Landgericht Mannheim - Freiburger Holbein-Pferd
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LG Mannheim 14.02.1997 7 S 4/96 "Freiburger Holbein-Pferd"
Sachverhalt
Die Kl. zu 1 ist die VG Bild-Kunst. Die Kl. zu 2 bis 4 bilden die Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen Bildhauer A. Dieser schuf im Jahr 1936 die Zementgußplastik eines Fohlens. Die Plastik befindet sich heute in Freiburg auf einer kleinen Grünfläche im Bereich der Hans-Thoma-Straße und der Holbeinstraße. Sie wird allgemein - auch von den Parteien - als "Holbein-Pferd" bezeichnet. Die Plastik, ursprünglich einfarbig, wurde seit einigen Jahren wiederholt von Unbekannten bemalt, mit Schriftzügen versehen, mit Verpackungsmaterial umhüllt oder in sonstiger Weise verändert. Die so veränderte Plastik wurde von verschiedenen Personen, u. a. von dem Bekl., fotografiert. In mindestens einem Fall hat der Bekl. sich nicht darauf beschränkt, das Holbein-Pferd so zu fotografieren, wie es von Dritten verändert wurde, sondern durch entsprechende [365] fototechnische Maßnahmen ein Lichtbild erstellt, welches das Holbein-Pferd in einem veränderten Erscheinungsbild zeigt, in dem es tatsächlich nie zu sehen war. Der Bekl. hat die Fotografien zur Herstellung einer Postkartenserie, eines Kalenders und eines Buches verwendet.
Die Kl. sehen in der Vervielfältigung und dem Vertrieb der Fotografien durch den Bekl. eine Urheberrechtsverletzung.
Die Kl. sind der Auffassung, die Vervielfältigung und Verbreitung der Fotografien verletze das Urheberrecht.
Verletzt werde zum einen das Verwertungsrecht. Der Bekl. könne sich nicht auf § 59 UrhG berufen. Diese Bestimmung könne allenfalls die Verwertung von Fotografien rechtfertigen, die das Holbein-Pferd in seiner ursprünglichen Form zeigten, wie sie ihm der Bildhauer gegeben habe. Urheberrechtswidrig sei es jedoch, Fotografien zu vervielfältigen und zu verbreiten, die das Werk in veränderter Form zeigen. Die Veränderungen des Holbein-Pferdes seien auch nicht als freie Bearbeitung im Sinne des § 24 UrhG anzusehen. Auch sei es durch § 59 UrhG nicht gedeckt, wenn der Bekl. Fotografien vervielfältige und verbreite, die das Holbein-Pferd in einem veränderten Zustand zeigen, den es tatsächlich nie gegeben habe, den der Kl. also nur durch fototechnische Maßnahmen hergestellt habe.
Verletzt werde aber auch das Urheberpersönlichkeitsrecht. Die Veränderungen des Holbein-Pferdes seien als Entstellung des ursprünglichen Werkes im Sinne des § 14 UrhG anzusehen. Durch die Vervielfältigung und Verbreitung der Fotografien, die das veränderte Werk zeigen, wirke der Bekl. an der Entstellung des Werkes mit.
Das AG hat auf die Auskunft und Rechnungslegung gerichtete Klage abgewiesen.
Die Kl. beantragen:
1. Auf die Berufung der Kl. wird der Bekl. verurteilt, den Kl. gegenüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, auf welche Art und Weise und in welchem Umfang er Fotografien des Werkes von A., des "Holbein-Pferdes" durch Vervielfältigung und Verbreitung mittels Kalendern, Postkarten, Fotos bzw. in sonstiger Art und Weise genutzt hat, wobei der Bekl. neben Art und Zahl der Vervielfältigung und Verbreitung auch die daraus erzielten Brutto- und Nebenerlöse, die Zahl der Verkäufe der einzelnen Produkte, die Namen und Anschriften aller Abnehmer, Kunden, Wiederverkäufer, Firmen usw., welche die vom Bekl. hergestellten bzw. vertriebenen Produkte abgenommen haben und verbreiten, anzugeben hat, unter Beifügung entsprechender Belege.
