sie antwortete ihm offen, dass sie sich geehrt fühle, dass sie aber nicht glaube eine gute Partie für ihn zu sein, und teilte ihm ohne Rückhalt ihre Lage mit. Ihr Vater sei ruiniert, sagte sie, sie selbst zu stolz, sich dem Uebelwollen einer Familie auszusetzen, die sich durch die Verbindung mit ihr nicht geehrt fühlen würde, oder der Grossmut eines Gatten, der nur Kränkungen begegnen würde. Manon widerriet Herrn Roland, an sie zu denken, als ob sie eine unbeteiligte, dritte Person gewesen wäre. Er aber beharrte. Sie war gerührt und willigte ein, dass er bei ihrem Vater um ihre Hand anhalte. Sie beschlossen, es solle schriftlich geschehen, und zwar von seinem Wohnorte aus.

Herr Phlipon fand den Brief trocken, er liebte Herrn Rolands Steifheit nicht, er wollte keinen so strengen Schwiegersohn, dessen Blicke ihm wie die eines Sittenrichters erschienen. Er antwortete ihm mit Härte und Unverschämtheit. Er machte seiner Tochter erst Mitteilung davon, als der Brief abgeschickt war. Sie fasste sofort einen Entschluss [88] und schrieb an Roland, dass ihre Befürchtungen wegen ihres Vaters nur zu sehr gerechtfertigt waren, und da sie ihm vor anderen Missgeschick bewahren wolle, bitte sie ihn, auf seine Absichten zu verzichten. Sie sagte dann ihrem Vater, in welche Lage sein Benehmen sie versetzt habe, und was sie zu tun genötigt gewesen wäre. Auch nehme sie weiters an, dass er nicht überrascht sein werde, dass sie nach alldem ihre Lage zu ändern wünsche und entschlossen sei, in dasselbe Kloster zu gehen, in welchem sie als Kind ein Jahr zugebracht hatte.

Sie wurde an ihrem Vorsatze nicht gehindert und nahm dort Wohnung. Sie war fest entschlossen, mit den wenigen Mitteln, die sie besass, auszukommen. Erdäpfel, Reis, Fisolen mit etwas Butter und Salz bildeten ihre Nahrung und erforderten nicht viel Zeit zu ihrer Bereitung. Zweimal die Woche ging sie aus. Einmal zu ihrer Grossmutter, einmal zu ihrem Vater, um nach seiner Wirtschaft zu sehen und die Wäsche in Ordnung zu bringen; die zerrissene Wäsche nahm sie zum Flicken mit. Die übrige Zeit lebte sie in ihren vier Wänden eingeschlossen, ganz ihren Studien geweiht. Sie stärkte ihr Herz gegen das widrige Schicksal, sie rächte sich, indem sie das Glück zu gewinnen suchte, das ihr das Schicksal nicht gewähren wollte. Nicht immer war sie von Melancholie frei, aber auch diese hatte ihren Reiz und wenn Manon nicht glücklich war, so hatte sie wenigstens alles was nötig war, um es zu sein. Sie empfand einen Stolz, alles entbehren zu können was ihr fehlte.

Herr Roland war erstaunt und betrübt, er fuhr fort, ihr wie ein Liebender zu schreiben, den jedoch das Benehmen des Vaters verletzt hatte. Nach Verlauf eines halben Jahres kam er an das Gitter des Sprechzimmers ins Kloster und fand zu seiner Ueberraschung Manon in blühender Gesundheit. Er wollte sie aus dem Kloster entfernen und bot ihr noch einmal seine Hand an. Sie machte dabei eine sonderbare Betrachtung. Sie fand, dass ein anderer Mann, der nicht fünfundvierzig alt gewesen [89] sein würde, nicht ein halbes Jahr mit der Erneuerung des Antrages gewartet hätte. Das allein hatte ihre Gefühle so abgekühlt, dass von Illusion keine Spur übrig geblieben war. Andererseits sagte sie sich, dass dieser wohlüberlegte, neuerliche Heiratsantrag sie überzeuge, dass er sie schätze und dass er seine Empfindlichkeit den äusseren Umständen gegenüber überwunden habe, die er durch die Verbindung mit ihr in den Kauf zu nehmen gezwungen sei. Sie sagte sich: „Wenn schliesslich die Ehe, wie ich es mir denke, ein ernstes Band ist, eine Vereinigung, wo die Frau für gewöhnlich sich das Glück zweier Menschen aufbürdet, ist es da nicht mehr wert, meine Fähigkeiten, meinen Mut in dieser ehrenden Aufgabe auszuüben, als in der Absonderung, in der ich lebe?“

Sie fasste den Entschluss und wurde seine Frau. Je mehr er sie kennen lernte, desto mehr liebte er sie. Sie hatte sich mit dem ganzen Ernst der Vernunft verehelicht, sie fand nichts, was sie davon ablenkte. Sie widmete sich ihm mit einem Uebermass, das mehr enthusiastisch als berechnet war. Je mehr sie sich mit dem Glücke ihres Mannes befasste, desto mehr bemerkte sie, dass etwas zu dem ihren fehlte. Trotzdem sie keinen Augenblick aufhörte, in Roland einen der ehrenhaftesten Männer zu sehen, die es gab, und dem anzugehören sie sich zur Ehre anrechnete, fühlte sie dennoch oft, dass es ihnen an Gleichartigkeit fehle. Der Einfluss eines herrschsüchtigen Charakters, dazu ein Altersunterschied von zwanzig Jahren, liessen ihr die eine oder andere dieser Überlegenheiten als zu viel erscheinen. In der Einsamkeit hatte sie manche peinliche Stunde, und gingen sie in Gesellschaft, so bemerkte sie, dass dieser oder jener ihr gefährlich werden könnte. Deshalb stürzte sie sich in die Arbeiten ihres Mannes. Daraus entstand ein neues Uebel. Er gewöhnte sich so sehr an ihre Mithilfe, dass er um nichts in der Welt und in keinem Augenblick ohne sie sein wollte.

Sie liebte und achtete ihren Mann, wie eine gute Tochter ihren tugendhaften Vater anbetet, dem sie selbst [90] den Geliebten zu opfern bereit wäre. Sie blieb ihren Pflichten treu, ihre Unschuld verstand es nicht, ihre Gefühle zu verbergen, die sie ihnen unterordnete. Roland war ungemein empfindlich in seinen Gefühlen und seiner Eigenliebe. Er konnte den Gedanken der mindesten Störung seiner Herrschaft nicht ertragen. Seine Vorstellung verdüsterte sich, seine Eifersucht brachte sie auf, das Glück floh weit von ihnen. Er betete seine Frau an, sie opferte sich ihm, und beide waren unglücklich!

Roland beschäftigte sich mit der Drucklegung und Sichtung seiner Manuskripte über Italien. Madame Roland wurde Abschreiberin und Korrektorin der Druckbogen. Sie erfüllte diese Aufgabe mit einer Demut, über die zu lachen sie sich nicht erwehren konnte. Es dauerte Jahre, bis sie sich zu widersprechen herausnahm und einsah, dass er nicht alles besser verstehe als sie!

Sie hörte damals einen Kurs über Naturgeschichte und einen über Botanik, das war die einzige arbeitsame Erholung zwischen ihren Beschäftigungen als Sekretärin und Hausfrau. Sie lebten in einem Hôtel-Garni in Paris. Da die Gesundheit Rolands sehr schwach war, nahm Madame Roland selbst die Mühe auf sich, die Speisen für ihn zu bereiten.

Dann kamen weitere vier Jahre, die sie in Amiens verlebten, dort wurde Madame Roland Mutter; sie säugte ihr Kind, ohne deshalb aufzuhören bei den Arbeiten ihres Mannes mitzuwirken, der einen grossen Teil der Encyklopädie auszuarbeiten übernommen hatte. Dazu kamen häufige Krankheiten Rolands, die ihr wieder Sorge und Arbeit verursachten, aber durch ihre Pflege entstanden neue Bande, er liebte sie noch mehr ihrer Aufopferung wegen, und sie knüpfte das Gute, das sie für ihn tat, auch mehr an ihn!

Nach dieser Zeit lebten sie in Villefranche, im Elternhause Rolands. Seine Mutter war da mit ihrem ältesten Sohn, und sie teilten das Heim. Madame Roland sagt, sie könnte vielfache Bilder über die Sitten dieser kleinen Stadt und [91] ihren Einfluss schreiben, auch über häuslichen Kummer, der durch das Zusammenleben mit einer durch ihr Alter ehrwürdigen, aber durch ihre Launen fürchterlichen Frau und deren herrschsüchtigen Sohn noch vermehrt wurde.

Viele Kranke, die vom Arzte aufgegeben waren, liessen Madame Roland bitten, ihnen zu helfen. Oft gelang ihrer Pflege mehr als den Mitteln, die der Arzt verordnete. So entriss sie auch durch ihre aufopferungsvolle Pflege ihren Mann im Jahre 1789 dem Tode. Zwölf Tage und Nächte wachte sie an seinem Bette, ohne aus den Kleidern zu kommen, und verbrachte dann noch sechs Monate mit ihm während einer gefährlichen Rekonvaleszenz, wobei sie sich selbst nicht ganz wohl fühlte.

Lassen wir Madame Roland selbst über ihre Ehe reden: „Ach, mein Gott! welch schlechten Dienst haben mir jene erwiesen, die den Schleier gelüftet haben, unter dem ich verborgen zu bleiben liebte. Während zwölf Jahre meines Lebens habe ich mit meinem Manne gearbeitet, so wie ich mit ihm gegessen habe, weil das eine mir so natürlich war wie das andere. Wenn man irgend eine Stelle seiner Arbeiten anführte, worin man mehr Anmut des Stiles fand als in den andern, wenn man eine akademische Bagatelle lobte, so fiel es mir nicht ein, daran zu denken, dass ich sie verfasst habe. Wenn es sich darum handelte, im Ministerium grosse, starke Wahrheiten auszusprechen, so legte ich meine ganze Seele hinein; es war ganz selbstverständlich, dass diese Ausdrücke besser herauskamen als die Bemühungen eines beliebigen Sekretärs es vermocht hätten. Ich liebte mein Land, ich war für die Freiheit begeistert, ich kannte kein Interesse, keine Leidenschaft, die mit dieser Liebe verglichen werden konnte, meine Redeweise musste rein und pathetisch sein, da sie die des Herzens war! Die Wichtigkeit des Gegenstandes durchdrang mich derart, dass ich mich selbst vergass.“

Im Winter 1787 auf 88 starb Madame Rolands Vater. Er hatte sich nicht wieder verheiratet. Nachdem er auch [92] noch das Vermögen der Grossmutter Phlipon durchgebracht hatte, hatte Roland seine Schulden bezahlt und ihm eine kleine Pension gegeben, nachdem beide ihn zu den Entschluss gebracht hatten, sich vom Geschäfte zurückzuziehen. Er war immer unzufrieden und im höchsten Grade ungerecht gegen seine Tochter und ihren Mann, sein Selbstbewusstsein litt zu sehr, in abhängige Stellung geraten zu sein.

Als die Revolution ausbrach, war Roland noch Generalinspektor der Manufakturen und Fabriken von Lyon. Er und seine Frau waren vom Gedanken der Revolution ganz entflammt. Als Freunde der Menschheit und der Freiheit, glaubten sie an die Wiedergeburt des Menschengeschlechtes, sie hofften an der Erlösung derjenigen Menschenklasse mitarbeiten zu können, über deren Schicksal sie so oft gerührt waren. Sie empfingen den Ausbruch der Revolution mit Begeisterung. Ihre freiheitlichen Gedanken verstimmten viele Leute ihrer Umgebung, die, an ihre kaufmännischen Berechnungen gewöhnt, nicht begriffen, dass man auf dem Wege der Philosophie die Umgestaltung der bestehenden Ordnung hervorrufen und gutheissen konnte, eine Umgestaltung, die bloss den andern zum Vorteil gereichte; er machte sich dadurch allein schon viele Feinde und andere wieder zu Freunden.

Roland und seine Frau lebten den Winter über in Lyon; sie waren Mitglieder der gelehrten und literarischen Gesellschaften dieser Stadt. Roland wurde von der landwirtschaftlichen Gesellschaft mit der Abfassung der Anträge für die Generalstaaten beauftragt. Seine Grundsätze und sein Charakter liessen ihn mit Freuden eine Revolution erblicken, die die Abschaffung so vieler[WS 16] Misstände versprach. Seinen Anlagen und seinen Fähigkeiten verdankte er seine Berufung bei der ersten Bildung des Gemeinderates, wo er mit der Vertretung der Interessen der Stadt betraut wurde, die mit beträchtlichen Schulden belastet war.

[93] Als ausserordentlicher Abgeordneter bei der konstituierenden Versammlung knüpfte er Beziehungen zu verschiedenen Mitgliedern an, die sich den öffentlichen Angelegenheiten widmeten.

Als er wieder heimgekehrt war, erfuhr sein Schicksal eine Aenderung durch die Aufhebung des Postens eines Generalinspektors, den er bis dahin bekleidet hatte, und nötigte ihn nachzudenken, woran er sich in Zukunft halten sollte. Die konstituierende Versammlung hatte in einer ihrer letzten Sitzungen die Stellen der Generalinspektoren aufgehoben. Er hatte die Wahl, sich aufs Land zurückzuziehen und von seinen schriftstellerischen Arbeiten zu leben oder nach Paris zu gehen, um dort noch Material zu sammeln und überdies seine Pensionsrechte als Entschädigung für seine achtunddreissigjährige Tätigkeit in der Verwaltung geltend zu machen. Sie entschlossen sich, im Dezember 1791 nach Paris zurückzukehren. Die allgemeine Lage war nicht darnach, dass man hoffen konnte, die gesetzgebende Versammlung, die eben zu tagen begonnen hatte, würde sich bald mit Privatangelegenheiten befassen. Roland war mit Brissot bekannt, er lernte durch diesen verschiedene Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung kennen. Er besuchte auch häufig die Sitzungen des Jakobinerklubs. Bald wurde er zum korrespondierenden Mitglied dieser Gesellschaft ernannt. Abends kam er oft mit einem grossem Paket von Briefen heim. Madame Roland nahm meist die Mühe der Beantwortung auf sich, da ihr diese Arbeit immer angenehm und leicht erschien. So arbeiteten beide fleissig; den Fernstehenden schien Rolands Arbeit eine ungeheure.

Madame Roland sagt in ihren Memoiren über Rolands Ernennung zum Minister folgendes: „Man wird mich vielleicht fragen, ob ich keine näheren Einzelheiten über die Art, wie Roland ins Ministerium berufen wurde, wisse. Ich kann versichern, dass ich dies nicht weiss und dass mir selbst der Gedanke gar nicht gekommen ist, mich darüber [94] zu erkundigen. Es hat mir geschienen, dass sich dies wie so vieles in der Welt, gemacht hat. Der Gedanke kommt einem Einzelnen, mehrere hören davon, billigen ihn, und so tritt er dermassen gestützt in die Erscheinung. Ich weiss nicht, wer Roland zuerst vorgeschlagen hat, als einen, an den man bei der Ernennung denken könnte. Die Nennung seines Namens erweckte die Erinnerung an einen unterrichteten Mann, der über verschiedene Ressorts der Verwaltung geschrieben hatte, der in dieser Hinsicht nicht ohne Erfahrung war und der vor allem sich eines ehrenhaften Rufes erfreute und dessen Alter, Sitten, dessen ausgeprägter Charakter, dessen Schriften noch vor der Revolution von seinen Prinzipien laut und deutlich Kenntnis gaben und ihn als einen Anhänger der Freiheit erscheinen liessen, ihrer in jeder Beziehung würdig. Dem König waren all diese Erwägungen nicht fremd, oder wenigstens die Tatsachen, die ihnen zur Grundlage dienten. Diese Gedanken hatten so in der Natur der Dinge ihre Entstehung, dass sie uns bloss drei Tage vor der Bildung des neuen Ministeriums mitgeteilt wurden. Brissot kam zu mir; ich war allein, er teilte mir mit, dass man an Roland denke. Ich lächelte, und fragte ihn um den Grund zu diesem Scherz, er versicherte mich, dass es keiner sei, und dass er komme, um zu erfahren, ob Roland einwilligen würde, sich mit dieser Last zu beschweren. Ich versprach ihm, Roland davon zu unterrichten und ihn am folgenden Tage von seinem Entschluss in Kenntnis zu setzen. Dem Fleisse Rolands widerstrebte nicht die Mannigfaltigkeit der Geschäfte. (Roland war ebenso wie ich von dem Ereignis überrascht.) Er sagte mir lachend über diesen Punkt, er habe immer so mittelmässige Leute Aemter bekleiden gesehen, dass er sich nicht genug verwundern könne, wie die Dinge ihren Gang gingen, so dass die Sache an sich ihn nicht ängstige. Die Lage müsse wegen der Interessen des Hofes und der Ungewissheit in den Absichten des Königs kritisch sein. Aber für jeden, der nichts als seine Pflicht tun wolle, und sich wenig [95] darum schere, seinen Posten zu verlieren, wenn er sie erfüllt, seien die Gefahren der Annahme gering. Ueberdies konnte ein diensteifriger Mensch, der das Bewusstsein seiner Fähigkeiten hatte, der Hoffnung gegenüber, seinem Vaterlande nützlich zu dienen, nicht unempfindlich bleiben. Roland entschloss sich also im bejahendem Sinne und machte Brissot davon Mitteilung. Am andern Tag, 11 Uhr nachts, kam Brissot, von Dumouriez begleitet, nach Schluss der geheimen Ratssitzung des Königs, um ihm die Ernennung zum Minister des Innern zu überbringen. Dumouriez, der seit kurzem Minister war, sprach von der aufrichtigen Geneigtheit des Königs, die Konstitution zu erhalten, und von dessen Hoffnung, dass die Staatsmaschine in gutem Gange sein werde, sobald der Ministerrat eines Geistes würde. Er sprach Roland seine besondere Befriedigung darüber aus, einen so tugendhaften und aufgeklärten Patrioten wie ihn zur Regierung berufen zu sehen. Brissot bemerkte, dass das Departement des Innern gegenwärtig das heikelste und überbürdetste sei, und dass es für die Freunde der Freiheit eine Beruhigung wäre, es so festen und reinen Händen anvertraut zu sehen. Man besprach noch, dass die Vorstellung vor Seiner Majestät am darauffolgenden Tage stattfinden würde, wie auch die Eidesleistung vor Eintritt in den Ministerrat. Das erstemal, als Roland in seinem gewöhnlichen Anzug, den er sich aus Bequemlichkeit seit langem angeeignet hatte, zu Hofe ging, seine schütteren, einfach gekämmten Haare, auf seinem ehrwürdigen Haupte einen runden Hut, Schuhe mit Bändern gebunden trug, blickten die Hoflakaien, die das grösste Gewicht auf die Etikette legten, von der ihr Dasein sich herleitete, ihn mit Entrüstung, ja sogar mit einer Art von Entsetzen an. Einer von ihnen näherte sich Dumouriez und sagte ihm stirnrunzelnd ins Ohr, indem er mit den Augen auf den Gegenstand seiner Bestürzung wies: „Mein Herr, keine Schnallen an den Schuhen!“ Dumouriez rief mit komischem Ernst: „Mein Herr, alles ist verloren!“ Dieses Wort wurde [96] alsbald bekannt und machte jene lachen, die am wenigsten Lust dazu hatten. Ludwig XVI. selbst empfing seinen neuen Minister, trotz des wenig etikettemässigen Aeussern, mit der grössten Gutmütigkeit.

Als Roland Minister war, lebte Madame Roland ebenso zurückgezogen wie früher. Sie arbeitete mit ihrem Manne und ging ihren persönlichen Neigungen nach. So behielt sie ihre gewohnte Art bei und beugte der Unbequemlichkeit vor, von einer neugierigen Menge umgeben zu sein, die sich an Leute von hohen Stellen immer herandrängt. Sie hatte im Ministerpalais nie einen grossen Gesellschaftskreis. Sie lud zweimal die Woche die Minister, Abgeordnete und jene Personen, mit denen ihr Mann zu sprechen hatte oder in Beziehung zu bleiben wünschte, zu Tische. Sie zeichnete unter diesen besonders den Girondisten Buzot durch ihre Freundschaft aus. Man sprach in ihrer Gegenwart über alle Angelegenheiten, weil sie nicht die Manie hatte sich einzumischen, noch eine Umgebung um sich vereinigte, die Misstrauen erweckt hätte. Von all den grossen Räumen des Ministerhotels hatte sie sich zu ihrem Privatgebrauch einen kleinen Salon ausgewählt, wo sie ihre Bücher und ihren Schreibtisch hinstellte. Es geschah häufig, dass Kollegen ihres Mannes, die mit dem Minister vertraulich zu reden wünschten, anstatt in die offiziellen Räume zu gehen, wo Beamte und andere Leute sie umgaben, zu ihr kamen und sie ersuchten, ihn dahin holen zu lassen. Auf diese Weise fand sie sich auf dem Laufenden, ohne jede Intrigue, ohne eitle Neugier. Roland hatte dann die Annehmlichkeit, sie nachher im Privatgespräch, mit jenem Vertrauen, das immer zwischen ihnen geherrscht hat, zu unterhalten, und ihr Wissen und ihre Ansichten dadurch in lebendige Verbindung zu setzen. Es kam auch vor, dass Rolands Kollegen, die nur irgend eine Mitteilung zu machen hatten, zu ihr kamen, um sie zu bitten, die Nachricht ehestens ihrem Manne mitzuteilen; oft wurde in ihrem Zimmer Ministerrat abgehalten. Jede andere Frau als sie, wäre dort nicht an ihrem richtigen [97] Platze erschienen. Aber sie mischte sich gar nicht in die Diskussion, sie sass meist an ihrem Schreibtisch, schrieb Briefe und schien überhaupt mit anderen Dingen beschäftigt zu sein, trotzdem ihr kein Wort verloren ging. Oft überkam sie die Lust, in den Gang der Verhandlungen einzugreifen, aber sie hielt sich zurück, sie fand es unschicklich und wusste, was sie ihrem Geschlechte schuldig war.

Bei den geheimen Ministerratssitzungen, wo Ludwig XVI. zugegen war, ging es meist sehr sonderbar zu. Er gab nicht leicht den Beschlüssen die Sanktion, er nahm sie nie bei der ersten Unterbreitung an und verschob die Sanktionierung immer auf die nächste Ministerratssitzung. Dann kam er mit seiner fertigen Ansicht, gab sich aber den Anschein als überlasse er es der Diskussion, sie zu bilden. Bei den Gegenständen hoher Politik umging er oft ihre Prüfung, indem er das Gespräch ablenkte. Sprach man vom Krieg, so redete er von Reisen, sprach man über diplomatische Interessen, so führte er die Sitten der Orte, um die es sich handelte an; oder er erkundigte sich um die landschaftlichen Reize der in Rede stehenden Länder. Sprach man von der Lage des Innern, so legte er auf irgend welche Details der Landwirtschaft oder Industrie Gewicht. Er fragte Roland über dessen Arbeiten, Dumouriez über Anekdoten, und so die übrigen. Der geheime Rat glich einem Kaffeehaus, in dem man sich mit Plaudern die Zeit vertrieb. Es gab kein Protokollbuch der Verhandlungen, noch einen Sekretär, der es führte. Man ging nach drei oder vier Stunden der Sitzung fort, ohne etwas geleistet zu haben, als einige Unterschriften unter die Akten gesetzt zu haben und das war dreimal in der Woche. Madame Roland fand dies jämmerlich. Sie hätte gewünscht, dass Roland die Zeit mit Nachdenken über die grossen Fragen seines Amtes ausfülle, statt sie in unnötigen Plaudereien zu vergeuden.

Die Feinde trafen ihre Anordnungen. Man musste den Krieg erklären, ein Entschluss, über den man lebhaft diskutierte und den der König nur mit dem grössten Widerstreben fasste. Er hatte die Entscheidung sehr hinausgeschoben [98] und schien nur zum Nachgeben durch die schon allgmeine bekannte Ansicht der Majorität der konstituierenden Versammlung und der Einstimmigkeit des Ministerrates dazu bewogen worden zu sein. Bald musste man zu Repressivmassregeln gegen die Häufung religiöser Unruhen schreiten, die der Minister des Innern schon seit langem forderte. Andererseits wurde das verwegene Vorschreiten der fremden Truppen immer bedrohlicher und beängstigender. Dies hatte den Kriegsminister zu dem Gedanken einer Truppenaufstellung veranlasst, den die konstituierende Versammlung mit Begeisterung aufnahm und sogleich beschloss.

Es ist wahr, dass die zwei Beschlüsse, der eine die Aufstellung eines Feldlagers von 20.000 Mann in der Nähe von Paris und der andere über die Priester, wirklich entscheidende waren. Der Hof sah darin die Zerstörung seines geheimen Verrates, der auf die Hilfe des religiösen Fanatismus und das Vordringen der Feinde, die er begünstigte, rechnete. Der König war nur zu sehr geneigt, die Sanktion zu verweigern; er fand verschiedene Vorwände, mit denen er mehr als vierzehn Tage der Entscheidung auswich. Die Diskussion über diesen Gegenstand wurde wiederholt eingeleitet. Roland und Servan bestanden mit Festigkeit darauf, weil jeder von ihnen die Wichtigkeit und Bedeutung des Gesetzes für das Departement, mit dem sie betraut waren, fühlten. Das allgemeine Interesse war für alle augenscheinlich und die sechs Minister hatten in dieser Hinsicht nur eine Meinung. Madame Roland sagt in ihren Memoiren: „Ich fühlte eine Art von Unruhe, die schwer zu schildern ist; von der Revolution bezaubert, überzeugt, dass man trotz aller Mängel die Konstitution weiter gehen lassen müsse, von dem Wunsche durchdrungen, mein Vaterland gedeihen zu sehen, verursachte mir der Aufruhr der öffentlichen Angelegenheiten ein moralisches Nervenfieber, das mir keine Ruhe gewährte. Das Hinausschieben des Königs bewies seine Falschheit; Roland war zu dem Ende gekommen, sich davon überzeugt zu halten. [99] und schien nur zum Nachgeben durch die schon allgmeine bekannte Ansicht der Majorität der konstituierenden Versammlung und der Einstimmigkeit des Ministerrates dazu bewogen worden zu sein. Bald musste man zu Repressivmassregeln gegen die Häufung religiöser Unruhen schreiten, die der Minister des Innern schon seit langem forderte. Andererseits wurde das verwegene Vorschreiten der fremden Truppen immer bedrohlicher und beängstigender. Dies hatte den Kriegsminister zu dem Gedanken einer Truppenaufstellung veranlasst, den die konstituierende Versammlung mit Begeisterung aufnahm und sogleich beschloss.

Es ist wahr, dass die zwei Beschlüsse, der eine die Aufstellung eines Feldlagers von 20.000 Mann in der Nähe von Paris und der andere über die Priester, wirklich entscheidende waren. Der Hof sah darin die Zerstörung seines geheimen Verrates, der auf die Hilfe des religiösen Fanatismus und das Vordringen der Feinde, die er begünstigte, rechnete. Der König war nur zu sehr geneigt, die Sanktion zu verweigern; er fand verschiedene Vorwände, mit denen er mehr als vierzehn Tage der Entscheidung auswich. Die Diskussion über diesen Gegenstand wurde wiederholt eingeleitet. Roland und Servan bestanden mit Festigkeit darauf, weil jeder von ihnen die Wichtigkeit und Bedeutung des Gesetzes für das Departement, mit dem sie betraut waren, fühlten. Das allgemeine Interesse war für alle augenscheinlich und die sechs Minister hatten in dieser Hinsicht nur eine Meinung. Madame Roland sagt in ihren Memoiren: „Ich fühlte eine Art von Unruhe, die schwer zu schildern ist; von der Revolution bezaubert, überzeugt, dass man trotz aller Mängel die Konstitution weiter gehen lassen müsse, von dem Wunsche durchdrungen, mein Vaterland gedeihen zu sehen, verursachte mir der Aufruhr der öffentlichen Angelegenheiten ein moralisches Nervenfieber, das mir keine Ruhe gewährte. Das Hinausschieben des Königs bewies seine Falschheit; Roland war zu dem Ende gekommen, sich davon überzeugt zu halten. [100] Studiums liessen sie die Arbeiten ihres Mannes teilen, als dieser noch ein einfacher Privatmann war; da sie ihn beglücken wollte, so tat sie alles, was ihm Freude bereitete. Sie leugnet nicht, dass ihr manch eine dieser zugewiesenen Arbeiten rechte Langweile verursachte. Als er Minister geworden war, mischte sie sich gar nicht in die Verwaltungsgeschäfte, galt es aber irgend ein Schriftstück zu verfassen, so entwarf sie meist das Nötige nach gründlicher Durchsprechung des Gegenstandes. Madame Roland sagt, dass sie im Punkte der Gerechtigkeit oder der Vernunft nichts hätte tun können, dessen Roland durch seinen Charakter und sein Benehmen nicht auch fähig gewesen wäre, dass er auch ohne sie ein ebenso guter Minister geworden wäre. Sein Fleiss, sein Wissen, seine Rechtlichkeit waren sein eigen; sie meint nur ganz bescheiden, dass er durch ihre Mithilfe mehr Eindruck gemacht habe, weil sie in ihre Schriftstücke jene Mischung von Kraft und Sanftheit, von Autorität und Vernunft und den Reiz der Empfindung hineingelegt habe, der vielleicht nur einer empfindsamen Frau mit gesundem Menschenverstand eigen ist. Sie entwarf im Geheimen die offiziellen Schriftstücke mit Entzücken und fand mehr Freude daran, als wenn man sie als die Verfasserin gekannt hätte. Sie geizte nach Glück, sie fand es in dem Guten, das sie tat, sie bedurfte gar nicht des Ruhmes. Nur eine Rolle in der Welt entsprach ihr, und zwar die Vorsehung zu spielen. Madame Roland sagte, sie erlaube den Böswilligen, dieses Bekenntnis für eine Impertinenz zu erklären, da es einer solchen ähnlich sehen müsse.

Am 10. Juni begab sich Roland in den geheimen Ministerrat des Königs, den Brief in der Tasche, mit der Absicht, ihn laut vor seinen Kollegen zu verlesen und ihn dann in die Hände des Königs zu geben. Man eröffnete die Diskussion über die Sanktion der beiden Beschlüsse, der König unterbrach sie, indem er seinen Ministern sagte, dass jeder von ihnen seine Meinung darüber schriftlich abfassen und in die nächste geheime Ministerratssitzung bringen [101] solle. Roland hätte seine Abfassung sofort übergeben können, tat es aber nicht aus Rücksicht für seine Kollegen. Nach Hause zurückgekehrt, beschlossen er und Madame Roland, den Brief mit einigen begleitenden Zeilen sofort an den König zu senden.

Am Abend des darauffolgenden Tages kam der Minister Servan zu Madame Roland und sagte ihr: „Beglückwünschen sie mich, ich bin fortgejagt worden.“ Madame Roland antwortete ihm: „Ich bin peinlich berührt, dass Ihnen als Erster diese Ehre widerfahren ist, aber ich hoffe, dass man nicht säumen wird, sie meinem Manne ebenfalls zuzuerkennen!“ Als Roland der Geheimbrief, der seine Entlassung enthielt, übergeben wurde, rief er lachend, man hätte ihn allzulange auf die Freiheit warten lassen!

Es war ein böses Verhängnis, das über dem König waltete, als er Rolands Ratschläge von der Hand wies. Die Ereignisse überstürzten sich jetzt. Der Aufruhr vom 30. Juni erniedrigte das Königtum, der Tuileriensturm vom 10 August machte es für immer unmöglich. Den Tag darauf bildete die gesetzgebende Versammlung ein neues Ministerium, aus Roland, Clavière, Servan, Lebrun, Monge und Danton.

Aber die Verhältnisse hatten sich seit Rolands erstem Ministerium gewaltig geändert. An die Stelle eines bewegten politischen Lebens mit seinen Aufregungen war das fieberhafte, tödtliche Ringen zweier Parteien um die Herrschaft getreten. Bis zum 10. August waren die Girondisten mit den Jakobinern einig zusammen gegangen bei den Angriffen auf das Königtum, von da ab aber wurden sie von diesen überholt, bis am 31. Mai 1793 die Reihe des Unterliegens an sie kam. Es war eine glänzende, aufrichtige, ehrliche Partei, und sie zählte stolze, unerschrockene treue Charaktere und bedeutende Talente zu den ihren, aber es waren keine Staatsmänner, die ein festes Ziel im Auge hatten, das sie konsequent verfolgten.

Mit jedem Schritte stiessen sie sich an den Konsequenzen [102] dessen, was sie selber ins Werk gesetzt hatten. Inmitten dieser Szenen, während Rolands zweitem Ministerium, war Madame Roland so recht eigentlich die Seele der Girondisten-Partei, so sehr sie sich auch immer dagegen sträubte, als wolle sie keine Frau der Politik sein. Rolands Gestalt bleibt verwischt in der gefährlichen Nachbarschaft der glänzendsten aller Frauen. Sie besitzt das Uebergewicht des Wortes und des Rates, die Ueberlegenheit des Geistes und der Inspiration, aus ihrer Feder fliessen die Proklamationen und Rundschreiben; nur eines übersah die geistsprühende Frau – wie sie durch all das ganz unbewusst ihren Mann einer gewissen Lächerlichkeit preisgab! Danton sagte einmal: „Man braucht Minister, die nicht mit den Augen ihrer Frau sehen.“ In Rolands zweites Ministerium fallen die berüchtigten Septembermorde. Schon am 1. September war in Paris das Gerücht von der Einnahme von Verdun verbreitet, und die Furcht, die Feinde könnten in spätestens drei Tagen vor Paris stehen, war allgemein. Die gesetzgebende Versammlung autorisierte daher die städtischen Behörden, Haussuchungen vorzunehmen und alles zu verhaften, was irgendwie verdächtig erschien. In solchen Augenblicken ist die aufgeregte und geängstigte Menge zu allem entschlossen; es ist die Frage, ob Roland, selbst wenn er grössere Energie entwickelt hätte, imstande gewesen wäre, den Mordszenen in den Gefängnissen Einhalt zu tun. Am 23. Januar 1793 nahm Roland seine Entlassung aus dem Ministerium, weil er sich hatte überzeugen müssen, dass er mit seinen Ansichten nicht durchdringen könne. Am liebsten hätte er Paris verlassen, doch fürchtete er, es könnte dadurch den Anschein gewinnen, als wolle er einem Rechenschaftsbericht aus dem Wege gehen, und so bezogen sie wieder ihre alte Wohnung in der Rue de la Harpe. In dieser Zeit hatte sich Madame Rolands Freundschaft für Buzot in Liebe verwandelt. Trotzdem zu damaliger Zeit Ehescheidungen und Wiederverheiratungen mehr denn je eine alltägliche Erscheinung geworden war, wollte Madame Roland ihren Mann [103] nicht verlassen, sie sagte selbst, „dass eine Seele wie die ihrige ein Opfer nicht unvollständig bringe.“

Sie konnte alles, nur nicht unwahr sein und sich verstellen; selbst der Schatten des Verrates hätte ihre Aufrichtigkeit schaudern gemacht. Mit jener Offenheit, die die schönste Seite ihres Charakters bildete, gestand sie ihrem Mann den Zwiespalt ihrer Seele. Der arme Mann war dadurch ebenso in seiner Eigenliebe wie in seinen tiefsten Gefühlen getroffen. Aber Roland wurde durch den Gedanken eines Opfers von ihrer Seite gereizt, und als er zum Bewusstsein kam, dass sie ihm ein grosses brachte, war sein Glück zusammengestürzt; er litt ebenso es zu empfangen, als er es nicht entbehren konnte. Sie war zur Zeit der Revolution in ihre glänzende Reife getreten, ohne die Leidenschaft der Liebe kennen gelernt zu haben, aber mit einer Seele, die dafür geschaffen war.

Roland sah ihren verzweifelten Kampf und erklärte sich bereit, sich zurückzuziehen, falls sie nicht Herr über diese Leidenschaft werden könnte. Aber sie wollte dieses Opfer von seiner Seite nicht annehmen. Sie besass ein Miniaturbild Buzots und schrieb auf das Schutzpapier, das zwischen dem Bilde und dem Karton lag, die nachfolgende biographische Skizze:

„François Nicolas Léonard Buzot war 1760 zu Evreux geboren. Er war 1789 Abgeordneter der konstituierenden Versammlung, Präsident des Kriminalgerichtshofes des Departments de l’Eure, Abgeordneter des Nationalkonventes 1792.

Die Natur hat ihn mit einer liebevollen Seele, einem stolzen Geist und einem edlen Charakter ausgestattet. Seine Empfinsamkeit liess ihn den Frieden und die Annehmlichkeit eines zurückgezogenen, tugendhaften Lebens bevorzugen, Kummer des Herzens fügten noch Melancholie, zu der er hinneigte, hinzu. Die Umstände warfen ihn in die politische Laufbahn, er brachte den Eifer eines leidenschaftlichen [104] Mutes und die Unbeugsamkeit einer strengen Rechtlichkeit mit dahin.

Für die schönen Zeiten Roms geschaffen, hoffte er vergebens ähnliche Zeiten für eine Nation vorzubereiten, bei der die Freiheit anzubrechen schien; aber die verderbten Franzosen sind ihrer nicht würdig. Sie haben ihre Verteidiger verkannt und jene, die sie hätten lieben und ehren sollen, sind von einer Versammlung von Feiglingen, die von einer handvoll Räuber beherrscht wurde, geächtet worden. Buzot wurde für einen Verräter des Vaterlandes erklärt, für das er sich geopfert hatte, sein Haus dem Erdboden gleichgemacht, sein Vermögen eingezogen. Aber die Schmach fällt auf die Urheber und die passiven Zeugen dieser Missetat zurück. Buzot wird im Gedächtnis aller rechtschaffenen Leute fortleben. Seine markigen Gedanken, seine weisen Ratschläge werden angeführt werden. Man wird seine zwei Briefe vom 6. und 22. Jänner 1793 an seine Kommittenten wieder lesen. Die Nachwelt wird sein Andenken ehren, seine Zeitgenossen werden nicht verfehlen, ihn zurückzusehnen. Man wird eines Tages sein Bild hervorsuchen, um ihm seinen Platz anzuweisen unter jenen der hochherzigen Freunde der Freiheit, die an Tugend glaubten, die sie als die einzige Grundlage einer Republik zu verkünden wagten und die die Kraft hatten, sie auszuüben.“

Weder Madame Roland noch Buzot empfanden die geringsten Gewissensbisse über das Gefühl, das sie einander einflössten. Diese Tatsache, in der die Einen einen charakteristischen Zug des Sittenverfalls damaliger Zeit sehen werden, betrachten andere wieder, vielleicht mit mehr Berechtigung, als den besten Beweis der Reinheit ihrer Leidenschaft.

Wir lassen hier eine Stelle aus Buzots Selbstbiographie folgen, die ihn sehr gut charakterisiert: „Von Natur mit einem unabhängigen Charakter und einem Mute geschaffen, der sich unter niemandes Befehle beugte, wie hätte ich den Gedanken eines erblichen Königs und eines unantastbaren [105] Menschen ertragen können? Den Kopf und das Herz mit der Geschichte Griechenlands, Roms und jener berühmten Männer erfüllt, die in jenen alten Republiken das Menschengeschlecht am meisten ehrten, bekannte ich mich schon seit meiner frühesten Kindheit zu ihren Grundsätzen. Ich erfüllte mich mit dem Studium ihrer Tugenden. Ich wuchs in meiner Jugend fast wild auf; meine Leidenschaften waren in meinem glühenden und empfindsamen Herzen verschlossen, sie waren heftig, übertrieben, aber wenn sie sich auf einen Gegenstand beschränkten, so weihten sie sich ihm ganz. Niemals hat die Ausschweifung meine Seele mit ihrem unreinen Hauch befleckt; die Schlemmerei hat mir immer Abscheu eingeflösst, und bis in mein vorgerücktes jetziges Alter hat nie eine schamlose Rede meine Lippen besudelt. Frühzeitig habe ich indessen das Unglück kennen gelernt und bin dadurch der Tugend umso anhänglicher geblieben, deren Tröstungen meine einzige Zuflucht waren. Mit welchem Entzücken erinnere ich mich noch jener glücklichen Epoche meines Lebens, die nicht wiederkehren kann, wo ich des Tages schweigsam die Berge und Wälder nahe der Stadt, die mich zur Welt kommen sah, durchstreifte, dabei mit Entzücken Werke Plutarchs oder Rousseaus las, oder mir Züge über Moral und Philosophie im Gedächtnis zurückrief. Manchmal sass ich auf blühendem Rasen, im Schatten dichtbelaubter Bäume und überliess mich einer sanften Melancholie bei der Erinnerung der Leiden und Freuden, die abwechselnd die ersten Zeiten meines Lebens bewegt hatten. Oft bildeten die Schriften Plutarchs und Rousseaus die Beschäftigung und Unterhaltung der Abende, die ich mit einem gleichalterigen Freunde verbrachte, den mir der Tod im Alter von 30 Jahren entriss und dessen immer teueres und verehrtes Angedenken mich vor mancher Verirrung bewahrt hat. Mit diesem Charakter und dieser Veranlagung kam ich, von der Erschütterung menschlicher Leidenschaften aufgeregt, in den Strom der Revolution und in die konstituierende Versammlung.

[106] Das, was ich dort anfänglich bemerkte, war nicht darnach angetan, mich zu ändern. Der Adel, die Geistlichkeit, der zersetzteste Hof Europas. Ich zeigte mich dort als Freund des Volkes, als unerschrockenen Verfechter der Menschenrechte. Ueberall war ich geachtet, gesucht und geehrt; aber ich wurde bald gewahr, dass nicht alle eine gleiche Seele dahin brachten, die gleicherweise von dem persönlichen Interesse jeder Privatabsicht frei war. Ich zog mich dann wieder in das Dunkel zurück und trat erst wieder gegen das Ende hervor; im Augenblick, als ich zu bemerken glaubte, dass die Zahl der wahren Patrioten ungemein abgenommen hatte, und dass ich nicht weiter das Stillschweigen beibehalten dürfte, ohne sie noch mehr zu schwächen. Insbesondere zeigte sich mein Widerwille ohne Rückhalt gegen das Königtum, anlässlich der Flucht des Königs. Als die konstituierende Versammlung ihre Sitzungen zu Ende geführt hatte, kehrte ich wieder nach Evreux zurück, wo ich alles Gute tat, das in meiner Macht lag.“

Kehren wir nun wieder zu den Vorgängen der Septembertage zurück. Am 2. September, gegen 5 Uhr nachmittags, es war ein Sonntag, glaubte Madame Roland aus dem rückwärtigen Teil ihrer Wohnung Geschrei zu vernehmen. Sie begab sich in die nach dem Hof gelegenen Zimmer und sah einen Menschenauflauf in dem grossen Hof. Sie ging ins Vorhaus und erkundigte sich um den Anlass. Roland war ausgegangen, aber jene, die nach ihm fragten, waren mit dieser Auskunft nicht zufrieden und wollten ihn unter allen Umständen sprechen. Die Diener widersetzten sich dem Versuch der Leute, in die Wohnung einzudringen, indem sie der Wahrheit gemäss wiederholten, dass Roland nicht zugegen sei. Madame Roland befahl, man solle zehn Leute aus der Menge einladen, hinauf zu kommen. Als sie kamen, fragte sie Madame Roland sanft nach ihrem Begehr. Sie versicherten, sie seien tapfere Bürger, die sich nach Verdun begeben wollten, denen es aber an Waffen fehle, deshalb seien sie zum Minister gekommen, um welche von diesem [107] zu fordern. Madame Roland bemerkte, dass ein Minister des Innern nie Waffen zu seiner Verfügung habe und dass sie sich zum Kriegsminister verfügen sollten, um sie von diesem zu verlangen. Sie sagten, sie seien schon dort gewesen und hätten die Auskunft erhalten, dass dort keine Waffen seien; dass alle diese Minister Verräter seien und dass sie Roland zu sprechen wünschten. Madame Roland versicherte nochmals, dass Roland ausgegangen sei, er würde sie gewiss überzeugen. Sie forderte die Leute auf, mit ihr das Ministerpalais zu untersuchen, um sich zu überzeugen, dass er nicht daheim sei, dass nirgends Waffen aufbewahrt seien und dass sie auch einsehen müssten, dass dies nicht der Ort sei, wo sich welche befinden sollen. Sie empfahl ihnen noch einmal, sich zum Kriegsminister zu verfügen, um diesen ihre gerechten Klagen vorzubringen. Roland sei im Marineministerium, falls sie ihn zu sprechen wünschten, sollten sie sich dahin begeben. Daraufhin zogen sie sich unter Verwünschungen über den Verrat der Minister zurück. Sie schleppten einen der Diener als Geisel mit sich und hetzten ihn eine Stunde lang durch die Strassen, worauf sie ihn frei gaben!

Kaum war die Menge den Blicken Madame Rolands entschwunden, als sie eilig einen Wagen bestieg, um ins Marineministerium zu fahren und ihrem Mann von dem Vorgefallenen Bericht zu erstatten. Der Ministerrat war noch nicht vollzählig versammelt, der Kriegsminister und der Justizminister fehlten noch. Sie erzählte den Vorgang, jeder legte ihn anders aus. Die meisten betrachteten ihn als das zufällige Ergebnis der Umstände und der Gärung der Geister. Die Minister verliessen um 11 Uhr nachts den Ministerrat und erfuhren erst am andern Morgen die Greuel, die die Nacht zum Zeugen hatte und die in den Gefängnissen noch weiter fortgesetzt wurden.

Roland und[WS 17] Madame Roland blutete das Herz über diese schändlichen Vorgänge, über die Ohnmacht, ihnen Einhalt zu gebieten, und über die augenscheinliche Mitschuld [108] des Gemeinderates und Platzkommandanten. Sie kamen überein, dass für einen Minister, der ein Ehrenmann sei, nichts übrig bleibe, als sie mit der grössten Heftigkeit öffentlich anzuklagen, die Versammlung zu bestimmen, sie verhaften zu lassen und die Entrüstung aller ehrlichen Menschen gegen sie anzufachen, und sich auf diese Weise vom Makel rein zu waschen, an den Greueln durch Stillschweigen teilgenommen zu haben. Und sich, wenn nötig, eher den Dolchen der Mörder auszusetzen, um dem Verbrechen und der Schande auszuweichen, als in irgend einer Weise ihr Mitschuldiger zu sein. Roland schrieb dann jenen bekannten Brief an die Nationalversammlung. Madame Roland behauptet in ihren Memoiren: „Dieser, am 3. September an die Nationalversammlung gerichtete Brief wurde ebenso berühmt wie jener, der an den König gerichtet war.“ Die Nationalversammlung nahm ihn mit Begeisterung auf und beschloss die Drucklegung, Verlesung und Plakatierung.

Indessen wurde das Gemetzel in dem Gefängnis in der Abbaye von Sonntag abends bis Dienstag früh fortgesetzt, in dem Gefängnis La Force noch länger und in Bicêtre vier Tage hindurch u. s. w. Roland wurde von Erregung und Entsetzen über all die Gräuel völlig krank, er konnte weder essen noch schlafen und hörte trotzdem nicht auf zu arbeiten.

Als Roland seine Demission als Minister geben wollte, kam eine Menge von Abgeordneten zu ihm, um ihn zu bewegen, seinen Posten nicht zu verlassen; sie drängten lebhaft in ihn und stellten sein Verbleiben als ein Opfer hin, das er dem Vaterlande schulde. Der Rücktritt Rolands hatte die Feinde nicht besänftigt. Er hatte das Ministerpalais, trotz des Entschlusses den Aufruhr zu beschwören und allen Gefahren Trotz zu bieten, verlassen, weil die Lage des Ministerrates seine immer wachsende Schwäche sonderbar darstellte und ihm keinen andern Ausblick [109] als auf Fehler und Dummheiten bot, deren Schande er zu teilen genötigt worden wäre. Er konnte nicht einmal durchsetzen, dass seine Ansichten und Motive, wenn sie den Beschlüssen der Majorität entgegengesetzt waren, im Protokoll angeführt wurden. Er weigerte sich, Gesetzentwürfe zu unterschreiben. Dies war am 15. Januar. Der Konvent bot ihm nichts Ermutigendes, sein Name allein genügte dort schon, um Aufregung und Spaltung hervorzurufen. Es war nicht mehr möglich, diesen Namen dort auszusprechen, ohne aufrührerischen Lärm zu erregen.

Roland hatte nach seinem Rücktritt seinen Gegnern einen furchtbaren Stoss versetzt, indem er einen Rechenschaftsbericht veröffentlichte, wie ihn noch kein Minister beigebracht hatte. Aber er erwartete umsonst die Prüfung und Bestätigung dieses Berichtes, denn es hätte geheissen, die Unrichtigkeit der gegen ihn verbreiteten Verleumdungen anerkennen, die Infamie seiner Verleumder und die Schwäche des Konventes, der ihn nicht zu verteidigen gewagt hatte, blosslegen. Man musste fortfahren ihn zu beschimpfen, ohne Beweise zu erbringen, seine Stellung erschüttern, ihn verdunkeln, die öffentliche Meinung über ihn irre führen, um ihn ungestraft zu stürzen und sich so, eines unbequemen Zeugen so vieler Greuel zu entledigen, die man hätte entweder begraben oder rechtfertigen müssen, um ihren Urhebern das Geld und die Autorität zu erhalten, die sie ihnen verschafft hatte.

Roland schrieb siebenmal an den Konvent, in einem Zeitraum von vier Monaten, um die Prüfung seines Berichtes über seine administrative Leitung zu fordern, es war ganz vergebens. Die Jakobiner fuhren fort, ihn einen Verräter zu nennen.

Roland hatte zum achtenmal an den Konvent geschrieben, doch kam es nicht zur Verlesung des Briefes. Madame Roland schickte sich an, ihren Pass auf dem Rathaus vidieren zu lassen, den sie benötigte, um sich mit [110] ihrer Tochter auf das Land begeben zu können, wohin häusliche Angelegenheiten, ihre erschütterte Gesundheit und viele andere Gründe sie zu fahren veranlassten. Unter anderem erwog sie auch, um wieviel leichter es für Roland gegebenenfalls sein würde, sich der Verfolgung seiner Feinde zu entziehen, wenn es zu den äussersten Gewalttätigkeiten käme, wenn er sich ohne seine Familie befände.

