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Erwiderung auf die Kritik des Hrn. M. Abraham

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Textdaten
Autor: Wilhelm Wien
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Titel: Erwiderung auf die Kritik des Hrn. M. Abraham
Untertitel:
aus: Annalen der Physik. Band 319, S. 635–637
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1904
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Johann Ambrosius Barth
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Erwiderung auf die Kritik des Hrn. M. Abraham;
von W. Wien.

Hr. M. Abraham hat in seiner „Theorie der Strahlung und des Strahlungsdruckes“ überschriebenen Arbeit[1] eine Reihe von Angriffen gegen meine Untersuchungen über denselben Gegenstand gerichtet, die nicht nur völlig unbegründet sind, sondern von einer recht einseitigen Auffassung der theoretischen Frage Zeugnis ablegen.

Die Elektrodynamik ist noch nicht bis zu einer solchen Entwickelung gediehen, daß in apodiktischer Weise von einer allein Gültigkeit beanspruchenden Theorie gesprochen werden darf. Und doch spricht Hr. Abraham so, als ob er im Besitz einer solchen wäre.

Hr. Abraham behauptet, ich wäre bei der Berechnung der Strahlung in einen Fehler verfallen, indem ich vergessen hätte, an dem Werte der Strahlung die Korrektion nach dem Dopplerschen Prinzip anzubringen. Hier liegt nun die Sache so einfach zutage, daß sie auch für jeden, der nicht näher auf die in Frage stehenden Probleme eingegangen ist, ohne weiteres zu übersehen ist.

In den Grundgleichungen

bezieht sich alles auf ein mit dem strahlenden Punkt verbundenes Koordinatensystem.

Die Differentialgleichungen haben dieselbe Form, wie die für ruhende Körper. Man kann daher den Poyntingschen Vektor wie bei einem ruhenden System bilden und über eine relativ zu dem bewegten Punkt ruhende Fläche integrieren. Das Oberflächenintegral ist dann gleich dem Wert von , wo die von der Fläche umschlossene elektromagnetische Energie bezeichnet, d. h. es ist gleich der totalen Änderung der Energie. Von irgend welchen Korrektionen ist bei dieser Methode keine Rede, weil sie sämtlich in den analytischen Ausdrücken enthalten sind.

Der Irrtum, den mir Hr. Abraham vorwirft, liegt demnach auf seiner Seite.

Dann behauptet Hr. Abraham, daß meine Formeln den aus der Elektronentheorie abgeleiteten widersprechen. Hierzu möchte ich zunächst bemerken, daß es für mich keine Elektronentheorie par excellence gibt, sondern nur eine Maxwellsche und mit dieser sind meine Formeln in Einklang. Außerdem habe ich das Feld nicht zu erraten gesucht, sondern gefunden, und da die Maxwellsche Theorie nur eindeutige Lösungen hat, so ist es damit einwandfrei bestimmt.

Die von mir angegebenen Lösungen müssen daher die Theorie eines bewegten leuchtenden Punktes vollständig enthalten. Es wäre zweckmäßig gewesen, wenn Hr. Abraham den nach seiner Meinung vorhandenen Mangel an Übereinstimmung mit der „Elektronentheorie“ näher bezeichnet hätte. Denn, wie ich jetzt gefunden habe, stimmt das von mir für einen transversal schwingenden Dipol gefundene Feld mit den von H. A. Lorentz[2] aus der Elektronentheorie abgeleiteten Ausdrücken auch der Form nach soweit überein als die Lorentzsche Näherung geht.

Das Beschreiten verschiedener Wege hat sich in der theoretischen Physik immer als nützlich erwiesen und wenn wirklich, was ich bezweifle, meine Ergebnisse mit der Elektronentheorie nicht in Einklang stehen, so wäre das nur ein Beweis für die Zweckmäßigkeit eines solchen Verfahrens, denn dann gibt sich Gelegenheit, dem Grunde der Verschiedenheit der Ergebnisse nachzuspüren, wodurch unsere Kenntnis der Vorgänge nur vertieft werden kann. Ich halte meine Behandlungsweise mit der Lorentz-Wiechertschen für vollkommen gleichberechtigt, zumal sie von speziellen Vorstellungen über den Strahlungsvorgang viel unabhängiger ist, und der Meinung des Hrn. Abraham, daß sie dem „gegenwärtigen Stande der Theorie nicht entspricht“, kann ich nur subjektive Bedeutung zuschreiben.

Was die Realisierbarkeit des Überschreitens der Lichtgeschwindigkeit anlangt, so weise ich die Beanstandung des Hrn. Abraham um so mehr zurück, als er von den Gültigkeitsgrenzen der Wiechertschen Lösung ohne weiteres auf die der meinigen geschlossen hat. Allerdings müssen wir wegen des endlichen Energievorrates endliche Dimensionen des Elektrons annehmen. Bei Hrn. Abraham scheint sich nun aber die Meinung festgesetzt zu haben, daß man für die Gestalt der Elektronen durchaus Kugeln von unveränderlicher Gestalt anzunehmen habe. Es ist indessen schon von Searle[3] darauf hingewiesen, daß eine bewegte Punktladung nicht als Grenzfall einer bewegten Kugel von verschwindendem Radius anzusehen ist, sondern als Grenzfall eines von ihm so genannten Heavisideschen Ellipsoids, dessen Achsen im Verhältnis stehen. Wenn man daher die Dimensionen einer Punktladung berücksichtigen will, so muß man ein solches Ellipsoid zur Betrachtung heranziehen. Deshalb habe ich auch bei der Berechnung der elektromagnetischen Masse[4] ein Heavisidesches Ellipsoid zugrunde gelegt. Diese Annahme über die Elektronen, die sich zunächst als die einfachste empfahl, hat nun durch die neuesten Untersuchungen von H. A. Lorentz[5] eine wesentliche Stütze erfahren, indem er die negativen Ergebnisse der Versuche von Michelson und Morley, Rayleigh und Brace über den Einfluß der Erdbewegung auf optische Erscheinungen ebenso wie die Beobachtungen von Kaufmann an Becquerelstrahlen durch die Annahme Heavisidescher Ellipsoide für die Gestalt der Elektronen erklären konnte. Bei einem solchen Heavisideschen Ellipsoid ist nun die Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit ausgeschlossen, weil dann die Größe imaginär wird. Also führt auch die Berücksichtigung der endlichen Dimensionen des Elektrons hier zu dem von mir gezogenen Schluß.

Daß ein Elektron von unveränderlicher Kugelgestalt und endlichem Radius bei endlicher Raumdichte die Lichtgeschwindigkeit überschreiten könnte, will ich nicht bestreiten, obwohl ein Beweis dafür noch nicht erbracht ist, doch scheint es zweifelhaft, ob eine solche Möglichkeit für die Darstellung der Tatsachen von Bedeutung ist.

Im übrigen betrachte ich diese Angelegenheit so lange als erledigt, bis durch wirkliches Eingehen auf die noch zweifelhaften Fragen neues wissenschaftliches Material geliefert ist.

Würzburg, 7. Juni 1904.

(Eingegangen 8. Juni 1904.)

  1. M. Abraham, Ann. d. Phys. 14. p. 236. 1904.
  2. H. A. Lorentz, Kon. Akad. v. Wetenschappen te Amsterdam Mai 1902.
  3. G. F. C. Searle, Phil. Mag. (5) 44. p. 333. 1897.
  4. W. Wien, Lorentz-Festschrift p. 102. 1900.
  5. H. A. Lorentz, Akad. v. Wetensch. te Amsterdam 27. May 1904.