2. Es wird festgestellt, daß der Bekl. den Kl. gegenüber dem Grunde nach wegen der in Ziff. 1 genannten Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Nutzungsvorgänge zur Zahlung verpflichtet ist. Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung der Kl. ist zulässig. Soweit die Kl. nunmehr über den bereits in der ersten Instanz gestellten Klageantrag hinaus die Feststellung der Verpflichtung des Bekl. zum Schadensersatz begehren, ist die darin liegende Klageerweiterung sachdienlich. Der Prozeß wird dadurch nicht mit neuem Streitstoff belastet. Der Bekl. hat selbst - zu Recht - darauf hingewiesen, daß die Begründetheit des Auskunfts- und Rechnungslegungsbegehrens davon abhängig ist, daß ein Anspruch auf Schadensersatz besteht. Dessen Bestehen war also - wenn auch nur als Vorfrage - bereits in der ersten Instanz Gegenstand des Rechtsstreits.
Die Berufung ist hinsichtlich der Kl. zu 1 überwiegend begründet, hinsichtlich der Kl. zu 2 bis 4 dagegen unbegründet.
Durch die Vervielfältigung und das Verbreiten der Fotografien des veränderten Holbein-Pferdes hat der Bekl. das Urheberpersönlichkeitsrecht der Kl. zu 2 bis 4 verletzt. Insoweit ist unerheblich, ob die Veränderungen von ihm vorgenommen wurden oder ohne sein Zutun von unbekannten Dritten (dazu unter I.). Eine Verletzung der Verwertungsrechte liegt dagegen nur insoweit vor, als der Bekl. das von ihm vorgefundene Erscheinungsbild des Holbein-Pferdes durch fototechnische Maßnahmen verändert hat (dazu unter II.).
I. Nach § 14 UrhG hat der Urheber das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werks zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen an dem Werk zu gefährden. Grundlage dieser Regelung ist das Urheberpersönlichkeitsrecht, das das Bestand- und Integritätsinteresse des Urhebers schützt, also sein Interesse, selbst darüber zu befinden, wie sein Werk an die Öffentlichkeit treten soll. Ob eine Veränderung des Werks als Entstellung im Sinne des § 14 UrhG anzusehen ist, hängt demzufolge nicht davon ab, ob die Veränderung in irgendeiner Weise negativ zu bewerten ist. Nach dem Zweck des § 14 UrhG liegt vielmehr eine Entstellung stets vor, wenn die Veränderung bewirkt, daß wesentliche Züge des Werks eine andere Färbung oder Tendenz erhalten (v. Gamm, Urheberrecht, § 14, Rdn. 8 mit weiteren Nachw.).
Nach diesen Kriterien zeigen die Lichtbilder, die der Bekl. hergestellt, vervielfältigt und verbreitet hat, jeweils Entstellungen des Holbein-Pferdes. Dieses wirkt im Original allein durch seine schlichte Form, die das Kindlich-Unbeholfene und Staksige eines Fohlens vermittelt. Die von der Kl. vorgelegten Lichtbilder des Bekl. zeigen demgegenüber das Holbein-Pferd jeweils in einer auffallenden, meist grellfarbigen, bunten Bemalung und z. T. zusätzlich mit Werbung, politischen Parolen oder Symbolen, Piktogrammen und ähnlichem mehr versehen. So gestaltet wirkt das Pferd gerade nicht mehr nur durch die bloße Formgebung, vielmehr wird jeweils versucht, durch das Hinzufügen einer Bemalung oder ähnlichem eine bestimmte, mehr oder minder originelle, komische Wirkung zu erzielen.
Durch die Vervielfältigung und Verbreitung von Fotografien der so entstellten Figur hat der Bekl. das Urheberpersönlichkeitsrecht verletzt. Zwar hat er an den Entstellungen, die an der Figur selbst vorgenommen worden sind, nicht mitgewirkt. Die vom Bekl. vertriebenen Postkarten, Kalender und Bücher führen jedoch dazu, daß das veränderte Werk einem Personenkreis zugänglich gemacht wurde, der ansonsten keine Kenntnis davon erlangt hätte. Die mit der Entstellung des Werks bewirkte Beeinträchtigung wurde mithin durch den Bekl. vertieft. Zwar mag die Verbreitung von Fotografien des entstellten Werks im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen zulässig sein, etwa wenn in einer Zeitung über die Bemalungen des Holbein-Pferdes durch Dritte berichtet und in diesem Zusammenhang zur Illustration eine Fotografie des in entstellender Weise bemalten Pferds abgedruckt wird. Dem Bekl. geht es hier aber nicht um die Befriedigung des berechtigten Informationsinteresses der Öffentlichkeit, sondern in erster Linie darum, durch Vervielfältigung und Verbreitung der Fotografien die verschiedenen Zustände des Holbein-Pferdes zu eigenen künstlerischen und finanziellen Zwecken zu nutzen. Die Interessen des Bekl. müssen unter diesen Umständen hinter dem Interesse der Kl. Ziff. 2 bis 4 als Inhaber des Urheberpersönlichkeitsrechts an einer unverfälschten Darstellung des Werks zurücktreten.