Die Ausfolgung des Passes wurde durch unnötige Schwierigkeiten all zu eifriger Beamten verzögert, in deren Augen Madame Roland verdächtig erschien. Als ihr bedeutet wurde den Pass abzuholen, lag sie krank zu Bette und konnte es eine Woche lang nicht verlassen. Sie beschloss nach Ablauf dieser Zeit, sich dahin zu begeben, es war ein Freitag, da hörte sie Sturm läuten und fand den Augenblick für ungeeignet. Sie hörte die Lärmkanone, die Aufregungen des Tages weckten bei ihr jenes Interesse das grosse Begebenheiten einflössen, ohne eine peinliche Empfindung daneben zu erzeugen. Energische Charaktere hassen nichts so sehr als die Ungewissheit. Die Herabwürdigung des Konventes, seine täglichen Handlungen der Schwäche und Sklaverei schienen ihr so betrübend, dass sie die Ausschreitungen beinahe vorzog, weil sie von diesen Klärung der Zustände erhoffte. Freunde gingen ab und zu, die sie über die Lage der Dinge unterrichteten. Man fand es ratsam, dass Roland bei Freunden übernachte. Um ½5 Uhr Abend stellten sich sechs bewaffnete Männer bei Roland vor. Einer von ihnen verlas einen Befehl vom „Comité revolutionnaire“, kraft dessen sie ihn für verhaftet erklärten. Roland erwiderte hierauf: „Ich kenne kein Gesetz, das die Gewalt begründet, die Sie anführen und ich werde den Befehlen, deren Ausfluss sie sind, nicht Folge leisten. Wenn Sie Gewalt anwenden, so werde ich Ihnen nur den Widerstand eines Mannes meines Alters entgegenstellen können. Aber ich werde bis zum letzten Augenblick dagegen protestieren.“ Der Sprecher sagte, er habe nicht den Befehl erhalten Gewalt anzuwenden. Er werde sich in den Gemeinderat [111] begeben, um dort Rolands Antwort mitzuteilen und lasse inzwischen seine Kollegen zurück.

Kaum war der Mann fort, als Madame Roland der Gedanke kam, dass es gut sein würde, den Tatbestand dem Konvent mitzuteilen und dadurch die Verhaftung Rolands zu hintertreiben, oder ihn gleich wieder in Freiheit zu setzen, falls sie doch vorgenommen würde. Diesen Plan ihren Mann entwickeln, einen Brief an den Präsidenten zu schreiben und fortfahren, war das Werk einiger Minuten. Ein Freund des Hauses, der eben zugegen war, blieb für alle Fälle bei Roland. Sie bestieg einen Wagen und fuhr ins Karrussel. Der Hof der Tuilerien war voll von bewaffneten Männern, sie drängte sich durch die Menge, sie war in ihrem Morgenkleid und hatte bloss einen Shawl um und war verschleiert. Die Saaltüren waren alle verschlossen. Sie bat um Einlass und wurde von den Wachposten von einer Tür zur anderen geschickt, alles vergebens. Dann stellte sie sich, als ob sie eine Anhängerin Robespierres wäre und sagte: „Aber wie, Bürger, an diesem Tage des Heils des Vaterlandes, inmitten der Verräter, die wir zu fürchten haben, können Sie ja nicht wissen, von welcher Wichtigkeit die Mitteilungen sein können, die ich dem Präsidenten zu überbringen habe!“ Endlich sah sie einen Bekannten, namens Rôze. Sie erzählte[WS 18] ihm alles, übergab ihm den Brief und verlangte, er solle seine Verlesung erwirken. Wieder verging eine Stunde. Mit grossen Schritten durchmass sie auf unf ab gehend den Korridor und blickte allemal in den Saal, wenn eine Türe geöffnet wurde. Ein schrecklicher Lärm liess sich hören. Als Rôze wieder erschien, berichtete er, dass die Verlesung bei dem herrschenden Tumulte ein Ding der Unmöglichkeit sei. Als sie hörte, dass Herault-Séchelles eben den Vorsitz führe, sagte sie, dass ihr Brief gewiss nicht verlesen werden würde und bat ihn, Vergniaux herauszurufen.

Er kam und sagte, es sei aussichtslos, dass der Brief verlesen werde. Er riet ihr, selbst vor die Schranken zu [112] treten, es würde ihr vielleicht in ihrer Eigenschaft als Frau mehr Gunst erwiesen werden. Uebrigens werde gerade über einen Gesetzentwurf mit sechs Paragraphen verhandelt und sicherlich könne ihr Brief vor anderthalb Stunden nicht zur Verlesung gelangen. Sie entschloss sich diese Zwischenzeit zu benützen, um zu Hause nachzusehen, was vorgehe.

Als sie in ihr Haus trat, sagte ihr der Portier leise, dass Roland in die Wohnung des Hausherrn, im rückwärtigen Hof, gegangen sei; sie eilte hin, sie war in Schweiss gebadet, man reichte ihr ein Glas Wein und benachrichtigte sie, dass der Abgesandte mit dem Haftsbefehl wieder gekommen sei und sich im Gemeinderat kein Gehör verschaffen konnte, dass Roland später gegen den Befehl protestiert habe, und dass schliesslich die guten Leute verlangt hätten, er solle diesen Protest zu Protokoll geben, worauf sie sich zurückgezogen hätten. Daraufhin hätte Roland ihre Wohnung von der rückwärtigen Stiege aus verlassen. Madame Roland verliess auf die gleiche Weise das Haus und begab sich auf die Suche nach ihrem Manne, um ihm das, was sie bis nun unternommen hatte, mitzuteilen und ihn auch über ihre weiteren Schritte in Kenntnis zu setzen. Sie ging in verschiedene Häuser, um ihn zu suchen und fand ihn endlich. An der Stille der beleuchteten Strassen mutmasste sie, dass es schon spät sein müsse, es war tatsächlich mehr denn 10 Uhr. Das war ihr erster Ausgang nach einer schweren Erkrankung. Als sie wieder zum Karrussel kam, war die Sitzung aufgehoben.

Als sie ihren Wagen besteigen wollte, rannte ein herrenloser Hund ganz zutraulich mit, sie nahm ihn mitleidig in ihren Wagen. Kaum war sie eine Strecke gefahren, musste der Kutscher auf den Zuruf einer Wache anhalten, der Wagenschlag wurde aufgerissen. „Wer da?“ – „Eine Bürgerin!“ – „Von wo kommen Sie?“ – „Aus dem Konvent!“ Der Kutscher bestätigte diese Aussage, als hätte er Angst, man könnte ihren Worten nicht Glauben schenken. „Wohin begeben Sie sich jetzt?“ – „Nach Hause!“ – „Haben Sie [113] keine Effekten?“ – „Ich habe nichts, sehen Sie her.“ – „Aber die Sitzung ist doch schon geschlossen?“ – „Jawohl, das ist es eben, was mir leid tut, denn ich hatte eine Beschwerdeschrift einzureichen.“ – „Eine Frau zu dieser Stunde, das ist unbegreiflich, das ist sehr unvorsichtig.“ – „Sicherlich ist das nicht alltäglich und hat für mich nichts angenehmes; ich bedurfte gewiss grosser Beweggründe hiezu.“ – „Aber wie, Madame sind ganz allein?“ – „Wieso, mein Herr, allein? Sehen Sie nicht die Unschuld und die Wahrheit in meiner Gesellschaft; was bedarf es mehr?“ – „Wohlan, ich weiche Ihren Beweisgründen.“ – „Sie tun wohl daran, denn sie sind stichhältig,“ fügte Madame Roland freundlicher hinzu.

Endlich war sie wieder zu Hause angelangt! Kaum hatte sich Madame Roland niedergesetzt, es war bereits Mitternacht, als sie an ihrer Türe klopfen hörte. Eine zahlreiche Deputation vom Gemeinderat stellte sich ihr vor und verlangte nach Roland. – „Aber wo kann er sein,“ fragte ein Mann in Offiziersuniform. „Sie müssen doch seine Gewohnheiten kennen und über seine Rückkehr eine Vorstellung haben“? – „Es ist mir nicht bekannt“ antwortete Madame Roland, „ob Ihr Befehl Sie ermächtigt, derartige Fragen an mich zu stellen, aber ich weiss, dass nichts mich dazu zwingen kann, darauf zu antworten. Roland hat seine Wohnung verlassen, während ich im Konvent war, er konnte mir daher keine vertraulichen Mitteilungen machen, und ich habe weiter nichts hinzuzufügen!“

Die Bande zog sich hierauf höchst unzufrieden zurück und liess eine Schildwache an der Wohnungstüre und einen Wachposten am Haustor stehen. Madame Roland fühlte, dass nun nichts weiter zu tun übrig blieb, als alle Kraft zu sammeln, um sich gegen das, was nun kommen würde, zu verteidigen. Sie war von Müdigkeit erschöpft, sie ass etwas, schrieb einen Brief, den sie ihrer getreuen Dienerin anvertraute, und begab sich zu Bett. Sie schlief beiläufig eine Stunde sehr fest, als ihre Dienerin ins Zimmer [114] trat und ihr mitteilte, dass die Herren der Sektion da seien und sie zu sprechen wünschen.

„Ich verstehe, was das sagen will,“ anwortete sie. „Gehen Sie, mein Kind, ich werde sie nicht lange warten lassen.“ Sie sprang aus dem Bett und kleidete sich an. Das Dienstmädchen verwunderte sich, dass sie mehr als den Schlafrock überwarf: „Man muss doch anständig gekleidet sein, wenn man ausgeht, bemerkte Madame Roland. Das arme Mädchen sah sie starr an, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie ging in das andere Zimmer. Der Sprecher, der gekommen war, sagte: „Wir kommen, Bürgerin, um Sie zu verhaften und um alles gerichtlich zu versiegeln.“ Worauf Madame Roland fragte: „Wo sind Ihre Vollmachten?“ – „Hier sind sie,“ sagte einer der Männer, indem er eine Vollmacht des revolutionären Komitees aus seiner Tasche zog, in der kein Motiv für die Verhaftung angegeben worden war, um sie in das Gefängnis l’Abbaye zu führen. Madame Roland sagte daraufhin: „Ich könnte Ihnen wie Roland sagen, dass ich dieses Komitee nicht kenne und seinen Befehlen nicht Folge leiste, dass Sie mich nur mit Gewalt von hier entfernen werden.“ – „Hier ist noch ein Befehl,“ beeilte sich ein anderer aus der Gruppe in verbindlichem Tone zu sagen, indem er einen Befehl des Gemeinderates vorlas, worin ebenfalls, ohne Angabe der Ursache, die Verhaftung Rolands und seiner Gattin angeordnet wird. Während der Verlesung des Verhaftsbefehles erwog Madame Roland bei sich selbst, ob sie so weit als möglich den Widerstand treiben, oder ob sie sich einfach ergeben solle. Sie dachte daran, sich auf das Gesetz zu berufen, welches nächtliche Verhaftungen verbiete, aber was galten Gesetze dort, wo die rohe Gewalt herrschte! Auch würden diese brutalen Leute keine Grenzen kennen, wenn sie sehen würden, dass man sich ihnen widersetzte! Madame Roland fragte sie, wie sie vorzugehen beabsichtigen. Sie antworteten, dass sie bereits um den Friedensrichter geschickt hätten. Als der Friedensrichter [115] gekommen war, begab man sich in den Salon und legte überall die Gerichtssiegel an. Ein besonders Eifriger verlangte auch, dass ein Siegel sogar auf dem Klavier angebracht werde. Mit Mühe konnte Madame Roland durchsetzen, dass man ihr erlaubte, das ihrer Tochter Gehörige an Wäsche und Kleidern und für sich das Allernotwendigste für die Nacht aus den Schränken zu nehmen.

Währenddessen kamen und gingen so an hundert Leute von der Strasse in der Wohnung ein und aus, die Luft war ganz verpestet, keiner der Kommissäre hatte den Mut, diese Menge Neugieriger fortzuweisen, einer oder der andere wagte eine schüchterne Bitte, die jedoch von gar keinem Erfolg begleitet war! Dabei lagen hunderterlei Dinge umher, die leicht fortgetragen werden konnten, ohne dass man es bemerkt hätte, ohne dass man es hätte verhindern können.

Während sich all’ das zutrug, sass Madame Roland an einem Tisch, um an einen Freund zu schreiben, dessen Obsorge sie ihr Kind empfahl. Als aber der Kommissär die Durchsicht des Briefes forderte, zerriss sie ihn, um den Freund nicht zu kompromittieren.

Um sieben Uhr früh verliess Madame Roland ihre Tochter, die sie der Obhut ihrer Leute überlassen musste; sie ermahnte alle zur Ruhe und Geduld; sie fühlte sich durch die Tränen ihrer Leute sehr geehrt und nichts vermochte ihren Mut zu beugen. Der Kommissär bemerkte: „Sie haben Leute um sich, die Sie lieben.“ „Ich hatte niemals andere,“ antwortete Madame Roland und stieg die Treppe hinab. Vor dem Toreingang, vom Treppenabsatz bis zum bereitstehenden Wagen auf der anderen Seite der Strasse standen zwei Spaliere bewaffneter Männer und ein Haufen Neugieriger. Madame Roland ging mit kleinen Schritten tapfer vorwärts, indem sie diese feige, verführte Schar aufmerksam betrachtete. Die bewaffnete Macht folgte dem Wagen in zwei Reihen. Das Volk hielt am Wege, an dem der Wagen vorbeikam, inne und schrie: „Auf die Guillotine“!

[116] Der Kommissär fragte Madame Roland, ob sie wünsche, dass man die Vorhänge an der Wagentür zuziehe, worauf sie ihm antwortete: „Nein, mein Herr, die Unschuld, möge sie auch noch so unterdrückt sein, nimmt nie die Haltung der Schuldigen an. Ich fürchte keines Menschen Blicke, ich will mich keinem entziehen.“ Der Kommissär fand, dass sie mehr Mut habe als viele Männer, und dass sie ruhig die Gerechtigkeit abwarten solle. „Wenn Gerechtigkeit geübt würde, wäre ich gegenwärtig nicht in Ihrer Gewalt, aber ein äusserst ungerechtes Verfahren wird mich aufs Schafott führen, das ich fest und ruhig besteigen werde, gerade so, wie ich mich auch ins Gefängnis begebe. Ich seufze über mein Vaterland, ich bedauere den Irrtum, es für die Freiheit und das Glück für reif gehalten zu haben. Ich schätze das Leben, ich habe nie etwas anderes als das Verbrechen gefürchtet, ich verachte die Ungerechtigkeit und sehe dem Tod kalt ins Auge,“ sagte sie zu diesem armseligen Kommissär, der nicht viel von dieser Sprache verstand und sie wohl für eine „aristokratische“ hielt.

Endlich langte man vor der Abbaye an, dem Schauplatze der berüchtigten blutigen Auftritte. Madame Roland wurde zuerst in ein finsteres, kleines Zimmer geführt, wo sechs Feldbetten standen, auf denen ebenso viele Männer lagen. Als man die Gefängnispforte geöffnet hatte, erhoben sich die Leute, es entstand eine Bewegung, worauf die Begleiter Madame Roland über eine schmale, unreine Treppe führten. Man gelangte in die Wohnung des Kerkermeisters. Madame Roland wurde in eine Art kleinen Salon geführt, der ziemlich reinlich war, man bot ihr einen gepolsterten Lehnstuhl zum Sitzen an. Madame Roland fragte die gutmütig aussehende Frau des Kerkermeisters nach dem Zimmer, das für sie angewiesen wurde. Die Frau versicherte, dass sie nicht von Madame Rolands Kommen unterrichtet worden sei, dass sie deshalb noch nichts hergerichtet habe, dass sie aber inzwischen bei ihr bleiben könne.

Es wurden sehr strenge Verhaltungsmassregeln für [117] Madame Roland vorgeschrieben; aber sie erzählt selbst, dass der Kerkermeister ein ehrenhafter, munterer und verbindlicher Mensch war, der in die Ausübung seiner Amtsverrichtungen alles, was Gerechtigkeit und Humanität wünschenswert erscheinen lassen, hineinlegte. Man reichte ihr auf ihr Verlangen zum Frühstück eine Bavaroise. Der Kommissär sagte ihr noch, bevor er sich zurückzog, dass Roland sich nicht hätte entfernen sollen, wenn er unschuldig sei. Madame Roland konnte sich nicht enthalten, diesen frechen Worten entgegen zu treten: „Es ist doch zu sonderbar, dass man einen solchen Mann, der so grosse Dienste für die Freiheit geleistet hat, verdächtigen kann. Es ist zu widerwärtig, einen Minister, dessen Vorgehen so offen, dessen Rechenschaft so klar vorliegt, mit solcher Erbitterung verleumdet und verfolgt zu sehen. Gerecht wie Aristides, streng wie Cato, so scheinen nur seine Tugenden ihm Feinde gemacht zu haben; die Wut dieser kennt keine Grenzen. Möge sie sich gegen mich richten, ich werde ihr trotzen und mich ihr preisgeben. Er muss sich für sein Land erhalten, dem er noch grosse Dienste erweisen kann.“ Die Herren gingen verlegen weg. Madame Roland frühstückte ruhig, während man für sie ein Zimmer herrichtete. Die Kerkermeistersfrau sagte ihr, sie könne den Tag über bei ihr bleiben, und falls sie bis abends das für sie bestimmte Zimmer nicht in Ordnung gebracht haben würde, werde man im Salon ein Bett für sie herrichten. Sie sagte noch einige freundliche Worte, wie sehr sie jedesmal bedauere, wenn sie sehen müsse, dass eine Person ihres Geschlechtes dorthin komme, denn nicht alle seien so heiter wie Madame Roland.

Madame Roland dankte ihr lächelnd für ihre Teilnahme, worauf sich die Frau entfernte und die Türe versperrte.

„Da bin ich nun im Gefängnis, sagte ich mir. Ich setzte mich und sammelte mich gründlich. Ich würde die Augenblicke, die nun folgten, nicht für jene vertauschen, die andere für die glücklichsten meines Lebens halten, ich werde [118] die Erinnerung an sie nie verlieren. Sie haben mich in einer gefahrvollen Lage, mit einer stürmischen, ungewissen Zukunft den ganzen Wert der Kraft und Rechtlichkeit fühlen lassen, die in der Echtheit eines guten Gewissens und eines grossen Mutes liegt. Bis dahin war ich von den Ereignissen vorwärts geschoben, meine Handlungen waren in dieser Krisis das Resultat einer lebhaften Empfindung, die mitfortreisst; welche Annehmlichkeit, alle Ergebnisse durch die Vernunft rechtfertigen zu können. Ich rief mir die Vergangenheit in mein Gedächtnis zurück, ich erwog die künftigen Begebenheiten, und wenn ich dieses all zu empfindsame Herz anhörte und einige zu mächtige Zuneigungen darin fand, entdeckte ich nicht eine, die mich hätte erröten machen müssen, nicht eine, die nicht als Nahrung für meinen Mut gedient, und die es zu beherrschen nicht verstanden hätte. Ich weihte mich sozusagen freiwillig meinem Schicksal, welches immer es auch sein könnte, ich forderte seine Härte heraus. Ich richtete mich in jener Stimmung ein, in der man nur mehr die nützliche Anwendung der Gegenwart sucht, ohne anderweitige Sorge. Aber jene Ruhe für das mich persönlich betreffende wagte ich nicht auf das Schicksal meines Vaterlandes und meiner Freunde auszudehnen. Ich erwartete das Abendblatt mit einer unaussprechlichen Begierde und horchte gespannt auf das Schreien in der Strasse.“

Madame Roland erkundigte sich beim Kerkermeister über alle Vorschriften. Er nannte ihr alle strengen Maßregeln, die über sie verhängt worden seien, und sagte ihr, er werde diese als nicht vorhanden betrachten. Der Kerkermeister verabredete gleich mit ihr, dass die Besuche, die zu ihr kommen würden, nach seiner Frau fragen sollten, ohne Madame Rolands Namen zu erwähnen, so würde sie leicht mit ihnen verkehren können und niemand würde von dieser Erleichterung etwas erfahren.

Es ist seltsam zu beobachten, wie die Ereignisse manchmal dem Menschen den Lohn für seine Taten finden [119] lassen! Als Roland das erstemal Minister wurde, bemerkte er, dass die Gefängnisse sich in einem furchtbaren Zustand der Vernachlässigung befanden. Er wollte abhelfen und ernannte einen gewissen Grandpré zu einer Art Inspektor der Gefängnisse, dem die Pflicht oblag, über alle vorgefundenen Schäden dem Minister Bericht zu erstatten und den Gefangenen alle mögliche Sorgfalt und Erleichterung zukommen zu lassen. Man muss bedenken, wie viele Tausende von Unschuldigen damals in den Kerkern schmachteten! Der erste Besuch, den Madame Roland in der Abbaye empfing, war der von Grandpré. Er eilte herbei, sein Herz war tief egriffen. Madame Roland versichert, dass ihr niemals ein Zeichen der Teilnahme rührender und ehrender erschienen war als das, welches er ihr bezeigte. Er verband damit das Gefühl einer edlen Dankbarkeit und sie fand auch den Geist einer guten Tat darin. Er riet ihr, an den Nationalkonvent zu schreiben, sie entschloss sich gleich dazu. Grandpré versprach, in zwei Stunden wieder zu kommen, um den Brief zu übernehmen. Der Brief enthielt die genaue Schilderung ihrer Verhaftung und Internierung. Sie lehnte sich gegen die Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren war auf und forderte ihr Recht in jener edlen, freien Sprache, die ihr eigen war. Grandpré übernahm den Brief, brachte ihn jedoch am andern Tag zurück. Er hatte sich mit Champagneux, einem Freunde Madame Rolands, darüber beraten. Beide waren übereingekommen, dass die Einleitung in einem milderen Tone abgefasst werden müsse, auch sei es nötig, einige Zeilen an den Minister des Innern zu richten, worin er offiziell ersucht wird, den Brief an den Konvent gelangen zu lassen. Sie tat was man ihr riet, aber nicht gerade gerne.

Am andern Morgen betrachtete sie ihre Zelle und dachte nach, wie sie sich dort einrichten würde. Sie bedeckte den kleinen, hässlichen Tisch mit einem saubern Tuche und schob ihn ans Fenster, sie bestimmte ihn zu ihrem Schreibtisch, entschlossen, ihre [120] Mahlzeiten auf dem Kaminvorsprung einzunehmen und den Arbeitstisch rein und geordnet zu erhalten. Sie hatte in ihrer Kleidertasche Gedichte von Thompson, die sie besonders bevorzugte. Sie schrieb die Titeln einiger Bücher auf, die sie sich kommen lassen wollte, so z. B. Plutarchs Werke, die sie seit ihrer frühen Kindheit nicht wiedergelesen hatte, die englische Geschichte von Hume. Sie lächelte selbst über ihre Vorbereitungen, denn es war eine grosse Unruhe. Alle Augenblicke hörte man Trommelsignale und Geschrei. „Sie werden mich nicht hindern können, bis zum letzten Augenblick mit ruhigem Gewissen zu leben, glücklicher als sie, die durch ihre Raserei erregt sind, ich gehe ihnen entgegen und ich trete aus dem Leben, wie man sich zur Ruhe begibt.“ In dieser Betrachtung wird sie durch das Kommen der Kerkermeisterin gestört, die sie einlädt in ihre Wohnung zu gehen, wo das Dienstmädchen von Madame Roland warte. Als sich das gute Geschöpf mit von Tränen überströmtem Gesicht in ihre Arme warf und vor Erregung zitterte, machte sich Madame Roland beinahe Vorwürfe so ruhig zu sein; wenn sie die Besorgnis derer, die ihr nahe standen, bedachte, schnürte es ihr Herz zusammen. Madame Roland erzählt von dem Mädchen, dass es sie im täglichen Leben oft angefahren habe, aber das tat es nur, wenn sie zu sehen glaubte, dass ihre Herrin zu wenig an das dachte, was zu ihrem Glücke und ihrer Gesundheit dienlich sein könnte. Wenn Madame Roland litt, so war es das Mädchen, das seufzte, und Madame Roland, die es trösten musste. Nun musste sie wohl oder übel auch da diese gewohnte Art beibehalten. Sie machte ihr klar, dass sie, wenn sie sich zuviel dem Schmerze hingebe, weniger fähig sei, ihr nützlich zu sein, dass sie ihr draussen nötiger sei als im Gefängnis, wo zu bleiben das Mädchen sich als Gunst erbitten wollte. Madame Roland versicherte sie, dass sie alles in allem genommen nicht so unglücklich sei, als man es sich vorstelle, und das war auch wahr. Wenn Madadame Roland krank war, überkam [121] sie immer eine ganz besondere Art von Ruhe, sie hatte es sich zum Gesetz gemacht, sich das Notwendige immer zu erleichtern, weit entfernt davon, sich dagegen aufzulehnen.

Im Augenblick, wo sie zu Bette war, schien es ihr, dass alle Verpflichtungen für sie aufhörten und keine Sorge Macht über sie habe. Sie sei nur verpflichtet, dort mit Ergebung zu verbleiben, was sie mit Vergnügen tat. Sie liess ihrer Einbildungskraft freien Lauf, sie rief sich angenehme Eindrücke, schöne Erlebnisse, glückliche Empfindungen in die Erinnerung zurück. Keine Anstrengungen, keine Berechnungen, keine Vernunft, alles ist ruhig wie sie selbst, sie leidet ohne Ungeduld, sie ruht aus und erheitert sich. Sie versicherte, dass das Gefängnis die gleiche Wirkung wie die Krankheit auf sie ausübe; sie sei genötigt dort zu verbleiben, das koste sie keine Ueberwindung, ihre eigene Gesellschaft sei gar nicht schlecht!

Unter dem Fenster ihrer Zelle stand die Schildwache, die ganze Nacht hörte Madame Roland sie mit Donnerstimme rufen: „Wer da? Schiess! Korporal! Patrouille!“ Sie wachte häufig auf, konnte aber meist gleich wieder einschlafen. Des morgens räumte sie alles selbst auf; sie zog es vor, das Geld, das sie dafür hätte bezahlen müssen, zu ersparen, um damit arme Gefangene zu unterstützen. Mit Ungeduld wartete sie, dass die grossen Riegel zurückgeschoben und der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde, um das Morgenblatt zu bekommen. Als sie den Verhaftungsbefehl der zweiundzwanzig Girondisten las, entfiel das Blatt ihren Händen und sie rief mit schmerzlicher Bewegung: „Mein Vaterland ist verloren.“ So lange sie glaubte, allein oder beinahe allein unter dem Joch der Bedrückung zu sein, war sie mutig und ruhig, und behielt die Hoffnung, dass die Verteidiger der Freiheit heil bleiben würden, die das Vaterland retten könnten! Aber nun war alles dahin! Der vierte Tag war bereits vorüber und Madame Roland war noch immer nicht einem Verhör unterzogen worden. Sie schrieb, um sich darüber zu beklagen. Ihr erster Brief war, trotz der [122] grössten Bemühung von Grandprés Seite, noch immer nicht verlesen worden!

Madame Roland stand das Recht zu, sich für ihr Geld alle möglichen Erleichterungen und Verbesserungen anzuschaffen, aber sie machte von diesem Rechte keinen Gebrauch und wollte ihre Kraft im Entbehren üben und erproben. Es überkam sie die Lust, den Versuch zu machen, zu sehen, bis zu welchem Grade der menschliche Körper imstande sei, seine Bedürfnisse einzuschränken. Aber sie fand, dass es nötig sei, stufenweise vorzugehen, wenn man es darin weit bringen will. Nach und nach liess sie die Chokolade und den Kaffee vom Frühstück fort und begnügte sich mit Wasser und Brot; zu Mittag nahm sie nur ein Stück gewöhnliches Fleisch und etwas Gemüse, abends nur etwas Gemüse. Getränke gab es zu keiner Mahlzeit. Wenn sie diese ungenügende, frugale Kost einnahm, freute sie jedesmal der Gedanke an die Ersparnis, die den armen Teufeln zugute kam, wie auch über die unbekannten Segenswünsche, die ihr gewidmet wurden. Sie gab auch den Dienstleuten, als ob sie für sie arbeiteten und ihr allerlei Besorgungen zu machen hätten, trotzdem sie, wie schon gesagt, alle Arbeit selbst verrichtete; aber sie wollte die armen Leute nicht verkürzen, die von diesen kleinen Verdiensten ihren Unterhalt bestritten.

Madame Rolands Freund, Bosc, nahm sich ihrer kleinen Tochter an, indem er sie der Obhut einer ausgezeichneten Frau, namens Creuzé-la-Touche anvertraute, sie wurde dort wie das eigene Kind der Familie aufgenommen und liebevoll gepflegt. Wir lassen hier eine Schilderung dieses Kindes folgen, die in Madame Rolands Memoiren enthalten ist: „Ich habe eine junge, liebenswürdige Tochter, die aber von Natur kalt und träge ist. Ich habe ihr Beispiele gegeben, die man in ihrem Alter nicht mehr vergisst, und sie wird eine gute Frau mit einigen Talenten sein, aber nie wird ihre stagnierende Seele und ihr Geist ohne Schwung, meinem Herzen jene süssen Freuden bieten, die es sich versprochen [123] hat. Ihre Erziehung kann ohne mich vollendet werden, ihr Dasein wird ihrem Vater Trost bieten. Aber sie wird weder meine lebhaften Empfindungen, noch meine Leiden und Freuden kennen lernen, und dennoch, wenn ich noch einmal auf die Welt kommen würde, mit der Wahl der Anlagen, möchte ich nicht aus anderem Zeug geschaffen sein wollen, ich würde von den Göttern erbitten, dass sie mich aus demselben wieder erschaffen“.

Ihre Tochter war in den denkbar besten Händen, ihr eigenes Los schien ihr nicht bemitleidenswert, so blieb nur das ihres Gatten, welches sie bedauernswert fand. Er war verfolgt, proscribiert, man weigerte sich seinen Rechenschaftsbericht zu prüfen; er war genötigt, sich vor der blinden Wut seiner Feinde zu verbergen, sich wie ein Schuldbeladener zu verstecken und selbst für das Schicksal jener guten Menschen, die ihn bei sich aufgenommen, zu zittern. Dabei den Gram in sich verschliessen zu müssen, seine Frau im Gewahrsam zu wissen, sein Hab und Gut gerichtlich versiegelt zu sehen, und in Unsicherheit auf eine ungewisse Gerechtigkeit zu warten, die ihm nie das würde ersetzen können, was sie ihm genommen und was sie ihm Leid verursacht hatte!

Acht Tage waren bereits vergangen und noch immer war kein Verhör erfolgt. Madame Roland schrieb an den Justizminister um ihr Recht, um Anwendung der Gesetze zu fordern. Sie schrieb auch an den Minister des Innern und den Abgeordneten Dulaure. In all den Briefen schilderte sie ihre Lage, ihre Unschuld und die Ungerechtigkeit, mit der man sie so lange gefangen halte, ohne sie zu verhören, ohne ihr die Ursache dieser Gefangenschaft bekannt zu geben. Am 12. Juni kam endlich der Polizeikommissär Louvet ins Gefängnis der Abbaye, um Madame Roland einzuvernehmen. Zum Schluss der breitspurigen Einvernahme wurde ihr der Grund ihrer Verhaftung nicht bekannt gegeben! Man forderte bei einer nach einigen Tagen wieder vorgenommenen Einvernahme, dass Madame Roland mit „Ja“ [124] oder „Nein“ antworte. Man erklärte ihre Antworten für breitspuriges Geschwätz und bemerkte überdies boshaft, dass man sich nicht im Ministerpalais befinde, um da den Schöngeist zu spielen!

Der öffentliche Ankläger sprach besonders in einer so bittern Weise und benahm sich mit so vorgefasster Meinung, als ob er überzeugt wäre, eine grosse Verbrecherin vor sich zu haben und ungeduldig sei, dies zu beweisen. Wenn der Richter an sie Fragen stellte und der öffentliche Ankläger sie nicht nach seinem Geschmack fand, stellte er sie auf eine andere Weise, dehnte sie aus, machte sie verwickelter oder verfänglich; er unterbrach Madame Roland alle Augenblicke in ihrer Beantwortung und forderte mehr Kürze. Das war tatsächlich eine fortgesetzte Quälerei. Madame Roland wurde drei Stunden verhört, worauf die Vernehmung unterbrochen wurde, um sie am Abend wieder aufzunehmen. Der Wunsch, sie zu verderben, war augenscheinlich. Sie wollte ihre Tage sicherlich nicht durch irgend eine Feigheit sichern, aber ebensowenig wollte sie der Böswilligkeit irgend ein Mittel in Händen lassen und durch Dummheiten die Arbeit dem öffentlichen Ankläger erleichtern, der zu wünschen schien, dass Madame Roland durch ihre Antworten den Anklageakt vorbereite, den sein Eifer gegen sie auszusinnen, bereit war!

Als Madame Roland sich zum Schluss der zweiten Einvernahme weigerte, über Roland Auskünfte zu erteilen, indem sie sagte, dass ein Angeklagter nur über seine Angelegenheiten und nicht über die anderer Rechenschaft abzulegen habe, wurde der öffentliche Ankläger wütend und schrie, dass man mit einer solchen Schwätzerin niemals fertig werden würde, und schloss die Einvernahme!

„Wie ich Sie bedauere,“ sagte Madame Roland mit Heiterkeit. „Ich verzeihe ihnen selbst die Unhöflichkeit, dass Sie mir sagen, Sie glauben eine grosse Verbrecherin fest zu halten. Sie sind ungeduldig es zu beweisen, aber wie unglücklich ist man mit solchen Vorurteilen! Sie können [125] mich aufs Schafott schicken, aber Sie können mir die Freude nicht rauben, die ein gutes Gewissen gibt, und die Ueberzeugung, dass die Nachwelt Roland und mich rächen wird, indem sie unsere Verfolger der Niedertracht beschuldigt. Ich wünsche ihnen für das Böse, das Sie mir zufügen, einen gleichen Frieden wie ich ihn bewahre, wie auch der Lohn sein mag, der daran geknüpft ist.“

Madame Roland benützte die Zeit ihrer Haft, um ihre Memoiren zu schreiben; sie verfasste sie mit ungemeiner Schnelligkeit; sie befand sich für diese Arbeit in einer so glücklichen Stimmung, dass sie nach Ablauf eines Monats das Manuskript zu einem stattlichen Bande beisammen hatte, die sie unter dem Titel „Notices historiques“ herausgegeben wünschte. Wir wissen, dass sie in dem Glauben war, dass der Freund, dem sie die Manuskripte anvertraut hatte, sie aus Furcht verbrannt habe. Sie sagt, dass sie, wenn sie die Wahl gehabt hätte, lieber selbst hätte verbrannt werden wollen, als diese kostbaren Schriften, die Roland und sie in den Augen der Nachwelt zu rechtfertigen bestimmt waren, verloren gehen zu sehen. Dieser vermeintliche Verlust war ihr die härteste Prüfung ihren an Kummer und Enttäuschungen so reichen Lebens.

In diesen historischen Notizen gab sie Details über die Ereignisse und die Personen, die im öffentlichen Leben eine Rolle spielten, und die sie durch ihre Stellung kennen zu lernen in der Lage war. Sie schrieb mit der Freiheit und Energie ihres Charakters, mit der Ungezwungenheit, der Aufrichtigkeit und dem Behagen eines Geistes, der über alle persönlichen Rücksichten erhaben ist, mit dem Vergnügen, dasjenige zu schildern, was sie gesehen oder empfunden hat, schliesslich mit dem Vertrauen, dass diese Sammlung jedenfalls ein moralisches und politisches Testament sein werde. Es trug den Charakter der Originalität, den ihm die Umstände gaben, das Verdienst der Betrachtungen, die aus den Ereignissen emporwachen, so wie sie unvermutet dazwischenkommen, und daher die Frische, die einer solchen Entstehung zu verdanken ist.

[126] Eine Zeitlang war Madame Roland krank und lag im Spital. Monate waren seit ihrer Internierung in der Abbaye vergangen. Die ganze Zeit, selbst die ihrer Krankheit, war mit Studium und Arbeit ausgefüllt. Um diese Zeit kam Madame Louvet, von der Madame Roland sagt, man könne wohl ihren Geist und ihre Kenntnisse nicht rühmen, sie verbinde aber die Anmut ihres Geschlechtes mit der Empfindsamkeit einer edlen Seele, die ihr den grössten Reiz verlieh und ihr grösster Vorzug war. Diese Frau fand Mittel und Wege, ins Gefängnis zu ihr zu dringen. „Wie sehr war ich erstaunt, ihr sanftes Gesicht zu sehen, mich von ihren Armen umschlungen, von ihren Tränen benetzt zu fühlen. Ich hielt sie für einen Engel, sie war auch einer, denn sie ist gut und schön, und sie hatte alles getan, um mir Nachrichten von meinem besten Freund (Buzot) zu bringen, sie ermöglichte es sogar, ihm meine Briefe zu übermitteln. Diese Tröstung trug dazu bei, mich meine Gefangenschaft vergessen zu machen“.

Am gleichen Tage kam die Kerkermeistersfrau, um Madame Roland aufzufordern hinüber zu kommen, da ein Regierungsvertreter dort auf sie warte. Sie war eben leidend und lag zu Bett. Sie stand gleich auf und begab sich hinüber. Als sie ins Zimmer trat, fand sie zwei Männer, die ihr die Mitteilung machten, sie seien gekommen, um sie in Freiheit zu setzen. Die Mitteilung ging Madame Roland gar nicht nahe. Sie sagte, es sei ja alles recht, aber vor allem handle es sich darum, ihr zu ermöglichen, in ihre Wohnung zu gelangen, die gerichtlich versiegelt sei. Der Regierungsvertreter versprach ihr, dies im Laufe des Tages durchzusetzen. Er gab sich dann den Anschein, als verdiene er volles Vertrauen, sprach über dies und das und fragte schliesslich scheinbar ganz harmlos, ob sie nicht wisse, wo sich Roland befinde? Sie lächelte bei dieser Frage und sagte, dass sie nicht genug diskret gestellt sei, um eine Beantwortung zu verdienen. Die Unterhaltung wurde sehr langweilig, Madame Roland [127] zog sich in ihre Zelle zurück, um ihre Sachen zu packen. Das brave Dienstmädchen weinte Freudentränen als sie kam, um Madame Roland beim Einpacken behilflich zu sein.

Als Madame Roland den herbeigerufenen Wagen bestieg, war sie sehr erstaunt, den Regierungsvertreter vor dem Ausgangstor zu sehen. Sie liess sich nach Hause fahren wollte dort ihre Sachen abgeben, um gleich nach ihrer Tochter zu sehen. Sie sprang behende aus dem Wagen, als er vor ihrem Hause hielt, begrüsste freundlich den Portier und eilte zur Treppe. Sie war noch nicht vier Stufen hinaufgegangen, als sie sich von zwei Männern verfolgt sah, die „Bürgerin Roland“ riefen. „Was wollen Sie,“ fragte sie, sich umwendend. – „Wir verhaften Sie im Namen des Gesetzes,“ war die brüske Antwort.

„Wer zu fühlen versteht, braucht nicht einmal zu denken, um zu beurteilen, was ich in jenem Augenblick empfand. Ich liess mir den Verhaftsbefehlt vorlesen und fasste sofort einen Entschluss; ich ging die Stufen hinab und durchquerte den Hof mit Schnelligkeit.“ – „Wohin gehen Sie,“ fragten die Polizisten. „Zu meinem Hausherrn, bei dem ich zu tun habe, folgen sie mir.“ Die Hausfrau öffnete selbst und lächelte erfreut. „Lassen Sie mich niedersetzen und aufatmen,“ sagte Madame Roland, „aber freuen Sie sich nicht, man hat mich eben in Freiheit gesetzt, doch ist dies bloss eine grausame Falle gewesen.“

Sie schrieb in aller Eile an ihre Freunde, um sie von dem Vorfall zu verständigen. Dann wurde sie in das Gefängnis von Sainte-Pélagie überführt. Sie fand es höchst sonderbar, dass sie, gegen die nichts vorlag, auf dem Weg von der Abbaye nach Hause mit einemmale verdächtig geworden sei und so neue Gründe für ihre Verhaftung geliefert haben sollte. Der Untersuchungsrichter sagte ihr, dass ihre erste Verhaftung ungesetzlich gewesen sei und dass man sie in Freiheit setzen musste, um dann eine den Gesetzen entsprechende Verhaftung vorzunehmen.

Als sie ins Gefängniss kam, stellte man es ihr frei, [128] eine Zelle allein oder mit noch einem andern Häftling zu teilen; sie wählte das erstere. Alle Einrichtungsgegenstände mussten dort von den Häftlingen selbst gekauft werden, ebenso mussten sie sich die Nahrung selbst bezahlen, wenn sie die Gefangenhauskost nicht vertrugen. Der Staat hatte für jeden Gefangenen bloss eine Portion Bohnen und eineinhalb Pfund Brot pro Tag. Der Kerkermeister versicherte Madame Roland, dass sie weder das eine noch das andere vertragen würde. Wenn auch diese Kost in nichts der von ihr gewöhnten glich, wollte sie doch keine andere zu sich nehmen; sie liebte es, sich in jede Lage hinein zu finden und ihre Kräfte zu messen und dem Schicksal kühn die Stirne zu bieten. Sie wollte es versuchen. Aber ihr schwacher Gesundheitszustand und der Mangel an Bewegung erlaubten es nicht auf die Dauer, bei ihrem Vorsatze zu beharren! Ihr Mut liess sie auch das neuerliche Missgeschick ruhig erdulden, aber erschwert wurde es ihr durch die spitzfindige Grausamkeit, mit der man ihr einen Vorgeschmack der Freiheit gegeben hatte, ehe man sie in neue Fesseln schlug! Man legte eine Gesetzesbestimmung falsch aus, um sie willkürlich zurückzuhalten, und sich obendrein dann den Anschein der Gesetzlichkeit zu geben. Madame Roland befand sich in einer Stimmung, in der alle Eindrücke lebhafter und ihre Wirkungen für die Gesundheit viel empfindlicher sind. Sie legte sich zu Bette, ohne schlafen zu können. Sie war immer gewohnt, sich zu beherrschen und fand es töricht, ihren Verfolgern etwas zuzugestehen, indem sie sich von der Ungerechtigkeit verletzen liess! Sie hatten sich mit neuer Schmach bedeckt und eigentlich wenig an der Lage geändert, die sie schon so gut zu ertragen gelernt hatte. Sie hatte Bücher und Zeit! Sie konnte dort leichter als ausserhalb der Gefängnismauern sie selbst sein, sie brauchte sich gar nicht zu verstellen. Schliesslich entrüstete sie sich über sich selbst, wenn sie an ihre überflüssige Erregung dachte. Sie fasste neuen Mut und dachte, die Zeit nützlich zu verbringen; sie war sich ihrer starken Seele bewusst, [129] die auch in Ketten ihre Unabhängigkeit zu bewahren weiss, und die ihre heftigsten Feinde irre führt. Sie nahm auch das Zeichnen wieder auf, das sie seit langem nicht geübt hatte.

Die Frauenabteilung im Gefängnis Saint-Pélagie war von langen, sehr engen Gängen durchquert, in welchen die kleinen Zellen mündeten. Dort wohnte Madame Roland unter einem Dache, in derselben Reihe, nur durch dünne Gipswände getrennt, mit Dirnen und Mördern; knapp neben ihr war eine jener Kreaturen untergebracht, die es als Gewerbe betrieben, die Jugend zu verführen und die Unschuld zu verschachern; über ihr ein Weib, das falsche Assignaten angefertigt hatte, und auf der Landstrasse mit ihren Helfershelfern ein Wesen ihres Geschlechtes in Stücke gerissen hatte! Jede der Zellen war mit grossen Schlössern und Riegeln versehen; in der Früh öffnete immer ein Mann und schaute frech hinein, ob man schon aufgestanden war. Die Insassen der Zellen versammelten sich dann in den Gängen, auf den Stiegen, in dem kleinen Hofe, oder in einem feuchten, übelriechenden Saale, einem würdigen Sammelplatz dieses Auswurfs der Menschheit. Man kann sich vorstellen, dass Madame Roland es vorzog, in ihrer Zelle zu verbleiben, aber die Enge, in der alle zusammengepfercht lebten, konnte das Ohr vor den Reden nicht bewahren, die diese Frauen führten, und die auf Ohren, die derartiges noch nie vernommen hatten, um so schrecklicher wirkten. Dazu kam noch, dass die Gefangenen der Männerabteilung im gegenüberliegenden Gebäude an den Fenstern waren und unanständige Reden, von unanständigen Gebärden begleitet, herüber und hinüberflogen. Das war der Aufenthaltsort, der der würdigen Gattin eines Ehrenmannes vorbehalten war. „Wenn dies der Lohn der Tugend auf Erden ist, so staune man doch nicht mehr über meine Geringschätzung des Lebens und der Entschlossenheit, mit welcher ich dem Tode zu begegnen wissen werde. Niemals ist er mir fürchterlich erschienen, aber jetzt finde ich [130] sogar Reize an ihm! Ich würde ihn mit Entzücken umfassen, wenn mich meine junge Tochter nicht aufforderte, sie noch nicht zu verlassen, wenn mein freiwilliges Abtreten vom Schauplatz der Verleumdung meines Mannes nicht neue Waffen leihen würde, dessen Ruhm ich stärke, wenn man es wagen würde, mich vor das Revolutionstribunal zu fordern. Der Tod, dem ich heiter trotzte, konnte mir im Gefängnis von Sainte-Pélagie nur wünschenswert erscheinen, wenn nicht mächtige Rücksichten mich an die Erde fesselten! Meine Wächter litten bald mehr unter meiner Lage als ich selbst und bemühten sich, sie mir zu erleichtern.“ Madame Roland hatte anfänglich die Absicht, durch Gift ihrem Leben ein Ende zu bereiten, da sie sich aber keines verschaffen konnte, wollte sie Hungers sterben. Doch auch von diesem Gedanken kam sie bald ab.

„Die aussergewöhnlich grosse Hitze im Juli machte meine Zelle unbewohnbar. Die Frau des Kerkermeisters lud mich ein, tagsüber in ihrer Wohnung zu verweilen, ich nahm diese Einladung für die Nachmittage an; damals kam mir der Gedanke, ein Klavier hinkommen zu lassen, das ich in ihre Wohnung stellen liess, mit dem ich mich manchmal zerstreute. Ich wusste Roland in einem friedlichen Zufluchtsort, wo er die Tröstungen und Aufmerksamkeiten der Freundschaft empfing, meine Tochter war bei ehrenwerten Leuten aufgenommen und setzte unter ihrer Aufsicht mit ihren Kindern den Unterricht fort, ihre Erziehung erlitt keine Unterbrechung. Meine flüchtigen Freunde waren in Caen, umgeben von einer ansehnlichen Macht. Derjenige von ihnen, der mir am teuersten war, Buzot, hatte Mittel und Wege gefunden, mir Nachrichten zukommen zu lassen; ich konnte ihm schreiben, ich glaubte, dass ihm meine Briefe zukommen würden. Ich sah das Heil der Republik sich in den Ereignissen vorbereiten; wenn ich mein eigenes Schicksal betrachtete, konnte ich mich noch glücklich dünken. Das Glück hängt weniger von den äusseren Dingen, als von der geistigen Beschaffenheit und dem Empfinden der [131] Seele ab. Ich verbrachte meine Zeit in einer nützlichen und angenehmen Weise, ich sah manchmal die vier Personen, die auch ins Gefängnis l’Abbaye gekommen waren, den braven Grandpré, den seine Stellung zu kommen ermächtigte, den treuen Bosc, der mir aus dem Jardin des Plantes Blumen brachte, deren glänzende Farben, schöne Formen und süssen Gerüche meinen ernsten Aufenthaltsort verschönerten. Dann den empfindsamen Champagneux, der mich so lebhaft aufforderte, zur Feder zu greifen, um meine historischen Notizen fortzusetzen, und dann den guten Engel, der mir Briefe brachte.“

Die Kerkermeisterin Bouchaud hatte es durchgesetzt, dass man Madame Roland von ihrer grässlichen Umgebung befreite und ihr ein kleines Zimmer neben der Wohnung des Kerkermeisters anwies. Madame Roland zierte das Fenster mit Blumen, hinter denen die Gitter verschwanden, das Klavier wurde hineingestellt, ein Schrank und alle Gegenstände, die zum Studium und zur Unterhaltung nötig waren. Für Augenblicke konnte Madame Roland vergessen, dass sie eine Gefangene war. –

„Paris ist wie ein zweites Babel, es sieht ein verdummtes Volk zu lächerlichen Festen strömen, sieht sich die Hinrichtung einer Menge Unglücklicher an, die seinem wilden Misstrauen geopfert werden, während die Egoisten noch die Theater füllen, während die schüchternen Bürger sich zitternd in ihre Wohnungen einsperren, wo sie auch für die Nacht nicht sicher sind, wenn es einem Nachbar beliebt zu behaupten, dass er unbürgerliche Reden gehalten, den Tag des 2. Juni getadelt, über die Opfer der Orleans geweint habe! Oh! mein Vaterland, in welche Hände bist du gefallen! Alle meine Freunde sind geächtet, Roland hat sich nur durch sein Zurückziehen, der härtesten Gefangenschaft vergleichbar, der Wut seiner Gegner entzogen. Nun blieb nur noch übrig, dass die wenigen Freunde die ihn trösten können, Verfolgungen zu erdulden hätten.“

Madame Roland erörtert Pläne über die Erziehung [132] ihrer Tochter und ruft mit einemmale aus: „Aber mein Gott! Ich bin ja eine Gefangene und sie lebt fern von mir. Ich wage es nicht einmal, sie zu mir kommen zu lassen, um sie an mein Herz zu drücken. Der Hass stellt selbst den Kindern jener, die die Tyrannei verfolgt, nach und das meine erscheint kaum in den Strassen mit seinem jungfräulichen Gesichte, mit seinen schönen, blonden Haaren, ohne dass diese lauernden Geschöpfe, zur Lüge abgerichtet oder von ihr verführt, auf sie, als den Sprössling eines Verschwörers, aufmerksam machen. Die Grausamen! Wie sie es verstehen, das Herz einer Mutter zu zerreissen!“

Ein Aufseher kommt eines Morgens in Madame Rolands Stube, er blickt erregt umher, geht und klagt sie an, zählt die Erleichterungen auf, die ihr Madame Bouchaud verschafft. Diese sagt, dass Madame Roland krank sei, dass sie sie deshalb in ihre Nähe gebracht habe, um sie leichter pflegen zu können, überdies spiele sie häufig Klavier, das Instrument hätte aber in ihrer Zelle keinen Platz! Sie wird eben darauf verzichten müssen, sagte der Aufseher und gab den Befehl, dass Madame Roland sofort wieder in ihre Zelle zu gehen habe, und dass die Kerkermeisterin die Gleichheit aufrecht zu erhalten hätte!

„Gleichheit“ nannte er es, wenn Madame Roland mit Dirnen zusammengesperrt wurde! Madame Bouchaud war trauriger, als man es zu schildern vermag. Madame Roland tröstete sie, indem sie ihr viel Ruhe und Ergebung in das Schicksal zeigte. Sie kamen überein, dass Madame Roland im Laufe des Tages wieder hinunterkommen würde, um frische Luft zu schöpfen und sich mit ihren Arbeiten zu zerstreuen. Im Zimmer, das sie bewohnt hatte, blieb alles unberührt.

Indessen füllten sich die Zellen, wo Madame Roland leben musste, mit andern Frauen, mit denen zu verkehren keine Schande bedeutete; mit einigen von ihnen verkehrte Madame Roland sogar sehr gerne.

Am Tag von Brissots Hinrichtung wurde Madame [133] Roland in die Conciergerie transferiert, wo sie in einem stinkenden Raum untergebracht wurde, und auf einem Bett ohne Ueberzug schlief, das ein Gefangener ihr zu leihen so freundlich war. Am andern Morgen wurde sie in der Gerichtsstube vom Richter David verhört, ausser dem Richter war noch der öffentliche Ankläger und ein Geschworener zugegen.


Entwurf zur Verteidigung vor dem Revolutions-Tribunal.


