Seite:Die Baukunst - 11. Heft - 04.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
(Weitergeleitet von Die Baukunst, 11. Heft:04)
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


westliche Querschiff und die Gewölbe des Hochschiffes, ebenso die von St. Ursula und von St. An­dreas daselbst, die von Brauweiler, die Pfarrkirchen zu Linz am Rhein, zu Sinzig, St. Goar, Boppard und Bacharach, die Dome zu Limburg und Bamberg, insofern als deren Seitenschiffsmauern, bei letzterem auch teilweise die Türme und Chöre, von den vor­hergegangenen romanischen Bauten stammen.

     Kurz, es giebt in Deutschland keinen einheimischen Uebergangstil. — Doch finden wir ausser den ange­führten Bauten bei uns noch etwa ein bis zwei Dutzend des französischen Uebergangstiles, die zur Hauptsache dem burgundischen Uebergang der Cisterzienser Bauten angehören und nur zum geringen Teil dem Uebergangstil der nordfranzösischen Ge­genden. Ueber diese Bauten weiter unten. — Da die Einwölbung der romanischen Kirchen also zu aller­meist nicht dem romanischen Stil angehört, die ro­manischen Mittelschiffe in Deutschland fast gar nicht gewölbt waren, so fällt damit auch die Lehre von dem sogenannten „gebundenen System“, nach welchem das Mittelschiff romanischer Kirchen deswegen doppelt so breit als die Seitenschiffe an­gelegt worden sei, weil man nur quadratische Kreuz­gewölbe zu romanischer Zeit hätte herstellen können. Hieraus ergäbe sich auf ein Quadrat im Mittelschiff die Anordnung von zwei Quadraten in den Seiten­schiffen. Wenn viele romanische Kirchengrundrisse ein doppelt so breites Mittelschiff als die Seiten­schiffe aufweisen, trotzdem dieses nicht gewölbt war, so liegt das einfach an einem Herkommen, welches den entwerfenden Baumeister auf eine un­gezwungene Art und Weise des Zweifels und der Versuche überhob, wie er diese Breiten gegen­einander abstimmen sollte.

     Selbst in jenen Gegenden, besonders Süd- und Westfrankreichs, in denen man zu romanischer Zeit die Kirchen schon frühzeitig wölbte, wie in den da­mals unter englischer Herrschaft stehenden Pro­vinzen Aquitanien, Anjou und Maine, hatten die Gewölbe fast ohne Ausnahme nicht die Form der Kreuzgewölbe, sondern waren Kuppeln oder rundbogige,*) häufig auch spitzbogige Tonnengewölbe über den Mittelschiffen und halbe Tonnengewölbe über den Seitenschiffen. So sind mit Kuppeln über­wölbt, um nur einige der wichtigsten anzuführen, die Kathedralen und Kirchen zu Périgueux, Fontevrault, Cahors, Angoulême, Puy en Velay und Saint Hilaire zu Poitiers. Mit Tonnen im Mittel­schiff sind überwölbt: N. Dame du Port zu Clermont, S. Étienne zu Nevers, Saint Savin bei Poitiers, S. Sernin zu Toulouse, S. Trophime zu Arles. — In der Kirche S. Philibert zu Tournus ist


*) Ein Tonnengewölbe hat die Form eines halben Cylinders.

 

das Mittelschiff durch eine Reihe quergelegter Tonnengewölbe überdeckt.

     Auch ist die Ansicht nicht aufrecht zu erhalten, dass oblonge Kreuzgewölbe sich mit Rundbögen nur schwer ausführen liessen und im Rundbogen hergestellt geringere Sicherheit und Haltbarkeit böten, als solche mit Spitzbogen hergestellte. Kreuzgewölbe mit besonderen Rippen unter den Diagonalgraten lassen sich, ob mit rundbogigen Gurten und Schildbogen oder mit spitzbogigen in ganz gleicher Weise ohne besondere Schwierig­keiten herstellen und halten in gleicher Weise; nur dass die rundbogigen einen grösseren Seitenschub ausüben.

     Im allgemeinen ist festzuhalten, dass die romanischen Kreuzgewölbe im Gegensatz zu den gotischen ohne Rippen hergestellt worden sind; die Rippe ist, wie wir sehen werden, grade das Charakteristische des gotischen Kreuzgewölbes, ihre Erfindung im Norden Frankreichs löst aus dem Schosse der romanischen Kunst die Gotik allmäh­lich los. Sie ist das Hauptzersetzungsmittel, welches die romanische Kunst im Norden Frankreichs um­wandelt. — In Deutschland weisen frühromanische Kreuzgewölbe Rippen nirgends auf. Wo wir in Deutschland Kreuzgewölbe mit Rippen unter den Diagonalgraten finden, können wir daher auf eine späte Zeit der Entstehung schliessen, selbst wenn keine Beweise vorlägen. Denn fast bei allen Rippen­gewölben in romanischen Kirchen ist ihre späte Entstehung am Bau selbst nachweisbar.

     Man könnte einwerfen, dies sei eine willkürliche, nicht zu beweisende Annahme und die Einteilung eine gemachte. Verfolgen wir daher den Verlauf der Umgestaltung des romanischen Stiles Nordfrankreichs bis er sich zur Frühgotik entwickelt hat.

     Als Grenzstein zwischen die romanische und gotische Baukunst Nordfrankreichs war man seit Franz Mertens und Viollet-le-Duc gewöhnt, den Neu­bau der Abteikirche von S. Denis bei Paris zu setzen, der in den Jahren 1140 (in seinen westlichen Teilen) und 1144 (der Chor) vollendet worden ist. Doch hat Viollet keineswegs behauptet, wie man ihm vorwirft*), dass mit S. Denis die Gotik fertig dem Haupte eines ersten Gotikers entsprungen sei. Er zeigte nur, dass an St. Denis zum ersten Mal ohne jedes Schwanken und Tasten die Kreuzgewölbe mit Rippen, bei durchgängiger Verwendung des Spitz­bogens in Gurt- und Schildbögen, zur Anwendung gelangt sind.**) Dabei weist Viollet grade auf die unmittelbaren Vorgängerinnen von St. Denis, nämlich Notre-Dame zu Ghalons-sur-Marne und die Kathe-


*) A. S.-Paul: Viollet-le-Duc et son système d’archéologie.

**) Viollet-le-Duc dictionnaire raisonné de l’architecture Bd. 9, S. 503 ff.

– 4 –


Empfohlene Zitierweise:
Max Hasak: Die Baukunst, 11. Heft. , 1899, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Baukunst_-_11._Heft_-_04.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)