Der Bekl. kann sich nicht auf eine Gestattung berufen. Nach dem unstreitigen Sachverhalt sind die Kl. zu 2 bis 4 die Erben des verstorbenen Bildhauers A. Eine Gestattung hätte durch alle Erben erfolgen müssen. Der Bekl. hat lediglich behauptet, die Kl. zu 2 habe seinem Vorhaben zugestimmt. Daß die Kl. zu 2 von den Kl. zu 3 und 4 zu einer solchen Gestattung ermächtigt worden wäre, ist nicht dargetan.
Nach allem hat der Bekl. durch die Verbreitung der beanstandeten Fotografien das Urheberpersönlichkeitsrecht der Kl. zu 2 bis 4 verletzt und zwar unabhängig davon, ob er selbst das vorgefundene Erscheinungsbild des Holbein-Pferdes durch fototechnische Maßnahmen verändert hat.
II. Das Verwertungsrecht ist hingegen nur insoweit verletzt, als derartige fototechnische Veränderungen vorgenommen worden sind. Die Vervielfältigung und Verbreitung von Fotografien des von Dritten ohne Zutun des Bekl. entstellten Werks ohne solche zusätzlichen Maßnahmen greift nicht in Verwertungsrechte ein.
[366] Das Verwertungsrecht des Urhebers umfaßt grundsätzlich auch das Recht, Lichtbilder des Werkes zu vervielfältigen und zu verbreiten. Das ergibt sich aus §§ 16 Abs. 2, 17 UrhG. Gewisse Schranken des Verwertungsrechts regeln die §§ 45 ff. UrhG. Nach § 59 Abs. 1 UrhG ist es zulässig, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, durch Lichtbild zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Nach § 62 Abs. 1 UrhG dürfen jedoch bei einer solchen Nutzung Änderungen an dem Werk grundsätzlich nicht vorgenommen werden. Zulässig sind nach § 62 Abs. 3 UrhG nur solche Änderungen, die das für die Vervielfältigung angewendete Verfahren mit sich bringt, ebenso die Übertragung des Werkes in eine andere Größe.
1. Soweit sich der Bekl. darauf beschränkt hat, das Holbein-Pferd in einem gegenüber dem ursprünglichen Werk veränderten Zustand zu fotografieren, den Dritte ohne sein Zutun herbeigeführt haben, hat er das Verwertungsrecht nicht verletzt. Aus §§ 59, 62 UrhG ergibt sich, daß die Befugnis zur Verwertung eines Werkes, das auf einer öffentlichen Straße usw. steht, nur durch das Verbot eigener Bearbeitung begrenzt ist (v. Gamm, UrhG, § 59 Rdn. 3). Dagegen ist es nach Auffassung der Kammer im Rahmen des § 59 UrhG unerheblich, ob das Werk in seinem ursprünglichen Zustand abgelichtet wird oder in einem veränderten Zustand, der von Dritten herbeigeführt wurde. Durch § 59 UrhG werden die Verwertungsrechte des Urhebers zugunsten desjenigen beschränkt, der das Werk fotografiert. Entgegen der Grundregel der §§ 16, 17 UrhG ist dem Urheber das alleinige Recht zu einer Verwertung des Werks in der beschriebenen Weise also entzogen. Nach Auffassung der Kammer können diese Verwertungsrechte dem Urheber nicht dadurch wieder zufallen, daß Dritte an dem Werk - ohne dessen Standort zu verlegen - Veränderungen vornehmen. Verwertungsrechte stehen dem Urheber zu, weil ihm grundsätzlich die Früchte seiner schöpferischen Tätigkeit zufallen sollen. Die von der Kl. vertretene Rechtsauffassung liefe dagegen darauf hinaus, daß der Urheber bzw. dessen Rechtsnachfolger sich die finanziellen Erträge einer von Dritten vorgenommenen Handlung sichern könnte. Das ist weder mit § 59 UrhG noch mit dem den §§ 16, 17 UrhG zugrundeliegenden Rechtsgedanken zu vereinbaren.