„Die gegen mich erhobene Anklage beruht einzig auf meiner vorgeblichen Mitschuld an den Taten der Männer, die Verschworene genannt werden. Meine Freundschaftsbeziehungen zu einer kleinen Zahl von ihnen, liegen weit zurück von den politischen Begebenheiten, die sie heute strafbar erscheinen lassen. Die Beziehungen, die ich zu ihnen durch Vermittlung, zur Zeit ihrer Abreise von Paris, aufrecht erhalten habe, stehen mit den Begebenheiten in gar keinem Zusammenhange. Ich habe im eigentlichen Sinne des Wortes keine politische Korrespondenz geführt, und in dieser Hinsicht könnte ich mich völlig der Aussage entschlagen, denn ich kann doch unmöglich aufgefordert werden, über meine persönlichen Neigungen Rechenschaft abzulegen. Aber ich kann mich ihrer ebenso wie meiner Aufführung rühmen und ich habe der Oeffentlichkeit nichts zu verheimlichen. Ich werde daher gestehen, dass ich den Ausdruck des Bedauerns über meine Gefangenhaltung bekommen habe, und die Benachrichtigung, dass Duperret für mich zwei Briefe habe, sei es, dass sie vor oder nachdem sie Paris verlassen hatten, geschrieben waren, sei es, dass sie von einem oder zweien meiner Freunde herrühren, ich weiss es nicht. Sie sind mir nicht zugekommen. Duperret hatte sie andern Händen anvertraut und sie sind mir niemals übergeben worden. Ein anderesmal habe ich die dringende Aufforderung erhalten, meine Fesseln zu sprengen, Anbote [134] mir zu helfen, um es mit Erfolg zu tun, durch Mittel, die ich für die passenden halten würde, und um mich hin zu begeben, wo ich es für gut befinden würde. Ich wollte mich zu nichts dergleichen hergeben, ebenso aus Pflichtgefühl, um nicht jene der Gefahr auszusetzen, deren Aufsicht ich anvertraut war, dann aus Ehrgefühl, weil ich es in jedem Falle vorzog, Gefahr zu laufen einen ungerechten Prozess zu haben, als mich mit dem sträflichen Anschein einer für mich unwürdigen Flucht zu bedecken. Ich habe mich freiwillig am 31. Mai verhaften lassen, das geschah nicht, um später zu entspringen.

Das ist alles, worauf sich meine Beziehungen zu meinen geflüchteten Freunden beschränkt habe. Zweifellos hätte ich mir Nachrichten über sie zu verschaffen gesucht, wenn die Verbindungswege nicht unterbrochen worden wären, oder wenn ich durch meine Gefangenschaft nicht daran gehindert wäre, denn ich kenne kein Gesetz, das es mir verbieten könnte. Ach! zu welcher Zeit, bei welchem Volke der Erde sah man jemals[WS 19] die Treue der Gefühle, der Achtung und Brüderlichkeit, die die Menschen aneinander knüpft, zum Verbrechen stempeln? Ich urteile nicht über die Massregeln, die die Geächteten ergriffen haben, ich kenne sie nicht, aber ich glaube durchaus nicht an die bösen Absichten bei jenen, deren Rechtlichkeit, Bürgertugend und deren grossherzige Ergebenheit für ihr Vaterland mir anschaulich dargetan wurde. Wenn sie geirrt haben, so geschah das im guten Glauben; sie unterliegen, ohne erniedrigt zu sein, sie sind in meinen Augen unglücklich, ohne schuldig zu sein. Wenn ich es selbst bin, indem ich Wünsche für ihr Wohl hege, so erkläre ich mich im Angesicht der ganzen Welt dafür. Ich bin um ihren Ruhm nicht in Sorge, und ich willige gern darein, mit ihnen den zu teilen, von ihren Feinden bedrückt zu werden. Ich habe diese Männer, die angeklagt wurden, gegen ihr Vaterland sich zu verschwören, gesehen. Es waren erklärte, aber humane Republikaner, die davon überzeugt waren, dass es guter Gesetze bedürfe, [135] durch die die Republik bei jenen geschätzt wurde, die an ihrer Aufrechterhaltung zweifelten, was tatsächlich schwerer ist, als sie zu töten. Die Geschichte aller Zeiten hat bewiesen, dass es vielen Talentes bedarf, um die Menschen zur Tugend durch gute Gesetze zu leiten, während es genügt, Gewalt anzuwenden, um sie durch den Schrecken zu unterdrücken, oder sie durch den Tod zu vernichten. Ich habe sie behaupten gehört, dass der Ueberfluss wie auch das Glück nur aus einer gerechten, schützenden und wohltätigen Staatsverfassung hervorzugehen vermag, dass alle Macht der Bajonette wohl Angst einzuflössen, aber kein Brot herbeischaffen kann. Ich habe sie von der lebhaften Begeisterung für das Wohl des Volkes beseelt gesehen, sie verschmähten es, ihm zu schmeicheln, und waren entschlossen, lieber als Opfer der Verblendung zugrunde zu gehen, als es zu täuschen. Ich gestehe, dass mir diese Grundsätze und dieses Benehmen völlig verschieden von jenem der Tyrannen oder der Ehrgeizigen erschien, die dem Volke zu gefallen suchen, um es zu unterjochen. Es hat mir die tiefste Ehrfurcht für diese hochherzigen Männer eingeflösst. Dieser Irrtum, wenn er einer ist, wird mich bis ins Grab begleiten und ich werde mich geehrt fühlen, denen zu folgen, die ich nicht begleiten konnte.

Meine Verteidigung, ich darf es wohl sagen, ist für jene, die sich in ehrlicher Weise aufklären wollen, wichtiger als sie es für mich selbst ist. Ruhig und befriedigt im Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben, fasse ich die Zukunft mit Heiterkeit ins Auge. Meine ernsten Neigungen, meine Gewohnheit, zu studieren, haben mich gleicherweise von der Narrheit der Zerstreuung als den Verdriesslichkeiten der Intrigen ferngehalten. Als Freundin der Freiheit, deren Wert mich die Ueberlegung gelehrt hatte, habe ich die Revolution mit Entzücken begrüsst, überzeugt, dass sie die Epoche des Umsturzes der willkürlichen Herrschaft bedeutet, die ich hasse, der Reform der Missbräuche, über die ich so oft geseufzt habe, indem [136] mich das Schicksal der enterbten Klassen rührte. Ich habe die Fortschritte der Revolution mit Interesse verfolgt, ich habe mich über die öffentlichen Angelegenheiten mit Leidenschaft unterhalten, aber ich habe nie die Grenzen überschritten, die mir durch mein Geschlecht gezogen sind. Einiges Talent, genügende philosophische Bildung, mein Mut, der seltener ist und der mir ermöglichte, in der Gefahr den meines Mannes nicht zu schwächen, das ist wahrscheinlich das, was jene, die mich kennen, in diskreter Weise gelobt haben und das mir Feinde unter jenen gemacht hat, die mich nicht kennen.

Roland hat mich manchmal wie einen Sekretär verwenden können, und der berühmte Brief an den König ist zum Beispiel ganz von meiner Hand abgeschrieben, dies wäre ein ganz gutes Aktenstück, das man meinem Prozess beifügen könnte, wenn die Oesterreicher mir den Prozess machten, und wenn sie sich beifallen liessen, die Verantwortlichkeit eines Ministers bis auf seine Frau zu erstrecken. Aber Roland hatte seit langer Zeit seine Kenntnisse und seine Liebe zu den erhabenen Grundsätzen gezeigt, die Beweise existieren in seinen zahlreichen Schriften, die seit 15 Jahren im Druck erschienen sind. Sein Wissen, seine Rechtschaffenheit sind wohl sein eigen und er bedurfte nicht erst einer Frau, um ein weiser Minister zu sein. Niemals sind bei ihm Konferenzen oder sonst geheime Zusammenkünfte abgehalten worden. Seine Kollegen, wer sie auch immer waren, einige Freunde und seine Bekannten versammelten sich einmal die Woche an seinem Tische, dabei unterhielt man sich ganz öffentlich im Gespräch, über das, was alle Welt interessierte. Im übrigen atmen alle Schriften dieses Ministers Liebe zur Ordnung und zum Frieden und legen in einer rührenden Art die besten Prinzipien der Moral und der Politik dar und werden für immer seine Weisheit darlegen, wie auch sein Rechenschaftsbericht seine Reinheit beweisen wird.

Ich komme auf das Vergehen, das mir zur Last gelegt [137] wird, zurück. Ich bemerke, dass ich zu Duperret keine Beziehungen hatte, ich habe ihn während des Ministeriums meines Mannes manchmal gesehen, er ist seit sechs Monaten, seit Roland diesen Posten nicht mehr einnimmt, nicht zu mir gekommen. Ich kann diese Aussage für die anderen Abgeordneten, meine Freunde, wiederholen, was sicherlich mit der Annahme des Einverständnisses und der Verschwörung, die man uns zuschreibt, nicht übereinstimmt. Es ist durch meinen ersten Brief an Duperret klar erwiesen, dass ich gerade an diesen Abgeordneten geschrieben habe, wegen der Schwierigkeit, mich an irgend einen anderen zu wenden, und in dem Gedanken, dass er mir gerne eine Gefälligkeit erweisen würde. Meine Korrespondenz mit ihm war also nicht im voraus beabsichtigt, sie war nicht die Folge irgend einer vorherigen Verbindung, und sie hatte übrigens nur einen besonderen Gegenstand zum Vorwurf. Sie wurde zu einer Gelegenheit, Nachrichten von jenen zu erhalten, die eben abwesend waren, und mit denen ich durch die Freundschaft verbunden war, die völlig unabhängig von jeder politischen Erwägung war. Sie war auch von gar keiner Bedeutung auf die Art der Beziehungen, die ich in der ersten Zeit ihrer Abwesenheit beibehielt. Keine einzige Tatsache legt in dieser Beziehung Zeugnis wider mich ab, jene, die man anführt, würden nur vermuten lassen, dass ich die Ansichten und Gefühle jener teilte, die man Verschwörer nennt. Diese Schlussfolgerung ist begründet, ich gestehe das laut, und rühme mich dieser Uebereinstimmung. Aber ich verlieh ihr keinen Ausdruck, aus dem man mir ein Verbrechen machen könnte und das darauf hinzielte, irgendwie Unruhe zu stiften. Um eine Mitschuld bei irgendwelchem Plan festzustellen, muss man entweder Rat erteilt haben, oder Mittel herbeigeschafft haben; ich habe weder das eine noch das andere getan, ich bin daher dem Gesetz gegenüber nicht strafbar, es gibt keines, das mich verurteilt, es existiert keine Tatsache, die zur Anwendung irgend eines Gesetzes berechtigt.

[138] Ich weiss, dass in Zeiten der Revolution Gesetz und Gerechtigkeit oft vergessen werden, Beweis dafür, dass ich mich hier befinde. Ich verdanke meinen Prozess nur den Vorurteilen, dem heftigen Hasse, der sich in einer grossen Bewegung entwickelt, und für gewöhnlich gegen jene geübt wird, die in die Augen stachen, oder an denen man einige Vorzüge kannte. Es wäre mir bei meinem Mute ein leichtes gewesen, mich der Untersuchung, die ich voraussah, zu entziehen, doch ich fand es angemessener, sie über mich ergehen zu lassen. Ich glaubte dieses Beispiel meinem Vaterlande schuldig zu sein, ich dachte, wenn ich verurteilt werden solle, müsse man der Tyrannei das Gehässige überlassen, eine Frau hinzuopfern, die keine Schuld traf als die, einiges Talent zu besitzen, auf das sie sich nie etwas zugute getan hat, einen grossen Eifer für das Wohl der Menschheit, den Mut, ihre unglücklichen Freunde nicht zu verleugnen und der Tugend mit Gefahr ihres Lebens die Ehre zu geben. Die Seelen, die einige Grösse haben, verstehen es, sich selbst zu vergessen, sie fühlen, was sie der Allgemeinheit schuldig sind und sie fassen sich nur im Spiegel der Nachtwelt ins Auge.

Ich gehöre dem tugendhaften, verfolgten Roland an, ich war mit Männern in Verbindung, die die Verblendung und der Hass der eifersüchtigen Mittelmässigkeit hinopfern liess. Es ist nötig, dass ich, wenn die Reihe an mich kommt, auch zugrunde gehe, weil es den Grundsätzen der Tyrannei entspricht, jene hinzuopfern, die sie gewalttätig unterdrückt hat und alles bis auf die Zeugen der Ausschreitungen auszurotten. In dieser doppelten Eigenschaft schulden Sie mir den Tod und ich bin darauf gefasst. Wenn die Unschuld die Todesstrafe erduldet, zu der sie der Irrtum und die Verderbtheit verurteilt, so gelangt sie zum Ruhme.

Möge ich das letzte Opfer sein, das von der Raserei des Parteigeistes hingeopfert wird. Ich werde mit Freuden diese unglückliche Erde verlassen, die die ehrenhaften [139] Menschen verschlingt und mit dem Blute der Gerechten getränkt wird.

Wahrheit! Vaterland! Freundschaft! Geheiligte Güter, meinem Herzen teuer, empfangt mein letztes Opfer. Mein Leben war Euch geweiht. Ihr werdet mir den Tod gleicherweise sanft und ruhmvoll gestalten.

Gerechter Himmel! Erleuchte dieses unglückliche Volk, für das ich die Freiheit erwünscht habe! … Die Freiheit! Sie ist für die stolzen Seelen, die den Tod verachten und im richtigen Augenblick zu sterben bereit sind. Sie ist nicht für jene schwachen Männer, die mit dem Verbrechen zögern, indem sie ihren Egoismus und ihre Feigheit mit dem Worte Vorsicht bemänteln. Sie ist nicht für die verderbten Männer, die aus der Schlemmerei oder dem Schmutz des Elends hervorgehen, um sich an dem Blute, das vom Schafott herabrieselt, zu berauschen; sie ist für das weise Volk, das die Humanität liebt, die Gerechtigkeit handhabt, die Schmeichler verachtet, die wahren Freunde kennt und die Wahrheit hochhält. So lange Ihr nicht ein solches werdet, oh! meine Mitbürger! werdet Ihr vergebens von der Freiheit sprechen. Ihr werdet nur ein Privilegium haben, dem Ihr als Opfer unterliegen werdet, jeder, wenn die Reihe an ihn kommt. Ihr werdet Brot fordern und man wird euch Leichen geben, und Ihr werdet damit endigen, geknechtet zu sein.

Ich habe weder meine Gefühle noch meine Ansichten verhehlt. Ich weiss, dass eine römische Dame unter Tiberius zum Tode verurteilt wurde, weil sie ihren Sohn beweint hat. Ich weiss, dass in einer Zeit der Verblendung und der Wut des Parteigeistes jeder, der es wagt, sich als Freund der Verurteilten oder Geächteten zu bekennen, sich aussetzt ihr Schicksal zu teilen. Aber ich verachte den Tod, ich habe nie etwas anderes als das Verbrechen gefürchtet. Ich werde meine Tage nicht um den Preis der Feigheit sichern.

Wehe der Zeit! wehe dem Volke, wo die Kraft der verkannten Wahrheit, die Huldigung zu bezeigen, Gefahren [140] auszusetzen vermag. Glücklich die, die fähig sind, ihnen Trotz zu bieten.

An Ihnen ist es jetzt, zu beurteilen, ob es Ihrem Interesse entspricht, mich aus Mangel an Beweisen zu verurteilen, bloss auf einfache Ansichten hin, und ohne Anlehnung an irgend ein Gesetz.“

Als Madame Roland in die Conciergerie überführt wurde, wusste sie, dass sie dem sicheren Tode geweiht sei, von dort kam man nicht mehr lebend fort. Sie bereitete sich auf den Tod mit der ihr gewohnten philosophischen Ruhe vor. Wir bringen hier einige ihrer schönen Abschiedsbriefe:

„An meine Tochter!
13. Oktober 1793.

Ich weiss nicht, mein kleines Schätzchen, ob es mir noch möglich sein wird, dich zu sehen oder dir zu schreiben. Gedenke deiner Mutter. Diese wenigen Worte enthalten alles, was ich dir des Guten sagen kann. Du hast mich glücklich gesehen, durch die Bemühung, meine Pflichten zu erfüllen und jenen, die leiden, nützlich zu sein, man vermag es nur auf diese Weise.

Du hast mich im Unglück und in der Gefangenschaft gefasst gesehen, weil ich die Erinnerung und die Freude fühlte, die gute Handlungen hinterlassen: Nur diese Mittel sind es auch, die es ermöglichen, die Leiden des Lebens und die Wandelbarkeit des Schicksals zu ertragen.

Vielleicht, und ich hoffe es auch, wirst du Prüfungen wie die meinigen nicht ausgesetzt sein, aber es gibt andere, gegen die du dich zu verteidigen haben wirst. Ein ernstes, arbeitsames Leben ist das beste Schutzmittel gegen alle Gefahren. Die Notwendigkeit ebenso, wie die Vernunft, legen dir die Pflicht auf, ernst zu arbeiten.

Sei deiner Eltern würdig, sie hinterlassen dir ein erhabenes Beispiel und wenn du davon Nutzen zu ziehen verstehen wirst, wirst du kein überflüssiges Leben führen.

Leb’ wohl, mein geliebtes Kind, ich möchte dich, die [141] ich mit meiner Milch genährt habe, mit allen meinen Gefühlen durchdringen. Die Zeit wird kommen, wo du beurteilen können wirst, welche Beherrschung ich mir in diesem Augenblick auferlegen muss, um beim Anblick deines sanften Gesichtes nicht schwach zu werden. Ich drücke dich an mein Herz.

Leb’ wohl, meine Eudora!“

An Madame Creuzé la Touche:

„Bürgerin, Sie schulden dem Unglück und Sie verdanken dem Vertrauen ein Gut, das mir sehr teuer ist. Ich glaube an die Vortrefflichkeit der Wahl der Freundschaft, das ist die Grundlage meiner Hoffnungen für den Gegenstand meiner liebevollen Bekümmernis, der meine gegenwärtige Lage schwierig macht.

Der Mut lässt leicht die eigenen Leiden ertragen, aber das Herz einer Mutter ist schwer über das Schicksal eines Kindes zu beruhigen, dem sie sich entrissen fühlt.

Wenn das Unglück ein geheiligtes Gepräge aufdrückt, möge es meine liebe Eudora behüten, ich werde nicht sagen, vor ähnlichen Leiden, wie ich sie empfinde, aber vor denen, die in meinen Augen unendlich mehr zu fürchtenden Gefahren! Möge sie sich ihre Unschuld bewahren, und möge sie eines Tages dazu gelangen, in Frieden und unbeachtet den rührenden Beruf einer Gattin und Mutter zu erfüllen. Sie muss sich dazu durch ein tätiges, geregeltes Leben vorbereiten und zu der Neigung der Pflichten ihres Geschlechtes noch einige Kunstfertigkeiten hinzufügen, die ihr vielleicht einmal von Nutzen sein werden; ich weiss, dass sie bei ihnen hiefür die Mittel findet.

Sie haben einen Sohn, ich wage es nicht, Ihnen zu sagen, dass dieser Gedanke mich beunruhigt hat, aber Sie besitzen auch eine Tochter, und da fühlte ich mich wieder beruhigt. Das heisst einer empfindsamen Seele genug gesagt, einer Mutter, einem Wesen, wie ich Sie mir vorstelle.

[142] Meine Lage bringt starkes Empfinden hervor, sie erlaubt aber nicht einen weitläufigen Ausdruck derselben.

Empfangen Sie meine besten Wünsche und meine Dankbarkeit.

Die Mutter Eudora’s.“


„An mein Dienstmädchen Fleury!

Mein liebes Mädchen, du, deren Treue, deren Dienste, deren Anhänglichkeit mir seit meinem dreizehnten Jahre teuer waren, empfange meine herzlichen Küsse und mein Lebewohl!

Bewahre das Andenken dessen, was ich gewesen bin. Es wird dich über das trösten, was ich erdulde. Die rechtschaffenen Leute steigen zum Ruhme empor, wenn sie ins Grab sinken. Meine Leiden werden enden, besänftige die deinen und denke an den Frieden, dessen ich mich erfreuen werde, ohne dass von nun an irgend wer ihn wird stören können.

Sage meiner Agathe, dass ich die Wonne, von ihr seit meiner Kindheit geliebt worden zu sein, mit mir nehmen, wie auch das Bedauern, ihr meine Anhänglichkeit nicht bezeugen zu können. Ich hätte gewünscht, dir nützlich sein zu können, oder wenigstens dich nicht zu betrüben.

Adieu, mein armes Mädchen, adieu!“


„Und du, den ich nicht zu nennen wage*)[3], du, den man eines Tages besser kennen wird, wenn man unser gemeinsames Unglück schildern wird. Du, den die gewaltigste der Leidenschaften nicht gehindert hat, die Schranken der Tugend zu achten, wirst du dich betrüben, dass ich dir in jene Gegenden vorangehe, wo nichts uns hindern wird, verbunden zu sein? Dort schweigen die unheilvollen Vorurteile, die willkürliche Ausschliessung, die hasserfüllten Leidenschaften und alle Arten von Tyrannei. Ich gehe dich [143] erwarten und mich ausruhen. Bleibe noch hier unten, wenn es einen Zufluchtsort gibt, der für die Ehrenhaftigkeit offen steht, bleibe, um die Ungerechtigkeit[WS 20] anzuklagen, die dich geächtet hat.

Wenn aber das hartnäckige Missgeschick irgend welche Feinde an deine Sohlen heftet, dulde nicht, dass eine gedungene Hand sich gegen dich erhebt, stirb frei, wie du zu leben gewusst hast, und dass der hochherzige Mut, der meine Rechtfertigung bildet, durch deine letzte Tat vollkommen wird. Adieu … Nein, von dir allein trenne ich mich nicht. Die Erde verlassen, heisst, uns einander nähern.

Ihr alle, die mir der Himmel in seiner Güte zu Freunden gegeben hat, wendet eure Blicke und eure Sorgfalt meiner Waise zu. Sie, die junge Pflanze, die aus dem heimatlichen Boden gerissen wurde, der sie genährt hat, sie wird vielleicht besudelt hinwelken, vielleicht in herzloser Weise vom Vorübergehenden verletzt werden. Ihr gabt ihr ein tröstliches und wohltuendes Obdach, möge sie dort erblühen und euch durch ihre Art und ihr Sein entzücken. Ich habe nichts dem hinzuzufügen, was ich kürzlich der edlen Frau schrieb, die so gut sein will meine Stelle bei meinem Kinde zu ersetzen. Der Dienst, den sie und ihr Gatte mir leisten, flösst Gefühle ein, die man über das Grab hinaus mitnimmt und in dieser Welt keinen genug würdigen Ausdruck haben.

Lebt wohl! mein Kind, mein Gatte, mein Dienstmädchen, meine Freunde! Leb’ wohl, Sonne, deren glänzende Strahlen die Heiterkeit in meine Seele gebracht haben und sie sich zum Himmel aufzuschwingen veranlassten. Leb’ wohl! einsames Land, dessen Anblick mich so oft bewegt hat, und Ihr Landbewohner, die Ihr meine Gegenwart segnetet, deren Schweiss ich trocknete, deren Elend ich linderte, deren Krankheit ich pflegte. Leb’ wohl, friedliche Stube, wo ich meinen Geist mit Wahrheit nährte, meine Einbildungskraft mit Studien bezwang und in der Stille der Betrachtung [144] gelernt habe, meinen Sinnen zu gebieten und die Nichtigkeit dieser Welt zu verachten.“

Die Jugendfreundin Madame Rolands, die wir unter dem Mädchennamen Henriette Cannet kennen, war Witwe zur Zeit, als sich Madame Roland in Sainte-Pélagie im Gefängnis befand. Sie besuchte sie dort und bot ihr grossmütig an, statt ihrer aufs Schafott zu gehen. Madame Roland sollte sich durch die Flucht retten, um sich ihrer Familie zu erhalten. Doch lassen wir diese treue Freundin selbst erzählen: „Ich war eine kinderlose Witwe, mein Mann, Herr Vouglans, war 1791 gestorben. Madame Roland hatte einen bereits alten Mann und eine kleine, reizende Tochter, beide bedurfte ihrer Sorgfalt als Gattin und Mutter. Was war natürlicher, als mein unnützes Leben preiszugeben, um das für ihre Familie so wertvolle Dasein zu retten. Ich wollte mit ihr die Kleider wechseln und als Gefangene zurückbleiben, während sie versuchen sollte, unter dem Schutze der Verkleidung hinauszukommen … Wohlan, all mein Bitten, alle meine Tränen hatten nichts zu erzielen vermocht. ‚Aber man würde dich ermorden, meine gute Henriette‘, wiederholte Madame Roland ohne Unterlass; ,dein vergossenes Blut würde auf mich zurückfallen, eher tausend Tode erdulden, als dass ich mir den deinen vorzuwerfen hätte!‘ Als ich sie unerschütterlich sah, sagte ich ihr Lebewohl! Niemals habe ich sie mehr wiedergesehen.“

Dieser edle Zug ehrt ebenso das Andenken Henriettens, als es gleichzeitig das schönste Lob ist, das man Madame Roland erteilen kann. Denn Henriette gehörte einer royalistischen Familie an, teilte diese Anschauungen, und[WS 21] sah mit Schmerz, dass ihre Freundin sich in die revolutionäre Strömung stürzte und ihren Traum einer Republik verwirklichen wollte. Trotz des Eingreifens in die Politik während des Ministerium Rolands bewahrte Henriette ihr dennoch eine unverbrüchliche Freundschaft und ging so weit, ihr das Opfer ihres Lebens bringen zu wollen!

[145] Madame Vouglans heiratete noch einmal und starb in Amiens im Alter von 89 Jahren am 27. Jänner 1838.

Als der Advokat Chauveau-Lagarde zu Madame Roland kam, um sich mit ihr zu beraten, hörte Madame Roland mit ruhiger Miene zu und besprach kaltblütig die zu ihrer Verteidigung[WS 22] vorgeschlagenen Mittel. Dann zog sie gerührt einen Ring von ihrem Finger und reichte ihn ihrem Advokaten, indem sie sagte: „Morgen werde ich nicht mehr sein, ich kenne das Schicksal, das mich erwartet. Ihre Ratschläge sind mir wertvoll, Ihnen könnten sie verhängnisvoll werden. Es hiesse Sie verderben, ohne mich zu retten. Möge ich nicht den Schmerz haben, den Tod eines Ehrenmannes zu verschulden. Empfangen Sie den einzigen Beweis, den meine Dankbarkeit Ihnen darzubieten vermag. Kommen Sie morgen nicht zur Verhandlung, ich würde Sie desavouieren.“

Madame Roland wurde am 9. November 1793[WS 23] (18. Brumaire des Jahres II) vom Revolutions-Tribunal zum Tode verurteilt.

Diesem Urteil gingen der Form halber, und der Sitte dieses entsetzlichen Tribunals gemäss, Verhandlungen voraus, bei denen es Madame Roland nicht gestattet war zu sprechen, und wo diese Söldlinge in die gröbsten Verleumdungen ausbrachen. Diese Verhandlungen wie ähnliche andere, durften nicht zu Protokoll gebracht werden. Nur eine Person gab der Wahrheit die Ehre, wofür sie bald darauf aufs Schafott geschickt wurde. Es war dies der brave Lecoq, der bloss acht Monate lang in Rolands Diensten stand, ein ehrenwerter Mann, der seiner ausgezeichneten Eigenschaften wegen ein besseres Schicksal verdient hätte.

Als das Todesurteil gesprochen wurde, rief Madame Roland ihren Richtern zu: „Ihr haltet mich für würdig, das Los der grossen Männer zu teilen, die Ihr gemordet habt. Ich danke euch, indem ich euch zugleich die Versicherung [146] gebe, dass ich mich bemühen werde, auf dem Wege zum Blutgerüst denselben Mut zu zeigen wie jene.“

Madame Roland schritt zum Schafott, wie es ihre Freunde von ihr erwarteten, das heisst mit der Ruhe einer grossen Seele, die über den Gedanken des Todes erhaben ist, die in sich selbst den Halt hat, um die natürlichen Schauer zu überwinden.

Am Tage, der ihre Verurteilung bringen sollte, hatte sie sich mit Sorgfalt gekleidet. Sie hatte die weisse Farbe als Symbol der Reinheit ihrer Seele gewählt. Sie wartete am Gefängnisgitter, bis die Reihe an sie kam. Mit einer Hand hielt sie die Schleppe ihres Kleides, die andere überliess sie einer Menge von Frauen die sich um sie drängten und ihre Hand küssen wollten. Nicht alle wussten, dass Madame Roland dem sicheren, baldigen Tode entgegenging; diejenigen, die besser unterrichtet waren, schluchzten und empfahlen sie der Vorsehung. Madame Roland antwortete allen mit einer herzlichen Güte. Sie versprach ihnen zwar nicht, wiederzukehren, aber sie sagte auch nicht, dass sie dem Tode entgegenging. Sie forderte sie auf Mut zu fassen, zu helfen, und die Tugend zu üben, die dem Unglück entspricht. Ein alter Kerkermeister, namens Fontenay, der durch seine dreissigjährige Dienstzeit, durch den Anblick so vieler menschlicher Leiden abgehärtet war, weinte, als er für Madame Roland das Gitter aufsperrte, um sie in den Verhandlungssaal treten zu lassen! Zwei Türhüter riefen sie vor das Revolutionstribunal. Bei diesem für jeden anderen als für sie schrecklichen Ruf, schritt sie vorwärts und sagte im Vorbeigehen einem anwesenden Freunde: „Machen wir Frieden, mein Herr, es ist höchste Zeit, Adieu!“ Als sie Thränen in seinen Augen glänzen sah, rief sie ihm noch: „Mut!“ zu.

Der heldenmütige Tod Madame Rolands wurde in der grossen Menge kaum beachtet. Standhaft zu sterben war in jenen Tagen sozusagen etwas gewöhnliches.

Dieser 9. November 1793[WS 24] war ein kalter Tag. Die [147] ihres Blütenschmuckes beraubte, düstere Natur glich der Stimmung vieler Herzen. Zwischen den zwei Gärten mit den entlaubten Bäumen brach die Nacht ein. Es war ½5 Uhr abends. Im Karren sass Madame Roland und ein zweites, zum Tode verurteiltes Opfer, der Direktor der Assignaten-Druckerei, namens Lamarque. Der Karren nahm langsam den gewohnten Weg über den Pont de Change, dem Quai de la Messigerie. Eine Menge Neugieriger sammelte sich wie allemal beim Anblick dieses traurigen Gefährtes in den Strassen an und brüllte: „Auf die Guillotine,“ „auf die Guillotine,“ indem sie mit den Fäusten drohte. Madame Roland rief den schreienden Weibern zu: „Beruhigt euch, Ihr seht ja, dass ich schon auf dem Wege dahin bin. Diejenigen, die mich hinschicken, werden mir bald nachfolgen und Ihr werdet deren Tod geradeso beklatschen, wie Ihr heute den meinigen bejubelt.“

Dem Todeskandidaten neben Madame Roland wurde ganz schwach bei dem wüsten Lärm und vor Schreck über den nahen Tod. Sie hatte Mitleid mit ihm, sie fühlte, dass ihre Sendung als Weib ihr eine letzte Pflicht zu erfüllen auferlegte. Sie war die Trösterin in den Gefängnissen gewesen, sie wurde die Trösterin des Schafottes. Sie sprach mit dem ihr völlig Fremden mit einer Wärme, einem Interesse, der ihm wieder Mut einflösste; sie brachte ihn sogar zum Lächeln.

Die Haltung Madame Rolands während dieses langen Weges, wo wie immer alle Martern der Beschimpfung die armen Opfer fühlen, bildet eine der mächtigsten Erinnerungen der Revolution. Jene wenigen, die sie damals sahen, haben die Erinnerung an sie nie aus dem Gedächtnis verloren.

Vom Pont de Change, während der langen Fahrt über den Quai de la Messigerie, hatte Madame Roland die Wohnung der Phlipons immer im Auge. Die Szenen aus ihrer Kindheit, die sie kurz vorher im Gefängnis so seelenvoll geschildert hatte, konnten im Geiste noch einmal Revue passieren, sie sah das grosse Zimmer, das Atelier, den [148] kleinen Raum, den sie bewohnt hatte, wo sie studierte und die Träume der Jugend geträumt. Wer hatte wohl die Fenster geöffnet? Wer sah sie an? Waren es die lachenden Jahre des Lebens, die ihren letzten Tag grüssten? Waren es die Toten, die sie riefen? Ihre Mutter, Phlipon, das Dienstmädchen, der kleine Onkel? Was erzählten ihr diese Erinnerungen? Sagten sie ihr: „Wenn du fromm und demütig im Herzen gewesen wärest, würdest du leben.“ Oder wiesen sie auf den Ruhm, der auf dem Weg zum Schafott erglänzt und murmelten sie ein Triumphlied: „Du, die den rauhen und gefahrvollen Weg, der über die hohen Gipfel des Lebens führt, den schmalen, dunklen Fusspfad, der sich in Windungen schlängelt und sich im Dunkel verliert, vorgezogen hat, du, die als Opfer deiner Liebe für die Sache des Rechtes und der Gerechtigkeit stirbt. Lass’ gut sein, meine Tochter, heb’ stolz dein Haupt und sei gesegnet“.

Hatte Sie Gewissensbisse oder war sie stolz auf das, was sie getan hatte? Wer kann ihre letzten Gedanken ermessen? Wie schade, dass man ihr an den Stufen des Schafottes Papier und Feder verweigerte, um ihre letzten Empfindungen zu Papier zu bringen.

Goethe sagt darüber folgendes: „Madame Roland auf dem Blutgerüste verlangte Schreibzeug, um die ganz besonderen Gedanken aufzuschreiben, die ihr auf dem letzten Wege vorgeschwebt. Schade, dass man ihr’s versagte; denn am Ende des Lebens gehen dem gefassten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbar; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen“.

Als der Karren vor dem Schafott hielt, sagte sie zu Lamarque, er solle zuerst hinaufsteigen, da er nicht die Kraft haben würde, sie sterben zu sehen. Der Scharfrichter zögerte, seine Zustimmung zu dieser dem Befehl entgegengesetzten Anordnung zu geben. Da sagte Madame Roland lächelnd: „Können Sie einer Frau ihre letzte Bitte verweigern?“

Nun kam die Reihe an sie. Während man sie an das [149] Brett schnallte, hefteten sich ihre Blicke auf die Kolossalstatue der Freiheit, die sich am Revolutionsplatz erhob. „Oh, Freiheit, welche Verbrechen begeht man in deinem Namen,“ rief sie. In diesem Augenblick schwankte das verhängnisvolle Brett und Madame Roland hatte zu leben aufgehört.

Mit Madame Roland starb eine der bewundernswertesten Frauen, die die neuere Zeit hervorgebracht hat und der man auch in vergangenen Jahrhunderten kaum eine Rivalin entgegenzustellen vermag. Sie gehörte zu jenen seltenen Erscheinungen, an denen die Natur ein Vergnügen zu haben schien, ihren Reichtum zu verschwenden und die sie nur in grossen Zeiträumen hervorbringt.

Erhaben in grossen und kleinen Dingen, verband sie Grazie und Mut, Verstand, sanfte Heiterkeit, Anmut und erhabene Aufopferung. Ihr Andenken wird die Zeiten überdauern, ihr Beispiel wird immer in jenen wirksam sein, die an Grosses glauben und sich für Ideen zu opfern bereit[WS 25] fühlen.



Wir wollen dem Leser die merkwürdige Auffindung der schönen Briefe Madame Rolands an ihren Geliebten Buzot nicht vorenthalten.

An einem der letzten Tage des November 1863 kam ein junger Mann zu einem Buchhändler in Paris, Quai Voltaire. Er hatte einen Pack alter Schriften unter dem Arm. Er erzählte, dass er sie in einer Kiste gefunden habe, die ehemals seinem Grossvater gehörte, der ein grosser Liebhaber alter Bücher und Handschriften gewesen sei. Der Buchhändler prüfte, zögerte und weigerte sich den Kauf abzuschliessen, da die Papiere nichts von Interesse enthielten. Der junge Mann versprach wiederzukommen und andere Schriften zu bringen. So kam er wiederholt und brachte [150] jedesmal ein Paket mit, man stapelte alles aufeinander und zahlte ihm schliesslich fünfzig Francs.

Einen Monat später erschien ein Katalog, worin vier Briefe von Madame Roland an Buzot erwähnt waren, ein Brief Buzots an seinen Freund Jérôme Letellier, ungedruckte Memoiren von Louvet, Pétion, die Abschrift von Buzots Memoiren, eine Tragödie von Salles mit Anmerkungen von Barbaroux’ Hand. Dies alles enthielten die scheinbar wertlosen Schriften, die der junge Mann um fünfzig Francs dem Buchhändler überlassen hatte!

Der Vater des jungen Mannes hatte nie eine Erwähnung gemacht, dass die Schriften Wertvolles enthielten. Wo und wann er sie erworben hatte, darüber konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.


Erster Brief von Madame Roland an Buzot.
In der Abbaye, 22. Juni.

Wie oft ich sie wiederlese! Ich drücke sie an mein Herz, ich bedecke sie mit meinen Küssen, ich hoffte nicht mehr, welche zu erhalten. Ich liess vergebens Nachrichten von dir bei Madame Cholet holen, ich schrieb einmal an Herrn Le Tellier in Evreux, damit du von mir ein Lebenszeichen bekommst, aber die Postverbindung ist unterbrochen.

Ich wollte dir nichts direkt senden, da dein Name genügt, dass der Brief unterschlagen wird und ich dich obendrein kompromittieren könnte. Ich bin stolz und ruhig hieher gekommen, ich hegte Wünsche und behielt noch einige Hoffnung für die Verteidiger der Freiheit bei. Als ich von dem Verhaftsbefehl, der über die Zweiundzwanzig verhängt wurde erfuhr, rief ich aus: „Mein Vaterland ist verloren.“ Ich war in den schmerzlichsten Aengsten, bis ich über deine Flucht sicher war; sie haben sich erneuert durch den Verhaftsbefehl, der dich betrifft. Sie sind deinem Mute wohl diese Abscheulichkeit schuldig; seit ich dich im Calvados wusste, habe ich wieder meine Ruhe gewonnen. [151] Setze deine hochherzigen Anstrengungen fort, mein Freund. Brutus verzweifelte zu früh bei der Schlacht von Philippi, an der Rettung Roms. So lange ein Republikaner noch atmet, seine Freiheit hat, seinen Mut besitzt, muss er, kann er nützlich sein. Der Süden Frankreichs bietet dir für alle Fälle eine Zuflucht, es wird das Asyl der ehrenhaften Menschen sein. Dort ist’s, wohin du deine Blicke wenden und deine Schritte lenken muss. Dort wirst du leben müssen, denn dort wirst du deinesgleichen nützen und deine Tugenden ausüben können.

Was mich betrifft, so werde ich ruhig die Rückkehr der Herrschaft der Gerechtigkeit abzuwarten wissen, oder ich werde die letzten Gewalttaten der Tyrannei über mich ergehen lassen, in einer Weise, dass auch mein Beispiel nicht ohne Nutzen sei. Wenn ich etwas gefürchtet habe, so war es nur, dass du für mich unüberlegte Anstrengungen machen wirst.

Mein Freund! Indem du unser Vaterland rettest, kannst du mein Heil bewirken, und ich möchte es nicht auf Kosten des anderen. Aber ich werde zufrieden mein Leben aushauchen, wenn ich weiss, dass du dem Vaterlande wirksam dienst. Tod, Qualen, Schmerzen bedeuten nichts für mich, ich kann es mit allem aufnehmen. Lass gut sein, ich werde bis zu meiner letzten Stunde leben, ohne auch nur einen Augenblick mit der Unruhe würdeloser Aufregung zu verlieren.

Uebrigens, wie immer auch die Wut sei, haben sie doch eine Art Schamgefühl, mein Verhaftsbefehl ist nicht begründet. Sie haben mich mündlich zu geheimer Haft verurteilt, aber sie haben es nicht gewagt, diesen strengen Befehl zu Papier zu bringen. Dank der Menschenfreundlichkeit meiner Wächter geniesse ich gewisse Erleichterungen, die ich verberge, um sie nicht zu kompromittieren. Aber dieses freundliche Verfahren knüpft fester als Ketten, und wenn ich mich auch durch die Flucht retten könnte, würde ich es nicht tun wollen, um den guten Kerkermeister nicht [152] in Gefahr zu bringen, der alle Mühe aufgewendet hat, um meine Gefangenschaft zu erleichtern. Viele Leute sind im Irrtum und vermuten mich in der Conciergerie. Die Tatsache ist die, dass am darauffolgenden Morgen, als ich hieher kam, eine andere Frau meines Namens von hier an jenen Orte transferiert wurde. Ich bewohne dasselbe Zimmer und benütze dasselbe Bett, das sie inne gehabt hat. Mein guter Plutarch, mit dem ich meine Musse erheitere, würde nicht Verfehlen, darin Vorbedeutungen zu erblicken. Die Frau war Angélique Desilles, die Frau von Roland de la Fauchaie, die Schwester desjenigen, der in Nancy ruhmvoll gestorben ist und die vorgestern im Alter von vierundzwanzig Jahren mit grossem Mute am Schafott ihr Leben ausgehaucht hat. Der von amtswegen bestellte Verteidiger beschwor selbst die Unschuld dieses Opfers, dessen sanftes, glücklich gebildetes Gesicht eine schöne Seele verriet.

Ich habe meine ersten Tage dazu benützt, einige Notizen zu schreiben, die dir einstens Freude machen werden; ich habe sie sicheren Händen anvertraut und ich werde dich verständigen, wo sie sich befinden, damit sie dir in allen Fällen nicht unbekannt bleiben. Ich habe meinen Thompson (er ist mir mehr denn in einer Hinsicht teuer), dann Shaftsbury, ein englisches Wörterbuch, Tacitus und Plutarch. Ich führe hier das gleiche Leben, das ich in meinem kleinen Zimmer im Ministerpalais oder sonstwo geführt habe, es ist kein grosser Unterschied. Ich hätte mir ein Musikinstrument kommen lassen, wenn ich nicht das Aufsehen gefürchtet hätte. Ich bewohne eine Zelle von ungefähr zehn Fuss im Quadrat, dort hinter den Gittern und Riegeln erfreue ich mich der Unabhängigkeit der Gedanken, ich rufe mir die mir teuren Menschen in die Erinnerung, ich bin mit meinem Gewissen ruhiger, als meine Bedrücker es mit ihrer Herrschaft sind. Wirst du es glauben, dass mir der heuchlerische Pache hat sagen lassen, dass er von meiner Lage sehr traurig berührt sei. „Sagen Sie ihm, dass ich keine beleidigenden Höflichkeitsbezeugungen annehme, [153] und dass ich es vorziehe, sein Opfer als der Gegenstand seiner Höflichkeit zu sein, was mich entehren würde.“ Das war meine Antwort. Du wirst hier beigefügt auch sehen, was ich an Garat geschrieben habe, es war nicht mein erster Brief, wohl aber ist es mein Ultimatum. Von diesen Leuten ist nichts zu erwarten, man muss sie in die gebührenden Schranken zurückweisen und sie darin der Nachwelt zeigen, das ist alles, was ich zu tun beabsichtige. Wenn ich am 1. Juni nicht an den Konvent geschrieben hätte, hätte ich später diese Massregel nicht ergriffen. Ich habe verhindert, dass Roland seit dem 2. Juni irgend etwas an den Konvent gerichtet hat. Es ist nicht weiter der Konvent für wen immer, der Grundsätze und Charakter hat, ich kenne jetzt in Paris keine Obrigkeit, die ich um etwas bitten würde, ich würde eher in meinen Fesseln verfaulen, als mich derart erniedrigen. Die Tyrannen können mich bedrücken, aber mich erniedrigen niemals, niemals. Die Siegeln sind auf allen meinen Sachen aufgelegt, Wäsche, Kleider, Türen und Fenster, nur ein kleiner Winkel ist für meine Leute zur Benützung frei gelassen. Mein armes Dienstmädchen nimmt zusehends ab, sie macht mir mein Herz bluten, und dennoch gelingt es mir, sie manchmal zum Lachen zu bringen; meine braven Wächter lassen sie von Zeit zu Zeit herein; sie überlassen mir auch am Nachmittag ihre Wohnung, wenn sie nicht selbst da sind, wo ich auch mehr Luft habe als in meiner Zelle.

Meine Tochter ist von einer Familienmutter, der Frau des ehrenwerten Creuzé la Touche, zu sich genommen worden, sie hat sich beeilt, sie wie ihr eigenes Kind aufzunehmen. Der unglückliche Roland war während zwanzig Tagen an zwei Zufluchtsorten, bei zitternden Freunden, vor aller Augen verborgen, gebundener als ich selbst; ich habe mich um seinen Verstand, um seine Gesundheit geängstigt. Er befindet sich jetzt in deiner Nachbarschaft, wie schade, dass es nicht auch, was den Mut betrifft, der Fall [154] ist. Ich wage es nicht auszusprechen, aber du bist der Einzige auf der Welt, der es würdigen kann, dass ich nicht böse bin, verhaftet zu sein!

Sie werden weniger wütend, weniger heftig gegen Roland sein, sagte ich mir. Wenn sie irgend einen Prozess versuchen, werde ich ihn in einer Weise zu unterstützen wissen, die seinem Ruhme nützen wird; es schien mir, dass ich ihm eine Entschädigung leistete, die ich seinem Kummer schuldig war, aber siehst du nicht auch, dass, indem ich mich allein befinde, ich mit dir verbleibe?

So opfere ich mich durch die Gefangenschaft meinem Gatten und erhalte mich meinem Freunde, ich schulde es dem Henker, die Pflicht und die Liebe in Uebereinstimmung setzen zu können. Beklage mich nicht! Die andern bewundern meinen Mut, aber sie kennen nicht meine Freuden; du, der sie fühlen musst, erhalte ihnen all ihren Reiz durch die Beharrlichkeit deines Mutes.

Diese liebenswürdige Frau Goussard! Wie überrascht war ich, ihr sanftes Gesicht zu sehen, mich von ihren Armen umfangen zu fühlen, von ihren Tränen benetzt zu sein, zu sehen, wie sie zwei Briefe von dir aus ihrem Busen zog! Aber ich habe nie in Gegenwart eines Dritten zu lesen vermocht und ich hatte die Undankbarkeit, ihren Besuch lang zu finden, sie wollte eine Zeile von meiner Hand mitnehmen, ich fand es nicht leichter, dir unter ihren Augen zu schreiben und ich ärgerte mich fast über ihren dienstbeflissenen Eifer.

Mein Freund, dein Brief vom 15. zeigt mir jenen männlichen Ton, an dem ich eine stolze und freie Seele erkenne, die mit grossen Plänen beschäftigt ist, erhaben über das Schicksal, fähig der grossherzigsten Entschlüsse, der begründetsten Bestrebungen, ich habe darin meinen Freund wiedererkannt, ich habe alle Gefühle, die mich an ihn binden, erneuert. Der Brief vom 17. ist sehr traurig! Mit welch düsteren Gedanken schliesst er! Nun! wahrlich, es ist sehr wichtig zu wissen, ob eine gewisse Frau nach [155] dir leben wird oder nicht! Es handelt sich darum, dein Leben zu erhalten und es für unser Vaterland nützlich anzuwenden, das übrige findet sich nachher!

Ich erhalte hier die Besuche eines Mannes, Grandpré, der von Roland in seine Stelle eingesetzt wurde, um die Gefängnisse in Augenschein zu nehmen, zu sehen, was dahier vorgeht, die Missbräuche auszuspähen, die Beschwerden in Empfang zu nehmen und alles dem Minister des Innern zu überbringen. Roland hatte diesen Posten geschaffen und ich habe den Mann vorgeschlagen, mit dem er die Stelle besetzen sollte. Es ist dies ein ehemaliger Advokat, für dessen Unglück man mich interessierte und dessen ehrliches Herz, das von Leiden geprüft ist, ausserordentlich für dieses gefühlvolle Amt geeignet ist. Ich hatte ihn schon vergessen. Es ist unmöglich, sich die Rührung vorzustellen, mit der er herbeieilte, sein Anblick war mir sehr angenehm. Da sein Posten ihm Rechte und einen gewissen Einfluss gibt, hat er dem Kerkermeister gegenüber davon Gebrauch gemacht, und zusammen mit der Ehrenhaftigkeit dieses Menschen ist es ihm gelungen, der Tyrannei, die die Gemeinde mir gegenüber ausübt, ein Gegengewicht zu verleihen.

Ich habe seinen Namen Madame Goussard genannt, damit er dem Kerkermeister den Befehl erteile, dass einer deiner Freunde, von dem sie mir sprach, eingelassen werde. Madame Goussard hat mir auch gesagt, dass Barbaroux mir geschrieben habe; ich habe nichts erhalten, es scheint, dass die arme Madame Roland in der Conciergerie die Briefe irrtümlich erhalten hat, ausser man hätte sie unterschlagen und dem Revolutionstribunal übergeben, wo die unglückliche Frau abgeurteilt worden ist.

Wie diese Spitzbuben ihr Gebelfer auf euer vorgebliches Einverständnis mit der Vendée darauf stützen würden; eine Infamie, die sie täglich dem Volke dieser traurigen Stadt wiederholen lassen.

Ich sende an Gorsas einige Druckschriften, die von [156] mir handeln. Ich will nicht, dass du den „Père Duchesne“ liest, er würde dich zu schimpfen veranlassen und es wäre noch ärger gewesen, wenn du die Austräger gehört hättest, die den Text vortrefflich ergänzten.

Die Sektion ist gut, sie hat am 2. Juni nicht mit den andern gehen wollen. Die Bürger haben gesagt, sie wollen ihr Gefängnis behalten. Es waren 10.000 Bewaffnete um das Gefängnis l’Abbaye herum. Der Befehlshaber der bewaffneten Macht ist ein gewisser Jeanson, der ein anständiger Mann sein soll, und der sich genau darüber unterrichtete, ob es wahr sei, dass ich es bin, die transferiert worden sei.

Mögen diese Einzelheiten dir Balsam in dein Herz bringen!

Lass gut sein! Wir können nicht aufhören, gegenseitig der Gefühle würdig zu sein, die wir einander eingeflösst haben. Man kann damit nicht unglücklich sein. Leb’ wohl, mein Freund, leb’ wohl, mein Vielgeliebter!“

[156b]
Lucile Desmoulins.
[157]
Lucile Desmoulins.


Während der letzten Jahre, die der französischen Revolution vorangingen, sah man fast täglich im Park du Luxembourg in Paris ein junges Mädchen in Begleitung ihrer Mutter daselbst spazieren gehen. Die Dame war die wegen ihrer Schönheit berühmte Gattin eines Beamten im Finanzministerium, namens Duplessis, und die kleine schöne Blondine, die so lustig und angeregt mit ihr plauderte, ihre Tochter Lucile.

Das wohlerzogene, immer freundlich blickende Mädchen erregte die Aufmerksamkeit der Spaziergänger und insbesondere die eines armen, hässlichen Studenten, der sich häufig dort befand und immer die Nähe der „anbetungswürdigen Blondine“, wie er sie nannte, suchte. Das war Camille Desmoulins. Er widmete ihr eine unbedingte Zärtlichkeit. Lucile gefielen die Gespräche des jungen Mannes; sie waren geistsprühend und interessant. Sein Stottern störte sie gar nicht. Der arme Student hatte bald das Herz der reichen Erbin erobert, aber ohne Hoffnung sie jemals heiraten zu können, da es unmöglich schien, den Widerstand des Vaters zu besiegen. Die Mutter war ihrer Sache geneigter und begünstigte die Zusammenkünfte der jungen Leute.

