Kosmos als Kriegsschauplatz
[WS 1] hat eine gewisse Berühmtheit erlangt. Es wurde, vor allem in England und Skandinavien, so sehr berühmt, daß die deutsche Reichsregierung es vor kurzem beschlagnahmen und einziehen ließ, nachdem man erst einen angekündigten Radiovortrag des Professors im letzten Augenblick verboten hatte.
Professor Ewald Banses Buch „Wehrwissenschaft“Das Aufsehen, das das kleine Buch in der Presse der zivilisierten Völker erregte, ist, so berechtigt es vom menschlichen Standpunkt aus erscheinen mag, vom historischen Standpunkt aus beinahe erstaunlich. Oder zweifelt noch jemand daran, daß der künftige Krieg ein Ausrottungskrieg sein muß, geführt mit Giftgasen und Bazillen, und daß alle die, die solchen Krieg bejahen und erwünschen, auch für seine Methoden einstehen müssen? So erschreckend die einzelnen Ausführungen über die künftige Kriegsform und die Erziehung zu dieser Kriegsform auch sein mögen, sie enthalten nichts, aber schon gar nichts Neues, sie enthalte nichts, was man bei aufmerksamem Verfolgen der gegenwärtigen Ereignisse nicht schon wissen müßte. Es wäre also ein gefährlicher Irrtum, wenn man Banse als ein ausgefallenes Individuum betrachten wollte. Er ist das Exemplar einer Gattung. Als solches allerdings ein Prachtexemplar. Und das nicht nur, weil er ein so begeisterter Wehrwissenschafter, sondern weil er ein Professor ist. Ein richtiger deutscher Professor. Ein gründlicher Professor. Sein Fach ist Geographie.
Als solcher hat er ein System. Und bevor er zu den Erläuterungen der Kriegsmethoden kam, die sogar die Umwelt der Gegenwart noch mit Schaudern zu erfüllen vermochten, erging er sich in allgemeinen, mehr seinem Fach entsprechenden geographischen und physikalischen Abhandlungen. Wir hören vom Raum, von der Räumigkeit und Landform, von der Luft, vom Wasser, von Pflanzen und Tieren, und auch vom Menschen. Von der Überzeugung ausgehend, daß, wie Banse schreibt, „aus der Pflege der Wehrwissenschaft eine neue Nationalethik hervorgehen wird“, gibt es buchstäblich nichts zwischen Himmel und Erde, was er in sein System dieser neuen Nationalethik nicht hinein zu bringen vermöchte. Die absolute Totalität seines Weltbildes hat etwas von der zwingenden Logik des Wahnsinns. Leben und Tod, Werden und Vergehen, Tier, Pflanze, Mensch, jedes Element ist zweckbedingt, alles, aber auch einfach alles dient nur dem Einen und Einzigen, dem Ganzen, dem Gott, dem Götzen, dem Krieg.
So schreibt er denn auch, daß „Wehrwissenschaft nicht nur geistige und charakterliche Vorbereitung zu Schuß- und Trutzwehr ist, sondern darüber hinaus zum Range einer Nationalphilosophie emporwächst. Diese umfaßt alle Einsichten sämtlicher Wissensfächer, alles Können sämtlicher schöpferischer Kräfte, alles Glauben inbrünstiger Seelen, alles Wollen begeisterter Herzen, soweit es den Belangen von Volk und Staat kann nutzbar gemacht werden.“
Wie sieht ein Nationalphilosoph die Welt? Er soll es selber sagen.