2. Die Kl. haben jedoch - erstmals in der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - vorgetragen, daß der Bekl. in mindestens einem Fall durch fototechnische Maßnahmen ein Lichtbild des Holbein-Pferdes hergestellt und verwertet hat, auf dem die Plastik in einem veränderten Zustand dargestellt ist, der nicht durch Dritte herbeigeführt wurde, den es vielmehr in der Realität nie gab. Die Kl. haben dazu das Bild vorgelegt, welches das Holbein-Pferd in leuchtend roter Bemalung und mit Nikolaus-Mütze und -Stiefeln zeigt. Der in der mündlichen Verhandlung persönlich anwesende Bekl. hat diesem klägerischen Vortrag nicht widersprochen, so daß er nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.
a) In diesen fototechnischen Maßnahmen liegt eine Änderung des Originalwerkes, die nicht durch § 62 Abs. 3 UrhG gedeckt ist. Das führt nach § 62 Abs. 1 UrhG dazu, daß die Verwertung dieses Lichtbildes nicht durch § 59 UrhG gedeckt ist.
b) Der Bekl. kann sich insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, es handele sich um eine freie Benutzung des Originals im Sinne des § 24 UrhG. Eine freie Benutzung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH voraus, daß das fremde Werk lediglich als Anregung für eigenes Werkschaffen dient, so daß die entnommenen Züge des benutzten Werkes gegenüber der Eigenart des neugeschaffenen verblassen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Fotografie, die das Holbein-Pferd mit Nikolaus-Mütze und -Stiefeln zeigt, nicht vor. Die Fotografie erzielt eine gewisse komische Wirkung gerade dadurch, daß eine Kostümierung verwendet wird, die zu einem Pferd "nicht paßt". Die Gestaltung des Pferdes durch den Bildhauer A. tritt hier gegenüber den eigenen Zügen der Fotografie nicht zurück, sondern ist für sie gerade wesentlich und wird eher noch betont.
Nach der Rechtsprechung des BGH sind allerdings die Anforderungen für die Annahme einer freien Benutzung geringer, wenn es um eine parodistische Behandlung des Originals geht (BGH GRUR 1958, 354, 356 - Sherlock Holmes; GRUR 1971, 588, 589 f. - Disney-Parodie; GRUR 1994, 191, 193 - Asterix-Persiflagen; GRUR 1994, 206, 208 - Alcolix). Die Ausgestaltung des Holbein-Pferdes mit Nikolaus-Mütze und -Stiefeln ist jedoch nicht als Parodie anzusehen. Die Parodie ist durch eine antithematische Auseinandersetzung mit dem älteren Werk gekennzeichnet. Dem Bekl. ging es nicht um eine schöpferische Auseinandersetzung mit dem Werk des Bildhauers A., vielmehr wird dessen Werk lediglich verfremdet und so als Mittel zur Erzielung eines witzigen Effekts benutzt. Eigenschöpferische Züge, die über die Verfremdung des Holbein-Pferdes in seiner ursprünglichen Gestaltung hinausgehen, sind im übrigen vom Bekl. nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich.
Daraus ergibt sich, daß der Bekl. das Verwertungsrecht der Kl. verletzt hat, soweit er sich nicht darauf beschränkt hat, das Holbein-Pferd in einem gegenüber dem Original veränderten Zustand zu fotografieren, den Dritte herbeigeführt haben, sondern solche Veränderungen durch fototechnische Maßnahmen bei der Herstellung des Lichtbildes selbst herbeigeführt und das so hergestellte Lichtbild vervielfältigt und verbreitet hat.
III. Der Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz ist hinsichtlich aller Kl. zulässig, jedoch nur hinsichtlich der Kl. zu 1 begründet [wird ausgeführt].
IV. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch ist nur zum Teil begründet [wird ausgeführt].