Während mehrerer Jahre hatte sie nur den Luxembourg-Park, wo sie sich trafen, wo sie ihre zärtlichen Gefühle austauschen konnten.

In diesem selben Park, wo Lucile als Kind die einsamen Abende gesucht hatte, um zu träumen, wo sie als junges Mädchen den Worten der Liebe gelauscht, dorthin [158] kam sie einige Jahre später, um als Verzweifelte um die Mauern des Palastes umherzuirren, wo ihr Mann als Gefangener auf den sicheren Tod wartete.

Camille Desmoulins hatte am Collège Louis-le-Grand in Paris gleichzeitig mit Robespierre studiert. Beide waren Stipendiaten. Mit fünfundzwanzig Jahren war er Advokat, ohne sein Brot verdienen zu können.

Er hatte kein vorteilhaftes Aeussere, seine Nase war gross, dazu wulstige Lippen und hervortretende Backenknochen. Niemand war von seiner Hässlichkeit mehr überzeugt als Camille Desmoulins selbst. Aber es lag ein Ausdruck in seinen grossen Augen, aus denen das Genie glänzte, und seine kantigen Züge deuteten auf grosse Energie.

Am 12. Juli 1789 sollte er eine Probe davon ablegen. An jenem Sonntag hatte man in Paris grosse Anschlagzettel plakatiert, worin die ruhigen Bürger aufgefordert wurden, sich nicht in den Strassen zu zeigen. Soldatenabteilungen gingen in allen Richtungen. Man hörte das Fortschieben der Kanonen auf dem Pflaster.

Ganz Paris war über die Entlassung Neckers betroffen. „Necker, der volkstümliche Minister, der Retter Frankreichs entlassen!“ Die Reaktion triumphierte. Die ausgehungerte Bevölkerung von Paris empfing die Nachricht dieses Unglücks mit dumpfem Zorn. Gerüchte waren im Umlauf, die nichts Gutes mutmassen liessen. Die Nachricht verbreitete sich, der König wolle dem Adressentwurf der konstituierenden Versammlung kein Gehör schenken, die ihm dringend nahelegte, die fremden Armeen aus der Hauptstadt zu entfernen. Necker hatte dem König im gleichen Sinne Vorstellungen gemacht, worauf er seine Entlassung bekam. Es war gegen 3 Uhr nachmittags, da trat Camille Desmoulins aus dem Café de Foy und schritt durch die Menge, die den Hof des Palais Royal füllte. Das Palais Royal war damals der beliebteste Zusammenkunftsort der feurigsten Patrioten. Er hielt eine Pistole in der Hand, fest entschlossen, sich der „infamen Polizei“ zu widersetzen, falls sie es versuchen [159] sollte, ihn zu verhaften. Die Polizei zögerte, als sie Camille Desmoulins von einer entschlossenen Menge umgeben sah, die ihm als Schutz diente, und so konnte er zu den 6000 Menschen, die sich dort angesammelt hatten, ungehindert reden. Er sagte wenig und ohne rechte Reihenfolge, aber seine Worte entflammten die Herzen und gaben den unbestimmten Gedanken, die die zuhörende Masse erregten, Ausdruck, er sagte: „Bürger, wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Ich komme eben von Versailles, Necker ist entlassen. Diese Entlassung ist für die Patrioten das Allarmzeichen einer neuen Bartholomäusnacht. Heute abends werden die Schweizer- und deutschen Bataillone ausrücken, um uns niederzumetzeln, und es bleibt uns nur eine Rettung übrig, zu den Waffen zu greifen und ein Abzeichen zu nehmen, um uns gegenseitig zu erkennen … Möge jeder als Erkennungszeichen ein Blatt von diesen Bäumen nehmen und wie ich an den Hut stecken. (Sofort waren alle Bäume entlaubt.) Die Stunde ist gekommen, die furchtbare Stunde des Zusammenstosses zwischen den Unterdrückten und den Unterdrückern, und wir haben nur eine Parole: „Frühzeitigen Tod oder ewige Freiheit!“ Lassen wir einen Ruf erschallen: „Zu den Waffen!“ „Zu den Waffen!“ wiederholte die Menge.

Der Mut machte ihre Herzen höher schlagen, der gerechte Zorn glänzte in ihren Augen. Der Aufruhr ergriff, rasch die ganze Stadt … Hunderttausend Männer griffen zu den Waffen, zwei Tage später wurde die Bastille erstürmt und der Aufruhr griff in ganz Frankreich um sich.

Seit jenem glorreichen Tage war Desmoulins Schicksal entschieden, er verliess den Advokatenstand, widmete sich mit Leib und Seele dem politischen Kampf und diente mit seiner Feder der Sache der Revolution. Er verbreitete eine Unzahl Pamphlete, die sich sogleich durch einen lebhaften Stil und den Schwung der Sprache bemerkbar machten. Damals gründete er das „Journal des Revolutions de France et Brabant“.

[160] Von da an begann für ihn ein stürmisches, bewegtes Leben, er kämpfte und litt bis zu jenem Tage, da sein Kopf am Schafott hinabrollen sollte. Aber inzwischen schien ihn ein ganz anderes Leben zu erwarten.

Nachdem Luciles Vater acht Jahre hindurch Camille Desmoulins als Werber abgewiesen hatte, entschloss er sich am 11. Dezember 1789, seine Zustimmung zur Heirat Luciles mit Camille Desmoulins zu geben.

Camille Desmoulins schrieb am selben Tag folgenden Brief an seinen Vater: „Heute, am 11. Dezember, sehe ich mich auf dem Gipfel meiner Wünsche. Das Glück hat mich lange auf sich warten lassen, aber endlich ist es gekommen und ich bin so glücklich, als man es auf Erden sein kann. Die Eltern dieser reizenen Lucile, von der ich Ihnen schon so viel erzählt habe, die ich seit acht Jahren liebe, geben sie mir endlich und weisen mich nicht zurück. Eben kam ihre Mutter, mir diese Nachricht mitzuteilen, wobei sie vor Freude weinte. Die Ungleichheit des Vermögens – Herr Duplessis hat 20.000 Livres Rente – hat bis nun mein Glück verzögert. Ihr Vater war von andern Heiratsanträgen, die man ihr machte, geblendet. Er hatte einen Bewerber mit 100.000 Francs zurückgewiesen, Lucile vordem bereits einen mit 25.000 Livres Rente. Sie werden sie aus der nachfolgenden Schilderung einer Begebenheit kennen lernen. Als ihre Mutter sie mir zugesagt hatte, führte sie mich in ihr Zimmer. Ich warf mich vor Lucile auf die Knie und war überrascht, sie lachen zu hören, da hob ich die Augen zu ihr auf, und sah, dass die ihren in keinem besseren Zustand waren, als die meinen, sie waren voll von Thränen, sie flossen sogar reichlich und dennoch lachte sie noch. Nie habe ich ein so entzückendes Schauspiel gesehen, und ich hätte nicht gedacht, dass die Natur und die Empfindsamkeit diese zwei Gegensätze[WS 26] so zu vereinigen vermag. Ihr Vater sagte mir, dass er unsere Heirat nur deshalb noch herausschiebe, weil er uns vorher die 100.000 Francs geben wolle, die er seiner Tochter versprochen habe, und, dass ich mit ihm, wann es [161] mir beliebt, zum Notar gehen könne. Ich sagte ihm folgendes: „Sie sind ein Kapitalist und haben Ihr ganzes Leben hindurch Geldgeschäfte gemacht, ich mische mich nicht in den Kontrakt, und so viel Geld würde mir beschwerlich fallen. Sie lieben Ihre Tochter zu sehr, als dass es nötig wäre, dass ich für sie ausbedinge. Sie fordern nichts von mir, also setzen Sie den Kontrakt so auf, wie Sie es für gut befinden.“ Er gibt uns überdies die Hälfte seines silbernen Tafelgeschirrs, das 10.000 Francs wert ist. Doch sprechen wir nicht laut darüber. Seien wir im Glück bescheiden!

Senden Sie mir postwendend Ihre Einwilligung und die der Mutter; fahren Sie mit Eilwagen nach Laon, wegen des Dispenses, damit nur ein Aufgebot gleichzeitig in Guise wie in Paris nötig sei. Wir können dann wohl in acht Tagen heiraten. Meine teuere Lucile sehnt sich ebenso wie ich nach der Zeit, in der man uns nicht mehr trennen kann.

Ziehen Sie sich nicht den Hass der Neider durch diese Nachrichten zu und verschliessen Sie gleich mir die Freude in Ihrem Herzen, ergiessen Sie sie höchstens in den Busen meiner lieben Mutter und in dem meiner Geschwister.

Ich bin nun in der Lage, Ihnen zu helfen, und dies bildet einen grossen Teil meiner Freude. Meine Geliebte, meine Frau, also Ihre Tochter und deren ganze Familie drücken Sie an Ihr Herz.

Am 29. Dezember 1791 fand die Trauung in der Kirche Saint-Sulpice nach katholischem Ritus statt, da die Familie Duplessis durchaus darauf bestand.

Ein schlagender Beweis, wie die Revolution gleich Saturn ihre eigenen Kinder verschlang, ist der, dass von den 60 Zeugen, die den Heiratskontrakt Desmoulins und Luciles unterfertigt hatten, nach drei Jahren nur mehr Danton und Robespierre übrig geblieben waren. Alle andern waren im Exil oder auf der Guillotine zugrunde gegangen. Danton und Robespierre sollten ihnen bald folgen.

Die ersten Monate ihrer Ehe waren eitel Sonnenschein [162] und Liebe. Camille Desmoulins war, wie er selbst sagte, der glücklichste der Sterblichen und es blieb ihm nichts zu wünschen übrig. Besonders glücklich verlebten sie die ersten Sommermonate auf dem Landgute der Familie Duplessis in „Bourg-la-Reine“, das sie in „Bourg-de-l’Égalité“ umänderten.

Wie zwei harmlose Kinder genossen sie die Freuden des Landlebens, aller Ernst des Daseins schien für Beide nicht zu existieren. Lucile liebte nach Frauenart, grenzenlos. Wenn sie bei Desmoulins nach Fehlern suchte und welche an ihm fand, so sagte sie: „Wenn ich an Camille Fehler finde, liebe ich sie“. Das ehemals unwissende, romantische Mädchen wurde eine hingebende Gattin, eine reizende Gefährtin, sie begeisterte sich für seine Ideen und Hoffnungen, sie teilte seine Träume und Gefahren.

Während Desmoulins seine Meisterwerke des Geistes und Stils schrieb, schaukelte sich Lucile im Schaukelstuhl und träumte von Glück und Liebe. Meist las er ihr dann seine Artikel vor, oder sie las über seine Schulter gebeugt mit, wenn er schrieb.

Die geistreichen Bemerkungen gefielen ihr, und oft lachten beide über lustige Einfalle, die mit unterliefen.

Diese junge, lachende, naive Frau verstand nicht die ernste Bedeutung der Zeitläufte, in denen sie lebte. In jenen Jahren wurden die Idyllen bald mit Kanonendonner verjagt. Das reizende Kind spielte mit der Revolution, neckte das Ungeheuer, das bald sie und jene, die sie liebte, verschlingen sollte.

Im Salon der Desmoulins trafen die meisten grossen Männer der Zeit zusammen. Danton kam besonders gern in diesen fröhlichen Haushalt und konnte stundenlang das heitere Geplauder und den tollen Uebermut des glücklichen Paares mitgeniessen. Nichtsdestoweniger hatte diese ewige Lacherin von Zeit zu Zeit Anfälle von Melancholie und Traurigkeit. Dann sagte sie: „Wo findet man das Glück, das man sucht? Der Mensch blendet sich. Wenn man sich vergisst, glaubt man glücklich zu sein. Nein, es gibt kein [163] Glück auf Erden. Umsonst laufen wir ihm nach, es ist nur ein Trugbild.“

War dies eine unbestimmte Ahnung der Dinge, die kommen sollten?

Die konstituierende Versammlung hatte befohlen, dass jede Gemeinde in ihrem Rathaussaale einen Altar errichten sollte, wo die Trauungen vollzogen, die Geburts- und Todesanzeigen gemacht werden sollten. Diese drei feierlichen Momente im menschlichen Leben sollten auf dem Altar der Gemeinde geweiht werden. Bald kam die Zeit, wo dieser Altar der einzige im Lande war und das Rathaus der einzige Tempel. Der Rat Mirabeaus wurde befolgt: „Ihr hättet nichts getan, wenn Ihr die Revolution nicht entchristlichen würdet.“

Desmoulins trug seinen kleinen Sohn selbst ins Rathaus. Dies war die erste republikanische Taufe, in der der Kleine den Namen Horaz erhielt.

Desmoulins erklärte im Geburtsschein seines Sohnes folgendes: „Ich wollte mir den Vorwurf ersparen, den mir mein Sohn eines Tages machen könnte, ihn durch Eidschwur an religiöse Ansichten gebunden zu haben, die möglicherweise nicht die seinen werden würden, und ihn seinen Eintritt in die Welt, durch eine leichtsinnige Wahl zwischen 900 und noch mehr Religionen, die die Menschen anerkennen, zu fesseln, zu einer Zeit, da er noch nicht einmal seine Mutter zu erkennen vermochte.“

Wenn Desmoulins von seinen ewigen Scharmützeln müde war, wenn die Gemeinheit, der er auf Schritt und Tritt begegnete, ihn mit Ekel erfüllte, zog er sich in sein friedliches Heim zurück, um sich bei seiner getreuen Gefährtin auszuruhen. Lucile selbst hatte ein Schaudern vor dem öffentlichen Leben, sie begnügte sich mit der bescheidenen Rolle, für Mann und Kind zu leben, ihr Glück, ihre Liebe sollte das einzige Ziel ihres Lebens sein. Doch es kam ganz anders, das Leben stellte grosse Anforderungen an sie, sie wuchs weit über sich selbst hinaus. Aus der harmlosen jungen Frau wurde über Nacht eine Heldin.

[164] Sie war bis zum 10. August 1792 die ehrenhafte, liebende, ihren Mann vergötternde Gattin, die ihm nicht auf den großen Schauplatz der Revolution hinaus folgte, die ihn aber nie hinderte, seine Pflicht zu tun.

Nur einmal warf sie alle Schüchternheit ab, sie verließ ihr stilles Heim, um sich auf den Kampfplatz zu begeben. Als Desmoulins Leben in Gefahr war, konnte sie nichts zurückhalten. Sie kannte nicht weiter falsche Scham noch Angst, sie schreckte vor nichts zurück, nicht einmal vor dem Schafott, um ihren Geliebten zu retten.

Denn die Tage des Friedens und des Glückes waren vorüber, die glücklichen Zeiten waren verschwunden, die Stunde der Versuchung war gekommen. Der 10. August 1792 war der Tag, an dem das Volk von Paris die Tuilerien erstürmte und die alte Dynastie der Bourbonen stürzte. Lucile fühlte da zum erstenmal bewusst, dass der Dienst der Freiheit Opfer an Ruhe und Frieden fordere, dass die Tage der Revolution Tage der Bangigkeit, Aufregung und Sorge sind. Lucile erzählt selbst die Aufregungen der Nacht vom 10. August: „Am 8. August bin ich vom Lande zurückgekommen. Schon gährte es in allen Geistern; ich hatte die Marseiller zu Tisch. Wir unterhielten uns lebhaft. Nach Tisch waren wir bei Madame Danton, sie konnte kaum trauriger sein, als sie es an jenem Tage war, ihr Kleiner war verschüchtert. Danton schien entschlossen, ich lachte wie eine Tolle. Sie fürchteten, dass das Ereignis nicht stattfinden werde; trotzdem ich gar nicht überzeugt war, sagte ich ihnen, dass es stattfinden werde, wie wenn ich es genau gewusst hätte. „Aber wie kann man nur derart lachen,“ sagte Madame Danton zu mir. – „Ach,“ sagte ich, „das ist mir eine Vorbedeutung, dass ich heute abends viele Tränen vergiessen werde.“ Es war schönes Wetter, wir machten die Runde durch mehrere Strassen, es gab da Leute genug, mehrere Sanskülotten gingen vorbei, indem sie schrieen: „Es lebe die Nation!“ Dann kamen Trupps zu Pferde und dann unübersehbare Massen. Die Angst erfasste [165] mich. Ich sagte zu Madame Danton: „Gehen wir fort.“ Sie lachte über meine Angst. Ich sagte zu Dantons Mutter, die auch mit war: „Sie werden bald Sturm läuten hören“ Als ich in Madame Dantons Wohnung zurückkehrte, sah ich dass sich alle bewaffneten, mein lieber Camille kam mit einer Flinte daher. Ach Gott! Ich verbarg mich im Alkoven, ich bedeckte mein Gesicht mit beiden Händen und begann zu weinen. Indessen wollte ich nicht so viel Schwäche zeigen und vor andern zu Camille sagen, dass ich nicht wolle, dass er sich in all’ das einmische; ich passte einen Augenblick ab, wo ich ihn, ohne von andern gehört zu werden, sprechen konnte, und teilte ihm alle meine Befürchtungen mit. Er beruhigte mich, indem er mich versicherte, er werde sich nicht von Danton trennen. Ich habe seither erfahren, dass er sich der Gefahr ausgesetzt hat. Fréron schien entschlossen, unterzugehen. „Ich bin des Lebens müde,“ sagte er, „ich suche nichts als den Tod.“

Beim Anblick jeder Patrouille, die kam, dachte ich die Freunde zum letztenmal zu sehen. Ich verbarg mich im unbeleuchteten Salon, um nicht alle diese Vorbereitungen sehen zu müssen. Unsere Patrioten marschierten ab; ich ging, um mich nahe einem Bette niederzusetzen, ich war niedergeschlagen, wie vernichtet und schlummerte zeitweise ein, und wenn ich sprechen wollte, so redete ich irre. Danton kam, um sich zu Bette zu begeben; er schien nicht sehr eilig, er ging fast gar nicht hinaus. Mitternacht kam heran, man kam mehreremale um ihn zu holen. Endlich ging er ins Rathaus. Im Franziskanerklub läutete man lange Sturm.

Allein, in Tränen gebadet, am Fenster knieend, mein Gesicht in meinem Taschentuch vergraben, horchte ich auf den Klang dieser verhängnisvollen Glocke. – Danton kam zurück. Man kam mehreremale, uns bald gute, bald schlechte Nachrichten zu bringen. Ich glaubte zu bemerken, dass ihre Absicht war, in die Tuilerien einzudringen. Ich sagte es ihnen schluchzend. Ich glaubte in [166] Ohnmacht zu fallen. Madame Robert forderte von allen ihren Mann, „Wenn er zugrunde geht,“ sagte sie, „will ich ihn nicht überleben; aber dieser Danton ist der Vereinigungspunkt, wenn mein Mann umkommt, bin ich fähig, ihn zu erdolchen!“

Camille kam um 1 Uhr zurück und schlief an meine Schulter gelehnt ein. Madame Danton schien sich auf den Tod ihres Mannes gefasst zu machen. In der Früh hörte man Kannonenschüsse. Madame Danton horchte auf, erblasste, sank hin und wurde ohnmächtig.

„Was wird aus uns werden, ach, mein armer Camille? Ich habe keine Kraft mehr um zu atmen. – Mein Gott! wenn es wahr ist, dass du existierst, rette doch die Männer, die deiner würdig sind. – Wir wollen frei sein! Ach Gott! wie teuer das zu stehen kommt.“

Lucile, die sich so in ihrer weiblichen Schwäche zeigte, verstand es, wie eine Heldin zu sterben.

Der 10. August 1792 brachte Camille Desmoulins vorwärts und quartierte ihn, wie er sich selbst ausdrückt, ins Palais der Manpeon und der Lamoignon ein, infolge der Ernennung seines Freundes Danton zum Justizminister und in seiner Eigenschaft als Staatssekretär im Justizdepartement. Er schrieb daraufhin gleich an seinen Vater: „Die Sache der Freiheit hat gesiegt! Trotz aller Ihrer Prophezeiungen, dass ich es nie zu etwas bringen werde, sehe ich mich auf die höchsten Staffel der Beförderung erhoben, die ein Mensch vom Richterstand erklimmen kann. Und weit entfernt, darüber eitel zu sein, bin ich es viel weniger als vor zehn Jahren, weil ich viel weniger wert bin, als ich es damals war, ebenso durch meine Vorstellung, mein Talent und meine Vaterlandsliebe, die ich nicht von der Gefühlsfähigkeit, der Menschenfreundlichkeit und der Liebe zum Nächsten trennen kann; Gefühle, die die Jahre abkühlen …

Die Gallenblase Ihrer Leute in Guise, so voll von Neid, Hass und kleinen Leidenschaften, wird gewiss gegen [167] mich mächtig anschwellen, wenn sie die Neuigkeit, die Sie mein Glück nennen werden, erfahren. Dieses grosse Glück, das mich nur noch melancholischer und sorgenvoller gemacht hat, und mich lebhafter alle Leiden meiner Mitbürger und das menschliche Elend fühlen lässt.

All’ die Dinge haben meine kindliche Liebe gar nicht verringert, und Ihr Sohn wird Ihnen davon Beweise geben. Ich glaube, die Freiheit ist durch die Revolution vom 10. August gefestigt. Es bleibt uns nun nur noch übrig, Frankreich so glücklich und blühend zu machen, als es frei ist. Dafür will ich meine Nachtruhe opfern …“

Seit Anfang des Jahres 1792 liess Desmoulins ein neues Blatt: „Le vieux Cordelier“ betitelt, erscheinen, worin der feine Witz mit vollen Händen ausgestreut war. Bald nahm das Blatt eine ernstere Färbung an und atmete Hass gegen die Henker und war voll Mitleid für die Opfer. Von Abscheu beim Anblick der Szenen, die ihn umgaben, erfüllt, hatte er den Mut, eine Gnaden-Kommission anzurufen.

Dieses Wort stürzte ihn ins Verderben. Er fügte noch hinzu: „Wollen Sie, dass ich die Freiheit anerkenne, dass ich ihr zu Füssen falle, dass ich mein Blut für sie vergiesse? Dann öffnen Sie die Gefängnisse diesen 200.000 Bürgern, die Sie für verdächtig bezeichnen!“ Desmoulins, immer aufrichtig, selbst auf die Gefahr hin, sich zu kompromittieren, unfähig, seine Gedanken zu verbergen, sagte er überall offen, was er dachte. Als ihn eines Tages zwei Freunde beschworen, sich nicht so unzeitgemäss und fruchtlos zu kompromittieren, entwickelte er ihnen die Beweggründe seines Handelns und kam immer mehr in Eifer: „Wenn es nötig ist, so pfeife ich auf Robespierre! Seine halsstarrige Eitelkeit ist mir bekannt, ich werde seinen Bau von Ruhm und Nachwelt umstossen.“

Einst kam es wieder zu ähnlichen Auseinandersetzungen. Lucile sagte: „Lassen Sie ihn seine Aufgabe erfüllen, er soll [168] sein Land retten, wer sich von Ihnen widersetzt, bekommt nichts von meiner Chokolade.“

Die Vorgänge wurden immer düsterer, es kam das Blutbad vom September 1792, dann der Prozess Ludwig XVI., in dem Desmoulins als Mitglied des Nationalkonventes für den Tod des Königs stimmte. Dann kam die Verfolgung der Gironde, und als sie am 31. Mai 1793 vertrieben war, erhob der Schrecken sein Haupt und die Guillotine arbeitete fieberhaft. Desmoulins bekämpfte diese revolutionären Exzesse. Bald ging er noch weiter, er forderte Gerechtigkeit und Milde. Desmoulins erfüllte diese Menschenpflicht auf Kosten seiner Popularität und seines Lebens. Robespierre war mit den ersten Nummern des „Vieux Cordelier“ einverstanden, aber er verzieh Desmoulins niemals diesen Schrei nach Mitleid. Er wurde sein Todfeind. St.-Just sagte in einer Sitzung des Jakobinerklubs: „Das Mitleid, das man den Inhaftierten zeigt, ist ein auffallendes Zeichen von Verrat in einer Republik, die nur auf Unempfindlichkeit fussen kann.“

Desmoulins sagte: „Bedenke, Robespierre, dass die Liebe stärker ist als der Hass und setze dieser Schlächterei ein Ziel.“ Dieser Herzensschrei wurde von Robespierre nicht gehört, er wollte den „Vieux Cordelier“ verbrennen lassen. „Verbrennen heisst nicht antworten,“ war Desmoulins rasche Entgegnung. Robespierre schwieg einige Sekunden verlegen, aber er fühlte seinen Hass bestärkt, als Desmoulins sagte: „Keine Tyrannei ist grausamer als die kleiner Tyrannen.“ Dann fuhr Robespierre erregt auf und sagte: „Wohlan, man verbrenne die Zeitung nicht, aber man verlese sofort die verschiedenen Nummern derselben. Da er es will, so möge er mit Schmach bedeckt werden. Mögen die Anwesenden ihre Entrüstung nicht zurückhalten, da er hartnäckig auf seinen gefährlichen Prinzipien und seinen Schmähschriften besteht. Ein Mensch, der so fest zu seinen perfiden Schriften hält, kann nur irregeführt sein; wenn er ehrlich sein würde, wenn er aus der Einfalt seines Herzens geschrieben hätte, hätte er nicht weiter gewagt, die von den Patrioten verworfenen [169] und von den Kontre-Revolutionären gesuchten Schriften zu verteidigen. Sein Mut ist nur erborgt, er verrät die Männer, unter deren Diktat er sein Blatt schreibt, es verrät, dass Desmoulins das Werkzeug einer verdächtigen Partei ist, die sich seiner Feder bedient, um das Gift mit mehr Verwegenheit und Sicherheit auszustreuen.“

„Du verurteilst mich hier,“ erwiderte Desmoulins, „aber, war ich nicht bei dir? hab’ ich dir nicht die Blätter vorgelesen, indem ich dich im Namen der Freundschaft beschwor, mir mit deinem Rate beizustehen?“ Darauf behauptete Robespierre, er hätte nur ein bis zwei Nummern gelesen und von den andern nichts wissen wollen, damit man nicht behaupten könne, er habe sie diktiert. Ob die Jakobiner Desmoulins wegjagten oder nicht, daran liege ihm nichts, er sei nichts weiter als ein Einzelner, aber worauf es ihm allein ankomme, sei, dass die Freiheit triumphiere und die Wahrheit anerkannt werde.

Es war um Desmoulins geschehen. Lucile, in Tränen gebadet, sieht den Abgrund. Sie ist verzweifelt und weiss nicht, an wen sie sich um Hilfe wenden soll. Sie rechnet auf ihren und Desmoulins Freund Fréron, der fern von Paris weilte. Sie beschwor ihn, Desmoulins zu Hilfe zu eilen und erzählt ihm unter anderem folgendes: „Diese Unholde haben es gewagt, Camille vorzuwerfen, eine reiche Frau geheiratet zu haben …. Ach! mögen sie nur ja nie von mir reden, mögen sie übersehen, dass ich existiere, mögen sie mich am Grund der Wüste leben lassen! Ich verlange nichts von ihnen, ich überlasse ihnen alles, was ich besitze, nur damit ich nicht dieselbe Luft mit ihnen zu atmen gezwungen bin. Mög’ ich sie und alle Leiden, die sie uns verursachen, vergessen können. Das Leben wird mir eine drückende Last … Du süsses, reines Glück, ach! ich bin deiner beraubt. Meine Augen füllen sich mit Tränen, ich verschliesse diesen furchtbaren Schmerz auf den Grund meines Herzens, ich zeige Camille eine heitere Stirn, ich heuchle Mut, damit er welchen zu haben fortfährt!“

[170] Fréron sieht die Dinge nicht so schwer und scherzt sogar in seinem Antwortschreiben.

In der Nacht vom 30. auf den 31. März hörte Desmoulins im Augenblick, als er sich zu Bette begeben wollte, das Geräusch eines aufs Pflaster fallenden Gewehrkolbens: „Man kommt mich verhaften,“ rief er aus und warf sich in die Arme seiner Frau, um sie noch einmal an sein Herz zu drücken, dann ging er, um den Schergen selbst die Türe zu öffnen, die ihn verhafteten und ins Gefängnis von Luxembourg eskortierten.

Am andern Morgen schrieb Desmoulins den ersten Brief an Lucile: „Ich bin in geheimer Haft, aber niemals war ich im Gedanken, in der Vorstellung, dir, deiner Mutter und dem kleinen Horaz näher. Meine Lucile, mein Engel, ich werde die ganze Zeit meiner Gefangenschaft damit verbringen, dir zu schreiben, dann hab’ ich nicht nötig, für anderes die Feder in die Hand zu nehmen.

Meine Rechtfertigung ist in meinen acht republikanischen Bänden ganz enthalten. Das ist ein gutes Ruhekissen, auf dem mein Gewissen einschläft, in Erwartung des Revolutions-Tribunals und des Urteils der Nachwelt. Ach! meine gute Lolotte, sprechen wir von anderen Dingen. Ich sinke in die Knie, ich breite meine Arme aus, um dich zu küssen, aber ich finde nicht meine arme Loulou. Schick’ mir das Glas, worauf ein C. und D., unsere Namen, eingraviert sind und das Buch über die Unsterblichkeit der Seele. Ich habe das Bedürfnis, mich zu überzeugen, dass es einen Gott gibt, der gerechter ist als die Menschen, und dass ich nicht verfehlen werde, dich wieder zu sehen. Rege dich nicht zu sehr über meine Gedanken auf, meine liebe Freundin, ich verzweifle noch nicht an den Menschen und an meiner Befreiung. Oh, meine Geliebte, wir werden uns noch im Luxembourgpark wiedersehen können. Adieu Lucile, adieu Daronne (Lucile’s Mutter), adieu Horaz. Ich kann euch nicht in meine Arme schliessen, aber an den [171] Tränen, die ich vergiesse, scheint es mir, als ob ich euch noch an mein Herz drückte.“

Lucile weinte, als sie diesen Brief las. Als sie ein Freund trösten wollte, sagte sie ihm, es sei überflüssig, sie weine wie ein Weib, weil Camille leide, weil er alles entbehre, weil er sie alle nicht sehen könne, aber sie werde den Mut eines Mannes haben, um ihn zu retten.

„Warum hat man mich frei gelassen? Glauben die Leute, dass ich es nicht wagen werde, meine Stimme zu erheben, weil ich bloss ein Weib bin? Haben sie auf mein Schweigen gerechnet? Ich werde zu den Jakobinern, ich werde zu Robespierre gehen.“

Man erzählt, dass man sie zu allen Tageszeiten gesehen hat, wie sie um das Gefängnis ihres Mannes umherirrte. Sie machte vergebliche Versuche, eine Bewegung in Fluss zu bringen, um ihren Mann zu befreien.

Sie schrieb folgenden Brief an Robespierre: „Bist du es wohl, der es wagt, uns kontrerevolutionärer Pläne und des Vaterlandverrates anzuklagen? Du, der soviel Nutzen aus den Anstrengungen gezogen hat, die wir einzig für das Vaterland machten? Camille hat deinen Dünkel entstehen gesehen, er hat den Weg vorausgeahnt, den du verfolgen würdest; aber er hat sich eurer alten Freundschaft erinnert und ebensoweit von der Unempfindlichkeit deines St.-Just als von deiner niedrigen Eifersucht entfernt, ist er vor dem Gedanken zurückgeprallt, einen Schulfreund, einen Genossen seiner Arbeiten, anzuklagen. Diese Hand, die die deine gedrückt hat, hat die Feder vorzeitig weggelegt, als sie sie nicht mehr halten konnte, um dein Lob niederzuschreiben.

Und du, du schickst ihn in den Tod! Du hast also sein Schweigen verstanden! Er soll dir dafür danken. Das Vaterland hätte es ihm vielleicht zum Vorwurf gemacht; aber Dank dir wird es dem Vaterland nicht unbekannt bleiben, dass Camille Desmoulins gegen alle die Stütze und der Verteidiger der Republik war.

[172] Doch Robespierre, wirst du wohl die verderblichen Anschläge ausführen können, die dir zweifellos niedrige Seelen, die dich umgeben, eingeflösst haben? Hast du jenes Freundschaftsverhältnis vergessen, dessen sich Camille nie ohne Rührung erinnern kann? Du, der uns zu unserer Verbindung beglückwünscht hat, du, der selbst unsere Hände ineinander gelegt hat, der unserm kleinen Sohn zugelächelt hat, dessen Kinderhändchen dich so oft gestreichelt haben, wirst du denn meine Bitte übergehen können, meine Tränen gering achten und die Gerechtigkeit mit Füssen treten?

Denn du weisst es, dass wir das Schicksal nicht verdienen, das man uns bereitet, und das du zu ändern vermagst! Wenn es uns trifft, so ist’s, weil du es befohlen haben wirst. Aber welches ist denn das Verbrechen meines Camille?

Ich verfüge nicht über die gewandte Feder, um ihn zu verteidigen, aber die Stimme der guten Bürger und dein Herz, wenn es empfindsam und gerecht ist, wird für mich sein. Glaubst du, dass man Vertrauen zu dir haben wird, wenn man sieht, dass du deine Freunde hinopferst? Glaubst du, dass man jenen segnen wird, der sich weder um die Tränen der Witwe, noch um den Tod der Waise bekümmert?

Wenn ich St.-Justs Frau wäre, würde ich ihm sagen: „Camilles Sache ist die deine, es ist die aller Freunde Robespierres. Wie weit entfernt war Camille in der Einfalt seines Herzens, das Schicksal, das ihn heute erwartet, zu argwöhnen. Er glaubte, an deinem Ruhme zu arbeiten, indem er auf das aufmerksam machte, was unserer Republik noch fehlt. Man hat ihn ohne Zweifel bei dir verleumdet; denn du konntest ihn nicht für strafbar halten. Bedenke, dass er niemals den Tod eines Menschen von dir gefordert hat, dass er niemals[WS 27] durch deine Macht hat schaden wollen, und dass du sein ältester und bester Freund warst. Selbst wenn er sein Vaterland nicht so sehr geliebt [173] hätte, wenn er nicht so sehr der Republik anhänglich gewesen wäre, denke ich, dass seine Anhänglichkeit für dich die Stelle des Patriotismus vertreten hätte, und du könntest glauben, dass wir dafür den Tod verdienen? Denn ihn treffen, das heisst – –.“

Bei der Einvernahme vor dem Revolutionstribunal antwortete Desmoulins auf die Frage wie alt er sei: „33 Jahre, das Alter des Sanskülotten Jesus.“ Er fühlte sich als ähnlicher Märtyrer, der auch sterben musste, weil er die Menschenliebe gepredigt und gegen die Sklaverei gekämpft hatte. Als er nach dem Verhör in sein Gefängnis zurückgekehrt war, verlor er alle Hoffnung. Er setzte sich hin, um einen Abschiedsbrief an seine Frau zu schreiben, der ein Muster von Beredsamkeit und tiefer Empfindung ist. „Der wohltätige Schlaf hat in meine Leiden eine Pause eintreten lassen. Man ist frei, wenn man schläft. Man hat nicht das Gefühl seiner Gefangenschaft. Der Himmel hat sich meiner erbarmt, es ist nur einen Augenblick her, dass ich dich im Traume sah, ich küsste euch abwechselnd, dich, Horaz und Daronne, die bei uns war. Unser Kleiner hatte durch einen Feuchtausschlag ein Auge eingebüsst und der Schmerz über diesen Unfall hat mich aus meinem Traum aufgeschreckt, und ich sah mich wieder in meiner Zelle. Es tagte schon ein wenig. Da ich dich nicht mehr sehen und hören konnte, denn du und deine Mutter sprachen im Traum zu mir, so stand ich auf, um mit dir zu sprechen und dir zu schreiben. Aber als ich mein Fenster öffnete, hat der Gedanke an meine Einsamkeit, die entsetzlichen Gitter und Riegel, die mich von dir trennen, alle Festigkeit meiner Seele besiegt. Ich bin in Tränen zerflossen, oder vielmehr ich habe geschluchzt, indem ich in meinem Grabe, „Lucile, Lucile, oh! meine liebe Lucile, wo bist du?“ gerufen habe!

Gestern abends hatte ich einen Moment, der mein Herz gleichsam zerriss, es war der, da ich deine Mutter im Park bemerkte. Eine mechanische Bewegung liess mich beim [174] Fenstergitter in die Kniee sinken, ich habe die Hände ineinander gefaltet, wie um ihr Mitleid anzurufen. Sie ergiesst gewiss ihren Schmerz in deinen Busen. Ich sah gestern ihren Kummer, wie sie ihren Schleier übers Gesicht zog, da sie dieses Schauspiel nicht mitansehen konnte. Wenn ihr kommt, so soll sie sich näher zu dir setzen, damit ich euch besser sehen kann.

Schick’ mir dein Bild, Lolotte, ich beschwöre dich. Im Schrecken meines Kerkers wird dies ein Fest für mich sein, ein Tag der Trunkenheit und der Verzückung. Schick’ mir inzwischen eine Locke deines Haares, dass ich sie an mein Herz drücken kann. Nun bin ich wieder in die Zeiten meiner ersten Liebe zurückversetzt, wo mich irgendwer schon deshalb interessierte, weil er von dir kam. Gestern, als der Bürger, der dir meinen Brief überbracht hat, zurückkam, sagte ich ihm: „Wohlan, Ihr habt sie gesehen?“ Ich ertappte mich dabei, wie mein Blick auf seinem Anzug, auf seiner Gestalt haften blieb, als ob etwas von deiner Gegenwart, etwas von dir, daran hängen geblieben wäre.

Das ist eine barmherzige Seele, da er dir den Brief ohne Verzug übergeben hat. Ich werde ihn, wie es scheint zweimal des Tages, früh und abends, sehen. Dieser Bote unserer Schmerzen wird mir eben so teuer, wie es mir ehemals der Bote unserer Freuden gewesen wäre.

Ich habe einen Spalt in meiner Zelle entdeckt, ich habe mein Ohr angelegt, ich habe seufzen gehört; ich habe einige Worte zu sagen gewagt, ich hörte die Stimme eines Kranken, der litt. Er hat mich nach meinem Namen gefragt, ich hab’ ihm ihn genannt. „Ach mein Gott!“ hat er bei diesem Namen ausgerufen, und fiel auf das Bett zurück, von dem er sich erhoben hatte, und ich habe deutlich Fabre d’Églantine’s Stimme erkannt. „Ja, ich bin Fabre,“ sagte er mir, „aber du da? Die Kontrerevolution ist also zustande gekommen?“

Wir wagen indessen nicht miteinander zu sprechen, aus Angst, dass der Hass uns auch dieses schwachen [175] Trostes berauben könnte. Und wenn man uns hörte, wir getrennt und noch strenger überwacht würden. Denn meine Zelle ist heizbar, und sie wäre ganz hübsch, wenn ein Kerker es überhaupt sein könnte.

Aber, meine Geliebte, du kannst dir nicht vorstellen, was es heisst in geheimer Haft zu sein, ohne zu wissen aus welchem Grund, ohne verhört worden zu sein, ohne irgend eine Zeitung zu bekommen. Das heisst leben und gleichzeitig tot sein, das heisst nur existieren, um zu fühlen, dass man sich in einem Sarg befindet. Man sagt, die Unschuld sei gelassen, mutig. Ach! meine liebe Lucile, meine Heissgeliebte! Oft ist meine Unschuld so schwach, wie die eines Gatten, eines Vaters, eines Sohnes! Wenn es Pitt und Cobourg wären, die mich so hart behandelten, aber meine Kollegen, aber Robespierre, der meinen Haftbefehl unterzeichnet hat! Und die Republik, nach all dem was ich für sie getan habe! Das ist der Lohn für alle Tugend, für alle Opfer!

Als ich hieher kam, sah ich Hérault-Séchelles, Simon, Fenoux, Chaumette; sie sind weniger unglücklich, keiner von ihnen ist in geheimer Haft. Ich bin es, der sich seit fünf Jahren so vielen Hass, so vielen Gefahren für die Republik ausgesetzt hat. Ich, der meine Armut inmitten der Revolution beibehalten hat, ich, der von niemandem auf der Welt als von dir, meine Lolotte, um Verzeihung zu bitten habe, und dem du sie gewährt hast, weil du weisst, dass mein Herz, trotz seiner Schwächen, deiner nicht unwürdig ist. Mich werfen die Männer, die sich meine Freunde nennen, die sich Republikaner heissen, in den Kerker, in geheime Haft, wie einen Verschwörer. Sokrates hat den Schierlingsbecher geleert, aber wenigstens konnte er im Gefängnis seine Frau und seine Kinder sehen. Wie hart ist es, von dir getrennt zu sein! Der grösste Verbrecher würde zu hart gestraft sein, wenn er von einer „Lucile“ anders als durch den natürlichen Tod getrennt würde, der nur einen [176] Augenblick lang den Schmerz einer solchen Trennung zum Bewusstsein bringt.

Aber ein Schuldiger wäre nicht dein Gatte gewesen, und du hast mich nur deshalb geliebt, weil ich nur für das Glück meiner Mitbürger lebte … Man ruft mich ab …

Eben haben mich die Untersuchungsrichter vom Revolutionstribunal verhört. Es wurde nur diese Frage an mich gestellt: „Ob ich gegen die Republik konspiriert habe?“ Welcher Hohn! Und man darf so den reinsten Republikanismus beschimpfen? Ich sehe das Schicksal, das mich erwartet. Adieu, meine Lucile, meine teuere Lolotte. Sag’ auch meinem Vater ein Lebewohl von mir. Du siehst in mir ein Beispiel der Barbarei und Undankbarkeit der Menschen.

Meine letzten Augenblicke werden dir nicht Schande machen. Du siehst, dass meine Befürchtungen begründet waren, dass meine Vorahnungen immer begründet waren.

Ich habe eine, durch ihre Tugenden himmlische Frau geheiratet, ich war ein guter Gatte, ein guter Sohn, ich würde auch ein guter Vater geworden sein. Ich nehme die Achtung und das Bedauern aller wahren Republikaner, aller Menschen, die Tugend und Freiheit hochstellen, mit mir. Ich sterbe mit 34 Jahren, aber es ist ein Wunder, dass ich seit fünf Jahren an so vielen Abgründen der Revolution vorbei gekommen bin, ohne hineinzustürzen, dass ich noch lebe und dass ich ruhig mein Haupt auf das Kissen meiner nur zu zahlreichen Schriften lehnen kann, die alle gleicherweise dieselbe Philantropie atmen, vom gleichen Wunsch beseelt sind, meine Mitbürger glücklich und frei zu machen und die das Beil des Tyrannen nicht treffen wird.

Ich sehe wohl, dass die Macht beinahe alle Menschen berauscht, dass alle, wie der Tyrann Dionysius von Syrakus gesagt hat: „Die Tyrannei ist eine schöne Grabschrift.“ Aber tröste dich, betrübte Witwe. Die Grabschrift deines armen Camille ist noch ruhmvoller, es ist die von Brutus und Cato. Oh! meine liebe Lucile, ich war geboren um Verse zu machen, um die Unglücklichen zu verteidigen, um [177] dich glücklich zu machen, um mit dir, deiner Mutter und meinem Vater ein neues Otaheiti zu gründen. Ich träumte von einer Republik, die alle Welt beglückt hätte. Ich konnte nicht glauben, dass die Menschen so grausam und ungerecht seien. Wie konnt’ ich denken, dass einige Scherze in meinen Schriften, gegen meine Kollegen, die mich gereizt hatten, die Erinnerung an meine Dienste auslöschen würde? Ich verhehle gar nicht, dass ich als Opfer dieser Scherze und wegen meiner Freundschaft zu Danton sterbe. Ich danke meinen Mördern, dass sie mich mit ihm und Phélippeaux sterben lassen, und da meine Kollegen genug feige waren, uns preiszugeben und den Verleumdungen Gehör zu schenken, die ich nicht kenne, die aber gewiss die gröbsten sind, so kann ich sagen, dass wir als Opfer sterben, weil wir die Verbrecher öffentlich angeklagt haben, und wegen unserer Liebe zu Wahrheit. Wir können wohl dieses Zeugnis mit uns nehmen, dass wir als letzte Republikaner umkommen.

Verzeihe, liebe Freundin, da ich mein wirkliches Leben im Augenblick verlor als man uns trennte, und ich mich jetzt mit meinem Andenken beschäftige. Ich wollte mich eigentlich damit beschäftigen, es vergessen zu machen, meine Lucile, meine gute Loulou, mein Herzchen. Kränke dich nicht zu sehr über mich, rufe mich nicht, lebe für meinen Horaz, sprich ihm von mir. Du wirst ihm erzählen, das, was er jetzt noch nicht verstehen kann, dass ich ihn sehr geliebt habe.

Trotz meiner Todesstrafe glaube ich, dass es einen Gott gibt. Mein Blut wird meine Fehler und die Schwächen der menschlichen Natur auslöschen, und was gut an mir war, meine Tugend, meine Liebe zur Freiheit, wird Gott vergelten. Ich werde euch einst wiedersehen, oh, Lucile! Oh! Annette!*)[4] Empfindsam, wie ich war, wird mich der Tod wenigstens vom Anblick so vieler Verbrechen befreien. Ist das ein so grosses Unglück? Adieu, mein Loulou, adieu, mein Leben, meine Gottheit auf Erden. Ich [178] lasse dir gute Freunde, alles, was es an tugendhaften und empfindsamen Menschen gibt. Adieu, Lucile! Meine Lucile! Meine liebe Lucile! Adieu, Horaz, Annette, Adele, mein Vater!

Ich fühle, wie die Gestade des Lebens vor mir fliehen. Ich sehe noch Lucile, ich sehe sie, meine Vielgeliebte! Meine Lucile. Meine gefesselten Hände umarmen dich, mein Kopf, fern von dir, heftet noch seine sterbenden Augen auf dich!“

Der Prozess wurde wieder aufgenommen, aber es war nur eine Formalität, die Jury erklärte sich bald als genügend informiert. Das hiess dem Angeklagten den Mund schliessen. Camille war wütend, er erklärte die Richter für Henker, Mörder. Danton warf ihnen Brotkügelchen ins Gesicht. Desmoulins zerriss seine Anklageschrift in Stücke und warf sie dem gehassten Untersuchungsrichter Fouquier-Tinville an den Kopf. Es dauerte nicht lange, so wurde das Urteil verkündet.

Als man kam, um Desmoulins zu fesseln und zum Richtplatz zu führen, schäumte er vor Wut „Wie, von Robespierre gemordet?“ Während der Fahrt schrie er unaufhörlich: „Volk, armes Volk, man betrügt dich, man tötet deine Stützen, deine besten Verteidiger!“ Durch die Heftigkeit seiner Bewegungen waren seine Kleider in Fetzen gegangen. Danton hingegen liess seinen ruhigen Blick voll Verachtung über die heulende Menge schweifen und sagte zu Desmoulins: „Sei doch ruhig, und lass es doch, dieses verächtliche Gesindel!“

Als sie bei Robespierres Haus vorbeikamen, stiess Desmoulins eine Verwünschung aus: „Du wirst uns folgen, dein Haus wird dem Erdboden gleich gemacht werden, man wird dort Salz ausstreuen, wo es gestanden hat.“

Als Desmoulins der Guillotine ansichtig wurde, rief er: „Das ist der Lohn für den ersten Apostel der Freiheit. Die Scheusale, die mich töten, werden mich nicht lange überleben.“

[179] Er starb am 5. April 1794.

Unglückliche Lucile! Wer könnte ihren Schmerz schildern? Hatte sie wirklich in den Gefängnissen agitiert, um einen Aufstand zu gunsten ihres Mannes heraufzubeschwören? Hatte sie sich wirklich mit dem General Dillon zu diesem Zwecke verbunden? Hatte sie tatsächlich eine grössere Geldsumme erhalten, um die Leute damit zu gewinnen? Das alles behauptete St.-Just in seiner Rachsucht, und dies sind die Gründe, die er angibt, um sie in Untersuchung zu ziehen.

Man wird sehen, wie diese junge, lebenslustige Frau mit einemmale, im Angesicht des Unglücks wächst, den Ereignissen gegenüber mutig, gefasst und unerschrocken bleibt. Das schwache, reizende Geschöpf wird mehr Mut und Tapferkeit zeigen als ihr Mann.

Das ist nicht eines der kleinsten Phänomene der Revolution, die Seelen der Frauen auf den höchsten Heroismus gestimmt, ihnen eine so tiefe und ungeheuchelte[WS 28] Verachtung des Todes eingeflösst zu haben.

Nach einen kurzen Verhör wurde Lucile schuldig erkannt und samt dem General Dillon zum Tode verurteilt.

Sie erwartete mit der grössten Kaltblütigkeit ihr Todesurteil und als es gefällt wurde, sagte sie: „Ich werde also in kurzem das Glück haben, meinen Camille wieder zu sehen! Indem ich diese Erde verlasse, wo ich nichts mehr besitze, was mich an das Leben fesselt, bin ich weit weniger unglücklich als Ihr, die Ihr nachher lebend, bald alle Qualen der Gewissensbisse, die das Verbrechen im Gefolge hat, empfinden werdet, bis ein ehrloser Tod euch das Leben rauben wird.“

Ins Gefängnis zurückgekehrt schrieb sie ihren Abschiedsbrief an ihre Mutter: „Gute Nacht, meine liebe Mutter, eine Träne träufelt aus meinem Auge, sie ist für dich. Ich werde im Frieden der Unschuld entschlafen.“

Frau Duplessis schrieb folgenden Brief an Robespierre: „Es ist also nicht genug, deinen besten Freund ermordet [180] zu haben, du willst also auch noch das Blut seiner Frau? Dein Ungeheuer Fouquier-Tinville hat eben den Auftrag gegeben, sie aufs Schafott zu bringen. Zwei Stunden noch und sie lebt nicht mehr. Robespierre, wenn du nicht ein Tiger mit menschlichem Antlitz bist, wenn Camilles Blut dich nicht bis auf den Grad berauscht hat, dass du deinen Verstand verloren hast, wenn du dich noch an unsere innigen Freundschaftsbeziehungen, an die Liebkosungen, die du an den kleinen Horaz verschwendet hast, erinnerst, den du auf den Knieen zu halten dir gefielst, wenn du dich erinnerst, dass du mein Schwiegersohn hättest werden sollen, verschone ein unschuldiges Opfer. Wenn aber deine Wut die eines Löwen ist, komm’ und nimm uns auch, mich, Adele und Horaz, komm’ uns alle drei zerreissen mit deinen noch von Camilles Blut dampfenden Händen, komm’, komm’, und möge ein Grab uns vereinen.

Weib Duplessis.“

Robespierre hat diese Bitte nicht erhört. Diese arme Mutter blieb allein auf Erden zurück und musste noch lange in der traurigen Einsamkeit leben. Sie wehrte jeden Trost und jedes Mitleid ab.

Am 13. April 1794, acht Tage, nachdem Desmoulins seine letzte Reise gemacht hatte, fuhr der rote Karren wieder durch die Strassen von Paris, begleitet vom Hohngelächter und beschimpft von der wahnsinnigen[WS 29] Menge. Im Karren sass Lucile Desmoulins, geschmückt wie eine Braut, ein weisser Schleier war um ihr schönes Haar gewunden, sie sprach ruhig heiter mit einem jungen Mann an ihrer Seite, der auch zum Tode verurteilt war.