„Der Raum, durch Länge, Breite und Höhe dreidimensional dargestellt, ist der Träger des Völkerlebens, der feste Untergrund des Staates und damit auch der Schauplatz des Krieges …“
„Innerhalb seiner Grenzen zeigt der Raum vor allem zwei Erscheinungen: Räumigkeit und Landform. In der ersten prägt sich die Weite oder Enge, in der zweiten die Höhe und Zerschnittenheit aus. Es ist für die Heerführung ein großer Unterschied, ob sie in weitem Bogen oder engem Raum operieren muß.“
Die dritte Dimension des Raumes, die Höhe, erstreckt sich über die Rücken und Gipfel der Berge noch in das Luftmeer hinaus. Ja, dieses ist sogar jener irdische Stoff, der den Soldaten eigentlich am meisten angeht, denn er umhüllt ihn, er ermöglicht ihm das Atmen, er durchnäßt oder durchsonnt, er erhitzt oder erkaltet ihn, er verleiht ihm Frische oder flößt Abspannung in seine Glieder, er trägt in der Landschaft zur Erzeugung der verschiedenen Farben, zum Wechsel von Licht und Schatten, zur Herausarbeitung einer Perspektive bei, die für das Abschätzen der Entfernungen und Größen von Bedeutung ist.“
Die Luft. „Die Luft wird durch ihren Wärmegrad, durch ihren Feuchtigkeitsgehalt, durch ihre Bewegtheit, durch ihren Sauerstoffwert und durch ihre landschaftliche Einflußnahme militärisch wirkungsvoll.“
Wasser. „Seine militärisch größte Bedeutung freilich erlangt das Wasser nicht in der Luft, sondern auf und selbst in der Erdoberfläche. Das auf dieser zusammenrinnende Wasser füllt Hohlformen so weit aus, daß es landschaftlich geradezu Teil des Formenschatzes wird und damit auf die Bewegung von Truppen einschneidenden Einfluß gewinnt.“
Pflanzen. „Für die bildhafte und farbige, für die landwirtschaftliche und militärische Kennzeichnung eines Raumes ist seine Bewachsung von allerhöchster Bedeutung.“
Tiere. „Als Lieferer von Nahrung, gewissermaßen als marschierende Fleischportionen, sind die Tiere der beste Proviant der Truppe, der im Transport weder Kosten noch Mühen verursacht und dann stets frische und unverdorbene Nahrung bereitstellt …“ Für die Gründlichkeit des Professors zeugt noch folgender Satz: „Troß und Artillerie werden wohl niemals ohne Pferdenutzung auskommen können; für die Reiterei gilt das natürlich noch mehr.“
Das Meer. „Es ist ein weiter Wasserspiegel, der, falls die Tiefe es verstattet, Bewegung nach jeder Richtung ermöglicht und Unterschiede in der Sicht ausschließt … der Spiegel kann vorübergehend die beweglichen Formen eines Hügellandes annehmen, welche die Gefechtkraft der Schiffe …“
Der Mensch. „Erst die Belebung eines Raumes mit Menschen macht den Raum zu einem Mittel- und Schwerpunkte höheren Geschehens, erst sie erhebt ihn zu einer Bühne geistigen Wollens und tätigen Handelns und damit auch zu einer solchen der Kriegführung. Das Dazukommen des Menschen verleiht dem Vorhandensein des Raumes einen zweckhaften Sinn, der sich schließlich zu einem Dasein des Raumes für den Menschen steigert.“
Genug? Nein, noch lange nicht genug. Diese „philosophischen“ Grundlagen sind es ja eben, auf denen die Wehrwissenschaft und das Buch des Autors sich aufbaut. Man hat diesem Buch ungeheure Aufmerksamkeit geschenkt, weil es die niedrigsten und gemeinsten, die grausamsten und hinterhältigsten Kampfmethoden der Menschheit als selbstverständlich behandelt. Das System des professoralen Schwachsinns, das in ihm steckt, hat man dabei vielleicht nicht genügend beachtet. Und die Gefahr dieses Systems.
Professor Ewald Banse ist nicht irgend ein armer Narr. Er ist ein angesehener deutscher Geograph, war Professor der Technischen Hochschule in Braunschweig, Lehrer und Führer deutscher Jugend. Nun ist er ein Organisator des Wehrsportes. Es gibt viele solche Professoren.
Sein „Büchlein“, wie er selbst es nennt, erschien in Braunschweig „im Totenmonde 1932“. In seinem Vorwort zur zweiten Auflage schreibt er: „Schon wenige Monde nach Erscheinen des vorliegenden Büchleins ist die Herstellung einer neuen Auflage notwendig geworden: der bündigste Beweis, daß der wehrwissenschaftliche Gedanke im deutschen Volke lebendig geworden ist. Die Not unserer Lage und die Tat unseres Führers Adolf Hitler haben die Entwicklung in diese Richtung gelenkt.“
Professor Ewald Banse ist besessen von jener verfluchten Aufrichtigkeit, die einer hat, wenn er aufs Ganze geht. Mag er von der Einführung des Typhus durch Flöhe, der Pest durch Ratten, von der Verseuchung des Trink- und Gebrauchswassers, von Blaukreuz, Chlor, Phosgen, Perstoff und Gelbkreuz, von der Erziehung der Schuljugend sprechen. Ja, es mangelt ihm manchmal nicht an poetischem Schwung: „Wer erfahren hat, wie ein Flieger, tief daher brausend, mit dem MG Gräben und Trichter ausleeren kann und wie schutzlos der Infanterist dagegen sich vorkommt, und wer sich vorzustellen vermag, wie es in einer Stadt aussehen wird, in der sich die von einem Fliegerüberfall ausgehenden Giftgase träge schleichend ausbreiten, indem sie in alle Räume und Löcher hineinkriechen, um Erstickung und Zersetzung zu verbreiten, während gleichzeitig an vielen Stellen Brände ausbrechen – der wird vor dieser neuen Waffe die größte Hochachtung haben …“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Das Buch Wehrwissenschaft. Einführung in eine neue nationale Wissenschaft des deutschen Geographen Ewald Banse (1883–1953) erschien 1933 im Leipziger Armanen-Verlag.