Am Richtplatz, im Angesicht des Todes, behielt sie dieselbe Ruhe bei; sie stieg selbst mit einem gewissen Stolz die Stufen des Schafottes hinauf. Sie waren für sie, wie die Stufen eines Altares. Sie würde Camille wiedersehen, dieser Gedanke liess ihr ihr Lächeln. Das war die Gattin die für den Gatten starb. Sie war ein Opfer der Liebe und der edelsten und heiligsten Leidenschaft.

[181] Es gab keinen Mann, von welcher politischen Ansicht immer, dem das Herz bei diesem Tode nicht blutete. Sie war nicht eine Frau der Politik, weder eine Roland, noch eine Corday, sie war einfach ein Weib, ein junges Mädchen, scheinbar ein Kind, dem Aeussern nach.

Ach! Was hatte sie verbrochen? Ihren Geliebten wollte sie retten! Ihren Gatten, den guten Camille, den Advokaten des menschlichen Geschlechtes!

Sie starb um ihrer Tugend willen, die unerschrockene und reizende Frau, in Erfüllung der heiligsten Pflichten!

Lucile Desmoulins gebührt ein Ehrenplatz. Das schelmische junge Wesen verstand zu sterben, wie nur charaktervolle Männer und grosse Frauen zu sterben verstehen.

[182]
Olimpe de Gouges.


Olimpe de Gouges war 38 oder, wie die böse Welt behauptete, 40 Jahre alt, als ihr Haupt unter dem Beil der Guillotine fiel. Am 2. November 1793 unterlag diese Feindin der Schreckensherrschaft[WS 30] dem Hass Robespierres, und ihr heldenhafter Kampf für die Rechte der Frauen war grausam unterbrochen.

Ihr Dasein hatte etwas Seltsames, Ueberspanntes. Trotzdem sie weder lesen noch schreiben konnte, hat sie zahlreiche Bücher veröffentlicht! Sie, die schwache Frau, verstand es, manchem Manne Schrecken einzujagen, und selbst Robespierre machte sie zurückweichen. Sie genoss das Leben in vollen Zügen, aber jeder Augenblick fand sie bereit, es freudig zu opfern. Ihre Gedanken waren nicht immer sehr klar, oft sogar verworren, trotzdem findet man in ihren Werken geistsprühende Stellen, voll von Genialität, aber das meiste in sehr nachlässigem Stil geschrieben.

Sie war in allem, was sie tat, leidenschaftlich, alle ihre Handlungen zeugten von einem heftigen Temperament und glichen wahren Ausbrüchen der Leidenschaft, aber sie waren immer von Aufopferung und Begeisterung erfüllt. Sie bildete ein Gemisch von Grösse und von Lächerlichkeit, von Tugenden und von Fehlern. In jeder Beziehung exzentrisch, brach sie auch die Fesseln, die die Frauen hemmten, und von einem unbändigen Wunsch nach Freiheit getrieben, verstand sie es, die Rechte der Frauen in energischen Broschüren, oder auf der Tribüne des Jakobinerklubs in leidenschaftlichen Reden zu verteidigen. Olimpe de Gouges ist die erste politische Rednerin,

[182b]
Olimpe de Gouges.

[183] von der die Geschichte Erwähnung tut. Unter den Vorkämpfern für die Gleichberechtigung der Geschlechter war sie nicht die erste, aber die tapferste unter allen Frauen der französischen Revolution. Ihr gebührt der Ruhm, die Frauenbewegung zuerst organisiert und zu einem beachtenswerten Faktor im öffentlichen Leben gemacht zu haben.

Marie Olimpe de Gouges wurde 1755 in Montauban geboren. Ihre Mutter war Modistin, nach einer anderen Erzählung Kleidertrödlerin; ihr Vater hatte in der Literatur einen Namen. Man muss dieser Aussage Olimpe de Gouges Glauben schenken, trotzdem sein Name nie enthüllt worden ist. Man behauptete auch, sie sei die Tochter Ludwig XV. Dazu bemerkt sie in ihrem „Testament politique“ folgendes: „Ich bin nicht die Tochter eines Königs, aber die eines mit Lorbeeren gekrönten Hauptes, ich bin die Tochter eines berühmten Mannes, der berühmt ebensosehr durch seine Tugenden, als seine literarischen Talente war. Er hat nur einen Fehler in seinem Leben begangen und dieser traf mich, ich werde aber nichts weiter darüber sagen.“

Mit 15 Jahren heiratete sie einen gewissen Aubry, einen ehemaligen Restaurateur aus Paris, der sich einiges Vermögen erworben und sich dann nach Montauban zurückgezogen hatte, wo ihn die Schönheit der jungen Olimpe festhielt. Mit 16 Jahren war sie bereits Witwe und Mutter eines Knaben. Ihr Mann hatte ihr ein Vermögen von beiläufig 60.000 Francs hinterlassen. In der Blüte ihrer Jahre, leuchtend von Glück und Zauber, voll von Illusionen ging sie unter Beibehaltung ihres Mädchennamens nach Paris. Ihrer südlichen Einbildungskraft hätte weniger als der Nimbus dieser zauberhaften Hauptstadt[WS 31] genügt, um auf sie einzuwirken. Mit ihren romantischen, aberteulichen Ideen wurde sie bald in einen Wirbel von Liebeshändeln hineingedrängt. Sie wurde die Seele aller epikureischen Gesellschaften.

[184] Sie bemühte sich, eine Ninon des XVIII. Jahrhunderts zu werden. Die schöne Olimpe stürzte sich über Hals und Kopf in Vergnügungen und überliess sich dem Aufbrausen ihrer Leidenschaft mit dem gleichen Feuer, als sie Mut zeigte, sie zum Opfer zu bringen, um die strengsten Prinzipien des Republikanismus anzunehmen.

Aber noch ist sie nicht bei der stürmischen Phase ihres Lebens angekommen. Ein anderer Dämon bemächtigte sich noch vorher ihrer, es war der der Literatur. Mit einem Schlage änderte sie ihr Leben voll sinnloser Freuden, das sie in ein Dasein ernster Betrachtungen verwandelte. Trotzdem sie, wie bereits erwähnt, weder lesen noch schreiben konnte, war sie die Verfasserin einer Anzahl von Broschüren, zahlreichen Bänden über die soziale Frage, Theaterstücken, Romanen, Petitionen, die sie ihrem Sekretär diktierte. Sie selbst sagt an irgendeiner Stelle ihrer Werke: „Man hat mich nichts gelehrt, ich wuchs in einer Gegend auf, wo man schlecht französisch spricht, ich kenne nicht einmal die Grundregeln der Sprache, ich weiss nichts, ich rühme mich meiner Unwissenheit. Ich diktiere mit meiner Seele, nie mit meinem Verstande. Der Stempel der angeborenen Fähigkeiten ist jedem meiner Werke aufgedrückt!“ Die Oeffentlichkeit hat diese letztere Behauptung nicht ganz bestätigt. Aber wir werden sehen, dass diese Frau, deren Schicksal es war, inmitten der heftigsten revolutionären Krisen hervorzutreten, deren Dasein ganz Handlung und Beredsamkeit war, die dazu angetan schien, politisch Sturm zu laufen, es auch verstanden hat, ihre Seele von sich zu werfen und sie andern Helden des Dramas zu leihen.

Ohne jede andere Hilfe als die ihrer Begeisterung, ohne vorhergehende Bildung und ohne jedwedes Studium machte sie sich aus dem Stegreif zur Schriftstellerin. Sie dachte, dass die dramatische Laufbahn ihr ein weites Feld des Ruhmes darbieten würde.

Unter den philosophischen Schriften von hohem Interesse, [185] die der Geschmack der Zeit in erster Linie zum Hauptgegenstand machte, beschäftigte sie die Sklaverei der Neger in hohem Masse. Die Leidenschaft, mit der man sich dieser Frage zuwandte, liess vorahnen, dass man bald dazu schreiten werde, sich mit der Sklaverei der Weissen zu beschäftigen. Olimpe de Gouges sagt selbst, wie sie auf den Gedanken gekommen sei, ein Drama, „Die Sklaverei der Neger“, zu schreiben: „Die Darstellung der Grausamkeiten, die die rohen Sklavenhändler an den Unglücklichen ausübten, hatten mein Mitgefühl erweckt. Das Wohlwollen der Oeffentlichkeit hervorzurufen, eine günstige Stimmung[WS 32] für diese Opfer der Habsucht zu erwecken, war die Pflicht, die ich mir auferlegte.“ Das Stück wurde bei seiner Vorlesung einstimmig freundlich aufgenommen, aber die Verfasserin hatte tausenderlei Schwierigkeiten zu überwinden, um die Aufführung zu ermöglichen, die 1788 ohne jeden Erfolg stattfand. Auch mit anderen Stücken hatte Olimpe de Gouges kein Glück, trotzdem sie von grossen, zeitgenössischen Schriftstellern anerkannt worden war.

Olimpe de Gouges hat zwei Romane veröffentlicht, den einen in Briefform, die „Mémoires de Madame de Valmont“, den andern unter dem Titel „Le Prince philosophe“. Beide Romane zeichnen sich durch grosse Erfindungsgabe und Phantasie aus, sind aber in einem gegen alle Regeln verstossenden Stil geschrieben und wimmeln von orthographischen Fehlern. Im „Prince philosophe[WS 33]“ benützte sie eine orientalische Geschichte, um die Rechte ihres Geschlechtes zu verteidigen. Sie selbst behauptet, es sei der gescheiteste, der tollste und gleichzeitig der moralischeste Roman, den sie je geschrieben habe.

„Trotz der Fehler des weiblichen Geschlechtes fühle ich, dass es sich eines Tages erheben wird, um das Joch einer schimpflichen Sklaverei abzuschütteln. Eine Revolution bereitet sich vor, die den Geist und die Seele des einen und des anderen Geschlechtes erheben wird, und beide [186] werden sich in Zukunft vereinigen, um zum allgemeinen Wohle beizutragen.

Das literarische Leben Olimpe de Gouges war eine Kette von Kränkungen und Stürmen, gemischt von kurzen Augenblicken des Ruhmes.

Von nun an öffnet sich ihr ein breiter Schauplatz für ihre Taten. Lassen wir sie darüber selbst sprechen: „Die Zeit nähert sich, in der die Nationalversammlung ein strenges Auge auf die Missbräuche werfen und die Menschen in die Würde ihres Rechtes einsetzen wird. Ein patriotischer Magnet zieht mich nach Versailles. Welch herrliche Aussichten für eine feurige Bürgerseele! Ich brenne darnach, mich in die politische Laufbahn zu stürzen, um die Projekte des öffentlichen Wohls mitauszuführen. Nun lasse ich Komitees, Tratsch, Rollen, Theaterstücke, Schauspieler und Schauspielerinnen, wo sie sind und sehe nur mehr Pläne für das öffentliche Wohl. Die Erinnerung an Plackereien, die ich zehn Jahre mitgemacht habe, widerhallen zum letztenmale in meinem Herzen.“

Was wird die arme Frau, die schon von so vielen Stürmen durchrüttelt wurde, in dem grossen Konflikt, der sich entspinnt, tun? Sie glaubte, dass auch die Frauen ihren tätigen Anteil in der grossen Erörterung der Interessen aller, würden nehmen können, da die Prinzipien der Gleichheit vor dem Gesetze, ohne Ansehen der Person und unbeschränkt, eben feierlich ausgesprochen wurden. Sie sagte sich: „Auch ich werde mit der Feder und der Rede kämpfen“. In jener Zeit sah man aller Orten Klubs und politische Vereine sich bilden, wo die schwierigsten Staatsfragen verhandelt wurden, wo die rücksichtslosesten Bestimmungen verfochten wurden. Und wenn diese auch in keinerlei Weise durch ein Gesetz sanktioniert würden, so gesellten sie sich nichtsdestoweniger der Regierungstätigkeit zu. Diese politischen Vereine waren über ganz Frankreich verbreitet, es gab kaum ein Dorf, einen Marktflecken, wo nicht einer zu finden war. Die revolutionäre [187] Propaganda[WS 34] verfehlte nicht, Mittelpunkte an den entgegengesetztesten Orten des Reiches zu bilden.

Olimpe de Gouges sah alles dies und fasste den Gedanken, politische Frauenvereine zu gründen. Sie war die Erste, die sich auf die von ihr improvisierte Tribüne stellte, wo sich ihre Begeisterung feuriger denn je Luft machte. „Die Gefahr, in der das Vaterland schwebt, reisst mich mit, hebt mich über mich hinaus. Ich habe aufgeschrieen, bin vorgestürzt, ich, ein schwaches Weib, habe mir mit meiner Stimme durch die Vorurteile hindurch Gehör verschafft.“

Wenn man sie dort und in den andern Klubs, und selbst in der Nationalversammlung, reden hörte, wo sie sich der feurigen Eingebung überliess, die Befreiung des Menschengeschlechtes prophezeite, ihre kühnsten Anträge vorschlug, unterstützte und entwickelte und sich manchmal zur Höhe der grössten Meister der Rede erhob, hätte man sie mit einem neuen Leben ausgestattet geglaubt, mit einer höher organisierten Seele ausgerüstet, als sie das schwache Geschlecht besitzt, das sich in den hohen parlamentarischen Kämpfen noch nicht versucht hatte. Sie überraschte, wie ihre Zeitgenossen versichern, durch den Reichtum ihrer Ideen und die Macht ihrer Sprache. Selbst die Nationalversammlung hörte dieser glänzenden Rednerin staunend zu, und verwirklichte vielfach ihre praktischen Anregungen.

Das Altertum besass keine politische Rednerin. Es war der französischen Revolution vorbehalten, dieses Wunder hervorzubringen.

Unerklärliche Schwankungen ihrer Gedanken warfen sie ebenso rasch zurück, als sie sie vorwärts trieben. Heilige Todesangst erfasste sie zu Zeiten für den Thron und Rückfälle der Empfindsamkeit für den König kehrten wieder.

Mit Gutmütigkeit erzählt sie selbst, sie könnte ausgezeichnete Dinge hervorbringen, wenn sie nicht Hirngespinste im Kopfe hätte! Zu diesen kann auch ihre [188] Stellung zu Ludwig XVI. gezählt werden. Bald war sie für ihn, bald gegen ihn!

„Welchen Nutzen haben die Versammlungen? Wer sind dort die Redner? Welche Moral schöpft das Volk aus ihnen? Man lehrt das Volk, sich von seinen Pflichten zu entfernen, man berechtigt es, alles zu unternehmen, sein Elend wächst mit seinem Müssiggang.“

Ein anderesmal fleht sie um die Rückkehr der Prinzen, deren Entfernung sie für die Ursache der Wirren hält. Sie sagte, das Volk solle nicht mit zu grosser Heftigkeit Aeste vom Baume der Monarchie abreissen, damit es nicht mitgerissen werde. Wir werden im Verlaufe noch des öftern sehen, wie sie sich widerspricht und ihre Ansichten ändert!

Als man sie einmal befragte, warum sie keine Zeitung herausgebe, sagte sie, sie könne es deshalb nicht, weil sie zu aufrichtig und zu streng sein würde, und deshalb würde das Blatt nicht durchgreifen.

Als man Olimpe de Gouges versicherte, die Zeitung würde viel Einfluss haben und sie könnte dabei viel Geld verdienen, antwortete sie: „Was das Geld betrifft, so ist mir das ganz gleichgültig, trotzdem ich dessen mehr ermangle als irgend wer anderer, und würde ich mich je entschliessen, eine Zeitung herauszugeben, so würde ich meine Uneigennützigkeit beweisen, indem ich nur das Geld, das zur Bestreitung der Kosten nötig wäre, zurückbehalten würde.“ Als man über den Titel der Zeitung sprach, meinte sie, das Blatt könnte nur der „Ungeduldige“ heissen, der einzige Titel, der der Herausgeberin entspräche!

Inmitten ihrer politischen Arbeiten erfuhr sie alle Arten von Kränkungen und Quälereien, die mit diesem Berufe untrennbar verbunden sind. Bald beschuldigte man sie, einen übertriebenen Republikanismus zur Schau zu tragen, bald fand man, sie sei fanatische Royalistin. Manche gingen sogar soweit zu behaupten, sie hätte sich der Regierung verkauft. Das kränkte sie besonders, und presste ihr den [189] Aufschrei ab: „Ach! der beste Beweis, dass ich mit meinen Arbeiten nie Schacher getrieben habe, ist, dass ich nicht nur meine Ruhe, meine Gesundheit und mein Geld verloren habe, sondern auch, dass ich auf alle Empfindungen des Herzens verzichten musste, was für eine so leidenschaftliche Seele wie die meine, noch mehr bedeutet! Aber was tut’s, ich will alles erdulden, der Beweggrund für all die Opfer ist edel und schön!“

In Wahrheit war sie in ihren Ansichten sehr wechselnd und verworren und hatte keine feststehende, politische Ueberzeugung. Den Girondisten blieb sie nichtsdestoweniger treu, wie die meisten hervorragenden Frauen der französischen Revolution. Sie war mit vielen Girondisten befreundet. Sie bekämpfte die Jakobiner und gab sich der Hoffnung hin, dass die Revolution ohne Blutvergiessen sich vollziehen werde; sie sagte immer: „Dem ersten Tropfen Blut würden Ströme Blutes folgen.“ Bernardin de St.-Pierre nannte Olimpe de Gouges „den Engel des Friedens.“

Dem menschlichen Elend galt ihr schöner Eifer. Ergreifend schilderte sie das Elend im Armenhaus von Saint-Denis, und sie beschäftigte sich mit den Ursachen der wachsenden Verarmung und ihrem Gefolge, der Bettelei. Sie verlangte die Einrichtung öffentlicher Unterstützungskassen. Aber bald fand sie das Almosenempfangen zu erniedrigend und forderte die Errichtung staatlicher Musterwerkstätten für Arbeitslose, ein Gedanke, der teilweise zur Verwirklichung kam. In ihren „Reflexions humaines et patriotiques“ schilderte sie sehr wirksam das Elend des Volkes. Diese Flugschrift erschreckte den Hof und die Reichen. Unterstützungen flossen dadurch sehr reichlich den Handwerkern zu. Sie bot den Ertrag ihrer Arbeiten an, um den Gedanken der Staatswerkstätten verwirklichen zu helfen. Sie war auf diesen Erfolg sehr stolz.

Olimpe de Gouges wünschte die Entwicklung der Revolution nicht, wie die Patrioten sie sich vorstellten, aber ihre Endziele waren die gleichen. Sie hätte einen mit Blumen [190] bestreuten Weg gewünscht. In ihrer Broschüre: „Die Rechte der Frau“ führt sie unter anderem an: „Mann, wer hat dir das Recht gegeben, unser Geschlecht zu unterdrücken? Ueberblicke mit mir die Natur in ihrer ganzen Ausdehnung, und zeige mir, wenn du es wagst, ein Beispiel der willkürlichen Gewalt, die du dir anmassest. Wirf einen Blick auf die ganze belebte Materie, befrage die Elemente, studiere die Pflanzen, prüfe, verfolge und erforsche die Beziehungen der Geschlechter in dem grossen Haushalte der Natur, überall wirst du sie vermischt finden, überall wirken sie in harmonischer Einheit an dem unsterblichen Kunstwerke. Ihr habt eben die Privilegien abgeschafft, beseitigt auch die des männlichen Geschlechtes. Das Volk wird in den Besitz seiner Rechte eingesetzt, die Neger werden befreit, warum befreit man nicht auch die Frauen?

Die Frau ist frei geboren und von rechtswegen dem Manne gleich. Das Ziel jeder gesetzgebenden Gemeinschaft ist der Schutz der natürlichen und unwandelbaren Rechte beider Geschlechter. Diese Rechte sind die Freiheit, das Gedeihen, die Sicherheit und besonders der Widerstand gegen die Unterdrückung. Das Gesetz muss der Ausdruck des allgemeinen Willens sein. Alle Bürgerinnen müssen ebenso wie alle Bürger persönlich oder durch ihre gewählten Vertreter an ihrer Gestaltung teilnehmen. Sie muss für alle die gleiche sein. Da alle Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetze gleich sind, so müssen sie ohne Unterschied des Geschlechtes, ihrer Befähigung entsprechend, zu allen Ehrenämtern, Stellungen in öffentlichen Berufen gleichmässig zugelassen werden; ohne andere Unterscheidung als die ihrer Talente und ihrer Tugenden. Die Frau hat das Recht das Schafott zu besteigen, sie soll das gleiche Recht haben auf der Tribüne zu stehen. Die Rechte der Frau aber sollen der Wohlfahrt aller, und nicht nur dem Vorteil ihres Geschlechtes dienen.

Die Frau trägt ebenso wie der Mann zu den Steuern des Staates bei, sie hat dasselbe Recht wie er, über dessen [191] Verwaltung Rechenschaft zu fordern. Eine Verfassung ist ungültig, wenn nicht die Mehrheit aller Individuen, aus denen die Natur besteht, an ihrer Gestaltung mitgearbeitet hat. – Erwacht ihr Frauen! – Das Sturmläuten der Vernunft lässt sich im ganzen Universum hören. Die Fackel der Wahrheit hat die Wolken der Torheit und Tyrannei zerstreut. Weiber! Weiber! wann werdet ihr aufhören blind zu sein?

Vereint euch! Setzt der Kraft der rohen Gewalt die Kraft der Vernunft und Gerechtigkeit entgegen. Und bald werdet Ihr sehen, wie die Männer nicht mehr als schmachtende Anbeter zu euern Füssen liegen, sondern stolz darauf, die ewigen Rechte der Menschheit mit euch zu teilen, Hand in Hand mit euch gehen werden.“

Olimpe die Gouges war im Juli 1789 Revolutionärin, am 6. Oktober, als sie den König in Paris gefangen sah, wurde sie Royalistin und im Juni 1791, unter dem Eindruck der Flucht und des Treuebruchs Ludwig XVI., wurde sie Republikanerin. Sie wurde dem König wieder geneigt, als man ihm den Prozess machte, und schrieb, bloss aus dem Gefühl des reinsten Mitleids heraus, ohne auch nur einen Augenblick an die Gefahr zu denken, die sie damit für sich selbst heraufbeschwor, an den Präsidenten des Nationalkonventes einen Brief zur Verteidigung des Angeklagten, dem wir folgende Stelle entnehmen: „Ich halte Ludwig XVI. als König für schuldig, aber einmal dieses abgeschafften Titels entäussert, hört er auf in den Augen der Republik[WS 35] strafbar zu sein. Seine Vorfahren haben in Frankreich den Kelch des Leidens voll gemacht. Unglückseligerweise ist der Kelch in seiner Hand geborsten und alle Scherben sind auf sein Haupt zurückgeprallt. Ich könnte noch hinzufügen, dass er ohne die Verderbtheit des Hofes vielleicht ein tugendhafter König geworden wäre. Es genügt, sich daran zu erinnern, dass er die Vornehmen hasste, dass er es verstanden hat, sie zu zwingen, ihre Schulden zu zahlen, und dass er der einzige unserer Tyrannen war, [192] der keine Buhlerin hatte und einer einfachen Lebensführung huldigte.

Er war schwach und er wurde betrogen, er hat uns betrogen, er hat sich selbst betrogen. Das ist in zwei Worten sein Prozess!“ Sie forderte vom Nationalkonvent und Ludwig XVI., zu seiner Verteidigerin neben seinem männlichen Verteidiger zugelassen zu werden. „Was liegt am Geschlecht, die Seele bedeutet alles,“ meinte sie. Sie forderte das Exil und nicht den Tod des Königs. Zum Schlusse sagte sie: „Es genügt nicht, den Kopf eines Königs abzunehmen, um ihn zu tödten, er lebt noch lange nach seinem Tode; aber er ist wirklich tot, wenn er seinen Sturz überlebt.“

Man spottete über ihre politische Inkonsequenz. Mit ihrer südlichen Heftigkeit forderte sie die Spötter auf Pistolen.

Schon hatte Olimpe de Gouges einigen einflussreichen Mitgliedern der Bergpartei durch ihre monarchische Richtung und wegen einiger Reden, voll von Eigenmächtigkeit und Verachtung, missfallen. Sie verteidigte sich gegen die Angriffe mit dem grössten Mute und trieb ihre Tollkühnheit soweit, Robespierre selbst anzugreifen. Erst schrieb sie ihm einen Brief voll bitterer Anklagen und sprach ihm alle Tugenden und Talente ab. Sie stellte ihn nur als einen Schädling des Vaterlandes dar. Damit noch nicht genug, liess sie am gleichen Tage, an dem sie ihm geschrieben hatte, am 5. November 1792, einen Anschlagzettel plakatieren, worin sie ihn mit neuen Verwünschungen überschüttet. Sie beschuldigte ihn, er wolle Roland, Pétion, Vergniaud und alle Girondisten, diese Leuchten der Republik und des Patriotismus[WS 36], hinmorden, um sich über Haufen von Toten einen Weg zu bannen und auf der Leiter der Mordtaten und der Meuchelei zu der höchsten Stelle zu gelangen.

„Plumper und niedriger Verschwörer! Sein Szepter wird die Lilie der Angst vor der Folter und sein Thron [193] das Schafott sein.“ Zum Schluss wirft sie ihm den Fehdehandschuh hin: „Bezeichne hier den Tag, die Stunde und den Ort des Zweikampfes, ich werde mich dahin begeben!“

Von da an war der Untergang Olimpe de Gouges beschlossen! Sie sagt es selbst in der Widmung ihrer Werke an Philippe Égalité: „Meine Tage sind gefährdet, ich wende mich an dich, damit du sie in Schutz nimmst. Doch[WS 37] du weisst ja, dass ich den Tod nicht fürchte; aber ich will rühmlich sterben, und wenn ich es vermag, werde ich noch in meinen letzten Augenblicken dem Vaterlande dienen.“

Sie sagte einmal. „Ich weiss, dass ich mit meiner Sprache zwei Armeen von Feinden, die Dummen und die Unwissenden, gegen mich in Aufruhr versetze. Aber das Opfer meines Lebens bedeutet nichts. Wenn es sich darum handelt das Vaterland zu retten, so ist eine schwache Frau von keinem andern Interesse begeistert. Keine Rücksicht kann mich bestimmen von der Veröffentlichung meiner Schriften abzustehen. Wenn sie mich dem Tode weihen, fliege ich zum Pantheon auf!“ Sie nannte die Frauen „Gebeugte Wesen, die durch Jahrhunderte unter dem Joche männlicher Vorurteile schmachten“.

Eine kleine, für Olimpe de Gouges so bezeichnende Geschichte soll hier ihren Platz finden. Eines Tages war sie mit ihrem Sohne aufs Land spazieren gegangen. Am Rückweg war sie sehr ermüdet und konnte keinen Wagen finden; da wurde ihr von einem Fremden ein Platz in dem seinigen mit so viel Liebenswürdigkeit angeboten, dass sie annahm. Der Zufall wollte es, dass sie der Gegenstand des Gespräches der andern Wageninsassen war. Ein Mensch behauptete, er kenne Madame de Gouges sehr genau, er hatte keine Ahnung, dass sie ihm so nahe sass! Er sagte: „Dieses Weib spielt den Schöngeist.“ Worauf ihn Olimpe de Gouges fragte, ob er sie wirklich so genau kenne? „Sicherlich,“ antwortete der Gefragte, „ihr Mann war Restaurateur, sie wollte seinen Namen nicht tragen. Man weiss gar nicht, von wem sie abstammt. Und was ihre Arbeiten [194] betrifft, hat sie, würden Sie das glauben, niemals einen einzigen Gedanken davon selbst gedacht. Sie kann nicht einmal lesen; man macht alles für sie, man erkünstelt sogar eine gewisse Nachlässigkeit, einen mangelhaften Stil, um noch mehr den Glauben zu erwecken, es sei von ihr.“ „Indessen,“ antwortete Madame de Gouges, „habe ich sie selbst in Gegenwart anderer Theaterstücke verfassen gesehen, sie hat sogar einmal eine Wette damit gewonnen.“ Der liebenswürdige Reisegenosse war um eine Antwort nicht verlegen. „Ach, gnädige Frau, das Stück war da schon fertig, man hatte sie es auswendig lernen lassen!“ Als ihn Olimpe de Gouges fragte, ob er dessen ganz sicher sei, erwiderte er, dass er es auf eine Wette ankommen lasse; sie würde es nicht wagen, in seiner Gegenwart sich zu brüsten, denn er selbst habe für sie bereits ein Theaterstück verfasst. Ueberdies versicherte er auch noch, aus Erfahrung zu sprechen, da er zu einem ihrer erhörten Verehrer gehöre.

Madame de Gouges hielt an sich und sagte erst, nachdem sie ans Ziel gelangt war und den Wagen verlassen hatte, zu dem frechen Aufschneider: „Mein Herr, ich habe Ihre albernen Reden mit der Ruhe eines Philosophen, dem Mut eines Mannes und dem Auge eines Beobachters angehört; ich bin jene Frau de Gouges, die sie niemals gekannt haben und die zu kennen sie nicht im stande sind. Ziehen sie Nutzen aus der Lektion, die ich ihnen gebe; man findet leichtlich Männer Ihrer Spezies, aber es bedarf der Jahrhunderte, um ein Weib von meinem Schlage hervorzubringen.“

Von unheilvollen Ahnungen erfüllt, schrieb Olimpe de Gouges am 4. Juni 1793 ihr „Testament politique“, worin es unter anderem heisst: „Oh! Vorsehung, ich rufe dich an, die Menschen sind nicht mehr im stande, mich zu begreifen. Beschleunige das Ende meiner Tage. Meine Augen sind müde vom schmerzlichen Anblick ihrer Uneinigkeit, ihrer verbrecherischen Kabalen und können die Gräuel [195] nicht mehr ertragen. – Wenn du, um die Rache voll zu machen, in dieser grossen Aechtung noch des reinen, fleckenlosen Blutes bedarfst, nimm das einer Frau, nimm meines. Alle Schätze der Welt, das All’ zu meinen Füssen bezwungen, die Dolche aller Mörder über meinem Haupte gezückt, nichts könnte jenen Bürgersinn, der in meiner Seele brennt, verlöschen.“

Einmal im Zuge, hielt Olimpe de Gouges nicht mehr inne. Nachdem sie Robespierre und Marat in so heftiger Weise angegriffen hatte, warf sie ihnen neuerlich die Broschüre „Trois urnes, ou le salut de la Patrie“ an den Kopf, worin alles, was der Hohn an Bitterkeit und Heftigkeit anzusammeln vermag, mit vollen Händen ausgestreut war.

In dieser Broschüre beantragte sie den Volksbeschluss über diese drei Formen: „Republikanische einig und unteilbare Regierung, bundesmässige oder monarchische Regierung“. Mit dem Aufwerfen dieser Fragen war es so gut wie sicher, dass der erste Paragraph des Gesetzes vom 29. März ihr gegenüber angewendet werden würde, der besagt, dass: „Jedermann, der von der Schuld überführt worden sein wird, Werke verfasst oder zum Drucke befördert zu haben, die zur Auflösung der Nationalversammlung und zur Wiedereinsetzung des Königtums aufreizen würden, oder eines jeden andern frevelhaften Attentates auf die Volkssouveränität überführt sein wird, vor das Revolutionstribunal gefordert und mit dem Tode bestraft werden wird.“

Mehr als drei Monate kämpfte und litt sie ganz allein. Am 22. Juli hatte man sie zum zweitenmale verhört. Am 6. August wurde sie vor das Revolutionstribunal geführt, um in geheimer Verhandlung vom Richter Ardouin vernommen zu werden. Man führte sie daraufhin wieder in das Militärgefängnis l’Abbaye zurück. Sie gab an, krank und jeder Pflege bar zu sein, worauf man sie in das Gefängnis „Petite Force“ transferierte. Aber im Gefängnis l’Abbaye hatte sie ihre Sache noch verschlimmert, sie hatte sich nicht [196] zurückhalten können, einen Anschlagzettel zu diktieren: „Olimpe de Gouges an das Revolutionstribunal,“ mit einer Sprache voll von Unerschrockenheit und Heftigkeit, „Robespierre ist mir immer wie ein Ehrgeiziger ohne Genie, ohne Seele erschienen. Ich sah ihn immer bereit, die ganze Nation zu opfern, um zur Diktatur zu gelangen. Ich konnte diesen wahnsinnigen und blutgierigen Ehrgeiz nicht ertragen, und ich habe ihn verfolgt, wie ich alle Tyrannen verfolgt habe.“

Sie war erstaunt, als sie am 2. November zum Tode verurteilt wurde! Das Urteil wurde am Morgen gefällt. Der Advokat, den sie sich gewählt hatte, war nicht erschienen. Sie musste sich selbst verteidigen. Sie entledigte sich gut, geschickt und heftig dieser schwierigen Aufgabe. Aber was half es! Die Broschüre „Les trois urnes“ und überdies das Plakat, das sie im Gefängnis l’Abbaye geschrieben hatte, kosteten sie von vornherein den Kopf.

Nach der Urteilsverkündigung rief sie aus: „Meine Feinde werden nicht die Freude haben, mein Blut zu vergiessen! Ich bin schwanger und werde der Republik einen Bürger oder eine Bürgerin schenken.“ Durch eine natürliche, traurige Erschütterung, von der die Mutigsten nicht immer bewahrt bleiben, wurde sie schwach und war in Tränen gebadet. Sie war mit einem Schlage zum schwachen, zitternden Weibe geworden, die Angst vor dem Tode empfand. Man hatte ihr gesagt, dass schwangeren Frauen Aufschub der Todesstrafe gewährt wird. Sie wurde von Aerzten und Hebammen untersucht, die grausam genug waren, zu Protokoll zu geben: „Dass, wenn auch Schwangerschaft vorhanden wäre, sie erst seit so kurzem bestehe, dass man sie nicht feststellen könne.“

Vor ihrem Tode hatte sie noch eine furchtbare Bitternis durchzukosten. Ihr Sohn wandte sich mit Verachtung von ihr ab, verleugnete sie und hat die Hinrichtung seiner Mutter gutgeheissen. Dieser Sohn, den sie so sehr geliebt hatte, dessen Glück der Inbegriff des ihrigen war, wie sie [197] selbst in einem Brief sagt: „Das einzige Glück für mich auf Erden ist das meines Sohnes!“

Sie fand ihre Seelenstärke und all ihren Mut im Angesicht des Schafottes wieder. Indem sie festen Schrittes die Stufen emporstieg, sagte sie: „Kinder des Vaterlandes, Ihr werdet meinen Tod rächen und mein Andenken bewahren.“ „Es lebe die Republik!“ antwortete die Menge. Die Gleichheit vor dem Schafott war die einzige, die die Revolution für die Frauen wirklich festgestellt hat.

Olimpe de Gouges war unstreitig eine der geistvollsten, der beredsten und mutigsten Frauen, die Frankreich hervorgebracht hat. Sicherlich bildet ihr Leben eine der interessantesten Studien aus der an interessanten Menschen so reichen Epoche der französischen Revolution.

Sie war veränderlich, aber immer mutig, edel, manchmal erhaben. Ihr Kopf leitete sie rascher als ihr Herz. Ohne Bildung, ohne feststehende Prinzipien war es ihr schwerer als andern hervorragenden Frauen ihrer Zeit, immer das Richtige zu tun und zu finden.

Vielleicht wenn sie mit ruhigerem Wesen ausgestattet gewesen wäre, würde ihr mehr gelungen sein. Vielleicht hätte man ihre Talente mehr anerkannt, und ihr die verdiente Huldigung, die man ihr schuldig war, nicht versagt!

Diese Märtyrerin starb im Kampfe für die heiligen Rechte der Frau.

[198]
Rose Lacombe.


Rose Lacombe war nach allgemeinem Urteil sehr schön. Man weiss nicht, woher sie stammte. Früh schon hatte sie sich der Theaterlaufbahn gewidmet und sich bereits in der Provinz einen gewissen Namen gemacht, als sie, mit kaum zweiundzwanzig Jahren, 1789 nach Paris kam, mitten in den revolutionären Sturm. Die junge Abenteurerin wurde durch den Anblick eines wirklichen Dramas, dem keines von all denen glich, in denen sie mitgewirkt hatte, ergriffen. Ein Drama, in dem der Atem des Volkes Könige entthronte, befestigte Schlösser umwarf und aus den Privilegien, Titeln und Vorurteilen einen Schutthaufen machte. Da gab es keine Coulissen, keine bemalte Leinwand, keine Gaukler; alles ging unter freiem Himmel vor sich, jeder, der mochte, übernahm eine Rolle! Die Frauen nahmen an diesem historischen Schauspiel tätigen Anteil. Die Zeit war gekommen, wo man Frauen brauchte, die Helden waren, und es gab deren, unter ihnen Rose Lacombe.

Am 10. August 1792 finden wir sie beim Sturm auf die Tuilerien. Mit der roten phrygischen Mütze auf dem Kopf, den gezückten Säbel in der erhobenen Rechten, war sie an der Spitze der Marseiller, die den von den Schweizer Garden verteidigten Palast im Sturm nahmen[WS 38].

Rose Lacombe, die allen voran war, wurde leicht verletzt und bekam später einen Ehrenkranz vom Nationalkonvent.

Auch während der blutigen Septembertage von 1792 sah man Rose Lacombe mitten im Kampfe. Das waren furchtbare Tage! Der Hunger marterte die Bevölkerung, [199] der Staatsschatz war geplündert, die Armee in Unordnung geraten und die Feinde die Herren der Grenzstädte. Longroy hatte sich ergeben müssen. Soissons ermangelte der Waffen und nur Verdun allein widerstand noch den Armeen der Verbündeten, die gegen Paris marschierten. Die Vendée hatte die Fahne der Empörung gegen die Republik aufgepflanzt und der Hof hatte 30.000 Söldlinge für den Bürgerkrieg bewaffnet. Gerüchte verbreiteten sich, man wolle sich durch Ueberrumpelung der Gefängnisse bemächtigen, um alle Feinde der Republik zu befreien, Paris würde man an allen vier Enden anzünden und alle Patrioten ermorden. Vom Balkon des Rathauses wehte eine schwarze Fahne, zum Zeichen, das Vaterland sei in Gefahr. Man läutete unausgesetzt die Sturmglocke, um die Volontäre unter die Waffen zu rufen. Das Volk erhob sich und eilte an die Grenzen, und diese Soldaten mit Holzschuhen drängten die vereinigten Armeen der grossen Könige Europas zurück!

Im darauffolgenden Jahre gründete Rose Lacombe „Die Gesellschaft der republikanischen und revolutionären Frauen“, die sich in den Beinhäusern versammelten. In einem Pamphlet „Wink an Damen“ wurden diese Frauen verhöhnt, die sich in Politik mischen wollten, aber geradeso wie ehemals Olimpe de Gouges, setzte Rose Lacombe ihren Kampf für die Rechte der Frauen unerschütterlich fort.

Am 26. August 1793 trat sie an der Spitze einer Deputation der „Revolutionären Republikanerinnen“ vor den Nationalkonvent, um die in Stellungen befindlichen Adeligen und die verdächtigen Verwalter anzuklagen. Hier ein Teil ihrer Rede: „In gerechter Entrüstung über die unzähligen Pflichtverletzungen, die in allen Verwaltungskörpern und insbesondere in dem Ministerium des Innern vorkommen, sind wir erschienen, um Ihre Strenge herauszufordern und die endliche Anwendung der Gesetze zu verlangen. Zeigen Sie, dass Sie das Vaterland retten wollen, indem Sie alle Adeligen absetzen. Es ist nicht genug, dem Volke Gesetze gegeben zu haben, es muss auch deren segensreiche Folgen [200] fühlen. Es muss mit Entrüstung sehen, wie sich Menschen mit seinem Blute mästen, während es vor Elend umkommt.“

Es gehörte für eine Frau eine gewisse Verwegenheit dazu, diesen gefürchteten Nationalkonvent zu schulmeistern, der das ganze Land erzittern machte, ihm derartige Vermahnungen zu geben und ihn der Langsamkeit und der Nachsicht anzuklagen.

Man ging zwar über alles, was sie vorbrachte, zur Tagesordnung über, aber man hörte sie nichtsdestoweniger bis zum Schlusse an.

Ihr Versuch hatte also trotz ihres Talentes und der Beharrlichkeit, mit der sie die Sache der Frauenklubs verfocht, keinen Erfolg. Ebensowenig, als sie sich im Interesse der Menschlichkeit eines Tages zu Bazire begab und ihm unter anderem sagte, sie fordere, dass man die Menschen nicht in dieser Weise in den Gefängnissen zurückhalte, ob Revolution oder nicht Revolution, müsse man sie binnen vierundzwanzig Stunden verhören, sie, wenn sie unschuldig seien, in Freiheit setzen, oder sie sofort der Guillotine übergeben, wenn sie schuldig seien.

Man suchte hinter ihrem Verlangen Beweggründe, die ihre Objektivität verdächtig machten. Man war ihr hinter ihre geheimsten Herzensangelegenheiten gekommen und glaubte, dass sich ihr Interesse für die Gefangenen hauptsächlich auf einen ganz bestimmten Gefangenen bezog.

Ironie des menschlichen Herzens, diese feurige Republikanerin, diese Todfeindin des Adels, verliebte sich in einen Adeligen, dem Neffen des ehemaligen Bürgermeisters von Toulouse, namens Rey, der wegen seiner reaktionären Denkweise ins Gefängnis geworfen wurde. Sie wollte Bazire und Chabot dafür gewinnen, Rey in Freiheit zu setzen, bekam aber eine sehr entschiedene Abweisung ihres Ansinnens. Chabot beantragte sogar im Nationalkonvent: „Man möge die Frauenklubs von solchen Intrigantinnen säubern.“

Der Nationalkonvent schickte eine Verständigung an die „Revolutionären Bürgerinnen“ und versetzte Rose Lacombe [201] in den Anklagezustand, sie wurde dann nicht weiter verfolgt, doch gelang es ihr nicht, ihren Geliebten, der auf der Guillotine starb, zu retten.

Am 28. Brumaire 1793 hatte sie eine Schar Frauen bewogen, mit ihr in eine Sitzung der Kommune einzudringen. Lebhafte Unruhe entstand bei ihrem Anblick, man verlangte den Ordnungsruf für sie.

Der Generalprokurator Chaumette ergriff das Wort zu folgender Rede: „Ich fordere für die Protokollierung des Gemurmels, das eben ausgebrochen ist, eine ausdrückliche Erklärung als Huldigung der Sitten und Befestigung der Republik. Wie! Unwürdige Geschöpfe wollen die Gesetze der Natur übertreten und verletzen, wollen in die Orte, die der Aufsicht der Bürger anvertraut sind, eindringen und diese umsichtigen Wachposten sollten ihre Pflicht nicht tun? Bürger, ihr vollführt hier eine grosse Tat der Vernunft. Der Zutritt zu dem abgeschlossenen Raum, in dem die Stadträte des Volkes beraten, soll jedem untersagt sein, der die Nation beschimpft!“ – „Nein,“ schrie ein Mitglied des Rates, „das Gesetz gestattet ihnen den Eintritt.“ – „Man lese das Gesetz,“ erwiderte Chaumette. „Das Gesetz schreibt vor, die Sitten zu achten und ihnen Achtung zu verschaffen; hier sehe ich sie aber mit Füssen getreten. Seit wann ist es den Frauen gestattet, ihr Geschlecht zu verleugnen? sich als Männer zu gebärden? Seit wann ist es Sitte, zu sehen, dass die Frau ihre fromme Sorgfalt für ihren Haushalt, der Wiege ihrer Kinder vernachlässigt, um sich auf öffentliche Plätze zu begeben, auf die Tribüne, in den Gerichtshof, um Reden zu halten, sich in die Armee einreihen zu lassen, Geschäfte zu verrichten, die bis nun Männern allein zugekommen sind? …. Wem hat denn diese vielseitige Mutter die häuslichen Pflichten anvertraut? Sollen wir sie ausüben? …. Nein, die Natur hat zum Manne gesagt: „Sei Mann, die Jagd, der Feldbau, die Politik, die Anstrengungen aller Art sind dein Los“. Sie hat zur Frau gesagt: „Sei Weib.“ Die Sorgfalt, die der [202] Kindheit geschuldet ist, die häuslichen Sorgen, die süssen Pflichten der Mutterschaft, das sind deine Arbeiten. Aber deine Beschäftigungen verdienen eine Belohnung, wohlan! Du sollst sie haben; du wirst die Göttin des häuslichen Tempels sein, du wirst über Alles, was dich umgibt, mit dem unbesiegbaren Zauber der Schönheit, Anmut und der Tugend[WS 39] herrschen! Unvorsichtige Weiber, die Ihr Männer werden wollt! Seid Ihr bei der Teilung nicht gut genug fortgekommen? Was braucht Ihr mehr?“ Chaumette schloss seine Rede mit dem Antrag, die Frauen nicht mehr in den Generalrat der Kommune zuzulassen; der Antrag wurde mit grosser Majorität angenommen.

Es verging kaum ein Tag, an dem Rose Lacombe ihre Verbündeten nicht zu einer Zusammenrottung anfeuerte, sei es im Palais Royal, sei es in den Beinhäusern. Eine jener Zusammenkünfte war so zahlreich besucht, so ungestüm und wild, dass sie die Aufmerksamkeit des Wohlfahrtsausschusses erregte. Im Konvent ergriff Amar das Wort, um darüber folgendes zu sagen: „Ich setze Sie von einer Zusammenrottung in Kenntnis, an der mehr denn 6000 Weiber, angeblich Jakobinerinnen einer vorgeblich revolutionären Gesellschaft, teilgenommen haben. Sollen Frauen überhaupt politische Rechte ausüben und sich in die Regierungsangelegenheiten einmischen?“

„Die politischen Rechte des Bürgers bestehen darin, mittelst prüfender Erwägungen Entschlüsse, die dem Staatsinteresse dienen, zu fassen und der Tyrannei zu widerstehen. Haben die Frauen die moralische und physische Kraft, die die Ausübung der einen wie der andern Pflicht erfordert? Die allgemeine Ansicht weist diesen Gedanken zurück. Sollen sich die Frauen in politischen Vereinen versammeln? Können sich die Frauen all’ den damit verbundenen nützlichen und gleichzeitig mühseligen Aufgaben widmen? Entschieden nicht in Anbetracht der geringeren Kraft und des Baues ihres Körpers und zufolge ihrer Bestimmung. Ohne Zweifel ist es nötig, dass sie sich selbst [203] über die Prinzipien der Freiheit unterrichten und diese, ihren Kindern lieben lehren; sie können den Beratungen der Sektionen, wie auch den Diskussionen der Volksversammlungen anwohnen; aber sollen sie, die dazu geschaffen sind, die Sitten[WS 40] der Männer zu mildern, tätigen Anteil an den Diskussionen nehmen, deren Leidenschaftlichkeit so unvereinbar mit der Sanftheit und Mässigung ist, die den Reiz ihres Geschlechtes ausmachen?“

Ein einziges Mitglied des Konvents ergriff das Wort zu gunsten der Frauen, es war dies der Abgeordnete Charlier. Er sagte: „Man müsste wie bei einem vor Alters abgehaltenen Konzil erklären, dass die Frauen nicht einen Teil der menschlichen Gattung bilden, sonst dürfte man sie dieses allgemeinen Rechtes eines jeden denkenden Wesens nicht berauben.“

Darauf ergriff Bazire das Wort zu folgendem Schlussantrag: „Die Regierung hat sich als eine revolutionäre Macht zu erkennen gegeben, sie kann immer jene Massregeln ergreifen, die das öffentliche Wohl erfordert. Sie haben für einen Augenblick den Schleier über die Prinzipien gebreitet, in der Befürchtung ihres Missbrauches, die uns zu einer Kontre-Revolution führen könnten: es ist also nur einzig die Frage, ob die Frauenvereine gefährlich sind? Die Erfahrung hat in den letztverflossenen Tagen bewiesen, wie sehr sie für die öffentliche Ruhe unheilvoll sind. Das einmal zugegeben, rede man mir nicht weiter von Prinzipien. Ich fordere in revolutionärer Gesinnung und auf Grund der öffentlichen Sicherheit, dass diese Vereine zumindest während der Revolution verboten werden.“

Der Beschluss wurde gefasst, alle Frauenvereine aufzulösen. Rose Lacombe agitierte in öffentlichen[WS 41] Versammlungen dafür, gegen diesen Beschluss zu protestieren, aber es half alle Frauenvereine wurden aufgelöst, keine, auch nicht die kleinste Ansammlung wurde geduldet!

Die Frauen hatten in den gefährlichsten Zeiten einen unbezwingbaren Mut gezeigt, wenn die Männer zurückwichen, [204] haben sie mutig ihr Leben geopfert. Wenn es galt, Energie und Aufopferung zu zeigen, um einen Sieg zu gewinnen, so haben die Frauen ihr Blut vergossen, ihr Eigentum verlassen und alles dem öffentlichen Wohle geopfert; sie haben Hunger und Not gelitten, dem Gefängnis und Schafott Trotz geboten. All’ das war vergessen. Da man ihrer Hilfe nicht weiter bedurfte, stiess man sie zurück und wollte sie wieder in ihre jahrhundertalte Sklaverei zurückschicken!

Die Rolle Rose Lacombes war ausgespielt!

Einige Jahre später konnte man in der Gallerie des Luxembourg eine kleine, lebhafte Frau sehen, die mit Eifer die Nippsachen ihres kleinen Gewölbes den Vorübergehenden anpries. Wer hätte in dieser Verkäuferin die ehemals so berühmte Rose Lacombe, die stolze Anführerin der revolutionären Amazonen, die gefeierte Schauspielerin, die heldenhafte Vorkämpferin für die Frauenrechte wiedererkannt?

Aber sie sollte noch tiefer sinken! Unter dem Direktorium wurde sie aus ihrem kleinen Laden davongejagt, und nach einem kurzen Leben voll von Gefahren und Abenteuern starb die ehemalige Präsidentin der revolutionären Frauenklubs, von allen vergessen, unbekannt in einem entlegenen Winkel jenes grossen Paris, wo sie einstens eine so bedeutende Rolle gespielt hatte!

[204b]
Madame Bouquey.
[205]
Madame Bouquey.


Es war nach dem Fall der Girondisten. Die hervorragenden Redner, die von einem Wiederaufleben der Republik aus den Zeiten Platos geträumt hatten, waren durch die Energie der Jakobiner besiegt. Ihr Talent hatte sie nicht zu retten vermocht. Man hatte sie als Vaterlandsverräter bezeichnet und gleichzeitig für vogelfrei erklärt. Am 7. Oktober 1793 starb Gorsas auf der Guillotine, am 31. Oktober wurde an 22 Girondisten in Paris das Urteil vollstreckt, acht andere fielen im Dezember, zu gleicher Zeit wurden in Bordeaux fünf enthauptet, zwei in Brives, einer in Périgueux[WS 42] und einer in Rochefort. Valazé hatte sich im Angesicht des Revolutionstribunals erdolcht, als er seine Verurteilung anhörte, und Rebecqui hatte in den Wässern von Marseille seinen Tod gesucht.

Die einen waren aufs Schafott gestiegen, andere hatten zum Selbstmord ihre Zuflucht genommen und die Ueberlebenden hatten sich in die Bretagne und ins Tal der Dordogne geflüchtet. Aber der Urteilsspruch des Konventes verfolgte sie überall hin, trieb sie von Stadt zu Stadt, ohne sie irgendwo einen Zufluchtsort gegen den drohenden Tod finden zu lassen, oder ein schützendes Dach, um sich auszuruhen. Das Gesetz vom 23. Ventose des Jahres II (13. März 1794) hatte Todesstrafe für jene festgesetzt, die bei sich oder anderswo Personen, die für vogelfrei erklärt waren, beherbergen würden. Sie waren wie wilde Tiere gehetzt, niemand wagte, ihnen ein Asyl anzubieten. Guadet musste aus dem Hause seines Vaters in Saint-Emilion flüchten, um mit Salle das Flüchtlingsleben wieder fortzusetzen und [206] sich in Getreidefeldern und hinter Gebüschen verstecken! Die Flüchtlinge verbreiteten um sich Schrecken und Entsetzen; man fürchtete die „Ansteckung der Todesstrafe“, die Gemeinschaft des Schafottes. Am Ende ihrer Kräfte angelangt, von Müdigkeit und Entbehrungen erschöpft, wie Verzweifelte umherirrend und fortwährend in Gefahr, waren sie eben auf dem Sprung zu unterliegen und im Tod das Ende ihrer fortwährenden Befürchtungen, ihres endlosen Kummers zu suchen, als eine engelsgute Frau sie rettete.

Madame Bouquey hatte von ihren Qualen und grossen Gefahren gehört und verliess daraufhin sofort Paris und flog ihnen zu Hilfe. Thérése Dupeyrat war die Tochter eines Bürgers von Bordeaux, die in jungen Jahren den Prokurator von Saint-Emilion, Robert Bouquey, geheiratet hatte, ihre Schwester war die Frau des Girondisten Guadet.

Sie lebte ruhig in ihrem behäbigen Heim in Paris, fern von allem aufregenden politischen Leben, nichts vermochte sie in den Strudel der Revolution zu ziehen. Hätte ihre Tat kein Aufsehen gemacht, so wäre ihr Opfer vergessen, sie wäre unbekannt und unbeachtet gestorben. Zwei Frauen der Gironde waren ihr schon im Tode vorangegangen, Charlotte Corday und Madame Roland, aber diese waren im hellen Lichte des Tages gestorben, in der Hitze des Kampfes, im Rausch des Ruhmes. Madame Bouqueys Rolle war bescheidener, ihre Tugend sollte verborgen bleiben; ihr Herz allein leitete sie.

Sie war eine junge Frau mit einem mehr angenehmen als schönen Gesicht, das man ohne Ueberraschung zum erstenmal sah, das man aber mit Bedauern verliess. Ihre dunklen Augen leuchteten von Verstand und Güte.

Wir wollen hier Barbaroux’ Schilderung Madame Bouqueys einfügen: „Reizende Frau! Ihre Züge, in denen sich die Empfindsamkeit des Herzens malte, dieses sanfte, graziöse Gesicht, ihre Feuerseele glänzte in das Dunkel der Nacht der Geächteten, die Seufzer, die Dankbarkeit, die Rührung stieg zu diesem Engel der Nächstenliebe [207] und Barmherzigkeit auf, deren umsichtige Hand sie mit allem versah, dessen sie bedurften, deren Heroismus die einzige Scheidemauer war, die die Unglücklichen vom Schafott trennte. St. Brie, Herr Bouquey, Guadet opferten sich ebenfalls, ihr Betragen ist über alles Lob erhaben, denn sie wussten, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzten. Aber Madame Bouquey opferte sich, wie Frauen sich eben opfern, ganz mit jenem etwas von Zärtlichkeit der Geliebten und der Selbstverleugnung der Mutter.“

Während die Flüchtlinge überall bloss unmenschlichen, egoistischen, feigen Männern begegneten, hatte diese grossmütige, unerschrockene Frau in ihrem einfachen Landhause Guadet und Salle aufgenommen. Als Louvet, Barbaroux und Valady sie von ihrer gefährlichen Lage verständigten, hatte sie ihnen sagen lassen: „Sie sollen alle drei kommen.“ Und einige Tage später nahm sie Pétion und Buzot auf, die in den letzten vierzehn Tagen siebenmal ihre Zufluchtstätten zu wechseln genötigt waren. Sie versteckte alle sieben in einem verfallenen, grottenartigen Brunnen, der durch sie den Namen Brunnen der Girondisten erhielt und noch heute den Fremden in Saint-Emilion gezeigt wird.

Dies war die Zufluchtsstätte der verfolgten Girondisten. Nachts brachte ihnen Madame Bouquey Gemüse aus dem Garten, Bohnen von der Bodenkammer, Obst und Wein aus dem Keller, aber sie musste ihnen das Brot sehr knapp zumessen, um nicht den Verdacht der Nachbarn zu erwecken, denn die Lebensmittelzufuhr wurde immer schwerer und jeder bekam nur knappe Rationen zu kaufen. Ein Monat war schon in dieser ruhigen Sicherheit vergangen, worin sich die süssen Freuden der dankerfüllten Freundschaft und des edlen Mitgefühls mischten, als die Flüchtlinge, von den Gerüchten aufgeschreckt, die Gefahr fürchteten, in die ihre Wohltäterin durch sie gestürzt werden könnte, sie teilten ihr ihre Befürchtungen mit. „Habe ich nicht genug gelebt, da ich Sie [208] gerettet habe?“ antwortete die bewunderungswürdige Frau: „Ist das Glück, Unglückliche zu trösten nicht genug gross, um gegen Gefahren gleichgültig zu machen, die ihre Folgen sein können? Und ist der Tod nicht das süsseste, um das man beneidet werden kann, wenn man alles Gute, das möglich war, getan hat?“

Selten fanden die Gefangenen einen Augenblick, um aus ihrem Gefängnis herauszutreten, in dem sich die Atmosphäre durch den geringen Zutritt frischer Luft so rasch verschlechterte. Sie blieben dort von anfang Oktober bis zum 12. November 1794. Der Zeitpunkt, wo Gerüchte von Verfolgung und drohender Haussuchung sie zwangen, ihr Versteck zu verlassen. Schon am 6. Oktober wurde das Haus auf Befehl Talliens von oben nach unten gekehrt und sechs Tage nach ihrer Flucht hetzte man Spürhunde in den Brunnen, auf dessen Existenz ein Verräter aufmerksam gemacht hatte.

Die sieben Flüchtlinge waren nun wieder neuen Gefahren ausgesetzt, aber Madame Bouquey verliess diese Opfer der Schreckensherrschaft nicht, die sie mit Gefahr ihres Lebens retten wollte. Sie trennten sich, denn sieben hätten nirgends zusammen Unterkunft gefunden. Valady floh gegen Periguaux, wo er bald gefangen und guillotiniert wurde. Louvet gelang es bis nach Paris zu kommen, wo er sich bis nach dem 9. Termidor verbarg, um dann wieder in den Konvent zu kommen, wo er Mitglied des Rates der Fünf wurde. Für drei von ihnen gelang es Madame Bouquey, einen neuen Zufluchtsort in einer Mansarde des Perückenmachers Froquart zu finden.

Unter diesem unverdächtigen Dache lebten seit den ersten Tagen des Januar bis zum 18. Juni 1791 der schöne, beredte Barbaroux, diese feurige, mutige Seele, dann der ehemalige Bürgermeister von Paris, Pétion und der Abgeordnete von Evreux, Buzot, der am 6. August die Güter des Klerus von Frankreich als Nationaleigentum erklärt hatte.

[209] Während dieses traurigen Aufenhaltes war Madame Bouquey ihre Trösterin, sie brachte ihnen Kleidung und Nahrung, die sie selbst im Geheimen verfertigte. Sie verschaffte ihnen Bücher und Papier und verzierte manchmal ihre dunkle Wohnung mit Blumen.

Um die langen Stunden ihrer Einsamkeit zu verkürzen, schrieben Pétion und Buzot ihr politisches Testament, um, wie sie sagten, „ihren Mitbürgern und der Nachwelt vor Beendigung ihrer Tage die Erklärung ihrer Empfindungen und Beweggründe ihres Handelns zu hinterlassen.“

Auch Barbaroux hatte seine Memoiren geschrieben. Sie hatten ihre letzten Schriftstücke Madame Bouquey anvertraut: „Seien Sie,“ sagten sie, „die Verwahrerin unserer wertvollsten Urkunden, die Wächterin unserer Ehre!“ Sie verschaffte ihnen Pässe, um in die Schweiz zu flüchten, aber sie wollten Frankreich nicht verlassen, sie hofften ihre Freiheit bald durch das Ende der Sehreckenszeit wieder zu erlangen. Barbaroux sagte: „Meine Seele ist die eines freien Mannes, seit vier Jahren hat sie sich mit Hass gegen die Tyrannie erfüllt. Ich werde[WS 43] Frankreich von dieser Geissel befreien oder sterben.“ Das letztere Los ward ihm beschieden, ebenso Guadet und Salle, die sich beim Vater Guadet’s, dem Bürgermeister von Saint-Emilion, eine Zeitlang verborgen aufgehalten hatten. Beide waren auf einem Dachboden versteckt, in dem sie nicht aufrecht stehen konnten. In zusammengekauerter Stellung, im Finstern, ohne Heizung im Winter, ohne frische Luft im Sommer, mussten sie acht lange Monate, vom November 1793 bis Juni 1794, verbringen. Guadet hörte oft die Stimmen seiner Kinder, die im Hof unter den Linden spielten, aber er durfte sich ihnen nicht zeigen, aus Angst, dass ihr Geplauder ihn verraten könnte!

Allabendlich liess man ihnen Nahrung und Schreibrequisiten heimlich zukommen. In diesem dunklen Loch, wo nur durch die Spalten der Dachziegelreihen etwas Licht einfiel, war es, wo Salle seine Tragödie „Charlotte Corday“ [210] und seine satyrische Erzählung „Einzug Dantes in die Hölle“ dichtete, und wo Guadet, dessen Augen sehr schwach waren, weder Memoiren, noch sein Testament schreiben konnte.

Madame Bouquey brachte es durch Wunder an Geschicklichkeit zuwege, eine regelmässige Verbindung zwischen den zwei Häusern der Flüchtlinge zu unterhalten, sie verband diese dem Tode geweihten Opfer wieder mit dem Leben, ihr weiblicher Opfermut war der einzige Schutzschranken, der sie vom Schafott trennte. Buzot rief aus: „Oh! Frauen! Frauen! weh’ dem, der euern Wert nicht erkennt“! In seinem letzten Unglück blieb ihm nur Madame Bouquey als Freundin und die Erinnerung an Madame Roland. Aber ach! die Aufopferung der einzigen Freundin, die ihm blieb, konnte ihn nicht retten. Allen Gefahren war umsonst Trotz geboten worden. Die Flüchtlinge wurden bloss 14 Tage vor dem 9. Termidor (27. Juli 1794), dem Sturze Robespierres entdeckt, jener Zeitpunkt, der ihnen Freiheit und Glück in vollem Masse wiedergegeben hätte!

Am 17. Juni 1794 hielten zwei Bataillone Infanterie und eine Eskadron Husaren vor dem Hause des Vaters Guadets. 5000 Mann Fussvolk, mit grossen Spürhunden versehen, waren von Libourne nach Saint-Emilion geschickt worden, um alle Winkel und Winkelchen zu durchsuchen, um die Proskribierten zu verhaften, die man daselbst verborgen hielt. Nach langem Suchen fand man ihren Versteck, und nachdem Guadet und Salle vergebens versucht hatten, sich Kugeln durch den Kopf zu schiessen, wurden ihnen die Waffen entrissen und sie selbst in Ketten gelegt. Man verhaftete auch Guadets Vater, einen Greis von 70 Jahren, wie auch seine beiden Dienerinnen. Auch der Bruder Guadets wurde gefangen genommen und guillotiniert.

Das Haus Madame Bouqueys wurde umzingelt. Ihre Mitschuld wurde aus ihren Briefen an Guadet und Salle erwiesen, man fand diese in dem Versteck der beiden Unglücklichen. Sie wurde mit allen, die sie umgaben, verhaftet, [211] ihr Mann Robert Bouquey, ihr Vater François Xavier Dupeyrat, der sich erst seit vier Tagen bei ihr befand.

Man setzte alle diese Gefangenen auf einen offenen Karren, der sich langsam von den Höhen von Saint-Emilion in die Ebene von Libourne bewegte. So lange die arme Madame Bouquey vermochte, wendete sie ihre Blicke auf die alten Wälle und die Ruinen des Schlosses in die Nähe des einfachen Hauses des Perückenmachers Froquart, wo ihre letzten Freunde verborgen waren. Wird es ihnen gelingen, sich aus den Fallstricken ihrer Verfolger zu retten? oder werden sie auch als Opfer eines unersättlichen Hasses fallen? Sie litt entsetzlich, nicht allein das Opfer ihrer Hingebung zu sein, sondern auch all’ die Ihren mit ins Verderben gerissen zu haben.

Am darauffolgenden Morgen führte man sie nach Bordeaux, wo Guadet und Salle schon am 19. Juni verurteilt und hingerichtet wurden, ohne dass man Guadet gestattete, sich von seiner Frau und seinen Kindern zu verabschieden, die ihm von Etappe zu Etappe gefolgt waren. Die Verurteilten starben stolz, voll Verachtung und furchtlos vor dem Lärm der Geschütze und dem tausendmal wiederholten Ruf: „Es lebe die Republik.“ Madame Bouquey erfuhr in ihrem Gefängnis die Qualen der Flüchtlinge. Man erzählte ihr von der Flucht Barbaroux’, Buzot’s und Pétion’s und von der Entdeckung der wertvollen Kassette, die die letzten Schriftstücke der Flüchtlinge enthielt, und die sie in ihrem Hause verwahrt hatten. Der arme gute Perückenmacher Froquart wurde ebenfalls verhaftet, das Dienstmädchen von Madame Bouquey verhört. Oré, der Untersuchungsrichter, sagte ihr folgendes: „Mein liebes Kind, was liegt dir nun an deiner Verschwiegenheit, da deine Herrschaft nicht mehr ist. Gestehe alles, nenne die Personen, die sie bei sich gesehen hat, die mit im Geheimnis waren. Wenn du aufrichtig sein wirst, schenk’ ich dir das Leben, wenn nicht, wirst du guillotiniert.“ Das Mädchen antwortete ganz gefasst: „Ihr könnt über mein Leben verfügen, [212] wie es euch beliebt, aber ihr werdet nichts von mir erfahren, da ich nichts darauf bezügliches weiss!“ – „Du weisst aber, wo deine Frau ihre Papiere aufgehoben hat?“ fragte der Unhold weiter. Das Mädchen dachte, nichts Böses zu sagen und gestand, dass Madame Bouquey vor ihrer Verhaftung die Kassette in den Abtritt geworfen habe. Ihrer Auffindung verdanken wir die Kenntnis der interessanten oben genannten Schriftstücke. Von da an stürzten alle Hoffnungen Madame Bouqueys zusammen. Todesangst zerriss ihr Herz. Bloss sieben Tage vor dem Sturz Robespierre’s wurde Madame Bouquey unter riesigem Zulauf vor das Militärgericht in Bordeaux gebracht. Die Verhandlungen dauerten nicht lange. Für alle wurde Todesstrafe erkannt. Die Todesstrafe für Guadet’s Vater, der seinem Sohn in seinem Hause eine Zufluchtstätte geboten hatte, ebenso für die Schwester des Greises und für seinen andern Sohn. Die Todesstrafe für Madame Bouquey, ihren Mann und ihren alten Vater. Beim Verhör schrie sie: „Ihr vom Blut berauschten Scheusale, wenn die Menschlichkeit, wenn die Bande des Blutes Verbrechen sind, so verdienen wir alle den Tod.“

Alle schritten würdig und gelassen zum Richtplatz. Madame Bouquey stieg mit einer ergebenen Festigkeit auf das Schafott, nachdem ihr der Scharfrichter den traurigen Vorzug eingeräumt hatte, die ihren zu überleben, „um ihrem Mann den Schmerz zu ersparen, vor seinen Augen das Blut seiner Frau vergossen zu sehen.“

So starb diese grossmütige Frau, hingemetzelt mit den Ihrigen, ohne durch ihre Aufopferung auch nur einen ihrer Freunde retten zu können.

Als die drei Flüchtlinge die Verhaftung der Madame Bouquey, der Familie Guadet und die Salle’s erfuhren, verliessen sie die Bodenkammer von Froquart und flüchteten in die Ebene von Castillon. Vor ihrer Flucht schrieben sie „Nachdem die Freiheit rettungslos verloren ist, die Prinzipien der Moral mit Füssen getreten werden … haben wir [213] beschlossen, das Leben zu verlassen, um nicht Zeuge der Versklavung zu sein, die unser liebes Vaterland so trostlos machen wird.“

Als sie sich am 18. Juni 1794 in einem Kornfeld, in der Nähe von Saint-Magne, aufhielten, kam unvermutet eine Truppenabteilung daher. Buzot und Pétion retteten sich in den nahen Fichtenwald, Barbaroux schoss sich eine Kugel vor den Kopf. Stark verletzt, lässt man ihn mehrere Stunden, der Sonne ausgesetzt, ächzen, denn keine gastliche Türe durfte sich öffnen, um den Verwundeten aufzunehmen und seine Schmerzen zu lindern. Man verband ihn nachher oberflächlich, trug ihn auf ein Schiff und führte ihn nach Castillon und drei Tage später nach Bordeaux. Dort wurde er summarisch verhört, verurteilt und hingerichtet, trotzdem er so dem Erlöschen nahe war. Man fürchtete, dass die Beute dem rächenden Arm des Gesetzes entwischen könnte!

Das war das Ende dieses glänzenden Redners, der mit siebenundzwanzig Jahren starb.

Am folgenden Tage fand man im Walde die Leichen von Buzot und Pétion. Sie wollten bis zum letzten Atemzug freie Männer sein, und weil sie dies nicht vermochten, gingen sie freiwillig in den Tod.

[214]
Madame Tallien.


Bei der Nennung dieses Namens erwachen alle Vorstellungen von Schönheit, wie die Phantasie es sich von hinreissenden Frauen erträumt. Thérèse Cabarrus wurde in Spanien als die Tochter des Grafen Cabarrus und der schönen Galabert geboren.

Sie kam als junges Mädchen nach Frankreich und brachte einen Schwung der Leidenschaften mit, der für gewöhnlich den Bewohnern dieses Himmelsstriches versagt ist.

Ihr Vater genoss am Hofe Karl III. von Spanien viel Gunst und war in der Lage, ein bedeutendes Vermögen anzusammeln, er galt für einen der geschicktesten Finanzmänner des Königreiches.

Zu wiederholtenmalen war der Graf Cabarrus, der sich mit der schönen Galabert vermählt hatte, nach Paris gekommen, teils zum Vergnügen, teils in Geschäften. Während eines dieser Aufenthalte in Paris machte Herr Devin, Marquis de Fontenay die Bekanntschaft von Thérèse Cabarrus, die damal sechzehn Jahre alt war. Er war von ihrer grossen Schönheit sehr hingerissen und hielt um ihre Hand an, die ihm auch gewährt wurde.

Sie wurde bald die Zierde der vornehmen Pariser Gesellschaft. Sie empfing in ihren Salons La Fayette, die Brüder Lameth, Favières und viele andere.

Aber Thérèsens Ehe war keine glückliche. Der Marquis von Fontenay vergeudete fast ihre ganze Mitgift. Als die

[214b]
Madame Tallien.

[215] Zeit kam wo es für die Vornehmen nicht gut war, in Frankreich zu bleiben, wanderte er mit andern aus und willigte im Einvernehmen mit seiner Frau in die Scheidung.

Sie war weit davon entfernt, die aristokratischen Ansichten des Marquis zu teilen. Thérèse war in ihrer jugendlichen Leidenschaft rasch im Erfassen jeglichen Zaubers, der die Gedanken begeistert; sie wendete sich zum Volke und zu seiner plötzlichen Macht. Sie hatte bald nur mehr Augen für Bürgertugend, vaterländische Auszeichnungen, die der republikanischen Begeisterung zugestanden wurden, Eichenkränze, die dem zuerkannt wurden, der sich ums Vaterland verdient gemacht hatte, oder für eine Inschrift auf die Gedenksäule für brüderliche Nächstenliebe, für die Hintansetzung persönlicher Interessen gegenüber dem Allgemeinwohl.

Wir lassen hier einen Auszug aus einer bemerkenswerten Adresse folgen, den die Marquise von Fontenay am 5. Floréal des Jahres II an den Konvent gerichtet hat: „Bürger, Volksvertreter! Da die Moral mehr denn je auf der Tagesordnung Ihrer grossen Beratungen steht, da jede der Parteien, die Sie zu Boden schlagen, Sie mit neuer Kraft zu dieser so furchtbaren Wahrheit zurückführt, dass die Tugend der Lebensinhalt der Republiken ist, und dass die guten Sitten das zusammenhalten sollen, was die Volkseinrichtungen geschaffen haben, hat man nicht Recht zu glauben, dass sich ihr Augenmerk mit einem eifrigen Interesse auf jenen Teil des menschlichen Geschlechtes richten wird, der einen so grossen Einfluss ausübt? Wehe den Frauen, die die schöne Bestimmung verkennend, zu der sie berufen sind, den absurden Ehrgeiz heucheln würden, sich die Vorrechte der Männer aneignen zu wollen, um sich von ihren eigenen Pflichten zu befreien, und auf diese Weise der Tugenden ihres Geschlechtes verlustig zu werden, ohne die des andern Teiles sich aneignen zu können.

Aber wäre es nicht auch ein Unglück, wenn sie im Namen der Natur an der Ausübung jener politischen Rechte [216] verhindert würden, aus denen die markigen Beschlüsse und die sozialen Berechnungen hervorgehen, wenn sie sich mit Recht als Fremde betrachten würden in allen wichtigen Fragen?

In einer Republik muss sicherlich alles republikanisch sein, und kein Wesen mit gesunden Sinnen darf, ohne Schande auf sich zu laden, sich davon ausschliessen, dem Vaterlande zu dienen. Sie werden den Frauen sicherlich gestatten, eine Stelle im öffentlichen Unterrichtswesen zu bekleiden; denn könnten sie sich zu glauben entschliessen, dass sie für nichts gerechnet werden, wenn es sich um die den Kindern gewidmete Sorgfalt handelt? Und insbesondere um die Erziehung mutterloser Kinder?

Was ist es, womit ich aber heute insbesondere, mit dem grössten Vertrauen, vor Sie hintrete? Ich fordere den ehrenden Vorzug, die Frauen an alle geheiligten Zufluchtsstätten des Unglückes und der Leiden zu rufen, um dort den Bedauernswerten Sorgfalt und Trost angedeihen zu lassen. Es scheint mir dort der richtige Ort für eine Lehrzeit der Mädchen, bevor sie Frauen werden. Befehlen Sie also, Volksvertreter, wir beschwören Sie, befehlen Sie, dass alle jungen Mädchen eine Zeitlang in den Asylen der Armut und der Leiden zu verbringen haben, um den Unglücklichen Hilfe zu leisten, und sich daselbst in allen Tugenden zu üben, die die Gesellschaft von ihnen zu erwarten das Recht hat.

Bürger, Volksvertreter, diejenige, die in diesem Augenblick die Huldigung ihrer Gedanken, ihrer innersten Gefühle an Sie gelangen lässt, ist jung, zwanzig Jahre alt, sie ist Mutter, sie ist nicht mehr Gattin. All’ ihr Streben, all’ ihr Glück wäre, eine der ersten zu sein, sich jener süssen, entzückenden Tätigkeit hingeben zu können.

Geruhen Sie, diesen heissen Wunsch mit Interesse aufzunehmen, und möge er durch Sie der Wunsch ganz Frankreichs werden!“

Der Konvent hörte diese Adresse mit Aufmerksamkeit [217] an, und beschloss die ehrenvolle Erwähnung. Die Adresse wurde dem Wohlfahrtsausschusse zugewiesen.

Plötzlich, wie durch einen Zauberschlag, sehen wir diese schöne Marquise diese Königin der Salons, die überall vergötterte Frau, diese vergnügungssüchtige Weltdame, in eine Bürgerin, eine Wohltäterin der Armen, in eine Krankenpflegerin, eine strenge Erzieherin verwandelt, ganz dem Dienste der Republik hingegeben. Und dies mit zwanzig Jahren, in der vollen Blüthe ihrer himmlischen Schönheit.

Nach dem Fall der Gironde wollte sich die Marquise v. Fontenay nach Bordeaux begeben, um mit ihrem Vater zusammenzutreffen. Aber war es ihre zu grosse Eile oder war es ihr überhaupt nicht möglich anders zu handeln, kurz, ihre Papiere waren nicht in Ordnung, sie wurde verhaftet und in Bordeaux ins Gefängnis geworfen.

Bordeaux war damals der Schauplatz der unbeugsamen Härte der Bergpartei, die mit Blutdurst die Girondisten verfolgte, die sich in die Mauern dieser Stadt geflüchtet hatten. Dort herrschte derjenige, der als einer der ersten den Kampf gegen die Häupter der Gironde heraufbeschworen hatte, der grausame Prokonsul Tallien. Er war einer der Urheber der Tage vom 31. Mai und 2. Juni, den Tagen, an denen die Gironde durch Gewaltstreiche zu Fall gebracht wurde. Durch seine Mitwirkung dabei hatte er sich bekannt gemacht und verdankte diesem Umstande, dass die revolutionären Ausschüsse ihn mit der Ausübung der furchtbarsten Massregeln betrauten.

Er hatte sich auf dem Platze, wo die Guillottine aufgerichtet war, eingemietet, dort fiel alltäglich sein Blick auf das furchtbare Schauspiel der blutigen Vollstreckung der Todesurteile, die er selbst verhängt hätte. Die Sense des Todes mähte zuerst die politischen Reihen nieder, dann schwebte sie über den Häuptern der reichen Kaufleute.

Während einer Theateraufführung wurden Schauspieler [218] und Zuschauer als verdächtig angegeben und zur Todesstrafe verurteilt.

In einer Stadt brach Hungersnot aus, die Schuld wurde den Aufkäufern zugeschrieben und diente als Vorwand zu einer Verdoppelung der Strenge. Die Marquise v. Fontenay schien ohne Zweifel dem Untergang geweiht.

Da kam es ihr in den Sinn, an Tallien zu schreiben, um von ihm die Freiheit zu fordern, oder ihn wenigstens für ihr Geschick zu interessieren. Er hatte sie früher wiederholt in vornehmer Gesellschaft getroffen. Tallien war damals ein sehr schöner Mann von 24 Jahren, voll Feuer und Beredsamkeit. Ein Blick der schönen Frau genügte, um diesen wilden Inquisitor völlig gefügig zu machen. Dieser Blick änderte völlig Talliens Herz und bald das ganze Aeussere der Revolution.

Die Marquise von Fontenay wurde in Freiheit gesetzt. Von da an hatten die Gewaltmassregeln in Bordeaux ein Ende; auf so viele Barbarei folgte ein System der Milde.

Jeden Tag erlangte die schöne Bittstellerin von Tallien Begnadigungen. Ihre Reize übten einen mächtigen Einfluss auf Tallien und bezauberten ihn derart, dass sie aus dem vormals hitzigsten Aechter einen beinahe wohltätigen Bürger machten.

Der Marquis von Paroy, ein Bekannter von Tallien, hat folgende Schilderung von der Wohnung der Marquise von Fontenay entworfen: „Ich glaubte in die Behausung der Musen einzutreten, ein geöffnetes Piano, auf dem Noten umherlagen, eine Guitarre auf dem Sopha, eine Harfe im Winkel, Hefte und Notenblätter auf einem Ständer davor, gegenüber eine Staffelei mit einem begonnenen Bilde darauf, Palette, Pinsel und Oelfarben in genialer Unordnung umhergestreut, am Fenster ein Tischchen, worauf ein begonnenes Miniaturbild lag, an der Seitenwand ein reizender Schreibtisch mit den verschiedensten Schreibarbeiten bedeckt, der Bücherschrank voll der interessantesten Bücher und am andern Fenster ein Stickrahmen mit einer kunstvollen, angefangenen [219] Stickerei darin.“ Als der Marquis diese Einrichtung gesehen hatte, sagte er zur Marquise von Fontenay: „Ihre Talente sind allumfassend, aber ihre Güte übertrifft sie, und nichts gleicht ihrer Schönheit, nie habe ich so viel Grazie mit Schönheit gepaart gesehen“.

Doch Tallien und die Marquise von Fontenay waren nicht die alleinigen Mächtigen, die launenhafte Gewalt und der grosse Einfluss des grausamen Lacombe waren oft mächtiger als sie. Tallien wurde denunziert und nach Paris zurückgerufen, unter der schweren Anklage, den Lauf der Schreckensherrschaft unterdrückt zu haben. Die Marquise von Fontenay säumte nicht, ihm nach Paris zu folgen, aber sie war als die Anstifterin des Systems der Mässigung bezeichnet worden, welches in Bordeaux die revolutionäre Bewegung gelähmt hatte. Insbesondere waren es Robespierres Schergen, die gegen Tallien einen alten Hass nährten und auch auf die Marquise ein wachsames Auge hatten. Sie verhafteten sie gleich bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt. Niemals war ein Opfer von Robespierre mit mehr Erbitterung verfolgt worden, als die Marquise von Fontenay.

Schon in Bordeaux war die Rede davon gewesen, sie vom Militärgericht verhaften und aburteilen zu lassen. Ein Freund, der von allem unterrichtet war, schrieb ihr sofort, sie möge flüchten und sich in irgend einem Orte an der Loire aufhalten, er versprach ihr, sich auch dahin zu begeben, um das weitere zu verabreden.

Zehn Tage nach Erhalt dieses Briefes traf sie in Fontenay-aux-Roses ein. Am nächsten Tag reiste sie nach Paris. Die Gefahr wuchs. Man schrieb von Bordeaux, dass sie diese Stadt verlassen habe, und dass jede Nachforschung nur Zeitverlust bedeute. Robespierres Geheimboten Lavalette und Boulanger setzten sich in Bewegung. Die Marquise wurde aus nächster Nähe scharf beobachtet, es blieb kein anderer Ausweg, als zu versuchen nach Versailles zu flüchten, um sich dort zu verbergen; aber Boulanger kam im Augenblick, als sie im Begriff war, in das Haus einer [220] befreundeten Familie einzutreten, um Zuflucht zu suchen, und verhaftete sie.

Der Verhaftsbefehl besagt, dass die Bürgerin Cabarrus-Fontenay und alle, die sich mit ihr befinden würden, fest zu nehmen seien. Mit grosser Mühe wurde erwirkt, dass die befreundete Familie der Marquise unter Aufsicht von zwei Wachleuten in ihrer Wohnung verbleiben durfte; aber da sie die flüchtige Marquise aufnehmen wollten, kamen sie in den Geruch, Mitverschworene zu sein.

Welche furchtbare Nacht verbrachten alle! Gegen Mitternacht wurde zuerst das Hauptopfer auf die Wacheabteilung der Champs-Elysées und von dort in das Gefängnis „La Force“ gebracht. Inzwischen lief die Familie, zu der sich die Marquise geflüchtet hatte, die gleiche Gefahr, bis es einem anderen Freund gelang, die Armen aus der gefährlichen Lage zu befreien.

Indessen war die Marquise von Fontenay in einen Kerker geworfen worden. Sie hatte Einzelhaft, musste auf blossem Stroh liegen, das man gar nicht wechselte. Kein Tageslicht drang in das finstere Loch, sie ermangelte fast ganz der Nahrung und erwartete jeden Augenblick, dass das verhängnisvolle Schicksal, das sie bedrohte, sie ereilen würde.

Die Versuche Talliens, sie zu retten, dienten nur dazu, ihre Fesseln noch enger zusammenzuziehen. Vergebens fordert er sie zurück, indem er erklärt, es sei seine Frau; er erklärte, für sie gut zu stehen, auch habe er genug Dienste der Revolution geleistet, dass er fordern könne, dass man sie ihm sofort zurückgebe. Nichts fruchtete.

Man näherte sich dem 9. Thermidor. Am 7. Thermidor schrieb die Marquise von Fontenay an Tallien: „Eben geht der Polizeikommissär hinaus. Er ist hergekommen, um mir zu verkünden, dass ich morgen vor das Revolutionstribunal treten werde, das heisst aufs Schaffott. Das gleicht wenig dem Traume, den ich heute nacht hatte: Robespierre hatte zu existieren aufgehört und die Gefängnisse standen offen. [221] Aber dank ihrer ausnehmenden Feigheit wird bald kein Mensch in Frankreich sein, fähig, meinen Traum zu verwirklichen.“

Diese energische Mahnung hatte ihre Wirkung. Tallien antwortete folgendes: „Seien Sie, gnädige Frau, ebenso vorsichtig, als ich Mut haben werde, und trachten Sie, Ihre Gemütsruhe wieder zu finden.“ Er hielt Wort: Schon hatte er mit einigen Kollegen die Verschwörung angezettelt, die darauf hinzielte, Robespierre zu stürzen. Am 9. Thermidor stieg er auf die Rednertribüne, beschuldigte den Tyrannen und schwang einen Dolch. Er siegte und Robespierre war nicht mehr. Es ist nicht festgestellt worden, ob Robespierre selbst, oder einer seiner Feinde zwei Schüsse abgefeuert hatten, durch die seine Kinnlade zertrümmert wurde. Er sprach kein Wort mehr und liess die Schmähungen seiner Gegner ruhig über sich ergehen. Am 10. Thermidor wurde Robespierre und zwanzig andere zum Tode geführt. Dem Mute und den Reizen der Frau Tallien verdankte man eine der entscheidensten Revolutionen.

Tallien hätte diese Energie nicht gezeigt ohne die heftige Leidenschaft, die ihn dazu entflammte. Er erhielt seinen Lohn, die schöne Marquise v. Fontenay heiratete ihn am 26. Dezember 1794.

Indessen, man sollte es nicht glauben, selbst nach dem 9. Thermidor hatte sich Tallien im Konvent und auf der Rednertribüne der Jakobiner wegen seiner Mässigung in Bordeaux zu rechtfertigen. Carrier beschuldigte ihn, sich mit den Missetätern dieser Stadt durch seine Nachsicht ausgesöhnt, die Aristokraten und Aufkäufer beschützt zu haben.

Fast gleichzeitig wurde ihm von anderer Seite die Verhaftung der 84 Schauspieler und der 2000 Zuschauer zum Vorwurf gemacht. Er forderte die genaue Prüfung seines Verhaltens. Gleichzeitig machte er die Mitteilung, dass er sich mit der Marquise v. Fontenay[WS 44] vermählt habe.

[222] Collot de Herbois entrollte als Hauptanklage vor dem Konvent die Handlungen der Nächstenliebe, deren sich diese Dame schuldig gemacht habe, indem sie die dem sichern Tode geweihten Opfer, dem Schafott entrissen habe.

Aber Tallien kam glücklich aus diesen Gefahren heraus und alle Schuld, die man ihm zuschrieb, verschwand gegenüber dem Staatsstreich, zu dem er sich so unerschrocken hergegeben hatte.

Der neue Wohnort des jungen Ehepaares war in Chaillot. Der Salon von Madame Tallien wurde sehr bald berühmt. Es war das gesuchteste Stelldichein aller einflussreichen Männer, die an der Spitze der Regierung standen. Tallien begann sich als Gegner der Anhänger des Terrorismus und der revolutionären Massregeln zu zeigen. Er trat mit Nachdruck einem Redner entgegen, der verlangte, man möge den Tod auf die Tagesordnung stellen. Er liess sich das Dekret zurückgeben, worin Bordeaux in den Zustand der Rebellion erklärt worden war. Er unterstützte die Enthaftung der Madame de Touzel gegen Billaud, der sich ihr widersetzte. Er wurde von Duham angeklagt, die Vernichtung der Jakobiner zu wollen, nachdem er erst ihr Führer gewesen. Tatsächlich hatte er sich mit Fréron an die Spitze der Partei der Milden gestellt, die man die „Jeunesse dorée“ von Tallien und Fréron nannte. Aber bald glaubte sich diese Partei genug stark, um alles ändern zu können und schonte nicht einmal ihre Führer. Tallien sah, dass nichts aus seinem vergangenem Leben vergessen war, dass man wieder anfing, ihm die Tage vom September zuzuschreiben, dass man ihn noch immer den Betrüger von Bordeaux nannte u. s. w.

Alle ehemaligen Revolutionäre, die mit ihm menschlichere Wege zu gehen wünschten, sahen ein, dass sie ihren Kopf verlieren würden. So stand die Sache der Reaktion, die sich vorbereitete.

Tallien machte mit einemmale rechtsum und schien mit seinem Kollegen Fréron zu seinen früheren Irrtümern [223] zurückzukehren. Davon kann man sich noch überzeugen, wenn man die von ihm redigierten Zeitungen „L’Ami du citoyen“ und „L’Orateur du peuple“ durchsieht. Auf der Rednertribüne wurde er mehr denn einmal wieder der Mann von 1792 und 1793. Die Schreckensherrschaft schien wieder aufzuleben. Zwei Monate nach dem 9. Thermidor, am 21. September 1794, wurde Marat feierlich ins Pantheon überführt.

Von diesem Zeitpunkte etwa an trat Uneinigkeit zwischen die Gatten. Madame Tallien wollte wieder die Eleganz und die feinen Sitten in Paris einführen, die von der Strenge revolutionärer Gewohnheiten verdrängt worden waren, für die sich ihre Sympathie in Widerwillen verwandelt hatte. Die Frauen, die den Winter in Traurigkeit und Entsetzen verbracht hatten, sehnten sich nach den gewohnten Zerstreuungen. Sie wollten Feste, Konzerte, Bälle arrangieren und den Reichtum und Glanz der Geschmeide auf die Vernachlässigung und die Unreinlichkeit, mit denen man während der Schreckenszeit prunkte, folgen lassen. Die Mode nahm ihre frühere Herrschaft wieder ein. Frauen und Männer wetteiferten in absonderlichen kostbaren Trachten. Die Frauen wählten ein gräcisierendes Kostüm, das alle Formen erkennen liess, die Männer gefielen sich in unglaublicher Geckenhaftigkeit. Sie sprachen vor lauter Ziererei den Buchstaben „R“ nicht aus, was ihnen den Namen der „Incroyables“ eintrug. Viele liessen sich die Haare „à la victime“ schneiden. Diese Haartracht glich der, welche die zum Schafott gehenden Opfer trugen; ihre Kopfbewegung beim Gruss glich auch dem Abfallen des Kopfes, sie machten eine scharfe Bewegung dabei.

Madame Tallien war die Seele der Zusammenkünfte der vornehmen Welt. Ihre Schönheit und die Pracht ihrer Toiletten erregte die grösste Bewunderung. Fortwährend hatte sie um irgendeine Gunst zu bitten, sie suchte durch Schmeicheleien, Liebkosungen und durch alle koketten Verführungskünste die Geister zu versöhnen. Sie umgab [224] sich auch mit schönen Frauen, die sie in ihren Plänen unterstützten. Unter diesen war besonders eine, die junge Gräfin von Beauharnais, die durch grosse Schönheit auffiel und der noch eine glänzende Zukunft bevorstand. Sie und Madame Tallien schienen nur Vergnügen zu atmen.

An Madame Talliens Tisch sassen oft Seite an Seite die grausamsten Revolutionäre mit Leuten, die sie sechs Monate früher aufs Schafott geschickt hätten, weil sie Aristokraten, reich gewordene Spekulanten oder Verschwender öffentlicher Gelder waren. Fast unmerklich verlor sich die wilde Kraft ihrer Sprache und sie nahmen die feinen Formen und die Lebensart der für sie so neuen Gesellschaft an. Es gab gar viele, die die schiefe Ebene des Vergnügens fast unmerklich zur Gleichgültigkeit der Ansichten und dem Vergessen der Prinzipien und Sitten hindrängte.

Aber jene Partei, die nichts umzustimmen vermochte, die der Revolution treu geblieben war, eiferte auf ihren Tribünen gegen die Tallien und den Haufen von Intriganten und Lieferanten, die sie in ihrem Gefolge hatte. Unter solchen Umständen darf man sich über die Misshelligkeit, die zwischen ihr und Tallien herrschte, dessen Ansichten so rasend wie nie zuvor geworden waren, nicht verwundern. Den Triumph, den er im Konvent am Jahrestag des 9. Thermidor, bei der Verlesung[WS 45] des Berichtes über den Sieg von Quiberon, den der General Hoche und er über die Engländer davon getragen hatte, war durchaus nicht nach Madame Talliens Geschmack, die die Nachricht darüber mit grösster Kälte aufnahm. Gegen den 13. Vendémaire zirkulierten Gerüchte über geheime, nächtliche Zusammenkünfte, wobei ernste Fragen über den nahe bevorstehenden Verfall der Republik und die Notwendigkeit einer Monarchie verhandelt wurden. Man schöpfte Verdacht, als sei Madame Tallien dabei nicht ohne Anteil. Bei dieser kurzlebigen Intrigue beabsichtigte man den König von Spanien auf den Thron Frankreichs zu erheben. Doch diese Umtriebe hatten [225] keine Folge und Madame Tallien begnügte sich fortan mit geringerm Ehrgeize, sie beschränkte sich auf die Macht in den Salons.

Kurze Zeit nach der Belagerung von Toulon liess sich ein verabschiedeter Soldat ihr vorstellen. Er schilderte ihr seine Not und wies auf seinen am Ellbogen durchlöcherten Rock, er sagte: „Der Bürger Tallien ist Herr über alles, wenn er mir ein Stück Tuch zum vorgeschriebenen Preise ablassen könnte.“ Madame Tallien versprach ihm, über die Sache nachzudenken, und tatsächlich übergab sie ihm einige Tage später einen Tuchrest.

Der arme Soldat war Bonaparte. Als er seinen neuen Rock hatte, kam er in die Salons der Madame Tallien und machte dort die Bekanntschaft der schönen Beauharnais, seiner nachmaligen Frau. Vielleicht war dieser Umstand, so nichtssagend er auch an sich scheint, die Grundursache einer Begebenheit, die man nicht erwartete. Und vielleicht verdankt man Madame Tallien die Erhebung Napoleons, wie man ihr den Fall Robespierres verdankt!

Hätte Bonaparte ohne diesen Tuchrest Zutritt bei Madame Tallien gehabt? Hätte er Madame de Beauharnais kennen gelernt? Hätte er sonst Gelegenheit gehabt, sich mit Barras zu verbinden? Wäre er General und dann Kaiser geworden?

Das Direktorium war auf den Konvent gefolgt. Der Zirkel Madame Talliens war beliebter denn je. Nichts kam der Pracht der Einrichtung und dem Luxus der Toiletten gleich. Es herrschte ein wahrhaft fürstlicher Prunk bei ihr. Barras thronte dort und hatte sich mehr zum Herrn aufgeworfen als Tallien, der noch immer den Hass und den Vorwürfen ausgesetzt war. Man fuhr fort, sein vergangenes Leben gründlich zu untersuchen, sein öffentliches und sein privates.

Er war weit davon entfernt, in der Zärtlichkeit seiner Frau einen Ersatz zu finden, und sie gab ihm vielleicht das Recht, sich zu beklagen, dass sie zu sehr das vergesse, [226] was er für sie getan habe. Der unstillbare Durst nach Vergnügungen hatte so die Gesellschaft befallen, dass es zum Despotismus der Sitten kam, denen man sich zu widersetzen nicht wagte. Tallien kam immer traurig düster, von Sorgen zerfressen heim. Von allen Seiten zurückgestossen, von Ekel erfüllt, glaubte er, dass es das Beste sei, dem Banner unter dem Oberbefehl Bonapartes zu folgen, das gegen Osten hinflatterte.

Durch einen raschen Wechsel des Schicksals wurde aus dem Protektor der Protegierte. Aber der General verfuhr sehr knauserig und glaubte seiner Pflicht gegen Tallien Genüge getan zu haben, indem er ihm eine untergeordnete Anstellung im Kontrollamte zugestand. Das war für den Mann. Bei Madame Tallien verkehrte Napoleon, auch als er Kaiser war, weiter. Die Beziehungen wurden mit einem gewissen Wohlwollen fortgesetzt, aber die Türen zu den Tuilerien blieben Madame Tallien immer verschlossen!

Tallien war im Jahre II nach Egypten gereist und kam erst im Jahre IX nach Frankreich zurück. Er war auf seiner Rückreise in die Gefangenschaft der Engländer geraten. Als er in Paris eintraf, verständigten ihn Freunde von hohem Ansehen, dass seine Frau während seiner Abwesenheit zwei Kinder zur Welt gebracht habe. Sie bereiteten ihn darauf vor, dass sie ihn sehr schlecht empfangen würde. Er zögerte, zu ihr zurückzukehren. Einflussreiche Persönlichkeiten legten sich ins Mittel und unterhandelten wegen der Scheidung. Während die Unterhandlungen im Zuge waren, kam ein drittes Kind zur Welt.

Als Madame Tallien am 18. Juli 1805 den Grafen von Caraman heiratete, lebten noch ihre beiden andern Gatten. Sie hatte einen Sohn vom Marquis von Fontenay und eine Tochter von Tallien. Der Graf von Caraman wurde bald nach seiner Heirat zum Prinzen von Chimay erhoben. Er erbte diesen Titel und das Vermögen des kinderlosen Prinzen von Chimay, der zu Florenz starb.

Die drei, in Abwesenheit Talliens geborenen Kinder [227] wurden unter dem Mädchennamen ihrer Mutter eingetragen. Diese drei Cabarrus wollten nach dem Tode ihrer Mutter vom Prinzen Chimay anerkannt werden. Doch die drei ehelichen Prinzen widersetzten sich diesem Begehren und meinten, jene gingen nur auf das später zu erhoffende Erbe aus.

Eine solche Auslegung wurde vom Minister für öffentliche Angelegenheiten lebhaft zurückgewiesen und den drei Prinzen ein öffentlicher Verweis erteilt.

Das Erkenntnis im Prozess vom 27. September 1835 brandmarkt sie, ein solches Ansuchen gestellt zu haben, dessen Erfolg das Resultat gehabt hätte, das Andenken ihrer Mutter zu entehren. Da überdies Tallien gestorben sei, ohne die Kinder, um die es sich handelt, verleugnet zu haben und ausserdem erwiesen ist, dass Tallien wiederholt von Egypten nach Paris gekommen ist, entschied der Gerichtshof, die Kinder seien als Talliens eheliche Kinder anzuerkennen!

Das war der Prozess zwischen den Kindern einer berühmten Frau, der sich die Geschichte nicht mit den prunkvollen Titeln Marquise v. Fontenay oder Prinzessin Chimay bemächtigt, wohl aber unter dem weit volkstümlicheren der Madame Tallien, der ihr bleiben wird, dessen unvertilgbare Popularität nicht einmal sie selbst auszulöschen imstande war!

[228]
Die Marquise von Condorcet.


Fast genau gegenüber den Tuilerien, am anderen Ufer der Seine, und im Angesicht des royalistischen Salons der Madame de Lamballe, befand sich ein anderer Salon, der von Condorcet, den die Zeitgenossen den Herd der Republik nannten.

Der letzte der Philosophen des grossen achtzehnten Jahrhunderts, der alle seine Kollegen überlebte, um sehen zu müssen, wie man ihre Theorien in den Wind schlug, war Condorcet, Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Nachfolger d’Alemberts, der letzte Korrespondent Voltaires, der Freund Turgots.

Sein Salon war der natürliche Mittelpunkt des denkenden Europas. Jede Nation, wie auch jede Wissenschaft war dort vertreten. Seine Frau Sophie, geborene von Grouchy, war erst Stiftsdame, dann begeisterte Schülerin Rousseaus und Anhängerin der Revolution. Aus ihrer halb geistlichen Stellung herausgetreten, stand sie einem Salon vor, der das Zentrum der Freidenker war. Inmitten einer liebenswürdigen, gutherzigen und gebildeten Umgebung, hatte Sophie von Grouchy eine heitere, sonnige Jugendzeit verbracht, der Liebling und der Stolz ihrer Familie. Sie hatte eine reizende Gestalt, ein geistreiches, schelmisches Gesicht, das eigentümlich und zart war, scharf gezeichnete Augenbrauen, das Merkmal eines festen Willens, grosse schwarze Augen ein Stumpfnäschen, einen immer freundlich lächelnden Mund. Sie kam nur mit Edlem in Berührung, und war selbst wie eine schöne Blume, die im richtigen Erdreich zu voller Blüte gelangte. Ihre Mutter, eine edle Frau, verstand es,

[228b]
Marquise von Condorcet.

[229] Not und Elend zu lindern, ohne bei den Armen das peinliche Empfinden des Beschenktwerdens zu erwecken. Sie nahm Sophie immer mit, wenn es galt, Armen zu helfen und der Not ins Angesicht zu blicken.

Als der Winter sich einstmals sehr hart anliess, ging sie mit Sophie und ihren anderen Kindern in den Wald und banden Reisigbündel, die sie dann in die Hütten trugen. Oder sie bereiteten selbst Brot für alle Armen der Umgebung und Suppen für die Kranken. All’ dies geschah in so grossem Masstabe, kostete sie so viel Zeit und Mühe, dass es der sonstigen, bequemen Wohltätigkeit der Reichen gar nicht glich und auch den bitteren Beigeschmack der Philantropie nicht hatte. Sie begnügten sich nicht damit zu schenken, sie suchten auch die Menschen zu trösten, zu belehren und bemühten sich, ihre Menschenwürde zu schonen. Der Eindrück davon blieb Sophie fürs ganze Leben. Noch viele, viele Jahre darnach schrieb sie ihrer Mutter, wie sehr sie ihr danke, dass sie sie unterwiesen habe, Not, Elend und Krankheit gern zu lindern, wie sie durch die dankbaren Blicke der Unglücklichen gelernt habe, das Glück zu empfinden, die Menschen zu lieben und ihnen zu dienen.

In Frankreich existierten zur Zeit des Ausbruches der Revolution viele adelige Damenstifte. Es war Sitte, dass junge Mädchen aus diesen Kreisen eine Zeitlang dort lebten, um sich weiter zu bilden, oder sich ganz dem Stande der Nonnen zu weihen.

Sophie war sehr ungern dort, es überkamen sie Anfälle von Melancholie in diesem düstern, klösterlichen Leben, fern von all den Ihren und dem freien, ungebundenen Landleben. Wie froh war sie, wieder nach Hause zu kommen! Aber welche Veränderung war in diesen 20 Monaten in ihr vorgegangen.

Als sie in das Damenstift von Neuville fuhr, las sie nur fromme Bücher, bei ihrer Rückkehr war sie ungläubig geworden, Voltaire und Rousseau waren ihre Lieblingsschriftsteller! [230] Sie konnte an Gott nicht weiter glauben, da die Welt voll von Unglücklichen und Notleidenden war.

Sophie war mit ihren Eltern in Paris zu Besuch gewesen, dort hatten sie in einem der Salons die Bekanntschaft Condorcets gemacht. Die Eltern luden ihn auf ihr Gut nach Vilette ein. Er verbrachte bald darauf einige Wochen daselbst, er war von Sophiens Schönheit und Geist ganz bezaubert, er bewunderte ihren edlen Charakter, ihren geraden Sinn, ihre starke Seele.

Sophie und Condorcet hatten viele gemeinsame Gedanken und Leidenschaften. Beide glichen sich in der Herzensgrossmut und dem geistigen Enthusiasmus. Der Philosoph gab sich früher darüber Rechenschaft als das junge Mädchen; er war von ihrer Anmut und ihrer ernsten Veranlagung lebhaft hingerissen und hielt um ihre Hand an, die ihm freudig zugesagt wurde.

In der Gesellschaft verwunderte man sich sehr über diese Heirat. Condorcet war 43 Jahre alt und Sophie bloss 22. Aber die Schönheit, die Anmut und der Geist Sophiens besiegten alle Vorurteile. Die Mutter La Roche Foucaulds z. B. sagte zu Condorcet, als sie Sophie kennen lernte: „Wir verzeihen Ihnen.“ Condorcet war derart von seiner Leidenschaft hingerissen, dass er keine Mitgift annehmen wollte. Am 28. Dezember 1786 fand die Trauung im Schlosse von Vilette statt.

Das Ehepaar bezog das Hotel des Monnaies am Quai-Conti. Es war dies Condorcets Geburtshaus, das schon seinen Eltern gehört hatte. Die junge Frau stand mehrere Jahre hindurch dem letzten Salon des französischen Geistes vor. Condorcet war schüchtern, argwöhnisch, scheu, seine Frau zog ihn in den Wirbel des Gesellschaftslebens und ihretwegen überwand er seine Schwächen.

Berühmte Freunde, die nach Paris kamen, verabsäumten nicht, der Ehre teilhaftig zu werden, Condorcet und seiner Frau vorgestellt zu werden. Wenn auch die verhängnisvolle Stunde von 1789 noch nicht geschlagen hatte, so hatte [231] dennoch die Revolution in den Geistern und Ereignissen ihren Anfang genommen. Sophie nahm grossen Anteil an der Bewegung, sie drängte Condorcet zum Angriff auf die alte Gesellschaft. Tatsächlich brachte sie es dahin, dass er, der Gelehrte, der Sekretär der Akademie der Wissenschaften, ohne Zögern in allen politischen Fragen mit seiner Stellungnahme in den Vordergrund trat. Die Leute wurden über seine Art die Dinge zu sehen unruhig, und suchten das Geheimste seiner Gedanken zu erforschen.

Zu Beginn des Jahres 1786 gründeten verschiedene Kunstfreunde, unter ihnen der Graf von Artois, Montorin und Montesquieu[WS 46], an der Ecke der Rue St. Honoré und Rue Valois, ein literarisches und gelehrtes Zentrum, das unter dem Namen Lyzeum bekannt war. La Harpe und Condorcet waren seine zwei hervorragendsten Lehrer. Die Kurse von La Harpe waren bewundernswürdig geleitet und verwandelten sich rasch aus literarischen Lektionen in solche revolutionärer Begeisterung.

Gleichzeitig unterrichteten Garat und Marmontel Geschichte, Condorcet und Lacroix Mathematik, Foucroy Chemie und Naturgeschichte, De Parcieux Physik. Nach ganz kurzer Zeit nahm das Lyzeum einen ganz mächtigen Aufschwung. Man zählte bald 700 Inskribierte; darunter die vornehmsten Damen des Hofes und der Gesellschaft. Ausser dieser Elite der Damenwelt kamen alle Leute des Geistes, alles was es glänzendes gab.

Sophie von Condorcet war die beharrlichste und bemerkteste unter den jungen Hörerinnen. Sie war auch bei der Antrittsvorlesung ihres Mannes zugegen, der seinen Kurs folgendermassen einleitete: „Alle Ansprüche entstehen gleicherweise aus Unwissenheit beim Menschen und der noch grössern Unwissenheit, die er bei jenen vermutet, bei denen er seine Ansprüche geltend macht.“

Condorcet hatte sich nicht bei der Versammlung der Stände gemeldet, aber die Stellung, die er einnahm, seine Beziehungen in der philosophischen Welt, seine von dem [232] ganzen gelehrten Europa gewürdigten Arbeiten, alles dies trug dazu bei, ihm eine besondere Position zu sichern, in jener allgemeinen Bewegung, die die Geister mit sich fortriss. Er diente den neuen Ideen durch seine Mitarbeiterschaft beim „Journal de Paris“ und „La Feuille villageoise.“

Aber hauptsächlich war es sein Heim, das ihm einen entscheidenden Einfluss sicherte, es war ein politischer Mittelpunkt geworden.

Man fühlte, dass Madame de Condorcet gar bald die schüchternen Reformversuche sein lassen würde, um sich über Hals und Kopf in die abenteuerlichsten und grossmütigsten Unternehmungen zu stürzen. Und tatsächlich wuchs Madame Condorcets Macht während der gesetzgebenden Versammlung und den ersten Monaten des Nationalkonvents von Tag zu Tag ins Riesengrosse.

Sogar die Verwandten Sophiens teilten ihre politischen Ansichten; der alte Marquis von Grouchy liess sich zum Zählkommissär der aktiven Bürger des Dorfes wählen. Das war eine schwierige und undankbare Aufgabe, ohne besonders ehrenvoll oder gar einträglich zu sein. Aber man beschäftigte sich mit der politischen Angelegenheit, und nichts schien in jener Epoche des Enthusiasmus und der Illusionen beneidenswerter.

Der Fluchtversuch Ludwig XVI. nach Varennes und seine Verhaftung bewirkten bei Condorcet einen ganz bedeutenden Wechsel seiner Anschauung. Er sprach sich sogleich offen für die Republik aus und gab seine Stellung als Schatzmeister des Staatsschatzes auf.

Auf der Liste der Lehrer, die man für den königlichen Prinzen bestimmte, stand auch Condorcets Name, ganz ohne sein Hinzutun; auch Madame de Condorcet war vorgeschlagen, sie sollte Gouvernante und ihr Mann erster Hofmeister des Prinzen werden. Beide schlugen das Anerbieten fast mit den gleichen Ausdrücken ab, trotzdem sie sich darüber nicht besprochen hatten. Condorcet und seine Frau hatten sich immer geweigert bei [233] Hof zu erscheinen. Ihre fortschrittlichen Ideen hatten ihnen manchen Salon versperrt. Die Gesellschaft von 1789 konnte ihnen ihre republikanischen Ideen nicht verzeihen. Malesherbes sagte einmal: „Wenn es in meiner Macht stünde, würde ich Condorcet umbringen, und mir darüber gar keine Gewissensbisse machen.“

Condorcet war mit einem Schlage populär geworden. Fünf Departements wählten ihn in den Nationalkonvent. Je mehr er in der Volksgunst stieg, desto verhasster machte er sich bei seinen Kollegen der Wissenschaft. Die Akademien der Wissenschaften in Berlin, St. Petersburg hatten seinen Namen in ihren Mitgliederlisten gestrichen! Trotz aller Angriffe wurde Condorcet am 1. Oktober 1791 von den Parisern zum Abgeordneten der gesetzgebenden Versammlung gewählt. Eine wichtige Aufgabe erwartete ihn hier. Er redigierte die Erklärung vom 29. Dezember, die an die Regierung gerichtet war, die Frankreich bedrohte; wie er auch am 20. April 1792, dem Tag der Kriegserklärung an Oesterreich, jenen berühmten Bericht über den politischen Aufstand auf den Tisch der gesetzgebenden Versammlung niederlegte, der sein grösstes Anrecht auf Ruhm bleiben wird.

Seiner Fürsprache zu gunsten Dantons war es zu danken, diesen zum Minister ernannt zu sehen. Sein Exposé über die Einberufung einer Nationalversammlung und über die Aufhebung der königlichen Gewalt ist bekannt.

Noch am 16. Februar 1793 hatte Condorcet einen grossen Einfluss im Nationalkonvent. Seine Vorschläge einer neuen Staatsverfassung schienen günstig aufgenommen zu werden. Am 26. März 1793 wurde er zum Mitglied des ersten Komitees der öffentlichen Wohlfahrt ernannt. Aber die Ereignisse überstürzten sich. Die Tage vom 31. Mai und 2. Juni, gegen die er Einspruch erhob, verschlossen ihm die Türen des Nationalkonventes. Er wollte noch einmal seine Vorschläge für eine neue Staatsverfassung verteidigen, indem er seinen „Aufruf an die französischen Mitbürger [234] zur Prüfung seiner Vorschläge für eine neue Staatsverfassung“ schrieb und damit seine Verurteilung besiegelte.

Trotzdem Condorcet noch eine Zeitlang unbehelligt blieb, fühlte er sich doch von Gefahr umlagert. Am 30. Juni 1793 wurde Condorcet geächtet, aber schon am 31. Mai 1793 hatte er mit seinem Freunde Jean Debry ein Gift geteilt, als Beweis ihrer gegenseitigen Freundschaft, und um bei jedem Ereignis, das sie betreffen würde, die einzigen Gebieter ihrer Person zu bleiben.

Tatsächlich wurde Condorcet am 8. Juli 1793, auf die Denunziation Chabots hin, wegen seiner Vorschläge einer neuen Staatsverfassung in Anklagezustand versetzt.

Die Siegeln wurden in seiner Stadtwohnung angelegt. La Roche, ein Freund, der mit dieser Mission betraut wurde, konnte diese Formalität nicht verhindern, verständigte aber rechtzeitig Condorcet, der flüchten konnte. In der ersten Nacht fand er bei Freunden Unterkunft, er entfernte sich jedoch bald und Garat nahm ihn auf, der keinen Augenblick zögerte, den Proskribierten im Ministerhotel selbst zu verbergen.

Zwei junge Doktoren, Pinel und Boyer, mit Condorcet befreundet, fanden in der Rue Fossoyeurs Nr. 21 eine bescheidene Wohnung bei einer Frau Vernet, der Witwe eines Bildhauers und Verwandten des berühmten Malers. Sie glaubten, dass Condorcet dort vor Haussuchung und Verfolgung sicher sein würde.

Anfänglich verheimlichte man Madame Vernet den wahren Namen ihres Mieters; sie fragte nur, ob er anständig und ehrlich sei, und da man dies bejahen konnte, sagte sie, es genüge ihr, er solle kommen.

Dort blieb Condorcet zehn Monate lang verborgen. Frau Vernet wollte gar nichts, nicht einmal Geschenke für ihre gefahrvolle Gastfreundschaft annehmen. Condorcet arbeitete in dieser freiwilligen Gefangenschaft den ganzen Tag. Abends kam er und einige harmlose Mieter in der [235] Wohnung der Frau Vernet zusammen, wobei sie sich ganz freundschaftlich mit einander unterhielten.

Am 3. Oktober 1793 wurde Condorcet in contumacium verurteilt, für ausserhalb des Gesetzes stehend erklärt und seine Güter eingezogen.

Die Frau eines ausserhalb der Gesetze stehenden Mannes durfte nicht in Paris übernachten. Madame de Condorcet ging zweimal die Woche, als Bäuerin verkleidet, zu Fuss von Auteuil nach Paris, und sah häufig die Hoffnung unerfüllt, ihren Mann einige Augenblicke sehen zu können.

Um das Eingangstor nach Paris ungehindert zu passieren, gab sie sich den Anschein, als ob sie zu der Menge gehören würde, die sich zur Guillotine drängte, um den blutigen Schauspielen beizuwohnen. Sie schloss sich auch dem Strome dieser Menschen an und begleitete die Leute bis zur Place de la Revolution, um sich ja nicht zu verraten.

Welche Freude, wenn ein geheim verabredetes Zeichen sie in Kenntnis setzte, dass sie ohne Gefahr zu ihrem Manne gelangen könne! Wie suchte sie ihn zu trösten, mit welcher Liebe sorgte sie für sein Behagen. Er schien über Nacht ein Greis geworden zu sein und bedurfte ihrer Stütze.

Er erschöpfte seine Kräfte, um eine Rechtfertigung seines politischen Handelns abzufassen. Seine Frau bemerkte gar bald, wie er darunter moralisch und körperlich litt, und brachte ihn dazu, diese Arbeit aufzugeben. Dagegen eiferte sie ihn dazu an, eine wertvolle Arbeit, „Entwürfe zu einem historischen Bilde über den Fortschritt des menschlichen Geistes“, zu verfassen.

Aber Arbeit konnte seine traurigen Gedanken nicht mehr bannen. Der Todesgedanke verliess ihn nicht mehr. Er unterbrach diese begonnene Arbeit, um die „Ansichten eines Geächteten“ und „Ratschläge an seine Tochter“ zu verfassen. Eigentlich war das erstere der beiden Werke eine Art Testament für seine Tochter. Er schrieb in der Einleitung folgendes: „In welcher Lage immer du dich auch [236] befinden wirst, wenn du diese Zeilen liest, die ich fern von dir aufzeichne, stehe ich meinem Schicksal gleichgültig gegenüber, und bin nur mit dem deinigen, und dem deiner Mutter beschäftigt. Halt dir immer gegenwärtig, dass nichts dir seine Dauer verbürgt. Gewöhne dich an Arbeit, denke nie egoistisch an dich und deinen Vorteil, gewöhne dich Gutes zu tun, das ist das reinste Glück, das der Mensch geniessen kann.“

Condorcet bedauerte nur deshalb sterben zu müssen, weil er dachte, seiner Frau und seiner Tochter noch nützlich sein zu können, und weil er sich von ihnen geliebt wusste. Er schrieb ihnen, er sterbe wie Sokrates, weil er seinem Vaterland gedient habe.

Die Unglücksstunde, die Condorcet seit Monaten geahnt hatte, näherte sich. Am 5. Germinal des Jahres II (25. März 1794), erfuhr Condorcet, dass am folgenden Tage bei Frau Vernet eine Haussuchung stattfinden würde. Er war entschlossen, seinen Zufluchtsort zu verlassen und sich in der Umgebung von Paris zu verstecken. Er verständigte im voraus seine Wohltäterin, aber diese schrie bestürzt auf und erhob Einsprache dagegen, worauf Condorcet ihr sagte: „Je mehr ich Ihren Mut bewundere, desto mehr gebietet mir die Pflicht als ehrlicher Mann, ihn in keiner Weise zu missbrauchen. Das Gesetz besteht. Sie sind auch vogelfrei, da Sie mir Zuflucht gewähren. Wenn man mich bei Ihnen fände, würden Sie das gleiche traurige Ende nehmen wie ich. Ich kann nicht weiter bleiben.“ Und die prächtige Frau antwortete ihm, dass der Nationalkonvent wohl das Recht habe, sie für vogelfrei, nicht aber für unmenschlich zu erklären; er habe nicht das Recht, einen Menschen ausserhalb der Menschlichkeit zu stellen. Aber Condorcets Entschluss stand unwiderruflich fest, er war entschlossen, wie er selbst sagte, sein Ruheplätzchen zu verlassen, das die grenzenlose Aufopferung seines Schutzengels in ein Paradies umgeschaffen hatte.

Er musste sich einer List bedienen, um die grossartige [237] Ueberwachung Madame Vernets zu überrumpeln. Am 25. März 1794 war der Gelehrte von seiner im oberen Stockwerk gelegenen Wohnung in die Parterrewohnung von Frau Vernet gekommen. Er sprach mit ihr und einigen anderen dort Anwesenden scheinbar ganz harmlos über gleichgültige Dinge. Dann liess er lateinische Worte einfliessen, um Frau Vernet das Gespräch uninteressant erscheinen zu lassen und sie dadurch zu veranlassen, das Zimmer zu verlassen. Aber umsonst, sie blieb. Dann gab er vor, seine Tabakdose auf seinem Zimmer vergessen zu haben. Dienstbeflissen, wie immer, eilte Frau Vernet hinauf, um sie zu holen. Diesen Moment benützte Condorcet, um auf die Strasse zu eilen. Er war mit einer Arbeiterbluse bekleidet und hatte eine grobe Wollmütze auf dem Kopfe.

Die Anwesenden stürzten ihm nach, um ihn zurückzuhalten, das Dienstmädchen schrie und jammerte und Madame Vernet, durch all dieses auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht, fiel in Ohnmacht und konnte ihm nicht nacheilen, um die letzten Anstrengungen zu machen, ihn zurückzuhalten.

Condorcet begab sich von Frau Vernet zu einem seiner Freunde, namens Suard, der einst viel Gastfreundschaft im Hause Condorcets genossen hatte, dem er viel verdankte. Suard war ängstlich und bat Condorcet, in der Nacht wiederzukommen; er bestimmte selbst die Stunde, in der der Flüchtling die Haustüre offen finden würde! Condorcet kam pünktlich und fand die Türe versperrt! Er verbrachte die Nacht in den Steinbrüchen von Clamart und irrte noch einen Tag im Walde umher. Von Müdigkeit und Hunger erschöpft, ging er in eine kleine Schänke von Clamart. Er bestellte eine Omelette und ass gierig. Um sich den Anschein von Sicherheit zu geben, zog er ein lateinisches Buch hervor, in dem er las. Aber das Buch und die gepflegten Hände passten nicht zu seiner Verkleidung und verrieten ihn; an seinem Tische sassen Bauern, Mitglieder der revolutionären Kommission von Clamart. Condorcet [238] kam ihnen verdächtig vor, sie glaubten in ihm einen Feind der Republik zu erkennen. Sie verhafteten ihn. Er gab an, Pierre Simon zu heissen. Er konnte aber keinen Schritt gehen, seine Füsse waren von dem ungewohnten und langdauernden Wandern im Walde angeschwollen und blutig aufgeschunden. Man band ihn auf eine Schindmähre, um ihn in das Gefängnis von Bourg-la-Reine zu eskortieren.

Tags darauf, um vier Uhr nachmittags, fand ihn der Kerkermeister leblos am Boden hingestreckt. Er hatte sich vergiftet.

Während mehrerer Monate blieb der Tod Condorcets unbekannt. Seine Familie glaubte, dass er sich in die Schweiz geflüchtet habe. Unterdessen wurde sein Eigentum als der Besitz eines Emigranten eingezogen und verkauft.

Seine Frau war ruiniert. Anfänglich dachte sie daran, nach Villette zu ihrem Vater zu gehen, aber sie gab diesen Plan bald auf, weil sie es für ihre Pflicht hielt, in der Nähe des Geächteten zu bleiben.

Madame de Condorcet entliess ihre Dienerschaft und die Lehrerin ihrer Tochter, und besorgte alle Arbeit selbst. Mit dem Rest des Geldes, der ihr geblieben war, kaufte sie ein kleines Wäschegeschäft und stellte dort einen Bruder des Sekretärs ihres Mannes an. Sie selbst richtete sich nebenan ein kleines Atelier ein und malte Miniaturbilder für Geld. Oft malte sie Geächtete in ihren Verstecken, damit deren Familien wenigstens dieses Andenken an die Unglücklichen blieb. Auf der Suche nach ihrem Mann, um sich den Zutritt in die Gefängnisse zu erobern, malte sie häufig die Kerkermeister, Soldaten und Wachen umsonst, um sie günstig zu stimmen. Während dieser endlosen Stunden sass sie in der rauchigen, übelriechenden Wachstube, hörte die zynischen, groben Witze der berauschten Wachen an, ohne merken zu lassen, wie sehr sie sich gedemütigt und verletzt fühlte. Die grausamen Redensarten, die damals ihr Ohr beleidigten, blieben ihr Leben hindurch eine schreckliche und schmerzliche Erinnerung.

[239] Aber sie brauchte die Leute, von deren Gnade hing es ab, ob sie alle Gefängnisse betreten konnte; überall hoffte sie ihren Mann zu entdecken.

Bis zum 9. Thermidor war sie täglich darauf gefasst, selbst verhaftet zu werden. Sie bekam oft Besuche des Revolutionskomitees und an Haussuchungen fehlte es auch nicht bei ihr. Man gab ihr zu verstehen, sich bereit zu halten, um ins Gefängnis zu gehen. Aber noch einmal gelang es ihr, sich aus der gefährlichen Schlinge zu ziehen, indem sie alle Mitglieder der Kommission porträtierte.

Als nach langen Monaten Madame de Condorcet den Tod ihres Mannes erfuhr, war ihr Schmerz grenzenlos. Die wenigen guten Freunde, die ihr geblieben waren, taten ihr möglichstes, um sie zu retten, aber sie war zu Tode getroffen. Weder die Arbeit, noch das Elend, selbst nicht einmal die Erziehung ihrer Tochter konnten sie von der Betrachtung ihres Unglücks ablenken. Madame Condorcet hatte niemals, auch nur für kurze Zeit ihre Tochter verlassen, noch deren Erziehung irgend jemandem anvertraut.

Nachdem es Madame de Condorcet gelungen war, die Zukunft ihrer Tochter materiell zu sichern, hatte sie nur mehr ein Ziel, sie suchte sie so zu erziehen, dass sie sich einst des Namens, den sie trug, würdig erweise, und auch so, wie es ihr Vater gerne gesehen hätte, wenn er gelebt haben würde.

Das, was sie von 1793 bis 1794 gelitten, hatte ihre Gesundheit aufs tiefste erschüttert. Sie konnte nie ohne ausserordentliche Gemütsbewegung davon sprechen.

Endlich, im Monat Januar 1795, bekam sie einen Teil ihres Vermögens zurückerstattet, aber es genügte nicht zu ihrem Unterhalte, und sie musste fleissig arbeiten, um das Fehlende herbeizuschaffen.

In der Einleitung des Buches von Condorcet „Entwürfe eines historischen Bildes über die Fortschritte des menschlichen Geistes,“ schrieb Madame von Condorcet folgendes: „Der geächtete Condorcet dachte einen Augenblick [240] daran, seinen Mitbürgern eine Darlegung über seine Prinzipien und seines Vorgehens als Volksmann zu geben. Er entwarf nur wenige Zeilen. Er wollte dreissig Jahre, die er in nützlicher Arbeit verbracht hatte, wie auch diese Unzahl von Schriften, in denen man ihn seit der Revolution alle, der Freiheit entgegengesetzte Institutionen unablässig hat angreifen gesehen, durcharbeiten. Aber beim Anblick all dieser sprechenden Beweise seiner Rechtschaffenheit gab er eine unnötige Rechtfertigung auf.

Möge dieses beweinenswerte Beispiel des für das Vaterland für die Sache der Freiheit und des Fortschrittes des menschlichen Geistes verloren gegangenen Talentes, ein segensreiches Bedauern, zum Wohle der Oeffentlichkeit, hervorrufen. Möge dieser Tod, der dazu beitragen wird diese Epoche der Geschichte zu charakterisieren, eine unerschütterliche Achtung vor dem Rechte einflössen, dessen Verletzung diesen Tod herbeigeführt hat.

Das ist die einzige Huldigung, würdig des Weisen, der im Angesicht des Todes, in Ruhe über die Verbesserung der Lage seiner Mitmenschen nachsann. Das ist der einzige Trost, den jene empfinden können, die Gegenstand seiner Zuneigung waren, und die seine Tugend ganz gekannt haben.

Nach und nach gelangte Madame de Condorcet wieder in den Besitz ihres Eigentums.

1795[WS 47] besuchte Napoleon I., der damals noch General Bonaparte hiess, Madame Condorcet. Er sagte ihr unter anderem: „Ich liebe es nicht, dass die Frauen sich in Politik mischen,“ worauf ihm Madame de Condorcet folgende geistreiche Antwort gab: „Sie haben Recht, General, aber in einem Lande, wo man ihnen die Köpfe abschneidet, ist es begreiflich, dass sie Lust bekommen zu wissen, warum dies geschieht.“

Noch zweimal empfand das liebebedürftige Herz dieser ausgezeichneten Frau grosse Leidenschaft, leider verstanden beide männer, das Glück nicht zu schätzen, von ihr geliebt zu werden. Der erste war der Volksredner Mailla-Garat, [241] der andere Fauriel, der Polizeibeamter unter Fouché war. Es gibt Briefe Madame Condorcets an diese beiden Männer, worin sich ihre Leidenschaft deutlich verrät, dabei ist sie aber immer auf das bedacht, was den Geliebten angenehm sein könnte, sie rückt ihre Person und ihre Wünsche immer in den Hintergrund. Mit Fauriel knüpfte sie eine jener Verbindungen an, die das XVIII. Jahrhundert zuliess, ohne dass man daran dachte, es einer Kritik zu unterziehen. Man betrachtete diese Art von Verbindung als morganatische Ehe.

Mailla-Garat hatte, während seines Verhältnisses mit Madame de Condorcet, Madame Coigny kennen gelernt, dieselbe, die André Chénier unter dem Namen „Jeanne Captive“ verewigt hat. Mailla-Garat verliebte sich in sie und verliess um ihretwillen Madame de Condorcet. Trotzdem blieb ihm Madame de Condorcet eine treue Freundin, die ihn bat, immer und zu jeder Zeit eingedenk zu bleiben, dass ihm ihre Freundschaft sicher sei.

Sie zeigte immer, bei allen grossen und kleinen Ereignissen, dass sie eine Frau war, die über Tausende ihres Geschlechtes emporragte, sie kannte nicht kleinliche Empfindeleien, sie war fern von jener albernen, so leicht verletzbaren Eitelkeit. Sie konnte es sogar so weit bringen, mit Madame de Coigny freundschaftlich zu verkehren, ohne im geringsten heucheln zu müssen.

Als sie ein Jahr nach der Trennung von Mailla-Garat Fauriel kennen lernte, hoffte sie den Traum von Glück, der so schnöde unterbrochen worden, mit ihm fortsetzen zu können!

Aber auch in diesem Menschen hatte sie sich getäuscht. Als sie starb, war er der wenigst Betrübte ihrer Umgebung. Sie hatte ihm ihre Liebe geschenkt, er verdankte ihr die Behaglichkeit seines Daseins; aber das Eine verstand er nicht zu schätzen, an das Andere hatte er sich so rasch gewöhnt, dass er bald vergass, wem er es verdankte! Er war rasch über ihren Verlust getröstet. Als er starb, stand [242] in seinem Testament kein Wort der Erinnerung für Madame Condorcets Tochter, noch für deren Kinder, noch hinterliess er ihnen irgend welche Andenken. Die Undankbarkeit Fauriels ist ein trauriges Beispiel menschlicher Schwäche. Sie trifft nur ihn, während das Andenken an Madame de Condorcet bei allen fortbestehen wird!

Madame de Condorcet verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens nur mit Wohltun und Krankenpflege der Ortsarmen beschäftigt.

Sie starb am 8. Oktober 1822; in ihrem Testament stand der Wunsch ausgesprochen, auf der Armenabteilung des Père Lachaise, ohne jede geistliche Zeremonie, in der denkbar einfachsten Weise bestattet zu werden.

Sie schliesst sich dem Zuge der ewigen Schönheiten an, jener teueren, lieben, zarten, unfassbaren Schatten, die des Vorzuges teilhaftig sind, durch ganze Zeitalter hindurch mit wahrer Liebe geliebt zu werden.

Wir bringen hier einige Auszüge aus ihren „Briefen über die Sympathie“, die sie ihrem Freunde Cabanis gewidmet hatte:

„Mein lieber Cabanis, es scheint mir, dass der Mensch kein interessanteres Objekt der Betrachtung haben kann, als den Menschen. Gibt es tatsächlich eine befriedigendere und süssere Beschäftigung, als die Regungen unserer Seele auf diese selbst zu richten, ihre Wirkungen zu studieren, ihre Schwankungen aufzuzeichnen, unsere Fähigkeiten dazu zu benützen, sich zu beobachten und sich gegenseitig zu erraten und nach den flüchtigen und verborgenen Gesetzen zu suchen, nach denen unser Verstand und unsere Empfindung handelt. Auch scheint es mir, oft mit sich allein zu verkehren, das anmutigste und weiseste Leben; es kann zu den Freuden „lebhafte und tiefe Empfindungen zu geben, Weisheit und Philosophie hinzufügen.“

„Die Schule der Schmerzen und Widerwärtigkeiten ist sehr wirksam, den Menschen teilnehmender und menschlicher zu machen. Wie nötig wäre euch, ihr Reichen und [243] Mächtigen, diese Schule, ihr, die ihr selbst von dem Gedanken an das Elend und das Missgeschick durch die fast unübersteiglichen Schranken des Reichtums, der Selbstsucht und des Machtgefühles getrennt seid.“

„Sie sehen, mein lieber Cabanis, dass, wenn uns die Natur auch mit einer Menge von Leiden umgeben hat, sie sie gewissermassen ausgleicht, indem sie aus unsern Schmerzen selbst die tiefste Quelle unserer Genüsse macht. Segnen wir jenen erhabenen Zusammenhang, der sich zwischen den moralischen Bedürfnissen der einen und den physischen Bedürfnissen der andern findet, zwischen dem Unglück, dem wir durch die Natur und durch unsere Laster unterworfen sind, und den Neigungen der Tugend, die nur dann glücklich ist, indem sie beisteht.

Man findet die Annehmlichkeit des Lebens nur im Wohltun, in der Zuverlässigkeit und der Güte, und indem man in dieser Weise seinen Hausgöttern einen Zufluchtsort gewährt und den Menschen zwingt, mit Entzücken sein eigenes Dasein zu empfinden.

Geheime und tröstende Freuden, die an den Frieden und an die verborgenen Tugenden geknüpft sind. Wahre und rührende Freuden, die ein von ihnen einmal berührtes Herz nicht wieder verlassen. Wehe dem, der euch verachtet und preisgibt. Ihr, die das tyrannische Szepter der Eitelkeit ohne Unterlass davon entfernt. Wehe insbesondere jenem Geschlechte, das eine kurze Spanne Zeit mit den glänzendsten Gaben der Natur überhäuft ist, und für das die Natur dann so lange eine Rabenmutter ist, wenn sie euch vernachlässigt oder euch nicht beachtet! Denn mit euch soll der Mann die Hälfte seines Lebens verbringen, und wenn möglich jenen verzauberten Kelch vergessen, den die Hand der Zeit inmitten seiner Laufbahn umstösst!“

[244]
Anhang.


Concept mit Bleistift geschrieben von der Hand der Théroigne zu den im „Procès-verbal“*)[5] aufgenommenen Antworten.

Hofrat von Blanc berichtet sub 3. Juni: Sie (Théroigne) ersuchte mich auch, ihr Papier und Bleistift zu geben, damit sie ihre Lebenserzählung, bevor solche dem „Procès-verbal“ eingeschaltet wird, nach und nach aufsetzen möge (könne?), welches zu tun ich keinen Anstand fand.

K. K. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien.

Je suis de Marcour comté de Montague, province de Luxembourg. Mon père qui se nommait Theroigne, était de Xhoris comté de Logne pays de Stavelot, ou tout mes parents du côté de mon père qui sont des paysans proprietaires, sont encore. Ma mère était de Marcour, elle était fille de Lahaye, mon grand père et ma grande mère de Campinado. Ma famille du côté du père de ma mère sont des paysans proprietaires dans la province du Luxembourg; ma famille du côté de la mère de ma mère est en Allemagne, je dois même avoir un grand-oncle à Vienne, qui se nomme Campinado. J’ai ouï dire par mes parents, qu’il y a beaucoup de Campinado de ma famille, qui ont été au service de sa majesté.

Mon père était un paysan à son aise, il avait un petit commerce et assez de biens en fond de terre pour vivre honnêtement. Mais beaucoup de procès et d’entreprises [245] qui ne lui réussirent point dans son commerce dérengèrent ses affaires au point qu’il a été obligé d’engager et de vendre tout son bien; il nous a presque rien laissé à sa mort, pour comble de disgrace on nous a usurpé les biens de ma grande-mère Campinado, et ma mère est morte que nous étions moi et mes frères encore très jeunes. Une tante que j’ai à Liège m’a prise chez elle, en suite elle m’a mise au couvent où j’ai appris un peu à coudre et fait ma première communion. Au bout d’un an ma tante s’est mariée et n’a plus voulu payer ma pension, elle m’a prise chez elle, pour avoir soin de ses enfants. Mais les mauvais traitements m’obligèrent de m’en retourner chez mon père qui s’était remarié. Ma nouvelle mère ne me traita pas mieux que ma tante de Liège; je fus forcée ainsi que mes deux frères de quitter la maison paternelle, le plus vieux s’en allat en Allemagne chez un de mes parents du nom de Campinado, et moi et mon jeune frère nous allames à Xhoris chez les parents de mon père. Mon frère était dans la plus tendre enfance et moi j’avais 13 ans, on me faisait faire des ouvrages plus fort que mon âge ne le comportait, ce n’était pas ce qui me rendait la plus malheureuse, je souffrais bien plus impatiemment les mortifications. Quand je ne pu plus les supporter je m’en retournai à Liège chez ma tante, je fus plus mal encore, elle continua de me traiter comme la première fois, à la fin ses injustices me forcèrent de nouveau de m’en aller. Elle me garda toutes mes hardes et tout ce qu’elle m’avait donné, pour me forcer à rester chez elle, mais je lui laissai tout et je reviens à Sougnié dans la province de Limbourg garder les vaches ou je restai un an, je m’en retournai de nouveau à Liège. J’allai demeurer chez une dame pour coudre. J’y fis connaissance d’une dame anglaise à 16 ans, qui me prit chez elle, j’en fus bien traitée à tous égards et c’est par ses soins que j’étais instruite dans la musique. Je l’ai suivi en Angleterre à ma vingtième anné, après être restée quatre ans dans le Brabant avec elle. [246] C’est ici que fini la periode de mon enfance et de ma toute première jeunesse.

Ce que je vais maintenant vous dire ne me parait point trop fait pour être inseré dans un procès-verbal; mais puisqu’on m’ordonne de rendre compte des principeaux événements de ma vie, j’obeis, mais cela me coûte a certains égards. Il venait chez cette dame un jeune anglais qui chercha à me faire la cour de la manière la plus honnête et la plus délicate, il avait beaucoup d’élévation et de générosité dans les sentiments, son âme était fière, son coeur droit. Il était beau, sa physiognomie exprimait tant de sensibilité quand il me parlait d’amour qu’insensiblement mon coeur se donna sans que je m’en aperçue. La dame chez qui je demeurais, qui avait pour moi les soins d’une mère, m’avertit de me tenir sur mes[WS 48] gardes et defendit la porte à mon amant. Il m’écrivait les lettres les plus tendres et les plus delicates, et se promenait tous les jours sous mes fenêtres. Mais d’après les sages conseils qu’on m’avait donné, je lui renvoyai ses lettres et lui fit dire de ne plus m’écrire; s’il m’avait obei j’en aurais été fachée. Il est inutile que je vous fasse de longs détails. Des soins qu’il prit pendant un an pour me plaire, et que je vous dise, la constance m’inspira l’amour le plus vif. Un soir que la dame chez qui je demeurai n’y était point, il se présenta, d’abord il ne pu s’exprimer; en suite il me disait les choses les plus tendres et me proposait de m’en aller avec lui pour nous marier. J’étais toute tremblante, je voulu m’échapper, mais il me suivit et me porta dans sa voiture. Je fus d’abord indignée, je lui fis beaucoups de reproches, il me fit de nouveaux serments, mon amour étouffa mon indignation et les regrets que j’avais de quitter une dame a qui j’avais tant d’obligations. Il me conduisit dans une de ses terres auprès de Londres où nous devions nous marier, je m’en rapportai à son honneur. Il était noble, et attendait dix mille louis de rentes à sa majorité, en consequence il était forcé d’avoir des [247] menagements pour ses parents, qui n’avaient point vu indifféremment qu’il se maria avec une fille qui n’avait rien. Car malheureusement pour les anglais, depuis les progrès du commerce et du luxe, les préjugés les plus contraires au bonnes moeurs et à l’esprit de leur constitution, se fortifient de jour[WS 49] en jour. Et la corruption qu’en resulte fait des victimes là comme ailleurs. Cependant mon amant m’aimait assez pour mépriser les reproches deplacés de ses parents et se serait marié tout de suite avec moi, si je l’avai exigée; mais je ne pensais qu’à mon amour. Je restai à la campagne avec lui jusqu’à ce qu’il fut parvenu en âge de majorité, du moment qu’il joui de sa fortune, mon bonheur disparut, il ne fut plus le même pour moi. Cependant sa simplicité, ses moeurs commencèrent à s’altérer, il était pressé de jouir de toutes ces[WS 50] superfluités qu’on peut se procurer avec une grande fortune, il me donna deux cent livres et me conduisit à Paris avec lui.

Quelque temps après arrivée dans cette capitale je plaçais 50 mille livres à fonds perdu à dix pour cent d’interêt, ce qui me fait 5 mille livres de rentes. Mon amant changea tout à fait de moeurs et de conduite, il donna dans les excés de tout genre, je m’en affligeai au point de tomber malade, il y parut sensible. Je l’aurai peut-être ramené au bien, mais il avait le malheur d’avoir beaucoup d’argent et des amis pervers, qui avaient besoin de le corrompre pour en profiter et se justifier en le perdant comme eux à certains égards. Il perdit toutes les belles qualités, cependant je l’aimais toujours, et je faisais mon possible pour l’arracher de Paris, espérant que quand il serait hors des mains de ses viles maitresses et ses infames amis, il ferait un effort sur lui-même pour reprendre ses enciennes moeurs, ce qui aurait été son plus grand bonheur. Je parvins enfin a le persuader de retourner en Angleterre avec moi, mais je le pressais de partir de crainte qu’il ne changea. En consequance je ne me donnais pas le temps de vendre mes meubles et de me faire payer 40 mille [248] livres que j’avais prêté à la même personne sur les biens duquel j’avais déjà hypothéqué 50 mille livres. Nous partimes tout de suite à mon grand contentemet et au regret de ma société. Si nous nous étions mariés d’abord en arrivant, nous aurions été heureux, mais le poison du vice avait atteint son coeur; il me laissa seul à sa campagne et alla à Londres où il donna dans le plus grand libertinage au point qu’il en derangea sa santé. Je présumai qu’il ne changerait jamais, et au lieu de me marier avec un homme qui se rendait de jour en jour plus indigne de moi, je jugeai qu’il était plus sage de le laisser, puisqu’il n’avait plus la force de surmonter ses vices, que de me condamner à être malheureuse toute ma vie; je le quittai donc en l’année 1787 à mon grand regret, car je l’aimais toujours.

En quittant mon amant je m’en allai à Londres où je ne connaissai personne. Après être toujours restée à la campagne, ma première idée fus de retourner dans le seins[WS 51] de ma famille, pour leur faire part de ma fortune. Outre les 5 mille livres de rente j’avais hypothéqué en France sur les biens particulier, on m’avait rendu les 40 mille livres en argent et pour 30 mille livres de diamants et d’argenterie dont je voulais faire hommage à mon père. Pour me présenter devant lui d’une manière convenable je resolu de lui dire que j’étais veuve et que tout ce que j’avais, m’avait été donné par mon mari. En consequence je pris un nom anglais, qui est celui qui est inséré dans le contrat du maître de musique, mais qu’on y a mal placé. Si je n’avais pas prise cette précaution je n’aurais pas osé paraître devant mon père, pour lui offrire les 50 mille livres et les diamants, que j’avais projeté de lui porter tout de suite. D’après mon arrangement il ne me restait plus que 5 mille livres de rentes, et comme j’étais accoutumée de depenser beaucoup, je crus que ce n’était point assez. Je vous ai déjà dis que la dame qui m’avait conduit en Angleterre, qui m’avait pris pour coudre et avoir soin de ses enfants, prit de l’amitié pour moi à un tel point, qu’elle me traita à [249] peu-près comme un de ses enfants. Elle me fit apprendre la musique d’abord pour concourir au progrès de sa fille, avec qui je chantais des duos, en suite dans l’intention de me faire un état en chantant dans les concerts de Londres. Depuis quatre ans et quelques mois que j’avais quittée cette dame, j’avais negligée la musique malgré cela je l’aimais toujours, je ne balançai donc point à reprendre mon ancien projet pour augmenter ma fortune d’autant plus, qu’en Angleterre les préjugés ne sont pas comme ailleurs, à l’égard des chanteurs. Cet état n’est pas méprisé surtout quand on se borne à ne chanter que dans les concerts, comme c’était mon intention. En consequence je cherchais le meilleur maître de musique de Londres, et on me présenta pour me perfectionner à un vieux soprano.

Mais mes moyens ne me permettaient point de lui donner un demi-louis par leçon, qui était son prix, J’imaginais donc de faire un arrangement avec lui, qui était de lui donner 8 livres par leçon et que je prendrai des heures quand il aurait fini les autres leçons, que nous marquerions chaqu’un de notre côté, toutes les leçons qu’il me donnerait et que je le payerais que quand je gagnerais de l’argent dans les concerts. Il parut content de ma proposition et me conduisit chez un homme publique, pour la contracter. Je ne connaissais personne qui aurait pu me conseiller, je n’avais point d’experience, j’étais de bonne fois, mais j’avais affaire avec un coquin, il fit faire un contrat tout différent de ce que je viens de dire, il n’y avait aucune des choses dont nous étions convenus, tout ce qu’il y substitua, était du plus injuste et du plus malhonnête. C’était absolument un faux contrat dans tout ses points et j’eu l’imprudence de le signer sans me le faire lire. Il y avait un dédit de mille louis et quantité d’autre choses, qui me revoltèrent, quand je me le fis lire en Italie; il y est même inseré que je chante au theâtre, cela est de toute fausseté, il est facile de le prouver.

N’ayant aucune défiance et toujours dans la bonne fois, [250] que le contenu de ce contrat était l’arrangement que j’avais proposée, je me préparais tranquillement à m’en retourner dans mon pays, porter à mon père ce que j’avais projetée et en même temps revenir par Paris pour vendre mes meubles. Mon maître de musique, que ses mauvaises affaires obligeaient de sortir de Londres, comme je l’ai sus après, qui me savait de l’argent et qui était aussi rusé que coquin, crut avec assez de raison, que mon père aurait voulu me garder auprès de lui avec l’argent que je lui portais, qu’il aurait voulu savoir le contenu du contrat que j’avais malhabilement signée, et qu’il avait mieux aimé payer le dédit de mille louis qui était faussement inseré, que de me laisser sortir de ses mains, en un mot, que de me permettre de continuer la musique aux conditions du contrat. Je serai donc restée chez lui et mon maître de musique serait retourné en Angleterre, avec mille louis pour payer ses dettes, voilà réellement ce qu’il pensait et pourquoi il me proposa de venir avec moi sou prétexte qu'il[WS 52] avait des affaires à Paris. Ne sachant pas les vrais motifs qui le forcent à sortir d’Angleterre j’acceptai son offre, pour lui rendre un service, et pour ne point perdre du temps. Ayant un petit fortepiano dans la voiture, ce qui me procurait le plaisir de chanter aussi souvent que je voulais, quoique en voyage. Nous partîmes donc. En arrivant dans les Ardennes, j’appris dans le village de Jupille, que mon père était mort, je me trouvais mal, je pensais mourir de douleur. On me l’avait écrit mais la lettre m’avait croisée, je changeais de projets en suite. Je donnais un peu d’argent à ma belle mère, pris mes trois frères et nous partîmes tous pour Paris, ou je plaçais 40 mille francs à 8 pour cent livres de rentes. Mon maître, qui était avec moi à Paris, pour y faire ses prétendue affaires, était tout embarrassé. La mort de mon père avait deconcerté ses projets, il n’osait retourner en Angleterre[WS 53], n’ayant de quoi payer ses dettes. Il tâcha de me persuader d’aller en Italie en me faisant envisager tous les avantages [251] que j’avais dans ce pays là, pour l’éducation de mes frères, qui m’y coûterait infiniment meilleur marché qu’en Angleterre et la facilité de nous perfectionner dans la musique et moi et un de mes frères, qui voulait l’apprendre aussi, ce qui aurait été fort bien, s’il n’avait eu de mauvaise intention. Je me décidais donc de faire le voyage d’Italie, moi, mes trois frères et mon maître de musique, ce dernier me promit de me rendre les frais de son voyage. Je crus qu’il était aventageux à mes progrès dans la musique, aux projets que j’avais de faire apprendre la musique à l’un de mes frères, et à l’autre la peinture, d’aller dans ce pays là. J’aurais pu y aller sans consulter mon maître de musique d’aprés l’arrangement que je croyais avoir fait à Londres avec lui, quand je suis parti pour l’Italie, sans m’être instruite de ce que contenait ce contrat, et mon maître s’était bien gardé de m’en parler et de me donner le moindre soupçon. Il voulait m’avoir en Italie pour éxécuter ses projets, m’y avoir pour profiter de mon enthousiasme pour la musique, et de ma facilité naturelle de prêter de l’argent et de m’engager à lui avancer les frais de son voyage, – vous sentez bien, que si j’avais été instruite de sa friponnerie je n’aurais pas voulu aller plus loin que Paris. Je vous observe que je n’ai pas usée du credit que je lui avais demandée dans l’arrangement que je croyais avoir fait avec lui et d’après lesquels j’agissais, me trouvant assez d’argent, je le payais toujours regulièrement jusqu’ à Gènes à huit livres par leçon. Quand[WS 54] j’arrivai à Gènes il leva le masque, me signifia les choses de son contrat et voulut m’engager malgré moi, pour chanter sur le théâtre de Gènes. J’étais outrée, je consultais d’honorable gens, j’écrivis à mes amis, j’allais chez des gens de lois, qui me dirent que le contrat était de nulle validité, à tout égard. Mon maître de musique écrivit partout des horreurs de moi, mais on me connaissait et lui aussi, en consequence tous mes amis me renvoyèrent les lettres que je fis valoir contre lui; mon amant même m’envoya un exprès de Londres avec des renseignements, [252] avec un extrait de banqueroute de ce maître et les conseils d’un avocat, de ce pays là. J’en fus enfin debarassée, mais je perdis les frais de son voyage, qu’il devait me rendre avec deux cent louis que je lui avais avancée pour les leçons, que je croyais qu’il me donnerait à moi et à mon frère à Gènes, mais comme cela éclatait d’abord en arrivant, j’envoyais celui de mes frères, qui voulait apprendre la musique à Naples. Le mépris qu’on a pour les chanteurs en Italie, et les désagréments que je venais d’éprouver, me degoutèrent de la musique pour moi et pour mon frère. Je le fis donc revenir de Naples et ne voulu plus qu’il la continua, car depuis que je m’étais accoutumé à l’économie je trouvais que j’avais assez de 8 mille livres de rentes pour moi et ma famille. Cependant nous commencions, moi et mes deux frères à nous ennuyer à Gènes. Le troisième de mes frères était à Rome, où j’avais envie de le laisser pour continuer la peinture, mais j’étais indécise si j’irais à Rome, ou si je retournerais en Angleterre, ou enfin dans mon pays. Enfin mes affaires m’appellaient en France car on avait negligé de me payer ma rente de 5 mille livres depuis un terme. Sur ses entrefaits la renommée[WS 55] m’appris la Revolution française, cela me fit une grande impression, surtout la nouvelle qu’il y avait une Assemblée Nationale publique, je me decidais à passer par la France pour me faire payer et pour être témoin d’un aussi grand spectacle. Je renvoyais un de mes frères à Liège avec l’argent necessaire pour payer la pension, et l’autre je l’emmenais avec moi à Paris. Avant de rien dire relativement à la Révolution française, je dois avertir qu’on n’a pas besoin de me recommander d’être franche, je m’en suis toujours fait un devoir et quelque soit ma situation, il est indigne de moi d’être infidèle à mes principes. Toute ma conduite prouve, que je n’ai jamais cherchée à cacher la moindre de mes actions, et on n’avait pas besoin de m’arrêter pour m’en faire rendre compte, un simple ordre de sa majesté aurait suffit, je ne dirai ni plus ni moins ici, que je n’aurais dis chez moi: [253] Je nommerai tous les endroits où j’ai demeurée en France et dans mon pays, pour faciliter les moyens de prendre les informations que l’on croira nècessaires. En arrivant à Paris, j’ai d’abord demeurée à l’hôtel de Toulouse, tout le temps que j’étais dans ce logement je n’ai vu personne, je m’occupais de la musique et de lire les papiers publiques, que je ne comprenais point. Cependant l’efferverscence générale s’était communiquée jusqu’à moi. Je n’avais aucune notion des droits des peuples, mait j’aimais naturellement la liberté; un instinct, un sentiment vif que je ne pouvais trop exprimer, me faisait approuver la Révolution française sans trop savoir pourquoi, car je n’avais aucune instruction, je n’ai appris le peux que je sais, que progressivement en allant à l’assemblée nationale[WS 56].

La révolution du 14. juillet est arrivée, mais je n’ai pas été témoin des principaux événements qui l’on characterisée; en consequence je ne vous dirais que ce que j’ai vu car je ne me souviens que très imparfaitement de ce que j’ai ouï dire, je ne vous le rendrais ni aussi bien, ni aussi fidèlement que les papiers publiques.

Le soir du 14. juillet je me promenais avec un domestique dans les rues de Paris, je ne vis rien que beaucoup d’hommes armés et d’autres que cherchaient des armes, je vis des soldats, je les demandais, s’ils étaient pour le tiers Etat. Un officier court quelques pas après moi, mais il ne continua point, quand il eu remarqué, que j’étais une femme. J’avais fait cette demande fort inconsidérément, sans y attacher aucune importance, autrement je ne me serais point exposée pour rien, je m’en retournais chez moi sans parler à d’autre personnes.

Le lendemain 15. juillet je vis comme la veille, mais en plus grand nombre des hommes armés de fusils, d’épée et de piques, on cherchait partout des armes et du grain. Je vis arriver au marché une grande quantité de sacs de farine[WS 57] qu’on avait trouvé dans un couvent dans le faubourg Montmartre et ailleurs. Je ne sais si [254] c’est le 15 ou le 16 que l’on prit la cocarde verte. D’abord que je la vis aux autres je la pris aussi. Mais quand on s’aperçut que c’était la couleur du comte d’Artois, on la laissa pour prendre la cocarde aux trois couleurs nationales, que je pris aussi.

On convoqua les districts, on chercha les armes aux Invalides et dans tous les magasins et tous les citoyens s’armèrent; on assiegea la Bastille.

J’étais au Palais Royal quand on vint apporter la nouvelle, qu’elle était emportée, le public fit éclater un grand contentement, beaucoup pleuraint de joie en criant qu’il n’y avait plus de Bastille ni de lettre de cachet.

Le roi vint à Paris, je ne me souviens point quel jour, j’allais au devant de lui, dans les rangs, je tenais lieu d’un soldat, j’étais en amazone blanche, chapeau rond, je n’ai parlé à personne. En même temps que je voyais plus comodement dans les rangs, j’étais bien aise de jouer le rôle d’un homme, car j’étais toujours extremement humiliée de la servitude et des préjugés, sous lesquels l’orgueil des hommes tiennent notre sexe oprimée.

J’allais tous les jours me promener au Palais Royal, mais je ne disais rien parce que je n’aurais su quoi dire, j’y voyais arriver à tout moment des canons, des sacs de farine, des gardes françaises que le peuple avait delivré des provisions, des soldats de lignes du camp qui était auprès de Paris, des compagnies de citoyens, tous venaient en triomphe se declarer pour la nation, ce qui me frappait le plus, s’était un air de bienveillance générale; l’égoïsme semblait être bannit, tout le monde se portait indistinctement. Les riches dans ce moment de fermentation se melaient parmis les pauvres et ne dédaignaient plus de leurs parler comme à leurs égaux, enfin toutes les physionomies me parurent changée, chacun osait developper son caractère et ses facultés naturelles. J’en ai vu beaucoup, qui quoique en haïllons avaient un air héroïque. [255] Pour peu qu’on aie de sensibilité, il n’ est point possible, de voir un pareil spectacle indifferemment. Aussi avai-je beaucoup d’enthousiasme au point que je rèsolu d’aller à Versailles pour être témoin des déliberations de l’Assemblée Nationale. Non pas dès le commencement c’est dont j’ai été bien fachée après, car j’ai perdu ce plus beau moment, mais lors l’on commença a déliberer sur la déclaration des droits de l’homme et du citoyen. En y arrivant j’allais demeurer rue de Noailles, je ne connaissais personne, aucun député, ni qui que ce soit, ne venait chez moi et je n’allais nul part, j’étais du matin au soir à l’Assemblée Nationale. Ce ne fut que vers la fin de mon séjour, dans cet endroit que je fis la connaissance de Mr. Pétion de Villeneuve et du frère de l’abbé de Sièyes. Encore ne venait-il que très rarement chez moi. L’Assemblé-Nationale me parut un grand et beau spectacle dont la majesté me frappa, j’éprouvais des grands sentiments, mon âme prit un nouvel essor, d’abord je ne comprenais pas grand’ chose de toutes ces déliberations; mais insensiblement je m’instruisis un peu et je parvins enfin de connaitre la cause du peuple et celle des priviligiés. Alors mon patriotisme augmenta à proportion que je fus persuadée que la justice et le bon droit était du coté du peuple.

L’affaire du 5 et 6 Octobre arriva. J’étais à l’Assemblée Nationale, le 5 au soir lorsque les femmes arrivèrent. Elles avaient à leurs tête un habillé, de noir, il est inutile que je vous répète ce qu’il dit. Les papiers publics en ont assez parlés. Je restais à l’Assemblée jusqu’au soir, je la quittais avant qu’elle ne fu separée. Mr. Pétion de Villeneuve, que je rencontrais me conduisit jusqu’à chez moi, mais je voulais voir ce qui se passait, j’allais jusqu’au coin de ma rue, ou il me laissa, je m’avançais jusqu’ à la barrière, je vis d’une part le regiment de Flandre, de l’autre les gardes du corps et le peuple armé avec des canons. Je ne parlais à qui que ce fut, après quelques moments, je m’en retournais chez moi; chemin faisant, je vis [256] trois ou quatre malheureux qui pleuraient, je leur demandais ce qu’ils avaient, il me repondirent qu’il y avait trois jours qu’ils n’avaient mangés une bouchée de pain, je les conduisit jusqu’à ma porte, et j’allais chercher un pain que je leur partageais.

Je ne sortis plus de chez moi ce jour là; ce fut le matin qu’on convoquât l’Assemblée-Nationale la nuit, mais je n’y allais point, je ne sorti de chez moi que le lendemain matin vers lex six heures, ou six heures et demi. La salle de l’Assemblée-Nationale n’était point encore ouverte, la milice nationale était devant le château, il y avait un monde infini. J’entrais dans quelques groupes, pour entendre ce qu’on disait, on parlait des aristocrates, et non en bien. Je m’avençai jusqu’ dans les rangs de la milice nationale, pour voir le peuple qui était aux prises avec les garde-du-corps, mais je ne pus rien voir, on ouvrit la salle, j’allai à ma place ordinaire dans la tribune numereau six, il n’ y avait encore personne d’arrivé que quelques deputés du parti aristocratique, qui firent la motion que l’Assemblée Nationale devait se transporter dans le salon d’Hercule. Il me paru à moi et au peuple qui était dans la même tribune, que si l’Assemblée-Nationale se déplaçait, elle blesserait la dignité et violerait les decrets, parce que ses déliberations n’avaient pu être publiques, à cause du local, qu’il était donc plus convenable qu’elle envoyât une nombreuse députation au roi. Nous fîmes des reclamations et quand l’Assemblée fut plus nombreuse, plusieurs députés firent la même motion qui fit en fin decretée. Je suivis l’Assemblée-Nationale à Paris, je vins demeurer rue du Bouloir à l’hôtel de Grenoble. Je continuais toujours à aller à l’Assemblée Nationale, matin et soir. A force de me voir, tout le monde me connaissait, le peuple et les députés prirent de l’estime pour moi, tant à cause de mon patriotisme que ma conduite privée.

Je parlai volontiers à ceux de la tribune, qui applaudissaient les mêmes choses que moi, du reste je ne les connaissais point, je ne savais pas même leurs noms, car [257] la tribune se renouvelait presque tous les jours. Je proposais à ceux qui venaient le plus souvent et que je connaissais le plus, de former une société. Mr. Romme et Mr. Marét et un autre dont je ne me rapelle point le nom, goutèrent mon projet et convinrent de venir chez moi pour l’examiner, nous fîmes entre nous et trois ou quatre autres, qu’ils me presentèrent, que je ne connaissais point, le plan d’une société que vous devez avoir prouvé dans mes papiers. Quand notre assemblée aurait été nombreuse, nous l’aurions divisée en six comités: de bibliografie, de rédaction, de censure, de dannotation, de rapport et de soins aux traveaux concernant la société. Nous aurions tenu assemblée générale deux fois par semaine, tous les membres des differents comités y auraient fait leurs rapports qui auraient été discutés ainsi que les motions et les motions et adoptée ou rejetée à la pluralité des suffrages. Pendant le temps, que cette société naissante s’assembla chez moi elle augmenta jusqu’au nombre de 12 à 13 personnes.

Alors elle se transporta chez Mr. Romme, qui avait un local plus commode que moi. Pour une bibliotheque commune à tous les membres de la société, qui prit le nom de bibliotheque patriotique.

Je fis la motion dans la tribune des feuillants, qu’il fallait que le peuple donna aux meilleurs patriotes de l’Assemblée Nationale des couronnes civignes ou des cocardes, ma motion fut adoptée. Mr. Romme redigea une adresse avec les autres patriotes que le peuple signa, il donna 7 cocardes au 7 membres du Comité de constitutions, tout le monde voulait concourir à cette petite dépense, mais par un excès de zèle, je ne voulus point, je portai les cocardes chez Mr. l’abbé de Siéyès, comme le plus digne de la reconnaissance et de l’éstime public. Mr. l’abbé de Siéyès vint chez moi, pour me remercier. Je continuais toujours à aller à l’Assemblée Nationale. Quelque temps après j’allai dans le district des cordeliers; j’y fis la motion, qu’il fallait ouvrir une [258] souscription pour bâtir une salle pour les représentants de la nation, inviter les artistes les plus célèbres de l’Europe à concourir pour présenter le plan le plus digne du sujet, que les femmes devaient renoncer à leur diamants, et en général à toutes les superfluitées qu’étaient incompatible avec la liberté et les moeurs, pour les apporter sur l’autel de la patrie. Aider et subvenir au frais de la construction de la salle et par là donner de l’ouvrage à deux cent mille ouvriers qui n’avaient rien à faire. Je dis beaucoup d’autre choses dont je ne me rappelle point. Ma motion fut adoptée.

Le jour que les députés de l’Assemblée Nationale sont allés entendre le Tedeum à la cathédrale de Paris, on m’envoya un billet pour aller voir, mais j’arrivais trop tard, je ne pu percer la foule, plusieurs députés patriotes m’invitèrent à marcher avec eux en procession. L’envie de voir un spectacle aussi intéressant, et puis l’honneur d’être avec les députés, dans une cérémonie publique, me fit accepter; je marchais toute une rue à coté d’eux, il y en avaient beaucoup qui crièrent: „Ho, une femme députée, c’est singulier!“ Quelques prêtres aristocratiques, qui s’en aperçurent, criaient après moi, je me retirais d’abord, malgré qu’il y en avaient beaucoup d’autres, qui comme moi marchaient en procession avec les députés, quoique il ne fussent point députés, mais ils étaient hommes et apparement que ceux des aristocrates qui criaient après moi, trouvaient singulier, qu’une femme voulut faire la même chose. J’avais fais connaissance des meilleurs patriotes du district des cordelliers, et comme la société qui s’était d’abord assemblée chez moi, s’était dissoute, je leur proposais d’en former une nouvelle, ils ne voulurent point parce qu’ils étaient déjà engagés dans d’autres sociétés. Cependant Mr. Danton et Mr. Villier, Mr. Bouget et l’auteur du projet du corps des veterans goutèrent ma proposition. Nous nous assemblâmes avec trois ou quatre dont je ne me rappelle point du nom. Chez le dernier, notre société augmenta de 7 à 8 personnes, alors nous nous assemblâmes dans une [259] salle qu’on nous prêta toujours dans le district des cordeliers. Chacun de nous donna 3 livres pour les frais du bois de lumière et d’autres petits besoins de la société. D’abord nous n’avions aucun but, nous nous assemblions deux fois par semaine, simplement pour lire les papiers publics, parce que nous étions convenus, que tous les journeaux pour lesquels chacun des membres de la société serait abonné, qu’ils devaient les apporter à la salle commune, afin que ceux qui n’avaient point le même avantage, puissé s’instruire sans rien dépenser. Cependant notre société prit enfin une formé, nous arretâmes, qu’elle se nommerait „Le Club des droits de l’homme“, qu’elle surveillerait la conduite publique, qu’elle denoncerait leur prévarications aux tribunaux ou à l’opinion publique, afin qu’il ne puisse substituer leur passion et leur interêt personel à la justice. Nous ne devions point souffrir la moindre infraction aux loix, ni le moindre attentat au droit de l’homme et du citoyen, nous ne devions cesser de rappeller aux administrateurs de la justice qu’ils ne sont que de simples citoyens chargé de la censure de leur semblable, institués pour s’occuper de leur bien être, et non de leur fortune particulière. Voilà quel étaient les travaux de cette société. Nous étions persuadés qu’une injustice individuelle ou publique est l’affaire de tout le monde, qu’il n’y a que de malhonnête gens qui disent, que cela ne les regardent point, quand il arrive quelque chose de facheux à leur semblable, que d’ailleur en défendant les droits de ses concitoyens on défent les siens propres. Dans ces principes nous devions prêcher la confraternité. Les moeurs, la modération, la justice et toutes les vertues, nous devions défendre l’innocence et la faiblesse opprimée, nous aurions servit d’avocat et fait connaître les lois protectrices à ceux dont l’éducation n’avait point été assez soignée pour les connaître, ni pouvaient se defendre par eux même. Voilà les principes sur lesquels cette société été instituée. Selon moi ils étaient fort bons, un pareil établissement aurait [260] fait beaucoup de bien à l’humanité, cette société n’a malheureusement point prise, comme je l’aurais desirée, malgré qu’elle se soit augmentée jusqu’au nombre de 40–50 personnes, ils n’y venaient point quand nous nous assemblions, nous n’étions jamais plus de 9–10 tout au plus 13 ou 14, qui n’étaient point fort éclairés. Je continuais toujours à aller dans cette petite société, jusqu’à mon départ de Paris. Depuis je ne sais ce qu’elle est devenue. J’en été présidente à mon tour, dans tout cela je n’avais d’autre but, que l’amour de la gloire, et le bienêtre des hommes, mais je n’avais ni talents, ni expérience et j’étais femme, voici un grand inconveniant aux yeux de l’autre sexe.

Je me plaisais beaucoup à Paris, mais je n’avais plus assez d’argent pour y rester, et j’étais pourtant toujours chargée de tous mes frères, que je ne voulais point abandonner. On ne me payait point ma rente de 5 mille livres, et je ne savais quand on me la payerait. J’avais anticipé sur ma rente de mille écus à peut près pour deux ans, et mis tous mes diamants en gage. Je devais déjà beaucoup, je n’avais plus qu’un collier et 25 louis d’une dernière bague que j’avais engagée pour vivre moi et ma famille, payer la pension d’un de mes frères que je laissai à Paris pour continuer d’ apprendre la peinture auprès de Mr. David. Si j’étais restée plus longtemps à Paris j’aurais eu bientôt mangée le collier et les 25 louis, je me serais vue forcée de faire de nouvelle dettes. Cependant je ne voulais rien emprunter, à la fin je ne sais trop comment je me serais tirée de l’embarras ou j’allais me plonger, avec le peu d’argent qui me restait et mon collier, je pouvais vivre longtemps avec économie à la campagne, en attendant qu’on me paya mes rentes. J’étais indecise, si j’irais dans quelque province de Paris, où il fait vivre à bon marché, ou si je retournerai dans mon pays. Dans cette indécision je pris deux passeports, l’un pour la France et l’autre pour mon pays. Comme j’étais extrêmement accoutumée à vivre avec un air d’opulence, par une faute d’amour propre, je changeai [261] de nom afin que sans être connue je puisse prendre un costume, une manière d’être analogue à mes nouveaux moyens, dans ces circonstances il fallait que je m’en aille seule à cheval ou en diligeance, je n’avais point les moyens de m’en aller en poste. Comme je balançais toujours, si je retournerai dans mon pays, ou si je resterai en France, que je ne savais point trop où aller, mon frère, celui que j’avais renvoyé de Gènes à Liège, vint me voir à Paris, et me decida à retourner dans mon pays. Je vous avoue que je quittai la Révolution française, sans trop de regrets, car j’éprouvais tous les jours quelques désagrements dans les tribunes de l’Assemblée Nationale, il y avaient toujours quelques aristocrates à qui mon zèle et ma franchise deplaisaient, qui me lancèrent quelques sarcasmes, ou me tendaient des pièges, j’avais tous les jours quelques nouveaux désagrements, et les patriotes au lieu de m’encourager et de me rendre justice, me tournaient en ridicule. Voilà la pur verité, j’étais pour ainsi dire dégoûtée et d’ailleur on disait qu’on avait déposé contre moi au Châtelet, pour l’affaire du 5 et 6 Octobre. N’ayant rien fait, je ne le croyais point. Cependant on cherchait à m’effrayer en exagérant la parcialité du tribunal; les injustices dont il s’était déjà entaché, qu’il était de la contre-révolution, malgré que je n’eus fais ancune démarche publique contre lui ni aucun aristocrate, quand je parlais d’eux en particulier je ne les menageais point, sans pourtant rien dire que de vrai, mais j‘avais[WS 58] une manière de le dire franche, je n’ai jamais su ce que c’était que de colorer la verité, par la manière de la représenter, je m’étais donc fait beaucoup d’ennemis.

Je savais bien que sous le moindre prétexte le Châtelet lancerait un decret contre moi, pour se venger ou venger ceux, dont il était l’instrument, quoique ce n’était point l’embarras, il avait lancé des decrets contre beaucoup de patriotes, qui s’en moquaient, ils n’étaient point sortit de Paris parce qu’ils avaient de l’influence et que le peuple ne les aurait point laissé saisir; [262] mais moi, je n’avais point le même avantage, malgré que les pamphlet et journaux aristocratiques m’aient donnés beaucoup d’influence et d’ascendant sur le peuple et beaucoup de protections. Je n’avais réellement rien de tout cela, et rien n’aurait pu m’empêcher d’essuier le desagrement d’une saisie, quand ce n’aurait été que pour m’empêcher d’aller plus longtemps à l’Assemblée Nationale, ah! j’oubliais de dire que j’ai fais la première le serment civique dans les tribunes de l’Assemblée Nationale et que sous la presidence de l’abbé de Montesquieux qui fit la motion d’exclure le peuple de la tribune la plus patriote des déliberations de l’Assemblée Nationale j’avais été la première à crier un nom vraiment du sentiment, on m’entendit d’un bout de l’Assemblée à l’autre. D’après toutes les considerations malgré que je me plus à Paris, je quittai pourtant sans regrets les patriotes, n’était point à mon égard comme ils auraient du être et craignant les pièges des aristocrates, contre lesquels je ne pouvais opposer aucune resistance. Cependant je n’avais point[WS 59] d’argent, l’envie de m’instruire, la passion du patriotisme, m’aurait empêché de sortir de Paris, mais je ne le pouvais point, je partis donc pour mon pays natal avec la diligence.

Je declare avoir rempli mes engagements, avoir fais ce que je me dois à moi même, en ne cachant ni la moindre de mes actions ni de mes pechés, j’en ferai autant à l’égard de mon pays. J’ai dis, que je suis partie de Paris par la diligence, le hasard fit qu’il n’y avait dans cette voiture que des aristocrates, ils parlèrent des patriotes de la manière du monde la plus indécente, quand je vis que j’étais avec des gens aussi grossier, j’allais dans ma petite voiture qui suivait la diligence, ou je trouvai un nommé Mr. Barachin, en parlant de choses et d’autres, je lui dis que j’allais vivre dans la retraite pour étudier, il m’offrit une lettre de recommendation pour un libraire de Liège que j’acceptais. A Reims je laissais cette voiture qui n’allait pas plus loin, et je pris la petite [263] charette du courrier, jusqu’à Paliseul, où je pris un cheval pour venir jusqu’auprès de Saint-Hubert. J’entrai dans une auberge où il y avait un officier et un marchand, duquel j’ai acheté quelques mouchoirs pour les porter à mes camerades de Marcour. L’officier qui comprit d’abord à mes discours que je venais de France, me parla de la Révolution française, non comme un patriote, mais moi qui sortais de Paris, qui étais pleine des principes et de l’enthousiasme que le patriotisme général m’y avait inspirée, je parlais avec beaucoup de chaleur contre le despotisme. Je vous prie de vous souvenir que je dois être fidèle à mon engagement de dire la verité. On parla des patriotes brabançons, je dis que leur cause était juste, que Joseph II. leur avait prit tous leurs priviléges et leur droits, qu’il avait voulu les changer contre la Baviàre, qu’il avait dit, qu’il aimait mieux des villes incendiées que de villes revoltées et que c’était tyrannique. En parlant ainsi à un officier impériale je m’exposais sans doute à quelque avanie, mais cela prouve en même temps mon inconsidération qu’on appelera avec raison une etourderie patriotique, que je suis bien éloignée de vouloir justifier.

Je repris un autre cheval pour aller jusqu’à Marcour, je ne m’arrêtais nul part qu’à une ferme que je trouvais seul au milieu des forêts, où j'allais[WS 60] manger du lait, la situation solitaire m’enchanta d’abord, il me vint à l’esprit de ne point aller plus loin ou d’y revenir quand j’aurais été voir mes parents, je demandai si on ne pouvait me louer une chambre et me prendre en pension, on me dit que non, que cette ferme appartenait aux moines de Saint-Hubert, je m’en allais donc à Marcour. Je ne puis vous exprimer le plaisir que j’éprouvais en y arrivant, à revoir mon village, la maison ou j’ai été née, mon oncle, enfin mes enciennes camerades. J’oubliais pour ainsi dire la Révolution française. J’allais tous les soirs à la veillée ou nous jouions avec mes camerades tous les jeux de mon enfance. Les dimanches nous allions danser et jouer aux barres, à [264] qui courrait le plus vite dans des grandes prairies. Comme je ne puis m’empêcher de prendre partout où je me trouve le parti de la justice, j’eus une querelle avec le meunier du village, à cause que tous les paysans se plaignaient qu’il prenait plus de farine que ne lui revenait pour leur pain. Sur mes représentations il me disait que son moulin était „banal“ et qu’il avait des priviléges.

Je n’étais non plus fort d’accord avec le curé, qui, quoique ce ne fut qu’un curé de deux petits villages, dont les trois quarts des habitants sont dans la dernière misère, sa cure lui rapporte six à sept cents écus; peut être encore d’avantage, et il veut encore que ce soit les paysans qui payent les vicaires; à la bonheur si sa Majesté abolissait la petite dîme.

Après être restée à peu près un mois à Marcour, je le quittais à mon grand regret, pour aller à Liège, où un de mes frères m’attendait et où je voulais continuer de m’instruire. Je m’en allais donc à Liège sur un bateau, je m’arrêtais à Vennes où je pris une petite barque jusqu’à Liège, je dis au batelier de me conduire dans la première auberge de sa connaissance, il me conduisît chez Mr. Legros sur Moeuse. En attendant qu’on me prépare un appartement, on me fit entrer dans une grande salle où il y avait beaucoup de Flamands, je crus d’abord que c’étaient des patriotes, ils me demandèrent des nouvelles de France, je leur en parlais comme une bonne patriote. On parla des Brabançons, je soutains que leur cause était juste, et je dis les mêmes choses que j’avais déjà dis à l’officier impérial auprès de Saint-Hubert.

Ils n’étaient point de mon avis, mais ils ne savaient point disputer honnêtement, je me retirais d’abord, le lendemain mon frère que j’avais fait avertir de mon arrivée, vint me voir et me conduisit au village de la Boverie à la croix blanche, à une demi lieue de Liège. Tout le temps que j’ai demeurée dans ce premier logement, je n’ai vu personne de ma connaissance, et je ne [265] suis allée dans aucune société, ni assemblée publique à Liège. Je payais cinq couronnes de France par mois pour mon logement et ma nourriture. Après être restée deux mois j’allais demeurer chez le fermier de mademoiselle Ilias, qu’elle même était dans le même village dans la même maison. Je payais ma pension chez son fermier à un louis par mois pour mon logement et ma nourriture. Je continuais à vivre dans la plus grande retraite. Quand j’allais à Liège, je n’allais nul part que chez le libraire Dessort, pour acheter des gazettes et les menues papiers publics. Cependant au bout d’un certain temps, je m’ennuyais de la campagne, j’eus un moment l’envie d’aller en Brabant, j’avais même pris un passeport, mais me frères me firent changer d’avis, je continuais à rester à la Boverie. Je n’avais point assez d’argent pour sortir de ma retraite, sans faire tort à mes frères. J’avais déjà mis mon collier de diamants en gage et je me trouvais obligée d’anticiper de nouveau sur mes rentes, sur lesquels mon banquier m’envoyait tous les mois quatre louis. N’ayant point eu le moyen de retirer une partie de mes effets du Mont-de-Piété de Paris, ils furent vendus, j’en retirais seulement les bonis, ce qui m’aida encore beaucoup. Je fis la connaissance d’un monsieur Vanderlinden, qui est venu me voir deux ou trois fois à la Boverie, il m’a écrit une fois, de même que Mr. Quirini, vous avez du trouver ces deux lettres dans mes papiers. Mais je dois enfin dire que je n’ai repondu à aucun d’eux, ce que je me reproche de quelque façon.

Il m’est arrivée un évenement assez singulier, quand j’étais à la Boverie. En me promenant dans les prairies, sur le bord de la Moeuse, je rencontrais quelques fois des patriotes brabançons, quand j’avais entendu ronfler les canons la veille, la curiosité me portait à leur demander qui avait remporté la victoire, comme je me promenais toujours au même endroit, il me remarquèrent et crurent que j’étais une espionne. Des impériaux en consequence [266] un jour que je me promenais encore, je fus arretée et conduite à Tileur, où je n’eus point de peine à les desabuser. Cependant quand je leur dis ma façon de penser à l’égard de Van-der-Noot, ils voulaient m’envoyer à Namur, mais mon frère ainé et les bons gens où je demeurais vinrent me chercher. Le même jour j’étais patriote, il est vrai, mais non pas dans les principes de Van-der-Noot, car je n’ai jamais été pour l’aristocratie, ni pour que mon pays se rend indépendant, mais j’aurais voulu que le peuple ait des représentants et qu’on détruisît les abus.

C’était mes opinions funestes, et on peut avoir des opinions, je n’ai point été les publier dans les assemblées ni dans les lieux publics. Mes cousins vinrent me voir à la Boverie, pour m’inviter à la Kermesse de Xhoris dans la comté de Logne. J’y allais avec mon frère, je le laissais revenir seul, et je restais chez mon oncle, au bout de quelques semaines, je me trouvais si bien au sein de ma famille dans un village contenant trois quarts de mes parents, que je resolu de ne plus retourner en France; j’envoyais mon frère ainé me chercher mes effets et mon frère cadet, que je n’avais plus le moyen d’entretenir à Paris, puisqu’on continuait à ne point me payer ma rente de 5 mille livres, et que j’anticipais toujours sur ma rente de mille écus, à leur retour de Paris je retournais à la Boverie pour arranger mes petites affaires, qui étaient revenu de Paris, je continuais toujours à payer la pension de mon frère ainé à Liège et mon frère cadet restait avec moi. Ma tante de Liège me fit entendre par mon frère, que nous ferions mieux de rester tous ensemble, qu’en pension, qu’il nous en coûterait meilleur marché, et que nous serions plus heureux, un de mes frères était marié et placé à Paris. En consequence je ne devais plus penser qu’à mes deux autres frères et à mes deux soeurs, nous serions donc resté tous ensemble à Liège, ou nous aurions eu tous les moyens de nous instruire comme dans une grande ville, mon frère [267] ainé devait avoir une place, que ma tante lui aurait fait avoir, et il aurait été garde du corps du prince, au retour de celui-ci, qui était pour lors dans l’abbaye de Saint Maximin à Trèves. Comme on disait que Liège et les alentours seraient peut-être pillé, qu’il allait venir beaucoup de soldats, qu’ils en auraient dans toutes les maisons, en attendant que nous puissions exécuter notre projet et que les affaires nous permettent d’avoir une maison commune, je m’en retournais à Xhoris, chez mon oncle, mon dessein était de me fixer entièrement dans mon pays, de ne plus retourner en France, que quand mes affaires m’y auraient appellées absolument. J’y achetais un morceau de terre et mon oncle me promit de me ceder une petite maison, que je lui aurai payée, quand j’aurais eu de l’argent. Je me préparais donc de rester une partie de l’année à Xhoris. Le seigneur et le maire de ce village ne voyaient point volontier, que je me fixa dans ce village, il est vrai que j’aurais défendu la justice et les intérêts de la communauté, tant que j’aurais pu, j’aurais maintenu dans sa pureté ce que le prince et le tribunal de Wezlar avait accordé pour les voies légales, j’en avais eu le droit, y ayant une propriété je n’aurais fais que mon simple devoir à l’égard de moi même et des autres. En même temps que j’aurais defendu mes intérêts, il m’aurait été bien doux de défendre celui des trois tantes, d’un oncle et de 7 ou 8 cousins germains, qu’ont tous des propriétés dans cet endroit. Voilà quel était mon plan de vie, que je m’étais proposée, quand j'ai[WS 61] ouï dire, que les choses n’allaient point aussi mal, qu’on le disait et qu’il n’y avait point d’autre soldats à Liège que les impériaux, qui se conduisaient avec assez de modération, je m’en retournais à la Boverie sans avoir pu payer le morceau de terre que j’avais acheté, que je dois encore, on ne payait point ma rente de cinq mille livres depuis trois ans, il restait donc des 15 mille livres que j'avais[WS 62] negligés de me faire payer lors que j’étais à Paris. J’aurais voulu retourner en France [268] pour me faire payer, j’avais même pris un passeport, mais je changeais d’avis à cause de mes frères; ils me firent envisager que si je retournais à Paris, je finirais de me ruiner, tandis que je me ferais aussi bien payer à Liège qu’à Paris, en mettant mes affaires en bonnes mains, je ne pensais donc à rien moins qu’à retourner à Paris, je voulais m’instruire tranquillement et songer aux interêts de ma famille, voilà la pure verité, tout mes arrangements étaient déja pris pour rester dans mon pays, j’avais donnée du linge à faire pour mon nouvel établissement. De pareilles minucies ne paraissent point trop faites pour être insérées dans un procès verbal, mais quand on a rien autre chose à dire, il faut bien dire des minucies. Tel était ma situation, quand on a fait le chef-d’oeuvre de m’enlever. Je declare avoir dis ce que j’ai fais et pensée, vous voyez bien Messieurs, que je ne suis fameuse que dans les pamflets aristocratiques, tout le monde le sait, même les aristocrates! J’ai dis que tant qu’il y aurait des ordres privilégiés en France, le peuple n’aurait aucune liberté, parce que les ordres privilégiés s’attribuent tous les avantages sociales, sans vouloir en supporter les charges, se croyant destinés à gouverner exclusivement le peuple. J’ai donc dis, qu’il fallait abolir les ordres et rien de plus.

Ayant été bonne patriote, je ne pouvais pas l’être, sans être contre l’aristocratie, mais je n’ai jamais été, ni agi ni écri contre les aristocrates en particulier. Je n’ai donc dit autre chose et ajoute encore ici, que le reste de l’article est sans importance. Cet article est absolument faux, car je n’ai jamais parlée en public au Palais Royal et dans ce temps-là, je ne connaissais pas même encore le nom de Monsieur Desmoulins. Cependant j’avais dit d’avoir fait des motions au Palais Royal, dont je ne me souviens aucunement, ce n’aurait été que pour me moquer d’eux. Car l’on sait trop bien à Paris, qui étaient les premiers à prendre la cocarde verte, et qui l’on changé en suite, car ils s’en font honneur encore aujourd’hui[WS 63] et leur noms parurent dans le [269] journal de la Révolution de Paris, et dans d’autres journaux de même que de ceux qui firent des motions au Palais Royal. Il est absolument faux, que j’avais dit être entrée une des premières dans la Bastille, et que j’ai vu couper ou que j’ai suivi par la ville, la tête de Lonay, j’ai dit pourtant, d’avoir été au siège de la Bastille, mais c’était faux, car je n’y ai pas été et ne l’ai dit que pour les faire enrager à leur tour, eux qui tâchaient d’en faire autant à moi, se déchainant de mille manières contre les patriotes.

Cet article est absolument faux, car je ne leur ai jamais parlé, et je ne l’ai point fait non plus, de quoi l’on peut s’informer à Paris où les gens, qui l’ont fait, et qui même s’en font gloire, sont parfaitement connues.

D’abord il est faux que j’ai vu moi-même le prince Lambesc tuer un vieillard, je ne l’ai donc pas dit, et plus faux encore d’avoir dit que ce n’est pas de ma faute, si le peuple ne l’a pas assassiné. Mais ce fait du prince a tant revolté tout Paris, et me revolta moi même si fort, que je crois avoir dit à mes conducteurs, que celui est un monstre qui veut tuer un vieillard sans défense.

Sie je leur avais dit d’avoir eu une grande société chez moi, et qu’il venait beaucoup de députés chez moi, je me serais moqué d’eux et l’on peut s’informer à l’hôtel de Grenoble rue de Bouloir. Au reste il est faux que j’aie nommé tous ces personnages là, dans le genre ci mentionné, car il est absolument faux, que ces personnages soient venu chez moi, exceptés le seul Barnave, qui cependant n’a jamais assisté á ma société dont au reste je vous ai parlé dans ma quatrième periode.

Je n’hésite pas non plus de vous dire que, si les personnes nommés dans cet article étaient effectivement venu chez moi, je m’en ferais un honneur, et je n’en disconviendrai pas presentément, vu que je ne vois une ombre de préjudice qui pourrait en resulter pour moi.

Au reste l’on voit, que c’est la mechanceté toute pure, qui mêla parmi tous les noms celui du duc d’Orléans, dont [270] le but est sans doute, de donner aux calomnies, dont ils ont cherché mechamment á m'entacher[WS 64] relativement l’affaire du 5 et 6 Octobre, par des vues ou des intérêts politiques sur lesquels je m’etenderai pour conclusion de mon procès-verbal. Tout cela est absolument faux, et d’autant plus, que je n’ai jamais fait une motion en public, excepté celles dont j’ai parlé dans le narré de ma vie.

Cet article est tourné de la manière la plus malicieuse. J’ai dit à ma réponse au premier article, ma façon de penser sur les privilégiés. Quand aux prétendus émissaires, il est de toute fausseté que j’en ai parlé du tout et encore plus que j’en ai parlé de la sorte. J’ai peut être dit que le comte d’Artois et le premier des Condés, qui acquéreraient une gloire éternelle, s’ils retournaient dans leur patrie, mais qui cherchaient à troubler la régénération de leur patrie et à faire tant de malheureux par leur intérêts personels. Ils étaient gens vicieux et seraient à jamais en horreur à tous les honnêtes gens et à leur patrie: mais beaucoup s’en faut, que j’ai dit, qu’il fallait s’en défaire, propos qui ne put m’avoir été prêté que par des coquins de la plus basse éspèce, gens c’est assez dire, qui s’oubliaient au point de descendre de la voiture près de Coblence, pour battre à deux un pauvre postillon, et puis de dire en remontant en voiture, pour me mortifier, que ce sont là les droits de l’homme, et qui enfin après m’avoir parlé d’amour sans effets, me disaient que je leur payerais plus cher qu’au marché!


Nous partîmes à mon grand contentement et au regrets de ma société, entre autre de celui sur les biens duquel j’ai hypothéqué ma rente de 5 mille livres. C’était un homme qui était extrêment assidu à me faire la cour s’entend d’une manière convenable à son âge et à sa façon de penser. Cependant il prit un certain ascendant sur moi, à cause de son âge, il se mêlait de me donner des conseils de surveiller ma maison, et de vouloir m’apprendre le [271] français. Je trouvais de temps en temps des présents sur ma toilette assez considerables, sans que je pus deviner comme ils y parvenaient, et de quel part il venaient. Au moment de mon départ, je decouvrais tout. Ce vieillard m’avoua qu’il était l’auteur des présents et me reprocha mon insensibilité à son[WS 65] égard. Je vous avoue, que je trouvai bien ridicule qu’il osa me parler de la sorte, je m’en offensais, et je le forçais à reprendre tous les présents auxquels je n’avais point touché et que je n’aurais certainement pas accepté, si j’avais su à qui les renvoyer, ni de lui ou d’une autre personne, s’il ne les avaient fait mettre journellement sur ma toilette. Mais malgré mon procédé à son égard cela ne l’empêcha pas de m’écrire en Angleterre et en Italie les lettres les plus impertinentes, je m’en offensais au dernier point et le lui fis sentir. Depuis j’ai encore eu a me plaindre de lui a bien des égards. Avant de partir il me fit un billet de l’argent que je[WS 66] lui avait prêté, qu’il m’a payé à son échéance.

Si en arrivant en Angleterre, je m’étais mariée avec mon amant, nous aurions été sans doute tous les deux fort heureux; mais ....*)[6]

On disait qu’il y en a qui tirèrent leur épées et jurèrent de dissoudre l’Assemblée Nationale, il y a encore d’autre circonstances dont je ne me rappelle point, on disait qu’ils avaient grimpés par une fenêtre pour aller trouver le roi dans son cabinet, je sais bien que ce qui mit le comble à tout ce fut le refus du roi d’accepter la déclaration des droits de l’homme et du citoyen, ou bien s’il l’accepta, ce fut conditionellement je ne m’en rappelle point au juste, voilà en gros ce que je crois qui a occasionné les differentes insurrections et en suite celle du 5 et 6 Octobre.

Messieurs, je vous observe pour conclusion, que je n’étais pas obligée de rendre compte de ma conduite en France dans le narée de ma vie, n’y de répondre aux [272] dépositions qui concernent les affaires de France: mais je l’ai fais par respect pour les ordres de l’empereur, je n’y étais donc point obligée par la raison toute simple, que l’on doit être entendu et jugé dans le pays ou l’on est accusé d’avoir fait le delit, que si j’avais agi contre les lois de France se serait à elle à me[WS 67] punir ou me protéger si l’on m’avait faussement accusé de les avoir blessée.

Je fais pourtant une difference par rapport aux interrogatoirs qui m’ont été fait relativement aux affaires du Brabant, du pays de Liège et Stavelot, je me suis crus plus obligée d’y repondre à certains égards, d’abord à cause que le premier de ces pays est[WS 68] le mien et que les deux derniers relèvent de l’empereur comme chef de l’empire, cependant j’aurais eu des choses assez solides à alléguer pour ne point y répondre, qu’au interrogatoire qu’on m’a fait concernant les affaires de France, mais je me contente de vous prier messieurs d’examiner quel gens ont déposé contre moi et de quoi ils sont capables. Si ce sont des ennemis ou non: et quand même ce seraient d’honnêtes gens et qu’ils seraient de la plus grande impartialité, je demande si c’est d’après les règles d’une bonne justice d’avoir des dépositions après l’amnestie que l’empereur a accordé et même dans l’hypothèse que l’amnestie n’eue point eu lieu; j’aurais encore pu me dispenser d’y répondre; ou dire un simple non à tous les articles des déposans, pris dans leur ensemble car vous le savez messieurs, ce sont mes ennemis et mes accusateurs, et on ne reçoit des dépositions que des gens impartiales et honnêtes. Et certes mes conducteurs ne sont n’y l’un n’y l’autre, j’en appelle à leur dépositions, vous sentez bien aussi messieurs, que j’aurais pu répondre à tous les articles des déposans un oui tout court, parce qu’il n’aurait été permis de leur dire toutes les bêtises, toutes les mechancétés qu’ils m’ont souvent attribuée, pour me venger d’une captivité non meritée, sans en être responsable, ne leur devant point la verité et n’étant point en droit de me la demander car il faut aussi finalement convenir [273] Messieurs que malgré la corruption du siècle les droits de l’humanité quoique souvent méconnus n’en existent pas moins, il sont aussi anciens que la nature et que d’après les mêmes droits naturels qui sont les plus sacrés, puisque c’est toujours là qu’il faut en revenir quand on veut être juste, les hommes ont le droit de repousser une injure par une autre du même genre ou un mal quelconque qu’on veut leur faire injustement, ce n’est pas seulement un droit c’est un devoir sacré envers soi-même. Ceux qui ne le remplissent point sont dégradé et indigne du nom d’hommes qu’ils deshonorent par leur lâche injustice envers eux-même et les autres. Vous voyez donc Messieurs, que sans compter les raisons que j’aurais eu de me venger d’une captivité non meritée et de mille autres qui agravent l’injustice de mon arrestation, j’aurais pu dire à mes conducteurs tout ce qu’ils m’atribuent faussement par représailles, sans avoir d’autre motif, que celui de me venger des injustices qu’ils m’ont fait à moi directement ou bien à toute l’humanité, mais quand ils disaient qu’on penderait l’Assemblée Nationale de France et mille personnes dans chaque district, que desormais on traiterait les hommes à coups de bâtons de force, pour les rendre plus dociles, qu’ils ont eu l’ordre de me dire que je serais renfermée pour longtemps et mille autres infamies d’un genre pareil. J’ai crus qu’ils étaient des monstres trop méprisable pour exciter en moi d’autre sentiment que le plus profond mépris, et on croit des dépositions de pareilles gens, dans quel temps somme nous grand Dieu!


Ce n’est point nécessaire, que j’entre dans de grands détails, je dirai seulement qu’en général j’ai remarquée que le peuple était épris d’un amour et d’un enthousiasme extrème pour la liberté, qu’il connaissait les droits, et qu’il éprouvait le ressentiment d’une longue servitude, le peuple était instruit et les aristocrates persistaient à se conduire comme si nous avions été dans l’onzième siècle, les abus [274] établis tous à leur avantage avait ruiné l’état au point de n’avoir aucune ressource et le dernier emprunt avait fait murmurer toute la France. Toute la nation se fit entendre par l’organe de ses municipalités pour demander d’un voie unanime la convocation des états généraux[WS 69]. Si vous voulez vous instruire de leur demande il faut lire le livre intitulé: Qu’est-ce que le tièrs-état de Mr. l’abbé Siéyès. Malgré le voeu général on ne convoqua que les notables, les aristocrates refusèrent de venir au secour de l’état, ils ne voulurent pas même à ce que j’ai ouï dire, consentir à payer l’impôt territorial proportionellement à leurs biens, comme le peuple, il en resulta une indignation générale, qu’on fut forcée de ceder au voeu général, et de convoquer les états-généraux. Dans ce temps là ou environ, il y eu plusieurs insurrections dans les provinces. Je fus moi-même témoin du mecontentement et de la fermentation publique en traversant les provinces de France, en revenant de l’Italie. Je n’entrerai point dans les sujets de mecontentement, ils sont assez connus. J’ai ouï dire[WS 70] qu’il y eu un insurrection dans le faubourg St. Antoine ou de St. Marceu, ou il y eu beaucoup de monde de tué, les aristocrates ne voulurent point consentir aux demandes de toutes les provinces, cela occasionna beaucoup de fermentation, ils ne voulaient point apporter leur pouvoir pour être verifié, ils continuaient à ne point vouloir adhérer aux demandes des provinces qui s’étaient fait entendre pour l’organe de leur municipalité, et malgré que toute la France fut armée ils conseillerent au roi de France de faire venir les troupes de ligne auprès de Paris, j’étais à Paris dans ce temps là, et j’ai ouï dire par le peuple, que si les aristocrates le pouvaient ils feraient plutôt egorger tous les citoyens, que de se départir de leur privilèges et de leur prejugés. On mit les gardes françaises en prison pour n’avoir[WS 71] point voulu tirer sur le peuple, on travaillait avec une activité incroyable à une esplanade à Monmartre pour bombarder Paris à ce qu’on disait. Et enfin le renvoi du ministre Necker, sur la probité duquel on [275] comptaits et beaucoup d’autres sujets de méfiance et de mecontentement achevèrent de soulever Paris qui prit les armes le 14 Juillet. Les aristrocrates continuaient à ne point vouloir apporter leur pouvoir au comité de vérification.

Je ne suis point sûre si c’est avant ou après le 14 Juillet que le roi a voulut dissoudre l’Assemblée Nationale, qui fut obligée de s’assembler dans un jeu de paume, lorsque la nouvelle en vient, je fus témoin d’une fermentation excessive, tout Paris était attroupé et prêt d’aller à Versailles, ou disait qu’on attendait les Bretons ce fut ver ce temps ou un peux après que les représentants du Tièrs-État se constituèrent en vrai et seul représentant de la nation. Puis d’après la vérité que la noblesse et le clergé ne représentent que leur ordres, qui forment des corps séparés de la nation dont les intérêts sont différant de ceux de la nation et qu’en conséquence il ne pouvaient la représenter par ordres. Quand ils virent que le Tiers-État pouvait délibérer sans eux puisque ce derniér était le seul commis de la nation, ils apportèrent leur pouvoir dans un temps ou les voeux de toutes les provinces et de Paris se firent entendre pour avoir une constitution et des lois convenables aux nouvelles lumières. Les aristocrates s’y opposèrent avec entêtement, ils ne voulaient surtout point qu’il y eu une déclaration des droits de l’homme et du citoyen desquels les lois positifs devaient decouler, cela maintenait la fermentation, enfin le cri général était trop fort, il fallut bien consentir pour le moment à donner des lois à la nation. Lorsqu’on délibéra sur la déclaration des droits de l’homme et du citoyen ils s’opposaient avec un acharnement extrême aux décrets les plus avantageux, à la liberté de la nation, cela envenimait les haînes, on savait qu’ils intriguait déjà dans les provinces, et dans Paris pour tâcher d’opérer une contre-révolution et de dissoudre l’Assemblée Nationale. La nation les regardait, comme les plus cruels ennemis. Quand on delibéra sur le veto, le peuple ne voulait point que le roi fût partie integrante du pouvoir législatif par le veto, il vint[WS 72] à ce [276] sujet plusieurs adresses à l’Assemblée Nationale, je ne me souviens d’en avoir ouï dire une de Bretagne et une de Paris. J’ai été témoin des murmures qui eurent lieu à cette occasion dans les tribunes. Les aristocrates intriguèrent toujours pour dissoudre l’Assemblée Nationale, ils consultèrent le roi de faire venir des régiment de Flandre qui était le seul, sur la fidelité duquel ils comtaient pour tenter une contre-révolution. Cela mit le comble à la fermentation. J’ai entendu dire dans les tribunes que le peuple de Paris était prêt[WS 73] à venir à Versailles pour venir chercher le roi, qui avait toujours demeuré à Paris, avant le règne de Louis XIV. J’ai été témoin que le peuple de Versailles était prêt à prendre les armes pour chasser le régiment de Flandre, lorsqu’il est entré. On était d’autant plus inquiet, que le ministre avait fait venir ce régiment sans en avertir l’Assemblée Nationale, que lorsqu’il était en chemin pour venir et que le peuple disait qu’il existait un complot pour enlever la famille royale et de la conduire à Metz, et lever l’étendard de la guerre civil. J’ai même ouï dire dans les tribunes, qu’on avait arrêtés des effets que l’on voulait faire sortir du château, et que les dames de la cour distrubuaient des cocardes blanches. Ce qui ne fit plus douter de la contre-révolution, qu’on méditait à la fête qui eu lieu je crois dans le théâtre, je ne saurais vous détailler toutes les circonstances de cette fête, mais il vous sera facile de vous instruire dans les journaux de ce temps là, je sais que l’on disait dans le temps-là, que le roi parut dans cette fête avec la reine et le dauphin, et qu’on y jouait l’air: „Oh! Richard, oh! mon roi, tout le monde t’abandonne.“ Qu’il, partit une exclamation générale contre les députés patriotes, que les gardes du corps foulèrent la cocarde nationale aux pieds, un soldat se tua de desespoir parce qu’il avait été patriote.

Je vous demande excuse Messieurs, quand je vous dis, que votre precaution à couvrir le nom de celui que vous venez de me lire, était inutile. Car outre la présomption [277] que je derive de la main, dont il est écrit, la même qui a barbouillié un pretendu dire et aveux, comme quoi ces questions partent de la même source, il est impossible de s’y méprendre lorsque l’on veut faire attention à leur contenus, qui est en partie ce que mes conducteurs prétendent avoir été dit et avoué de moi pendant mon voyage de Liège à Fribourg. Il est toutefois bien indifférant quel en fut l’auteur, et si ce sont mes conducteurs comme je ne puis en douter, ils n’en auront fait que grossir le nombre de leur infamie. Je déclare donc que mon respect pour les ordres de l’empereur et son commissaire ici présent est absolument poussée à bout vu que je me croirais indigné de vivre, si je pouvais tout de bon maltraiter ma conscience au point de l’examiner sur des faits pour la plupart aussi abominable et aussi hideux comme ceux qu'on[WS 74] vient de me lire, et dont les assertions ne tendent pas seulement à couvrir de crimes et d’opprobre moi seule, mais aussi à en faire autant de plusieurs personnes respectables et dignes de l’estime publique. Auxquelles ils prêtent entre autres des faits, dont les assertions feraient rire de pitié toute la France, si elle en était instruite.

Je cite pour exemple cel que Mr. Necker et des députés de l’Assemblée Nationale aient harangués le peuple au Palais Royal, priant tout ceux qui connaissent Paris et le Palais Royale, de dire si l’absurdité et l’inéptie peuvent être poussé plus loin. Ne vous déplaise donc Messieurs, que je refuse absolument de répondre à cette pitoyable farce, d’impossibilités d’horreurs, de stupidités, d’infamie et de misère, en vous observant que si vous vouliez m’interroger individuellement et sérieusement sur de pareile platitudes. Vous ne comprometteriez pas seulement la dignité du souverain, par les ordres duquel vous vous trouvez ici, mais aussi, excusez ma franchise, vous paraiteriez vouloir partager le ridicule affreux que ces malheureux compilateurs ont affichés dans cette pièce unique dans son genre. Oui, Messieurs, à coup sure unique dans son genre, pour preuve [278] de quoi je vous déclare que si on me donne pour la faire imprimer, ou je veux avec la caution qu’on ne s’opposera en aucune manière à cette impression, je m’engage de rester encore pendant six mois à mes propres frais dans cette prison tout insupportable qu’elle m’est, car je ne saurais certainement pas me procurer une plus grande satisfaction devant le public, contre les infames sollicitateurs de ma prise de corps, ou leur agents, qu’en instruisant le public de cette farce aristocratique, qui seul suffit pour me justifier, et les accuser à leur tour aux yeux du monde impartial et même aux yeux de tous les aristocrates, qui n’ont pas abjurés de bon sens, je provoque au reste sur la substance de ma quatrième et cinquième periode, où j’ai exposée fidèlement mes situations en France et dans mon pays, ainsi que dans le pays de Liège, depuis la Révolution.

Messieurs, que si j’ai ommis un seul fait essentiel, ou eu inseré faussement un seul, je consens qu’on fasse de moi tout ce qu’on voudra, et cela doit suffire ce me semble à votre cour, qui a[WS 75] des moyens tout au plus pour vérifier les derniers et pour prendre information sur ceux-là.

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Quellenliteratur.


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[280]

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Anmerkungen

[WS: Die mit *) ausgezeichneten Anmerkungen stammen von der Autorin.]

  1. *) Dies war ein Irrtum. Ein Fragment wurde gerettet, das im Beginn des I. Bandes ihrer Memoiren aufgenommen ist. (Anm. d. V.)
  2. *) Als Goethe Im Jahre 1820 Madame Rolands Memoiren gelesen hatte, schrieb er in den „Tag- und Jahresheften“ folgendes darüber „Die Werke der Madame Roland erregten bewunderndes Erstaunen. Dass solche Charaktere und Talente zum Vorschein kommen, wird wohl der Hauptvorteil bleiben, welche unselige Zeiten der Nachwelt überliefern. Sie sind es denn auch, welche den abscheulichsten Tagen der Weltgeschichte in unsern Augen einen so hohen Wert geben.“
  3. *) Buzet.
  4. *) Luciles Mutter.
  5. *) Protokoll.
  6. *) Der Satz bricht hier ab.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 59
  2. Vorlage: Unterstütung
  3. Vorlage: le
  4. Komma hinzugefügt
  5. Vorlage: Louisd’or
  6. Vorlage: Theroignes
  7. Vorlage: miessfielen
  8. Vorlage: Thèroigne
  9. Vorlage: Anspracheu
  10. Vorlage: Charlatte
  11. Vorlage: 1993
  12. Vorlage: Gesellchaft
  13. Vorlage: Gechickte
  14. Vorlage: Einsamkeii
  15. Vorlage: entsand
  16. Vorlage: sieler
  17. Vorlage: nnd
  18. Vorlage: erzälte
  19. Vorlage: jemas
  20. Vorlage: Ungerechtinkeit
  21. Vorlage: nud
  22. Vorlage: Verteidiguug
  23. Madame Roland wurde am 8. November 1793 zum Tode verurteilt.
  24. Madame Roland wurde am 8. November 1793 hingerichtet.
  25. Vorlage: berei
  26. Vorlage: Gegensatze
  27. Vorlage: niemlas
  28. Vorlage: ungeheucheltc
  29. Vorlage: wahnsinnigan
  30. Vorlage: Schreckensherrshaft
  31. Vorlage: Haupstadt
  32. Vorlage: Stimmuug
  33. Vorlage: philosphe
  34. Vorlage: Propoganda
  35. Vorlage: Rebuplik
  36. Vorlage: Patrotismus
  37. Vorlage: Doh
  38. Vorlage: mahnen
  39. Vorlage: Tngend
  40. Vorlage: Stitten
  41. Vorlage: öffentlichee
  42. Vorlage: Périguaux
  43. Vorlage: Ichwerde
  44. Vorlage: Fonteney
  45. Vorlage: Verlesuug
  46. Vorlage: Montesquiou
  47. Vorlage: 1895
  48. Vorlage: ses
  49. Vorlage: dejour
  50. Vorlage: ses
  51. Vorlage: sains
  52. Vorlage: quil
  53. Vorlage: Agleterre
  54. Vorlage: Ouan d
  55. Vorlage: re-renommée
  56. Vorlage: L’assemblée nationale
  57. Vorlage: farnie
  58. Vorlage: javais
  59. Vorlage: soint
  60. Vorlage: jallais
  61. Vorlage: jai
  62. Vorlage: javais
  63. Vorlage: aujourd’ hui
  64. Vorlage: mentacher
  65. Vorlage: mon
  66. Vorlage: j'e
  67. Vorlage: ma
  68. Vorlage: et
  69. Vorlage: généreux
  70. Vorlage: d’ire
  71. Vorlage: avair
  72. Vorlage: vaint
  73. Vorlage: pret
  74. Vorlage: q’uon
  75. Vorlage: à